Elbensteins Geschichte

Zweiter Teil

Nachdem, wie im vorigen gemeldet, Elbenstein in D. glücklich angelanget war, verdunge er sich bei einem gewissen Professore in die Kost, brachte es aber durch seine gute Aufführung in kurzer Zeit dahin, daß er bei dem Fürsten von B. die Kammerjunkersstelle erhielt, und weilen er gute Studia hatte, anbei die italiänische und französische Sprachen wohl redete und schrieb, so wurde er nicht nur in Verschickungen, sondern auch in andern geheimen Angelegenheiten sehr öfters gebraucht, indem er sich jedesmal dergestalt konduisierte, daß er des Fürsten Gunst und Gnade vollkommen erlangete. Ob nun schon sein ernstlicher Vorsatz war, sich in keine Liebeshändel mehr zu verwickeln, so blieb er doch nicht lange von denselben befreiet.

Es war der Gebrauch am D. Hofe, daß die Dames und Kavaliers bei denen vornehmsten Ministern und ihren Gemahlinnen wöchentlich ein- oder wohl mehrmal die Visiten ablegten, wodurch denn geschahe, daß, als Elbenstein in des Geheimbden Rats von M. Behausung mit einsprach, er mit einem artigen Fräulein des Geschlechts von G., welche eine nahe Anverwandtin des Geheimbden Rats war, in Bekanntschaft geriet, da denn nach einem kurzen Umgange in beider Herzen eine Liebe erwuchs. Eines Tages, da die gewöhnliche Compagnie wieder zusammengekommen war, setzten sich die meisten nieder und spieleten zum Teil à la Bassette, l'Hombre oder andere beliebige Spiele. Elbenstein[331] aber, welcher die französischen Zeitungen in einem Fenster gefunden, deprezierte das Spielen und lase dargegen die Zeitungen. Das Fräulein von G., als sie vermerkte, daß Elbenstein heute nicht Lust zu spielen hätte, drehete sich auch mit guter Manier vom Spiele ab und knöppelte zur Lust an der Frau Geheimbden Rätin ihrem Knöppelküssen, bis sie bemerkte, daß Elbenstein mit Lesung der Zeitungen fertig wäre, da sie denn mit einer angenehmen Freimütigkeit auf ihn zu ging und den Antrag tat, daß, weil er sowenig als sie heute zum Spielen disponiert wäre, wollten sie einander die Zeit mit Gesprächen vertreiben, worauf sie ihn ersuchte, ihr etwas von Italien und von der Einwohner Naturell zu erzählen, auch weiln sie vernommen, daß dem Frauenzimmer daselbst nicht erlaubt wäre, mit Frembden zu konversieren, so wäre sie curieux zu wissen, worinnen der Herr von Elbenstein, als ein galanter Kavalier, einigen vergnügten Zeitvertreib gefunden. Dieser gab hierauf zur Antwort, wie er den Hauptzweck, warum er in frembde Lande gereiset, zu beobachten, die Zeit also anwenden und einteilen müssen, daß er nach der ohnedem höchst gefährlichen Konversation der italiänischen Dames nicht verlangen können, mit dissoluten und liederlichen aber die Zeit zu verlieren würde weder appetitlich, ratsam noch nützlich gewesen sein, in Erwägung, daß man von dergleichen Ergötzungen nur ein nagendes Gewissen, ungesunden Leib und Verlust seines Geldes zu gewarten hätte. Die Fräulein von G. replizierte, daß sie sich würde schwerlich überreden lassen, daß der von Elbenstein von allen verliebten Aventuren sollte befreiet geblieben sein, lobete ihn anbei, daß er mit seinen Liebesergötzungen so geheim wäre, deswegen sie diejenige Dame glücklich schätzen müsse, welche von einem so diskreten und honetten Kavalier ästimiert würde. Sie vor ihre Person wollte sich höchlich gratulieren, wenn sie Elbensteinen nur zu ihren Konfidenten erkiesen dürfte.[332]

Wie nun er, als ein Sanguineus, so den Liebesanfällen bei einem so angenehmen Gegenstande nicht lange zu widerstehen vermögend war, ergriff er das auf der Seite stehende Glas Wein und sagte: »Mein schönes Fräulein, ich halte Sie bei Ihrem Worte, und zu bezeugen, daß ich es recht aufrichtig und von Herzen meine, so erlauben Sie mir, daß ich dieses Glas Wein auf glückliche Aufrichtung einer beständigen und getreuen Konfidentschaft Ihnen zutrinken möge«, worauf er unter verliebten Mienen das Glas austrank, nachdem er es wieder eingeschenkt, den Rand desselben küssete und ihr mit einer charmanten Art überreichte, welches sie auf gleiche Art mit besonders liebreicher Stellung austrank. Hierauf fragte Elbenstein, wann er nunmehro die süße Vergnügung haben und den Effekt der gemachten Confidence genießen sollte, worauf das Fräulein von G. antwortete, daß in Gegenwart so vieler Dames und Kavaliers es sich voritzo nicht schickte, wenn er aber auf ihr Zimmer, allwo ihr Mägdgen nur allein wäre, sich bemühen wollte, so könnte seinem und ihrem Verlangen eher ein Genügen geschehen. Hierauf ergriff Elbenstein das artige Fräulein bei der Hand und sagte zu ihr etwas laut: »Gnädiges Fräulein! wo es nicht beschwerlich, so wollte ich gehorsamst bitten, mir, als einem Liebhaber der Schildereien, die in den andern Gemächern befindliche Stücke zu zeigen.« Wie sie sich nun hierzu gefällig erzeigte, führete er sie nach ihrem Zimmer, allwo sie dem Mägdgen befahl, etwas von Obste und Confituren herbeizubringen. Mittlerweile, als diese abwesend war und Elbenstein der Fräulein Porträt ansichtig ward, sagte er: »Mein schönster Engel! Ich will den Anfang machen, Ihnen etwas in geheim zu vertrauen.« Unter diesen Worten küssete er der Fräul. Porträt aufs zärtlichste. Sie, welche von dergleichen artiger Erfindung, einen Liebesantrag zu tun, nicht wenig charmiert war, sagte darauf: »Ich sehe wohl, daß Sie in Italien die Abgötterei recht gelernet haben; allein versünd[i]gen Sie sich[333] doch nicht so sehr an leblosen Kreaturen«, womit sie ihn ganz verliebt ansahe und die Hand drückte. Elbenstein sagte hierauf: »So will ich das Original um Vergebung dieses begangenen Verbrechens bitten«, unter welchen Worten er das Fräul. zu verschiedenen Malen auf das verliebteste küssete, welches, als es zum öftern wiederholet ward, das verliebte Fräulein endlich mit gleichen vergalt. Es wollten sich zwar bei Elbensteinen noch mehrere lüsterende Kuriositäten regen, allein die Ankunft des Mägdgens setzte beide Verliebten in eine sittsamere und eingezogenere Positur.

Die Fräulein präsentierte ihrem neuen Konfidenten etwas von denen Erfrischungen, und et legte ihr gegenteils unter lauter schmeichelenden Mienen ein und anderes vor. Ehe er sich's aber versahe, fing ihm die Nase heftig zu bluten an. Demnach befahl das Fräul. ihrem Mägdgen, eine Schale mit kalten Wasser herbeizubringen und mit einem darein genetzten Tuche Elbensteins Nacken zu berühren. Dieser aber merkte gar bald, daß des artigen Mägdgens Hülfleistung aus etwas anders als aus einer bloßen Dienstfertigkeit herrührete, indem unter dieser Beschäftigung ihre Finger an Elbensteins Halse das zu verstehen gaben, was ihr Mund ihm nicht sagen durfte. Er als ein starker Practicus in der Löffelei antwortete ihr mit einem verbindlichen Blicke, wie daß er nehmlich ihre Meinung verstanden hätte, dahero er ihr seiner wandelbaren Gemütsart nach sogleich einen ziemlichen Teil von der ihrer Fräul. gewidmeten Neigung zuwendete, und indem er, ihre Mühe mit einem Gulden zu vergelten, sie bei der Hand fassete, durch eine den Verliebten bekannte und gewöhnliche Art und Weise ihr seine Gewogenheit zu verstehen gab.

Also war Fräulein und Dienerin zugleich mit ihm ins Liebesgarn geraten; weiln aber der Wohlstand erfoderte, daß die Fräulein sich eher als er sich wieder zur Gesellschaft begäbe, ging sie alleine voran und berichtete auf beschehene Nachfrage, wo er geblieben und[334] daß ihm die Nase so stark geblutet hätte. Solchergestalt bekam Elbenstein Gelegenheit, Grisetten, so war des Kammermägdgens Name, durch etliche hitzige Küsse, welche sowohl auf den Mund als die wohlbestellte Brust fielen, ihre zu ihm tragende Liebe zu probieren, in welcher Probe denn sie durch etliche wohl angebrachte geilen Küsse, worbei die Zunge auch das ihrige beitrug, zu verstehn gab, daß, ob sie gleich kaum das 18te Jahr zurückgelegt, sie dennoch in der Kunst und Wissenschaft zu lieben kein unerfahrnes Kind wäre. Die kurze Zeit, so ihnen ohne Verdacht beieinander zu sein erlaubt war, druckte beiden eine Sehnsucht ein, genauer miteinander bekannt zu werden, welche zu stillen der folgende Tag früh um neun Uhr in seinem Logis die beste Gelegenheit an die Hand gab, dieweil es aber Zeit war, sich nach Hofe zur Abendtafel zu verfügen, auch die Aufwartung eben an Elbensteinen war, so nahm er nebst einigen Dames und Kavaliers von dem Geheimbden Rate und der übrigen Compagnie Abschied und begab sich nach Hofe, dahingegen die meisten, welche sich in ein starkes Spiel engagiert hatten, noch beisammen blieben und die zubereitete Kollation abwarteten.

Den folgenden Tag, als Elbenstein noch im Schlafrocke herumging, meldete sich das angenehme Grisettgen bei ihm an, brachte eine Schüssel mit Obst und Confituren nebst einem Morgenkompliment von ihrer gnädigen Fräulein. Elbenstein, dem die in Italien angewöhnte Liebesnäscherei von neuen ankam, auch allhier nicht solche Lebensgefährlichkeiten wie dort zu befürchten hatte, gab seinem Diener eine Pistolette mit Befehl, ihm solche zu verwechseln, aber kein anderes als lauter ganz Geld an lüneburgischen Zweidrittelstücken davor zu bringen, nennete ihm auch etliche Juden, zu welchen er gehen sollte, und wenn einer nicht wollte, würden es schon andere tun, wodurch er denn gnugsame Zeit gewann, sich mit seiner Grisette, deren Augen aus Begierde zum Liebeskampfe[335] gleichsam brannten, nach Wunsche zu ergötzen, welches denn, da der Diener kaum den Rücken gewendet, mit beiderseits entzückender Zufriedenheit geschahe.

Zwar merkte er soviel, daß in diesem Liebesgarten bereits andere die ersten Früchte gebrochen hatten, weil er aber eben nicht so gar sehr capricieus in diesem Stücke war, ließ er es dem treuherzigen Kinde nicht entgelten, indem er noch soviel Annehmlichkeiten bei derselben fand, seinen Appetit zu stillen und zugleich sie sattsam zu vergnügen. Nach gebüßeter Lust wurde die Abrede genommen, über drei Tage diese Ringekunst weiter zu versuchen und ein und andere von der Alo ... Sig ... vorgeschriebene Lectiones zu probieren, vor dieses Mal aber ließ er sie mit einem Geschenke vor erzeigte Gefälligkeit und einem ergebensten Kompliment an ihre Gn. Fräulein repassieren.

Hierauf kleidete er sich vollends an und begab sich nach Hofe, allwo die sämtliche Dames und Kavaliers in der Fürstin Vorgemach versammlet waren. Einer von den Kammerjunkern ersuchte Elbensteinen daselbst, die Gefälligkeit vor die Fräuleins und ihn zu haben und eine gewisse Arie, die er ihm in einer italiänischen Opera zeigte, ins Deutsche zu übersetzen, worzu er sich denn sogleich willig finden ließ, begab sich demnach etwas beiseite an ein Fenster und übersetzte solche in eben dem Metro und Genere, welches der italiänische Poet gebraucht hatte, folgendergestalt:


Aria


1


Von euch Sonnen kömmt mein Ächzen,

Euer Strahl hat mich fast halb entseelt,

Des Herzens Entzünden

Kann schwerlich verschwinden,

Indem es sein Lechzen

und Quälen verhehlt.
[336]

2


Schönster Mund, du bringst mir Schmerzen,

Und mein Herz vergehet fast vor Glut,

Mit Hoffen und Sehnen,

Mit Schweigen und Stöhnen

Empfind ich im Herzen

Des Cypripors Wut.


Solche Übersetzung erwarb ihm bei den sämtlichen Dames und Kavaliers nicht nur vieles Lob, sondern es verursachte auch bei den erstern gewisse Gemütsregungen, die sie aber ihrer angewohnten Eigensinnigkeit und Hoffart nach, welche nur Verehrer haben, aber denselben keine Vergeltung tun, viel weniger ihre Liebe mit Gegenliebe belohnen will, vertuscheten, indem sie sich nicht entschließen konnten, ihre Leidenschaften an den Tag zu geben. Wie aber auch die wildesten Kreaturen zahm und bändig gemacht werden können, also gewann die Liebe bei diesen Hochmütigen durch die sittsame und höfliche Aufführung des von Elbenstein, welche mit einer wohlanständigen Blödigkeit und insinuanten Schmeichelei untermengt war, endlich die Oberhand, daß, da sie zuvor gewohnt waren, diejenigen, so sie fast anbeteten, mit lauter spröden Verachtungen zu quälen, sich nunmehro bequemten, ein gelasseneres Wesen an sich zu nehmen. Aus diesem entsprunge ein Verlangen, alleine zu sein, und in solcher Einsamkeit malete ihnen der Liebesgott in Gedanken alle die trefflichen Gemüts- und Leibesgaben des von Elbenstein auf das allerangenehmste ab, worauf der Wunsch folgte, von einem solchen artigen Kavalier ästimiert zu werden, und endlich sagte ihnen ihr eigenes Herze, daß dergleichen Regungen mit keinem andern Namen als der Liebe belegt werden könnten. Unter diesen größtenteils veränderten Damen befand sich eine unverheiratete, so die Baronne von L. genennet ward, welche, je mehr sie von Elbensteins Qualitäten eingenommen war, je vergnügter sie[337] sich hergegen schätzen konnte, indem ihre mit einer charmanten Traurigkeit verknüpften Blicke Elbensteinen dermaßen fesselten, daß, je länger er mit dieser liebenswürdigen Person umging, je heftiger er in sie verliebt ward, und so viel schöne Leibes- und Gemütseigenschaften diese Fräulein besaß, so viel Fesseln und Ketten waren auch, den fladderhaften und unbeständigen Elbenstein nunmehro feste zu binden und aus einem flüchtigen und changanten einen getreuen und beständigen Liebhaber zu machen; denn außer der angenehmen Gesichtsbildung wie auch unvergleichlich proportionierter Taille war diese Dame aus einem uralten berühmten freiherrlichen Geschlechte, aus welchem etliche zu zählen, die im Röm. Reiche unter dem Titul Kurfürstl. Gn. vor weniger Zeit waren berühmt gewesen. An Gütern und Mitteln mangelte es auch nicht, denn die halbe Herrschaft H., bei Landau gelegen, vermöge des väterlichen Testaments ihr als der einzigen Tochter anderer Ehe, nebst vielen Weinzehenten an der Mosel, eigentümlich zugehöreten, und obgleich die meisten von diesem vornehmen Geschlechte sich zur röm. katholischen Religion bekenneten, so war doch dieses Fräulein sowohl als ihre bereits verstorbenen Eltern der protestantischen oder evangelischen Religion zugetan, daß also Elbenstein auch ratione religionis nichts Bedenkliches fand.

Alles dieses, zumalen er durch dergleichen Mariage bei dem D. Hofe höher zu avancieren sich gute Rechnung machen konnte, bewogen ihm dahin, daß er alle sonst gewohnte Liebesausschweifungen gänzlich abandonnierte und sich seiner auserwählten und allerliebsten Fräulein von L. ganz und gar allein ergab. Ob sie nun gleich anfänglich seinen Verpflichtungen nicht sofort völligen Glauben beimessen wollte, so ward doch endlich ihr tugendhaftes Herze durch seine tägliche Schmeicheleien und Contestationes überwunden, indem er dieselben sowohl schriftlich als mündlich anbrachte, bis sie sich ihm endlich ganz zu eigen ergab. Es wird nicht[338] unangenehm sein, eine von dessen poetischen Liebesdeklarationen anhero zu setzen:


Mein Schicksal hat den Schluß nun über mich gefasset,

Ich soll, mein Engel! Dir allein gewidmet sein,

Da ich doch noch nicht weiß, ob mich Dein Auge hasset

Anstatt der Gegengunst und ob Dein Herz ein Stein.

Doch will ich meine Glut Dir nochmals offenbaren,

Die durch Dein schönes Licht sich in mir angeflammt,

Mein frei Bekenntnis will nichts Widriges befahren,

Dieweil Dein Gütigsein vom frommen Himmel stammt.

Die Sanftmut, welche sich in Deinen Augen zeiget,

Weissaget mir noch nicht, daß ich zuviel getan,

Und ob Dein schöner Mund annoch ganz stille schweiget,

Zeigt doch sein Purpurrot kein Ungewitter an.

Erlaube mir demnach, Dich ewig zu verehren,

Und glaube, daß mein Herz Dir bis in Tod getreu,

Du kannst, mein Leben! ja die Treu vorher bewähren,

Laß bei der Prüfung nur vor mich die Hoffnung frei.

Wenn Dir gefallen wird, mich zornig anzublicken,

Bet ich die Strengigkeit in tiefer Ehrfurcht an.

Will mir Dein schöner Mund ein kaltes Nein zuschicken,

So glaube, daß ich auch bei Nein treu lieben kann.

Sprächst Du auch gleich zu mir: Ich soll und muß Dich hassen,

Ja stieße mich Dein Fuß ganz spröde von sich hin,

Wollt ich doch mit Begier die schönen Hände fassen,

Zu zeigen aller Welt, wie ich beständig bin.

Auch wenn zum Überfluß, die Treue zu probieren,

Du mir verbieten willst, Dich gar nicht anzusehn,

Soll Deinen Schatten doch mein Auge nicht verlieren,

Bis Deine Güte spricht, daß Proben gnug geschehn.


Diesemnach wurde beiderseits Liebe dergestalt heftig, daß eines ohne das andere fast keine Stunde bleiben konnte. Die erste Probe seiner liebreichen Fräulein von L. geschwornen Treue legte Elbenstein damit ab,[339] daß, als Grisette kam und ihn im Namen ihrer Fräulein nötigte, diesen Nachmittag in des Oberjägermeisters Hause, allwo Assemblée sein würde, zu erscheinen, er seinen Diener nicht wegschickte, weswegen das arme Ding ungelabt fortgehen mußte.

Weilen aber seine allerliebste Fräul. von L. par renommée nebst andern Hofdamen und Kavaliers daselbst mit zu erscheinen sich gemüßiget sahe, fand er sich auch allda ein. Die Fräul. von G. suchte zwar Gelegenheit, Elbensteinen mit guter Manier von der Compagnie abzuziehen, er tat aber, als merkte er es nicht, sondern ließ sich bald mit dieser oder jener Dame oder Kavalier ins Gespräch ein und leerete dabei mit dem alten Herrn von H., der ein besonderer Liebhaber des edlen Rebensafts war, manches Gläsgen auf Gesundheit dieses oder jenes guten Freundes aus. Da die Fräul. von G. nun sahe, daß sie solchergestalt ihren Zweck, mit ihrem Konfidenten sich in einer angenehmen Retirade zu unterhalten, nicht erreichen konnte, stellete sie es an, weil die Oberjägermeistern ihrer Frau Mutter Schwester war und der sie vertrauet hatte, daß Elbenstein mit ihr ein genauer Liebesverbündnis zu schließen schiene, daß sie die Erlaubnis erlangete, an den von Elbenstein durch des Oberjägermeisters Diener einen Brief zu überschicken, unter dem Vorwande, als ob derselbe von der Post gekommen wäre. Wie nun Elbenstein von der Compagnie hinweg und etwas beiseite ging, um den Brief desto bedachtsamer zu lesen, ersuchte ihn der Diener, daß Ihro Gn. sich nur ein wenig vor das Zimmer hinaus bemühen und das Schreiben daselbst lesen möchten, welches Elbenstein ohne weiteres Nachsinnen tat und sich hinausbegab. Der Diener, so ihm folgte, zeigte ihm sogleich das gegenüber offenstehende Zimmer, damit er nicht unter den hin und wider laufenden Aufwärtern stehen und lesen dürfte, weswegen Elbenstein ohne besonderes Bedenken dahinein trat. Kaum aber hatte er den Brief zu lesen angefangen, als die Fräul. von G.[340] durch eine andere Tür zu ihm hineingetreten kam, welche nach gemachten Kompliment ihn sogleich in einen Erker zohe und unter häufigen Karessen ersuchte, dem sehnlichen Verlangen, so sie nach ihm als ihrem allerliebsten Konfidenten gehabt und ohne dessen angenehme Gegenwart sie gar nicht vergnügt leben könnte, es zuzuschreiben, daß sie ihn von der Gesellschaft auf eine kurze Zeit abgezogen hätte. Allein wie bestürzt wurde das gute Fräulein, da sie nichts als lauter Komplimenten statt der bei der ersten Zusammenkunft gebrauchten Liebkosungen von ihm genosse, weswegen sich diese Entrevue auf seiten der guten Fräulein mit nicht geringen Chagrin bald endigte. Sie konnte nicht begreifen, woher doch diese jählinge Gemütsveränderung bei Elbensteinen müsse entstanden sein, endlich aber fiel sie auf die rechte und wahre Ursache, wie nehmlich etwa eine andere Schönheit ihr ins Liebesgehege gegangen und ihr ein so liebreiches Wildpret bestrickt hätte.

Hierauf untersuchte sie in ihren Gedanken sowohl die sämtliche Hofdamen als auch der andern in der Stadt sich aufhaltenden Fräulein Gesichter und Mienen, konnte aber alles angewandten Fleißes ohngeachtet nichts Gewisses erfahren oder ausmachen, auch nicht mutmaßen, denn die kluge Baronne von L. hatte mit ihren Elbenstein bereits Abrede genommen, ihre Liebe noch zur Zeit geheim zu halten. Da auch die folgende Woche bei Hofe Assemblée und abends bunte Reihe war und es sich also fügte, daß Elbenstein bei der Fürstin, die Fräulein von G. bei dem Fürsten und die Fräul. von L. bei ihrem Vetter, dem Hofrat und Kammerjunker von W., zu sitzen kam, vermochte jene abermals nicht etwas auszuforschen, worüber sie denn endlich in eine solche Rage geriet, daß, wo sich nur die geringste Gelegenheit zeigte, sie nichts eifriger tat, als von Elbensteinen übel zu reden, worzu ihr denn folgende Begebenheit sattsam Anlaß gab. Es hatte der Stadtschulze den Hofjunker von N., welcher bei ihm[341] eingemietet hatte, nach G. auf sein daselbst habendes Vorwerk auf eine Mittagsmahlzeit invitiert, darbei gebeten, noch ein paar andere gute Freunde mitzubringen, welches der von N. sich gefallen lassen und Elbensteinen nebst dem Jagd- und Hofjunker R. ersuchte, mit hinauszureuten.

Weil denn die Fürstin selbiges Morgens auf ihr eine Stunde von D. gelegenes Lusthaus und darbei befindliche Meierei gefahren war, nebst ihrem Gemahl aber weiter niemand bei sich hatte als die Fräuleins von L. und von H., den Hofmarschall Freiherrn von L. und den Geheimbden Rat von R., den folgenden Tag aber allererst retournieren wollte, so begab sich Elbenstein benebst den zwei andern Kavaliers vormittags gegen zehn Uhr nach gedachten Vorwerke, allwo sich des Stadtschulzen zwei Töchter und des Bereuters Schwester, nebst noch eines Ratsherrns Tochter wie auch des Stadtschulzens Sohn, der vor wenig Tagen von der Universität Tübingen, allwo er nunmehro seine Studia Academica absolviert, zurückgekommen war, bereits befanden.

Die Kavaliers wurden unter Trompeten- und Paukenschall empfangen und ihnen, weil es kurz vor der Mahlzeit war, nur einige Erfrischungen vorgesetzt. Als sie etwas davon zu sich genommen, sagte der alte Stadtschulze, welches ein Mann von ganz besonders lustigen Humeur war: »Mit Dero gütigen Erlaubnis, meine Herrn! ich muß heute das Sprichwort unwahr machen: Vor Essens wird kein Tanz.« Hiermit nahm er seine alte Mutter bei der Hand und sprunge mit ihr herum als der jüngste Kerl, worauf die Kavaliers und der Studente dem Alten folgten, ein jeder ein Frauenzimmer ergriff und sich gleichfalls wacker herumtummelten. Mittlerweile war in einer gegenüber gelegenen Stube das Essen aufgesetzt worden, weswegen sie sich ingesamt dahin begaben und es ihnen unter einer angenehmen Musik wohl schmecken ließen. Jeder hatte seine Tänzerin neben sich sitzen und ginge alles in lauter[342] Lust und Fröhlichkeit zu. Nach geendigter Mahlzeit ward zwar das Tanzen wieder angefangen, weil sich aber bald darauf der Himmel mit Wolken umzoge und mit Regen drohete, machten sich die sämtlichen Gäste zum Aufbruche fertig. Als nun die Kavaliers sich aufsetzen wollten und die guten Kinder sich gleichfalls zwar zum Fortgehen schickten, jedoch darbei bekümmert waren, wie sie ihren Schmuck und gute Kleider, wenn sie unterwegs der Regen überfallen sollte, vor der schädlichen Nässe salvieren möchten, so tat der Jagdjunker den Vorschlag, daß sich das Frauenzimmer mit auf ihre und der Diener Pferde setzen sollte, gesetzt nun, daß es zu regnen anfinge, so wären sie ja mit Mänteln genug versehen, daß ihnen also der Regen wenig schaden würde. Dieser Vorschlag ward von allen gebilliget, und die guten Jungfern waren noch darzu ganz froh, daß sie den Rückweg so bequemlich nehmen konnten.

Wie sie demnach ihre Kavalkade mit aller Zufriedenheit antraten, befahl der Stadtschulze der ältern Tochter, sobald sie nach Hause gekommen sein würden, in des Rats Marstalle Kutsche und Pferde zu bestellen, um ihn, seine Frau und Sohn nach Hause zu führen. Hierauf ritten die Kavaliers, nachdem sie sich bei dem Herrn Wirte vor das gute Traktament und genossene Höflichkeit nochmals bedankt hatten, nach der Stadt zu, waren auch insoweit glücklich, daß es nicht eher zu regnen anfing, bis sie sich in der Vorstadt vor dem Gasthofe zur K. befanden, allwo das Frauenzimmer abstiege, weil der Wirt in ermeldten Gasthofe der einen Jungfer naher Anverwandter war. Sowohl sie als dieser ersuchten die Kavaliers, nur so lange, bis der Regen vorbei wäre, mit einzusprechen, worzu sich denn diese nicht lange nötigen, sondern die Pferde in die Ställe bringen ließen; der Wirt aber schickte sogleich einen von seinen Leuten in die Stadt, um die Kutsche zu des Stadtschulzens Abholung zu bestellen. Wenige Zeit hernach fanden sich die Musikanten, welche[343] ihnen draußen aufgewartet hatten, gleichfalls ein. Sobald nun die Gesellschaft dieselben ersahe, mußten sie zu ihnen in die Oberstube kommen, allwo man sich denn von neuen wieder lustig machte, so lange, bis die Zeit und der Wohlstand den Aufbruch erforderte.

Elbenstein verfügte sich nach seinem Quartiere und legte sich bald zur Ruhe, um desto früher auf dem Schlosse sein zu können. Als er nun des folgenden Morgens um sieben Uhr dahin zu gehen im Begriff war, ward er von dem Geheimbden Rat von E. im Vorbeigehen auf eine Tasse Schokolade invitiert. Wie er nun diesem vornehmen Minister solches nicht wohl abschlagen konnte, als trat er hinein und wurde sehr höflich empfangen, mit dem Vermelden, daß der Herr von Elbenstein eine angenehme Compagnie von Frauenzimmer und guten Freunden antreffen würde. Dieser befand sich zwar in etwas betroffen, als er in das Zimmer hineintrat und unter andern die Fräul. von G. darinnen erblickte, doch er fassete sich alsbald wieder, und als er gegen die sämtliche Compagnie seine Komplimenten vertauscht, sagt der Herr Geheimbde Rat, daß er längstens gewünschet, mit dem Herrn von Elbenstein genauer bekannt zu werden, denn ob er gleich bereits oftermals auf dem Schlosse zu seinem Wunsche zu gelangen Gelegenheit gesucht, so hätte er doch, weil er jedesmal an der fürstl. Tafel zu speisen, nachhero mehrenteils mit der durchl. Herrschaft l'Hombre spielen müssen, bis dato nicht zu der Ehre einer genauern Bekanntschaft gelangen können, wollte sich demnach das Glück seines öftern werten Zuspruchs inständig ausgebeten haben, insonderheit da ihm des von Elbensteins Hauswirt, der Herr Professor M., berichtet hätte, daß er im Studio nummismatico sonderlich erfahren und zu Padua des berühmten Kavaliers und Professoris Caroli Patini (welcher sonst an einem gewissen fürstl. Hofe in Schwaben, weil er aus dem dasigen Münzcabinet einen genuinen Ottonem entführt,[344] ein schlechtes Lob erworben) Privatinformation in hoc scibili genossen, von welchen er gleichfalls ein starker Liebhaber wäre. Elbenstein gab, indem er einem tiefen Reverenz machte, zur Antwort, wie er sich höchst glücklich achten würde, bei einem so vornehmen Minister seine Aufwartung öfters zu machen und von dessen gelehrten Diskursen zu profitieren.

Da es aber nun endlich Zeit war, Abschied zu nehmen, drehete sich das Fräul. von G. so lange herum, bis sie neben Elbenstein zu stehen kam, da sie ihn denn mit einem gezwungenen höhnischen Lachen, jedoch eben nicht allzulaut fragte, ob er bei der gestrigen Konversation mit den Bürgermägdgens vielleicht mehr Vergnügen gefunden hätte als bei der hiesigen Gesellschaft, weil er so eilfertig wäre.

Elbenstein fragte sie hingegen, ob ein treuer Knecht und Konfidente dergleichen höhnische und pikante Fragen meritiert hätte. Das gute Fräulein bekannte hierauf durch eine aufsteigende Röte ihre Reue über die ausgestoßene unbedach[t]same Frage und Übereilung, sagte aber, wenn der Herr von Elbenstein in ihres Herrn Vetters, des Herrn Geheimbden Rats von M. Hause ehestens einsprechen würde, wollte sie dieserwegen weiter mit ihm zu sprechen sich die Erlaubnis ausgebeten haben, worauf aber derselbe replizierte, wenn sie von sonsten nichts anders als hiervon mit ihm zu reden gesonnen wäre, würde es sowohl zu ihrer als zu seiner Satisfaktion am dienli[ch]sten sein, so lange des Herrn Geheimbden Rats von M. Wohnung zu meiden, bis dereinst er eines angenehmern und gütigern Traktaments, auch freundlicher Unterredung würde versichert werden; setzte aber nach seiner gewöhnlichen schmeichelenden Art und einer etwas betrübt scheinenden Miene noch hinzu: »Wenn ich, mein Engelsfräulein, mich heimlich in Dero Zimmer einschleichen könnte, wie schmerzlich wollte ich dem darinnen stehenden charmanten Porträt, welches mir am allerersten etliche inbrünstige Küsse erlaubt, klagen,[345] daß das Original, bei dem ich nichts verschuldet, so hart mit mir umgehet und verfährt.« Die Fräulein versetzte hierauf: »Das Original soll dem Herrn von Elbenstein, worinnen es ihm zuviel getan, alles herzlich abbitten.« Elbenstein aber antwortete: »Ich trage viel zu großen Respekt vor die schöne Fräul. von G., daß sie sich vor einen ihrer ergebensten Diener dergestalt erniedrigen sollten. Damit ich nun dergleichen Ihnen und mir unanständige Handelung nicht erfahren und ansehen darf, so will ich lieber Dero Privatkonversation hinfüro meiden und hiermit Adieu! pour tous jours gesagt haben.« Hiermit hatte dieser geheime Diskurs seine Endschaft erreicht, und Elbenstein beurlaubte sich sowohl bei dem Herrn Geheimbden Rat von E. als auch der ganzen Compagnie, welche gleichfalls bald hernach sämtlich Abschied nahm.

Die Fräul. von G., als sie in ihr Zimmer eingetreten, bliebe eine lange Zeit in tiefen Gedanken stehen, in welcher Positur sie der Geheimbde Rat von M., ihr Vetter, beschlich und nach der Ursache ihrer Veränderung sehr sorgsam fragte; worauf sie vorwandete, es würde nicht viel zu bedeuten haben, die bei dem Geheimbden Rat von E. getrunkene Schokolade, weil sie mit Milche gekocht gewesen, als die sie niemals wohl vertragen können, hätte ihr eine kleine Übelkeit verursacht. Indem trat die Geheimbde Rätin auch ins Zimmer, diese erzählete ihrem Gemahl als etwas Neues, daß der Herr von Elbenstein nebst den zwei Jagdjunkern sich gestern zu G. und in dem Wirtshause zu K. recht lustig gemacht, und zwar mit des Stadtschulzen und andern Bürgerstöchtern, weswegen sie nicht zweifeln wollte, daß auf diese Ergötzung in drei Vierteljahren Früchte mit Händen und Füßen zum Vorscheine kommen dürften. »Jedoch«, setzte sie hinzu, »ein andermal mögen sich Narren wieder mit Edelleuten verwirren, ich kenne die Jagdjunkers N. und R., sie sind beide keine Kostverächter, was aber Elbenstein anbetrifft, so glaube ich, daß er in Italien die[346] Kunst zu lieben mehr und besser als etwas anders gelernet hat. Gewiß, er scheinet mir in diesem Stücke ein gefährlicher Politicus zu sein. Soviel ich aus seiner neulichen Aufführung, als er bei uns war, abmerken konnte, hatte er seine Augen, mein liebes Bäsgen, auf Sie gericht und suchte Sie aufs emsigste zu bedienen, auch immer mit Ihr zu schwatzen. Allein, hüte Sie sich ja vor ihm, es ist ein Fladdergeist und frembder Kerl, wer weiß auch einmal, ob er derjenige ist, vor den er sich ausgibt.« Durch diese Reden wurde das arme Fräulein dergestalt treuherzig gemacht, daß sie bekannte, wie sich Elbenstein bei der ersten Zusammenkunft unter vielen verbindlichen Expressionen nicht undeutlich herausgelassen, daß er sich mit ihr ehelich zu verbinden gesonnen sei, etliche Tage hernach aber wäre er ganz anders Sinnes und dergestalt kaltherzig gegen sie gewesen, als ob er sie zeitlebens nicht gesehen hätte, viel weniger mit ihr umgegangen wäre, und heute, als er auch bei dem Geheimbden Rat von E. gewesen und von ihr wegen des gestrigen Divertissiments nur ein wenig vexiert worden, hätte er ihr die empfindlichsten und pikantesten Repliken gegeben. Ja, damit wäre er noch nicht einmal zufrieden gewesen, sondern hätte ihr alle fernerweitige Konversation aufgesagt. Der Geheimbde Rat von M., welches ein hitziger, jachzorniger Mann war, ereiferte sich nicht wenig über den guten Elbenstein, denn er die Fräulein von G. als seiner Schwester Tochter so sehr als sein eigenes Kind liebte. Er brach demnach in folgende Worte aus: »Harre du Kerl! du sollst ehrlicher Leute Kinder am längsten bei der Nase herumgeführet haben.« Mit diesen Worten ging er aus der Fräul. Zimmer, setzte sich in die bereits angespannete Karosse und fuhr aufs Schloß, allwo geheimer Rat gehalten werden sollte. Elbenstein, als er zu seiner geliebten Fräul. von L. kam, machte sich auch schon auf Anhörung einer Reprimende gefaßt, allein weil diese mehr Vertrauen auf seine Treue setzte, sagte sie ihm weiter[347] nichts, als daß die ganze Begebenheit dem Fürsten und der Fürstin bereits aufs allerodieuseste wäre vorgebracht worden, mit dem Beisatze, daß, was zu G. wegen der Eltern Gegenwart und Aufsicht nicht geschehen, im Wirtshause zu K., allwo der Wirt ein Erzkuppler wäre, desto füglicher hätte vollbracht werden können. Es wäre auch von dem Geheimen Rat M. angeraten worden, daß zu Verhütung einiges Kindermords oder Abtreibung der Frucht die Menscher durch geschworne Hebammen und verständige Medicos besichtiget würden.

Elbenstein, weil er ein gutes Gewissen hatte, erzählete ihr den ganzen Verlauf nach der reinen Wahrheit, worauf sie ihm den Einschlag gab, bei ihrem Vetter, dem Baron von W., welcher Hofrat und Kammerjunker war, zu sondieren, was er ihm bei diesen Händeln etwa raten würde.

Dieser, welchem der Fürst die lustige Geschichte mit großem Gelächter (denn er selbst gar oft auf der Parforcejagd seine Liebesflammen bei einem hübschen Bauermägdgen zu löschen pflegte) bereits erzählet hatte, kam gleich von ohngefähr ins Zimmer getreten und sagte nach gemachten kurzen Kompliment: »Meiner gnädigen Fürstin Melkerei zu K. wird, wie ich höre, bald mit drei schönen roten Kühn verstärkt werden?« (denn NB. dieses war damals die Strafe, wenn ein Kavalier wider das sechste Gebot peccierte, daß er der Fürstin eine rote Kuh zinsen mußte). Hierauf erzählete ihm Elbenstein alles haarklein, was passiert war, und bekam diesen Rat von ihm, daß er nebst den zweien andern Kavaliern sich bei dem Fürsten wegen der über sie ausgesprengten Kalumnien und Injurien beschweren und anbei untertänigst bitten sollten, ihnen des Denunzianten Namen, damit sie ihre Satisfaktion von ihm fordern könnten, gnädigst zu entdecken. Hiernächst müsse solches dem Stadtschulzen und der andern Jungfern Eltern zu wissen gemacht werden, damit sie der über ihre Kinder verhängten Prostitution[348] vorkommen und solche legitimo modo abwenden möchten.

Hierauf ging man zur Tafel, allwo der Hausmarschall oftgedachte drei Kavaliers unter andern Gesprächen zu vexieren begonnte. Allein der Jagdjunker von R. verstunde unrecht und sagte über öffentlicher Tafel ungescheuet und laut, so daß es die mit daran sitzende Hofmeisterin und Fräuleins auch mit hören konnten, Salva venia, Huren, Canaillen und Schelmen hätten diese infamen Lügen ausgebracht, daß nehmlich sie drei mit den ehrlichen Kindern etwas Ungebührliches vorgehabt hätten, vielleicht wäre diejenige Weibsperson, so diese Schandlügen am ersten ausgesprenget, eine solche, die den Liebeshandel besser verstünde als diese ehrlichen frommen Kinder. Kurz zu melden, die Sache geriet endlich zu einer solchen Weitläuftigkeit, daß, als die drei Kavaliers und die andern Interessenten des Denunzianten Namen erfahren, sie den Geheimen Rat von M. durch Notarien und Zeugen beschicken und ihm sagen ließen, die sämtlichen Interessenten hielten ihn so lange vor einen boshaften Verleumbder und Ehrenschänder, bis er, was durch ihn von dem Frauenzimmer und ihnen bei Hofe angegeben und in der Leute Mäuler gebracht worden, verifiziert und erwiesen hätte, worbei sowohl der Stadtschulze als der andern Jungfern Eltern droheten, den Geheimbden Rat vor dem Kammergerichte zu Speyer zu verklagen, wodurch denn dieser dergestalt erschreckt wurde, daß er, in Betrachtung der ihm aus solcher Sache entstehenden Prostitution und Geldversplitterung, die besten Worte und eine hinlängliche Deklaration den Kavaliers gabe, den Eltern der Jungfern aber sagen ließ, wie er die ganze Sache ex vago rumore hätte und ihm leid, solchen ungegründeten Erzählungen Glauben beigemessen zu haben; er hielte sie samt und sonders vor ehrliche, unbescholtene Leute und Jungfrauen; und dieses mußte er schriftlich von sich ausstellen.[349]

Allein die Verfolgungen und Verbitterungen gegen den von Elbenstein nahmen von Seiten des Geheimen Rats und dessen Familie vollends überhand, als er kurze Zeit darauf in Gegenwart der Ober-Hofmeisterin von K., des Geheimbden Rats und Oberamtmanns zu K.G. und des Hofrats und Kammerjunkers von W. sich mit der holdseligen Fräulein von L. ordentlicherweise verlobte. Es suchte zwar das Fräul. von G. ihn auf allerhand Art und Weise zu detournieren und auf ihre Seite zu bringen, da sie aber ihren Zweck nicht erreichen konnte, legte sie sich aufs Lamentieren und beklagte sich aufs beweglichste in einem ihm zugeschickten Briefe, welchen er aber bloß mit folgenden poetischen Zeilen beantwortete:


1


Was willst Du mich doch mit Verfolgung pressen?

Was klagest Du mein Herz als untreu an?

Halt ein damit! mir solches beizumessen,

Ich hab es nicht, mein Schicksal hat's getan.

Wollt ich gleich Dein Getreuer sein,

So saget selbiges doch immer dazu: Nein!


2


Ich bin ein Schiff, das keinen Leitstern siehet,

Mich treibet nur das wankelhafte Glück,

Wohin sein Wink und Wille mich nun ziehet,

Da muß ich hin, bald vor, bald auch zurück.

Es saget mir: In Lieb und Meer

Kömmt man zum Port durch Wallen hin und her.


3


Versuch es denn, desselben Schluß zu zwingen,

Verändre Du die Maße, Zeit und Ziel,

So soll mein Herz von lauter Treue singen,

Ich tue, was Dein Wille haben will,

Der soll alsdenn sein der Magnet,

Nach welchem sich mein Liebesschiffgen dreht.
[350]

4


Laß Dir's nur nicht wie einst dem Xerxes gehen,

Der Wellen schlug zu seinem Untergang.

Das Schicksal will sich ungebunden sehen,

Kein Zwang verbannt es auf die Ruderbank.

Wer schließet es in Kett und Fesseln ein?

Der muß was mehr als nur ein Mensche sein.


Hiermit hatte die arme Fräulein ihren Bescheid, und weil sie aus allen Umständen merkte, daß es doch nur eine vergebliche, vor sie aber selbst sehr nachteilige Sache wäre, wenn sie [sich] um Elbensteins Herze noch fernerweitige Mühe gäbe, so entschluge sie sich endlich dieser Gedanken und beschloß, mit Gedult die Zeit abzuwarten, bis ihr der Himmel einen andern, beständigern Liebhaber zuführete. Elbenstein hingegen, so zärtlich und aufrichtig er bishero seine Liebste, die Fräul. von L., karessiert, auch dero reiner und vollkommener Gegenliebe versichert war, um soviel desto strafbarer war diejenige Mißhandlung, zu der er sich durch folgende Begebenheit, teils von Unkeuschheit, teils Ambition, teils Interesse angetrieben, verleiten ließ. Es kam nehmlich im folgenden Jahre zu Ende des Maimonats die verwittbete Gräfin N.N. nach D., allwo sie 14 Tage verbliebe. Elbenstein bekam die Aufwartung bei ihr. Ob sie nun gleich schon eine Dame von ohngefähr 40 Jahren war, so sahe sie sich doch noch nicht von denjenigen Regungen befreiet, so sonsten nur die jungen und blutreichen Personen anzufallen und zu bekämpfen pflegen. Dannenhero geschahe es, daß, sobald sie nur Elbensteinen anblickte, gleich den Schluß fassete, ihn vor allen andern zu Befriedigung ihrer lüsternen Begierden anzureizen.

Wie nun Elbenstein die Propreté im weißen Zeuge ungemein ästimierte und nach damaliger Mode ein Hembde, um den Halsbund und Schlitz mit den kostbarsten venetianischen Spitzen besetzt, wie auch Manschetten und Hals von eben dergleichen Sorten diesen[351] Tag anhatte, so geschahe es, daß, da der Gräfin Fräulein und die andern Anwesenden, nachdem sie, die Gräfin, gefrühstückt, sich aus dem Zimmer begeben, sie auf Elbensteinen zuging und erstlich den Schloßgarten, den man aus ihrem Zimmer übersehen konnte, wegen seiner Schönheit lobte, nachmals auf die Frage kam, wie lange er bei diesem Hofe in Diensten stünde und was dergleichen Fragen mehr waren, die er alle in geziemender Bescheidenheit kurz beantwortete, nach welchem sie mit einer sonderbaren Freundlichkeit zu ihm im Reden fortfuhr: »Monsieur, Er erlaube mir, die artigen und saubern Spitzen, so Er trägt, etwas näher zu betrachten«, mit welchen Worten sie erstlich die Manschetten, Halstuch und endlich die an der Brust und um den Halsbund stehende Spitzen begriff, ihn ganz feurig verliebt ansahe und die Unterkehle und Wangen etlichemal ganz sanfte drückte, vor welche unverhoffte Karessen er der Gräfin Hand etlichemal aufs zärtlichste küssete. Hierauf sagte sie: »Mein Kind! Ich will hoffen, daß ich an Ihm einen diskreten und verschwiegenen Kavalier werde gefunden haben, Er wird mir demnach aufrichtig bekennen und die unverfälschte Wahrheit sagen, ob Er sich entschließen kann, meine Person zu lieben und meine zu Ihm tragende Liebe und Affektion mit gleicher Gegenliebe zu vergelten?«

Elbenstein, den wohl ehemals eine schwarzbraune Bäuerin zu charmieren fähig gewesen, bedachte sich nicht lange, ihr solches zu versprechen, denn sie, der Jahre ohngeachtet, eine solche angenehme und wohlgewachsene Person und von einem recht liebenswürdigen Gesichte war, absonderlich hatte sie ein Paar charmante muntere Augen und eine unvergleichliche Brust, so daß sie mancher Dame von 24 Jahren an reizenden und adretten Wesen den Vorzug streitig machen konnte. Seiner gewöhnlichen Kühnheit und Freimütigkeit gemäß, welche er doch jedesmal mit einer einnehmenden und liebkosenden Art zu umhüllen[352] pflegte, umfassete er seiner neuen Göttin Schenkel und küssete solche auf eine liebreizende Art zum öftern, über welche kitzelende Liebkosungen die in der verliebten Gräfin Gesichte aufsteigende Röte sattsam und klärl. bezeugte, daß ihr Geblüte in eine starke Aufwallung müsse geraten sein, und das darauf erfolgende inbrünstige Küssen, welches Elbensteins Lippen empfanden, diente ihm zur evidenten Versicherung, daß seine freie Aufführung ihr höchst angenehm falle.

Der künftige Abend ward zu einer fernern verliebten Unterhaltung von beiden Teilen beliebet, worauf Elbenstein sich aus dem Gemach begab, und die Gräfin, nachdem sie sich vollends ankleiden lassen, ließ sich von ihm zu der Fürstin von D. führen, da denn unterwegs das verliebte Händedrücken, sehnliches Anblicken und heimliche Seufzer als der Liebe gewöhnliche und in der ganzen Welt eingeführte, auch denen barbarischen Nationen wohlbekannte Sprache nicht unterlassen, sondern damit bis an der Fürstin Vorgemach fortgefahren ward. Nach der Abendtafel, als sich jede fürstl. und hohe Standesperson in ihr Zimmer retiriert hatte, drückte ihm die Gräfin, daß es niemand gewahr ward, unter währenden Führen eine Schreibtafel in die Hand, weil sich's nicht schicken wollte, ohne ihren Leuten Verdacht zu geben, sich mit ihm in langen Diskurs einzulassen, dahero Elbenstein, sobald er sie in ihr Gemach gebracht und nachdem er mit einem tiefen Reverenz angefragt, ob Ihro Hochgräfl. Gn. noch etwas gnädig zu befehlen hätten, wünschte sie ihm eine gute Nacht, worauf er sich retirierte, an einem geheimen Orte die Schreibtafel durchsahe und folgende Worte drinnen eingezeichnet fand:

Mein Wertester, ich finde es nicht vor ratsam, diese Nacht zu unserm Vergnügen zu erwählen, sondern bis auf eine bequemere Zeit damit anzustehen, damit man sich den präjudizierlichen Urteilen curieuser und scharfsichtiger Augen nicht exponieret. Morgen früh beim Frühstück ein mehreres, Er ruhe besser als ich.[353]

Elbenstein befand es ebenfalls gefährlich, auf dem Schlosse, welches ordinairement um zehn Uhr gesperret ward, sich finden zu lassen, derowegen ging er bald in sein Quartier und zu Bette, damit er desto früher aufstehen könnte, wie er frühmorgens halb acht Uhr schon in der Gräfin Vorgemach war und den Pagen und Laquais Befehl erteilte, das Frühstück in Zeiten zu holen. Nach Verfließung einer halben Viertelstunde kam die Gräfin aus ihrem Gemach und sagte ihm, daß, sobald er ihre Fräuleins und Kammerjungfern würde ins Vorgemach kommen sehen, er in ihr Schlafzimmer kommen sollte, zu welchem Ende sie die außen auf die Galerie gehende Tür aufgeschlossen hätte. Als nun die Fräuleins im Vorgemach erschienen, ging Elbenstein, unter dem Vorwande zu sehen, wo die Pagen und Laquais so lange blieben, heraus auf die Galerie und von dar in das bedeutete Schlafzimmer. Die Zeit war zu pretieus, sich mit bloßen Küssen zu amüsieren, daher passierte hier bald ein mehreres, und weil der verliebten Gräfin Kleidung ihn in seiner Liebes-Entreprise vielmehr bequem als verhinderlich war, so geschahe auch die Attaque auf seiten seiner mit einem solchen Vigueur und Lebhaftigkeit, daß diese verliebte Aktion sowohl auf seiten des siegenden als besiegten Teils mit vollkommener Zufriedenheit geendiget wurde. Auf solche Art löscheten sie alle Morgen ihre Liebesflammen, und je geheimer und verstohlener diese Näscherei geschahe, je süßer und anmutiger sie ihnen deuchtete.

Zwei Tage vor der Gräfin Abreise kam ihr Leibkutscher zu Elbensteinen auf dem Schlosse, als er um die gewöhnliche Zeit zur Aufwartung ging, und forschete, ob es ihm nicht gefällig wäre, nachdem er seine gnädige Gräfin zur fürstl. Herrschaft gebracht, sich in den Schloßgarten zu bemühen, indem er ilmi von Ihro Hochgräfl. Gn. etwas in geheim einzuhändigen hätte. Elbenstein versprach ihm, sich um zehn Uhr ohnfehlbar daselbst einzufinden, mit dem Beifügen, daß, weil[354] man nicht wissen könnte, was etwa Verhinderliches darzwischenfallen könnte, einer auf den andern warten sollte. Hierauf begab er sich in der Gräfin Vorgemach, und sobald er das Frauenzimmer von derselben zurückkommen sahe, ging er auf die Galerie heraus, von da er sich gewöhnlichermaßen ins Schlafgemach verfügte und seine angenehme Gräfin auf die verliebteste Art wieder bedienete. Als er nun selbige nachhero zu der Fürstin geführet hatte, eilete er nach dem Schloßgarten, und der Gräfin Leibkutscher, welcher ihn aus der Hofstube vorbeigehen sehen, eilete ihm auf dem Fuße nach. Sie gingen miteinander auf das so gemachte Judizierhaus, daselbst übergab er Elbensteinen ein Paquet von 50 spec. Dukaten nebst einem Briefe, worinnen sie ihm ihr Begehren eröffnete, wie er nehmlich einen flüchtigen Reitklepper kaufen und alle Abend, wann er von Hofe gekommen, sich nach ihren drei Stunden von D. gelegenen Schlosse begeben und in des Überbringers Hause absteigen sollte, von da er durch einen sichern und verborgenen Weg zu ihr gelangen würde. Als Elbenstein den Brief gelesen hatte, sagte der alte Kuppler: »Gnädiger Herr! ich weiß den ganzen Inhalt des Briefes, und weil Sie sich ohnfehlbar einen guten und schnellen Klepper anschaffen wollen, so habe ich gestern vor dem Tore in einem Gasthofe einen Rittmeister namens M. angetroffen, welcher zwei treffliche siebenbürgische Pferde verkaufen will, mit demselben könnten Sie vielleicht einen guten Handel treffen.« Elbenstein ließ sich diesen Vorschlag gefallen und ging sogleich aus dem Schloßgarten, rief seinen Diener, welcher bei den fürstl. Bedienten in der Hofstube zu speisen pflegte, zu sich, befahl ihm ein Kompliment an den Rittmeister und darbei zu vernehmen, ob er sich selbigen Mittages in seinem Quartiere wollte einheimisch finden lassen, so wollt er ihm auf eine halbe Stunde zusprechen und ihm, weil er vernommen, daß der Herr Rittmeister einige von seinen Pferden verkaufen wollte, eines gegen bare Bezahlung[355] abhandeln. Kurz darauf ließ ihm der Rittmeister wieder wissen, daß er des Herrn von Elbenstein angenehmen Zuspruch nachmittages um drei Uhr erwarten, ihm auch die Wahl unter zwei guten und daurhaften Pferden lassen und ihm en regard seines gnädigsten Fürsten eines davon um einen raisonnablen Preis zukommen lassen wollte. Kurz zu melden, Elbenstein kaufte eines von diesen Pferden mit Sattel und Zeuge, akkordierte zugleich mit dem Wirte, den er vorhero schon gekannt, daß er das Pferd mit Futter und Wartung wohl versehen sollte, also daß er selbiges alle Abend um neun Uhr gefüttert und gesattelt finden könnte.

Demnach blieb dieses Pferd außen in der Vorstadt, in welche bis nachts zwölf Uhr man durch das Pförtgen kommen konnte. Als nun den folgenden Tag Elbenstein seine geliebte Gräfin wie bishero bedienet hatte, berichtete er ihr unter gehorsamster Dankabstattung, wie er dero Befehlen schuldigst nachgekommen, bat sich aber dabei aus, ihm gnädigst zu erlauben, daß er in den Flecken, allwo sie ihre Residenz hätte, das erste Mal bei Tage kommen dürfte, um des Orts Gelegenheit desto besser abzusehen, welches sie ihm denn auch sogleich verwilligte und mit ihm die Abrede nahm, daß er jedesmal nachts um zwölf Uhr bei ihr sein und bis früh drei Uhr sich mit ihr divertieren sollte. Elbenstein versprach unter vielen feurigen Küssen, ihren Befehlen und Verlangen aufs allergenauste nachzuleben. Hierauf schlich er mit aller Behutsamkeit heraus auf die Galerie und von dar hinunter in die Küche, von dannen, als er veranstaltet hatte, daß das gewöhnliche Frühstück gleich nachgebracht werden möchte, er sich wieder ins Vorgemach begab und seiner angenehmen Gräfin Herauskunft erwartete, welche kurz darauf die Tür eröffnete und ihn hineinzukommen ersuchte, worauf das Essen aufgesetzt ward, und als sie etwas Weniges davon genossen, begab sie sich, wie sie täglich zeit ihres Daseins zu tun pflegte, zur andern fürstl.[356] Herrschaft. Als nun der folgende Tag, welchen sie zur Abreise angesetzt, kaum angebrochen war, eilete Elbenstein zu seiner liebreichen Gräfin, welche, sobald sie ihn gehöret im Vorgemache herumgehen, im bloßen Schlafrocke heimlich zu ihm herauskam und ihn unter vielfältigen Küssen andeutete, daß er auf die Galerie hinausgehen und achthaben sollte, wenn die Tür vom Schlafgemach aufgehen würde, da er sich denn kühnlich hineinbegeben möchte. Dieses geschahe etliche Minuten darauf, und das verliebte Letzen wurde mit solchen Handlungen verbracht, daß es die Venus selbst nicht verliebter hätte erdenken und ausfinden können.

Er mußte ihr hierauf versprechen, noch diese kommende Nacht den Anfang seiner Liebesvisiten auf ihrem Schlosse zu machen, worzu sich eine gute Gelegenheit präsentierte. Denn weil die andere anwesende frembde fürstl. Herrschaften dem Fürsten zu D. versprechen müssen, nicht eher als nachmittags abzureisen, so mußte die Gräfin sich dieses gleichfalls gefallen lassen und ihren Abschied bis dahin aufschieben. Als aber endlich die sämtlichen Frembden solches nachmittags um zwei Uhr taten, befahl der Fürste dem von Elbenstein, die Gräfin bis auf die Grenze, welches ein Dorf, eine Meile Wegs von D. gelegen war, zu begleiten, da er denn Gelegenheit hatte, Sr. Durchl. um gnädige Permission untertänigst zu ersuchen, daß er diese Nacht außenbleiben möchte, weil er dem Herrn von S.A. als seinem guten Freunde einmal zuzusprechen schon vor etlichen Wochen zugesagt hätte. Als ihm nun solches erlaubt, befahl er seinem Knechte, daß er ein Billett zu dem Gastwirte vor dem Tore bringen, anbei mündlich sagen sollte, er möchte ihm doch den siebenbürgischen Klöpper, welchen er, der Wirt, von dem Rittmeister M. gekauft hätte, mit Sattel und Zeug zuschicken, indem er ihn nur probieren und morgen zurückschicken wollte. Der Inhalt des Briefes aber war dieser, daß der Wirt dem Knechte nicht sagen sollte,[357] daß das Pferd Elbensteinen zu eigen gehörete, sondern vorzugeben, daß er, der Wirt, selbiges vor sich erhandelt hätte. Als nun Elbenstein dem erteilten gnädigsten Befehle zu untertänigster Folge die Gräfin bis an den bestimmten Ort begleitet hatte, beurlaubte er sich mit gebührender Reverenz von derselben, nachdem sie aber mit ihrer eigenen Suite fortgefahren, setzte er sich auf den Siebenbürger, dem Knechte aber befahl er, mit dem andern zwei Pferden wieder nach der Stadt zurückzureuten und morgen seiner Zurückkunft zu erwarten.

Er nahm seinen Weg seitwärts nach dem Holze zu, wandte sich aber, sobald ihm nur der Knecht aus dem Gesichte war, auf die nach der Gräfin Schlosse gehende Straße und folgte ihrer Kutsche immer, jedoch ganz von weiten nach, blieb auch im Holze so lange halten, bis er selbige nicht mehr sehen konnte, alsdenn ritt er Schritt vor Schritt nach dem nächsten vor dem Holze liegenden Dorfe, stieg daselbst in dem Wirtshause ab und verzohe so lange, bis die Sonne untergehen wollte, alsdenn eilete er vollends an den Ort, wo sein angenehmer Leitstern befindlich war, und gelangete in der Dämmerung in dem bei dem Schlosse liegenden Flecken an. Weil er aber nicht wußte, wo der gräfl. Leibkutscher seine Wohnung hatte, so ging er selbsten, nachdem er sein Pferd in einen Gasthof eingestallet, heraus auf die Gasse, fragte aber weder den Wirt noch dessen Leute, wo selbiger wohnete, sondern als er etliche Häuser von dem Gasthofe hinweg war, erkundigte er sich bei einer ihm begegnenden Magd und gab derselben ein Trinkgeld, daß sie ihn zurechte wiese. Es fügte sich eben, daß der Leibkutscher vom Schlosse kam, welcher ihn denn mit großen Freuden empfing und seine Frau alsobald zur Gräfin schickte, um derselben Elbensteins Ankunft melden zu lassen. Diese kam nach Verlauf einer halben Stunde zurück und brachte in einem Korbe etliche Schüsseln mit den delikatesten Essen, auch eine große Bouteille, die mit[358] dem besten Moseler Weine angefüllet war, mit sich, berichtete anbei, daß die Gräfin des Herrn von Elbensteins Zuspruch diese Nacht um zwölf Uhr erwartete.

Weiln es nun ziemlich dunkel zu werden begonnte und der Mond nur ein wenig schien, so kehrete Elbenstein, ehe er etwas von Speisen zu sich genommen, zurück nach dem Gasthofe, bezahlete daselbst das Pferdefutter und Stallgeld, und unter dem Vorwande, daß er, weil der Mond aufginge, seine Reise weiter fortsetzen wollte, setzte er sich auf und ritte seines Weges. Der Wirt wurde über diesen kurzen Zuspruch ziemlich verdrüßlich, indem er sich schon Hoffnung gemacht, einen Taler oder wenigstens einen Gulden von diesem Passagier zu erobern, da es aber solchergestalt nur etliche Kreuzer waren, schmiß er die Tür hinter ihm mit der größten Ungestümigkeit zu. Elbenstein hingegen verfügte sich zum Leibkutscher, allwo er nebst ihm und seiner Frau, die auch nicht häßlich war, die überbrachten Speisen und den Mosler Wein auf Gesundheit der gnädigen Frau Gräfin vergnügt verzehreten und die bestimmte Zeit erwarteten.

Wie es nun endlich auf dem Schlosse dreiviertel auf zwölf geschlagen, traten beide, sowohl der Galan als der Kutscher, ihre Nachtreise an, und führete ihn dieser durch einen Zwinger, worinnen die Gräfin zu ihrer Lust Hasen und Kaninichen hatte, nach dem so genannten untern Turme, durch eine von hohen Rüstern gemachte Allee, dessen Türe er mit einem Kapital-Schlüssel in möglichster Stille aufschloß und Elbensteinen etliche Stufen hinauf in ein sauber meubliertes Zimmer brachte, welches auf zweien Seiten Türen hatte.

In diesem Zimmer stund ein schönes, auf französische Art gemachtes Bette und nicht weit davon eine kleine Ovaltafel, auf welcher etliche Schalen mit allerhand Confituren stunden. Auf einem andern Tischgen zeigten sich zwei Bouteillen, davon die eine mit Alikantenwein[359] und die andere mit Limonade angefüllet war. Der alte Kutscher fragte, was Ihro Gnaden zu trinken beliebten, da denn Elbenstein die Limonade erwählete und etwas von gebrannten Mandeln darzu aß. Mittlerweile hatte die Glocke zwölf geschlagen, derowegen kam bald hernach die Liebesgöttin in einem grünen, mit goldenen Blumen durchwirkten Schlafhabite hineingetreten. Der weite Ausschnitt des Kleides ließ eine wohlproportionierte Brust sehen, die so weiß war als ein gefallener Schnee. Der Leibkutscher retirierte sich alsofort durch die andere Tür aus dem Zimmer, worauf denn unter diesen beiden Verliebten eine solche voluptueuse Unterhaltung passierte, daß man Bedenken trägt, selbige zu referieren, um unschuldige Seelen nicht zu ärgern.

Man meldet demnach nur mit wenigen, daß Elbenstein diese Liebesvisiten, sooft es das Wetter und seine herrschaftl. Bedienung (indem er der Reihe nach wöchentlich einen Tag und eine Nacht auf dem Schlosse bleiben mußte) verstatteten, fast täglich kontinuieret, und ob er gleich diesen Weg, welcher beinahe zwei Meilen, mehrenteils in weniger als zwei Stunden mit seinem flüchtigen Klöpper reuten konnte, zumalen, wenn er den nächsten Weg durch den Wald nahm, so erwählete er doch lieber, den Hinweg außerhalb des Holzes auf die nahe aneinander liegenden Dörfer zu reuten, als sich in der Finsternüs durch den ungeheuren Wald zu wagen und sich ein oder andern Gefährlichkeiten mutwillig zu exponieren, zumalen wenn kein Mondenschein war. Den Rückweg hingegen, weil es alsdenn gegen den Tag ging, pflegte er gemeiniglich durch den Wald zu nehmen.

Es hatte nun dieses mehr auf Elbensteins als der verliebten Gräfin Seite untugendhafte Beginnen (indem dieser die seiner getreu beständigen und ihn wie ihre eigene Seele liebenden Freiin von L. geschworne Treue so freventlich und gewissenlose violiert und gebrochen) vom 12. Jun. bis 4. Aug. (etliche wenige[360] Tage wegen eingefallenen Regenwetters und seiner Bedienung wegen ausgenommen) gewähret, er wurde aber in Erwägung solcher allzustarken Strapazen dergestalt merode, daß wegen seiner blassen Farbe und Magerkeit die liebe Fräulein von L. höchst bekümmert ward und zum öftern Tränen dieserwegen vergoß, indem sie sich einbildete, daß ihrem so herzlich geliebten Elbenstein eine gefährliche Krankheit anwandelte, allein er wußte sich bald mit diesem bald mit jenem gehabten Chagrin zu exkusieren und sie zu trösten, daß er vermittelst stiller Ruhe und dem Gebrauch bewährter Arzeneien bald seine vorige Farbe und Fleisch wiederbekommen wolle.

Endlich ließ ihm der über seine Ausschweifungen erzürnte Gott eines Morgens auf seiner frevelhaften und sündlichen Rückreise sehen und hören, indem ihm am bemeldten 4. Aug. ein entsetzliches Donnerwetter überfiel. Es türmete sich dieses, als er noch lange nicht die Hälfte des Waldes passiert war, unter entsetzlichen Blitzen und heftigen Donnerschlägen, auch einem grausamen Platzregen dergestalt auf, daß, ob er gleich nach aller Möglichkeit eilete, er dennoch das jenseit des Holzes gelegene Dorf nicht erlangen konnte, sondern durch und durch naß ward, hiernächst ward er in das äußerste Schrecken gesetzt, da immer ein Blitz und grausamer Donnerschlag auf den andern erfolgte, ja seine Bestürzung und Angst vermehrte sich noch weit größer, da, sooft ein Blitz geschahe, sein Pferd mit ihm niederfiel und nachmals mit entsetzlichen rasenden Kapriolen wieder aufsprunge. Hierbei ist nun leichtlich zu ermessen, in was vor einem elenden Zustande sich Elbenstein damals müsse befunden haben, indem nicht allein der Leib durch den kalten Regen und seines Pferdes Wildigkeit heftig inkommodiert war, sondern auch sein aufwachendes Gewissen und die greulichen Blitze und Donnerschläge seine Seele und Gemüte mit rechter Höllenangst bestürmeten.

Als er nun in solcher Angst und Not fast an das Ende[361] des Waldes gelanget war, auch das nächste Dorf bereits sehen konnte, geschahe ein solcher entsetzlicher Schlag in eine etwa 50 Schritte vor ihm am Wege stehende große Eiche, daß die Splittern und Äste herumflogen und das von dem schwefeligen Dampfe und starken Donnerschlage vollends ganz unbändig gewordene Pferd fast nicht mehr zu erhalten war, sondern weil es weder Zaum noch Gebiß mehr fühlen wollte, in größter Rage mit ihm querfeldein lief. In dieser Verwirrung fiel ihm der Hut vom Kopfe, jedoch endlich gelangete er als ein halb Erstorbener in dem Dorfe an und dankte dem Himmel, daß das Pferd, als es ins Dorf kam, von seiner Wildigkeit etwas nachließ und etwas ruhiger wurde. Er stieg demnach vor dem Wirtshause ganz entkräftet ab, und weilen das Gewitter meistens vorbei war, indem sich das erschröckliche Donnern nur noch von weiten hören ließ, gab er einem Bauren ein Trinkgeld, welcher den Weg nach dem Walde zu ging und ihm nach Verlauf einer Stunde seinen Hut wieder zurückbrachte. Die gutherzigen Leute hingen seine Kleider an den Ofen, und der Priester des Orts, als ervernahm, daß Elbenstein ein Bedienter seines gnädigsten Landesherrn wäre, schickte ihm weiße Wäsche, Schlafrock und Pantoffeln. Als er sich nun in der Oberstube alleine befand, fiel er auf seine Knie und dankte Gott unter Vergießung häufiger Bußtränen, daß er ihn, wie er mit seinem bisherigen ruchlosen Leben wohl verdient hätte, nicht nach seiner Gerechtigkeit gestraft und wohl gar aus dem Lande der Lebendigen hinweggerissen. Er tat nachmals ein Gelübde, diese und dergleichen Missetaten fernerhin nicht weiter zu begehen, wie er denn auch, nachdem er nach Hause gekommen war, ein paar Tage darauf zur Beichte und heil. Abendmahle ging.

Durch diesen Zufall endigte sich auf einmal die strafbare Liebeswallfahrt, und Elbenstein wurde nicht wenig erfreuet, da ihm einige Tage hernach der Gräfin Leibkutscher als ein dieserwegen abgeschickter Expresserdie Nachricht erteilete, wie nehmlich den Tag nach seiner letztern Visite sich ein gewisser Graf bei seiner gnädigen Gräfin als ein Freier melden lassen, worauf die Ehestiftung sogleich gemacht worden und das Beilager in 14 Tagen vollzogen werden sollte. Im übrigen überbrachte dieser Liebes-Ambassadeur an Elbensteinen von der Gräfin einen gnädigen Gruß und zugleich den schriftlichen Abschied des Inhalts, daß er hinfüro seine Messures anders nehmen und sich ihrentwegen nicht ferner bemühen möchte. Er hatte zwar seine Reise- und Liebesbemühungen erstlich durch den siebenbürgischen Klepper, hernach mit einem stark bordierten Kleide, einer goldenen englischen Uhr, einem kostbaren Ringe, ihrem mit Diamanten besetzten Porträt, einem silbernen Degen, vortrefflich schöner Wäsche von holländischer Leinewand und brabandischen Spitzen, sodann auch noch mit einer Goldbeurse von 200 spec. Dukaten zieml. vergolten bekommen; doch alles dieses war kein Äquivalent gegen den Schaden, den er sich an seinem Leibe und Gewissen zugezogen hatte, indem er seine Gesundheit geschwächt und die seiner getreuen L. geschworene eheliche Treue so liederlich gebrochen hatte. Unterdessen, da sich diese Liebesintrigue geendiget, machte er Psalter, und unter andern ist auch folgende Arie, welche er auf seine nächtliche Liebesvisiten und Buhlschaft eingerichtet, nicht zu vergessen.


1


Komm, stille Nacht, mit deinem holden Schatten,

Verhülle doch der Sonnen Angesicht,

Verweile nicht!

Die Sehnsucht will mein Herze ganz ermatten,

Drum tritt mit dem Flor

Nur bald hervor.


2


Du nur allein bist's, der ich's darf vertrauen,

Warum mein Herz so sehnend seufzt und ächzt,[365]

Warum es lechzt.

Bei Tage darf ich meinen Schatz nicht schauen,

Weil die Behutsamkeit

Es hart verbeut.


3


Läßt meine Glut sich denn nicht anders stillen,

Beim Tageslicht mein englisch Tausendschön

Recht anzusehn?

So will ich mich in deinen Flor verhüllen

Und löschen unerkannt

Den Liebesbrand.


4


Vergnüge mich mit deinen braunen Schatten,

Bei dir allein vertreibt man seine Zeit

In Süßigkeit.

Der Venus Zoll ist leichter abzustatten,

Man darf bei dir nichts scheun

Noch blöde sein.


5


Bei Nachte wird das feuergleiche Funkeln

Vom edlen Stein und hellen Diamant

Weit mehr erkannt;

Es küsset sich viel zärtlicher im Dunkeln,

Die Wollust trifft das Ziel

Durch das Gefühl.


6


Ich bin vergnügt, wenn statt der schönsten Rosen

Nur stets vor mich die Nachtviole blüht,

Und bin bemüht,

Die Venus stets, auch schlafend lieb zu kosen,

So labet meine Brust

Sich stets mit Lust.


Jedoch von nun an schlug sich Elbenstein die unordentlichen Liebesgrillen aus den Gedanken und wandte nunmehro alle seine Liebe und Treue einzig und allein[366] der tugendhaften Fräulein von L. zu, brachte auch das, was er bishero gegen sie mißgehandelt, durch unverfälschte Karessen, wenigstens seinen Gedanken nach, alles wieder ein. Unterdessen, wie sehr sie ihn auch bat, so konnte sie doch von ihm nicht die eigentliche Ursach seines Malheurs erfahren, indem er täglich blasser u. magerer wurde, sondern er gab nur dieses vor, daß die derzeitige ungemein große Hitze schuld daran wäre, indem er hierbei nicht den geringsten Appetit zum Essen empfände, auch sehr wenig schlafen könnte; er hoffe aber, sobald die große Hitze vorbei und die Nächte kühler zu werden beginneten, seine vollkommene Gesundheit wiederzuerlangen. Mittlerweile rückte der Tag Egidii herbei, welcher die sämtliche fürstliche Herrschaft veranlassete, sich nach M. zu verfügen und die Brunftzeit über sich daselbst zu divertieren. Wie nun Elbenstein nebst der meisten Hofstatt mit dahin zu gehen beordert war, so hatte er die beste Gelegenheit, mit seiner herzlich geliebten L. im vollkommensten Vergnügen zu leben, und diese brachte es bei ihrer Fürstin so weit, daß dieselbe bei ihrem Gemahle vor Elbensteinen die Oberamtmannsstelle zu BW. auswürkte. Sobald man aber wieder in der Residenz angelanget, sollte ihre Vermählung vor sich gehen, damit Elbenstein mit seiner Gemahlin das Amt an selbigen Orte beziehen könnte.

Es ist nicht zu beschreiben, wie höchst vergnügt damals dieses verliebte Paar lebte und sich täglich die angenehmsten Ideen von ihrem künftigen Ehestande und Hauswesen machte. Aber die guten Kinder mußten gar bald erfahren, daß nichts leichter verschwindet als der Menschen süße Einbildungen und vermeintliches Vergnügen, ja es traf wohl recht das italiänische Sprichwort ein: Gli diletti humani son un sogno. Die menschliche Ergötzlichkeit ist ein Traum.

Denn es kam zu Ende des Septembr. der Kammerjunker Z., welcher sich in Elsaß etliche Wochen auf seinen Gütern aufgehalten, nachts um zwölf Uhr mit[367] einer Extrapost an und brachte die unangenehme Zeitung, daß die französische Armee in voller Bewegung wäre, um noch vor Eintritt des Winters die Festung Philippsburg zu belagern und zu erobern.

Dieses war ein harter Donnerschlag, durch welchen sowohl des Fürsten bisheriger florisanter Zustand als auch Elbensteins süße Hoffnung, am D.-Hofe sein vollkommenes Glück zu machen, auf einmal in starken Verfall kam. Man brach, sobald der Himmel grauete, in größter Bestürzung und Konfusion von M. auf, und sobald man zu D. angelanget, wurden nebst dem Silbergeschirre alle Kostbarkeiten eingepackt und in die Schweiz nach Basel geschafft. Drei Tage hernach wurde Elbensteinen nebst verschiedenen andern Kavaliers und Bedienten der Abschied bis auf bessere Zeiten durch den Baron von C. erteilet, welches sowohl dem Fürsten als den Abgedankten beinahe Tränen auspressete. Das schmerzliche Scheiden Elbensteins von seiner herzl. geliebten Fräul. von L. war dergestalt jämmerlich, daß auch die unempfindlichsten Gemüter solches ohne Mitleiden nicht ansehen konnten. Da nun aber täglich Zeitungen einliefen, daß sich die französische Armee der importanten Festung Philippsburg immer mehr näherte, so sahe sich Elbenstein endlich genötiget, um der Gefahr und Plünderung zu entgehen, seine Retirade über den Neckar nach Schorrendorf, einer württembergischen Festung zu nehmen, weswegen er sich zu seiner Abreise schickte, zuvor aber, ehe er den Ort verließ, wo seine andere Seele zurückbliebe, händigte er derselben folgende Reimzeilen ein:


Ein kummervolles Herz, betränte Augenlider,

Ein zwar verliebt, doch auch recht höchst betrübter Sinn,

Ein Körper, der vor Schmerz und Jammer sinkt darnieder,

Fällt jetzt, mein Engelskind, zu deinen Füßen hin.

Mein Schreiben zeigt dir an: Ich soll von hinnen ziehen.[368]

Ach hartes Donnerwort! das mir das Schicksal spricht,

Es soll dem Ansehn nach mein Glück und Wohl verblühen,

Die Hoffnungsstütze fällt. Ich leb und lebe nicht.

Mein banges Herze schwebt in großen Kummerwellen,

Es soll mein Liebesschiff durchaus zu Grunde gehn,

Das Stürmen ist zu stark; bei diesen Unglücksfällen

Kann nur allein die Treu auf festen Fuße stehn.

Mein sonst vergnügter Geist, die freudenvollen Augen

Sehn dieses sehnend an, was ich bisher geliebt,

Sie baden sich mit Schmerz in bittrer Tränen Laugen,

Kurz! Auge, Seel und Herz sind bis in Tod betrübt.

Dem blassen Munde will es nun an Worten fehlen,

Ein immerwährend Ach! vergräbt sich selbst in sich.

Mein Elend kann ich dir ausführlich nicht erzählen,

Denn alle meine Kraft, ach! die verlässet mich.

Drum schreibt die matte Hand in Ängsten diese Worte:

Zu tausendmal Adieu! mein Trost, mein ander Ich,

Bin ich dem Leibe nach gleich am entfernten Orte,

So denkt mein Herze doch beständig nur an dich.


Nachdem nun der betrübte und verliebte Elbenstein seine Reise angetreten hatte und zu Pforzheim angelanget war, wurde ihm von guten Leuten geraten, daß, wenn er folgenden Tages den Wald passieren würde, allwo sich etliche 1000 Bauren zusammen rottieret, um den daherum streifenden französischen Parteien aufzupassen, er den rechten Flügel vom Mantel zurückschlagen sollte, weil dieses das Wahrzeichen oder Losung, daß man Freund wäre. Diesem Rate folgte Elbenstein zwar, er war aber kaum dieser Gefahr entgangen, so erblickte er, als er zu Cannstatt über den Neckar zu passieren willens und kaum noch etliche 100 Schritte von der Brücke war, eine gewaltige Menge Soldaten auf derselben. Indem er sich nun nicht getrauete, weiter fort zu reuten und sich in Gefahr zu stürzen, nahm er den Weg zur rechten Hand, behielt aber den Neckar beständig im Gesichte.[369]

Als er nun über eine gute Stunde also fortgeritten, traf er einen Bauer an, welchen er sogleich fragte, ob er ihn nicht berichten könnte, was vor Völker in Cannstatt eingerückt wären, worauf der Bauer zur Antwort gab, daß diesen Morgen um vier Uhr zwei Regimenter französischer Dragoner sich daselbst einlogiert hätten und bei den Bürgern auf Diskretion lebten. Hierauf forschete Elbenstein weiter, wo er wohl den Neckar am sichersten passieren könnte, da denn der Bauer, weil er ihn vielleicht vor einen fürstl. württembergischen Bedienten hielt, sich erbot, ihn gegen ein Trinkgeld durch den Neckar und weiter auf den nächsten Weg nach Schorrendorf zu bringen. Elbenstein gab ihm sogleich einen Gulden, und der Bauer setzte sich auf das Handpferd, welches Elbensteins Diener führete, brachte ihn nicht allein glücklich durch den Strom, sondern auch auf einen nach Schorrendorf gehenden nähern Weg, als die ordinäre Landstraße war, daß er also halb vier Uhr nachmittags in dieser Festung glücklich anlangete, von dannen brach er mit dem frühesten wieder auf, fütterte mittags in Schwäbisch-Gemünd und gelangete abends späte in Dünckelspiel an. Von dar setzte er seine Reise weiter fort auf Anspach, allwo ihm von den beiden Prinzen, denen Herren Marggrafen daselbst, als er einige von dero Prinzessin-Schwester mitgegebene Briefe überantwortete, die zwei Tage, als er daselbst verharrete, viel Gnade und Ehre erzeiget ward. Hierauf nahm er seinen Weg nach Bayreuth, woselbst er bei der Frau Marggräfin gleichfalls einige Schreiben überlieferte und auf gnädigsten Befehl des Herrn Marggrafens Hochfürstl. Durchl. etliche Tage verbliebe, endlich aber über Nürnberg nach C. und so ferner auf M. ging, allwo er gleichfalls die von seiner gnädigsten Herrschaft anvertraute Schreiben insinuierte und den andern Tag auf die in demselben enthaltene Rekommendation von der Herzogin zu ihrem Kammerjunker angenommen ward.

Je retiréer er sich nun daselbst sowohl bei Hofe als in[370] der Stadt bei dem Frauenzimmer aufführete, indem ihm seine geliebte L. beständig im Sinne lag, je mehr fanden sich Leute, die ihn auf eine recht verschmitzte Art folgende Gedanken in den Kopf setzten: Du suchest zwar (waren seine Grillen) der Fräulein von L. getreu und beständig zu verbleiben, bist du aber von derselben auch dergleichen versichert? Deine Charge, die du voritzo bekleidest, ist nicht suffizient, eine Frau standesmäßig zu ernähren; könntest oder wolltest du ihr also wohl verargen, daß, wenn sich bei solchen hal[b]wege eine avantageuse Gelegenheit vor sie ereignen sollte, sie anderes Sinnes würde, ihre Zusage aufhübe und widerrufte? Wer weiß, ob sie noch so getreu und beständig ist, als du dir einbildest und schmeichelst? Vielleicht hat sie in dieser Minute etwa mit einem galanten Kavalier ein angenehmes Gespräche, trifft also wohl das Sprichwort bei ihr ein: Aus den Augen, aus dem Sinne. Solche und dergleichen Gedanken, welche zugleich von einer Eifersucht begleitet wurden, setzten den armen Elbenstein in solche heimliche Unruhe und Bekümmernis, daß, wo er auch nur war, er sein heimliches Anliegen nicht so wohl verbergen konnte, daß man es nicht einigermaßen an ihm hätte merken sollen, dannenhero eines Tages, als er nebst andern Kavaliers und Dames zur Baronne von D.T. auf eine Abendmahlzeit invitiert worden, die eine Kammerfräulein von R. ihn auf eine besondere anmutige Art fragte, was doch immermehr schuld daran wäre, daß er niemals recht aufgeräumt zu sein schiene, sie wünschte so glücklich zu werden, etwas zu seinem Contentement beitragen zu können. Hiernächst wollte sie ihm im Vertrauen eröffnen, wie ihre gnädigste Herzogin schon vor einigen Tagen erwähnet, wie sie an ihm ein besonderes Anliegen verspürete und darbei gesagt hätte, ihr Kammerjunker müsse entweder an dem Orte, wo er in Diensten gestanden, etwas Liebes zurückgelassen oder allhier etwas haben, so ihn charmierte, oder aber mit der Gage nicht zufrieden[371] sein. Anbei hätten Ihro Durchl. sich noch gnädigst verlauten lassen, daß seine guten Qualitäten wohl meritierten, daß ihm in den letztern zwei Punkten geholfen würde.

Elbenstein fand sich über dieses Gespräch einigermaßen betroffen, jedoch rekolligierte er sich alsobald und gab vor, daß nicht allein sein Temperament dergleichen douce Aufführung mit sich brächte, sondern er hätte sich auch auf der letztern beschwerlichen Reise dergestalt strapaziert, daß er sich noch bis dato nicht vollkommen rekolligieren können. Da man ihn aber in andern Verdacht ziehen wollte, so könne er das gnädige Fräulein mit gehorsamsten Respekt versichern, wie er versichert wäre, daß, wenn eines von Ihro Durchl. erwähnten Stücken an seiner Aufführung schuld sein sollte, sowohl das gnädigste Erbieten Ihro Hochfürstl. Durchl. als auch der gnädigen Fräulein gütiger Wunsch capable sein würden, ihn in vollkommene Zufriedenheit zu setzen. Weilen er aber aller dreier Stücke halber sich unschuldig befände, so wollte er sich befleißigen, durch Gebrauch dienlicher Mittel sein Temperament zu korrigieren und sich ein munterer Wesen anzugewöhnen. Mittlerweile wurden die Speisen aufgesetzt, und kam er zwischen der Baronne von D.T. und ihrer Fräulein Tochter an der Tafel zu sitzen.

Diese war eine sonderbare Liebhaberin der deutschen Poesie, ließ sich also mit Elbensteinen dieserhalb in einen Diskurs ein, und da sie bemerkte, daß er ebenfalls ein starker Liebhaber davon wäre, indem er sehr wohl davon zu raisonieren wußte, so ersuchte sie ihn, ihr etwas von seinen poetischen Sachen zu kommunizieren, auch ihr öfters die Ehre seines Zuspruchs zu gönnen. Er machte dieserwegen ein verbindliches Kompliment und gab zu vernehmen, wie er es vor eine besondere Glückseligkeit schätzen würde, dero Befehlen ein Genüge zu leisten und bei solcher kostbaren Gelegenheit von ihrer unvergleichlichen Wissenschaft[372] in diesem Scibili zu profitieren, anbei überlieferte er ihr einige Reime, die er selbiges Tages aus dem Französischen ins Deutsche übersetzt hatte und also lauten:


1


Erdrücke mich doch nur, du graßes Ungelücke,

Erzürnter Himmel, töte mich,

Zermalme mich nur jämmerlich,

Es ist doch auf der Welt nichts mehr, das mich erquicke.

Die Menge meiner Qual und Pein

Reißt mir Vernunft und Sinnen ein,

Vor mich muß lauter Marter sein.


2


Ich weiß ja gar nichts mehr von Lachen, Lust und Freuden,

Der Gram ergötzt mich nur allein,

Der Kummer ist mein Sonnenschein,

Mein mattes Herze fühlt ein immerwährend Leiden,

Weil alles mich zu fällen tracht.

Ich sehe nichts als lauter Nacht,

Da alles wettert, blitzt und kracht.


3


Es wüten immerzu die ungestümen Wellen

Und werfen mich bald her, bald hin.

Ach Grab! nach dir verlangt mein Sinn,

Du kannst den müden Leib allein zufriedenstellen,

Wenn er in dir so sanfte ruht,

Befreit von aller Unglückswut,

Von Sturme, Wetter, Flut und Glut.


4


Gewiß, ich gleiche recht dem sonst so stillen Meere,

Das dennoch bald ein Sturm bewegt,

Bis daß es große Wellen schlägt;

Da es doch vor sich selbst wohl gerne ruhig wäre,

Allein, so wird es aufgeschwellt,[373]

Indem die Last bald steigt, bald fällt

Und lauter Wut vor Augen stellt.


5


Ich mag, wohin ich will, mich kehren oder wenden,

So kann ich keine Rettung sehn,

Mein Schiffgen muß noch untergehn,

Indem kein Hafen da, allwo es könnte länden;

Mein Schiff, das ohne Segel schwebt,

Stets schlenkert, stauchet, zittert, bebt,

Bis es sich in die Flut vergräbt.


6


Drum fließt nur immer, fließt, ihr heißen Jammerzähren,

Ihr Augen, zollt die Tränenflut

So lange, bis mein Herz und Mut

Euch weder Saft noch Kraft noch Nahrung kann gewähren;

Das falsche Glück verfolget mich,

Die Hoffnung selbst verlieret sich,

Drum komm, o Tod! ich bitte dich.


Die Baronne, ihre Frau Mutter, welche diese Übersetzung zugleich mit durchlesen hatte, sagte lächlend: »Ich hätte nicht gemeint, daß sich der Herr von Elbenstein die Mühe geben können, etwas so Trauriges und Gräßliches zu übersetzen; jedoch da ihm die Version in einer so traurigen Materie dergestalt wohl geraten, wäre ich curieus, etwas Lustigers oder Verliebtes zu sehn.« Elbenstein versetzte, daß eben dieser Autor etwas, so von einer verliebten Sehnsucht handelte, geschrieben, welches er ebenfalls vertiert hätte, und wenn Ihro Gn. es gütigst erlauben wollten, sollte sein Diener sogleich solches aus seinem Logis holen. Hierum ersuchten ihn nun nicht allein die Baronne nebst ihrem Fräulein, sondern auch die ganze Compagnie, indem sie vorgaben, daß der Inhalt nicht anders als charmant sein könne. Wie nun das Blatt gebracht[374] worden, bat die Gesellschaft den von Elbenstein, es ohnbeschwert selbsten abzulesen, der sich zwar willig darzu finden ließ, jedoch vorhero nochmals versicherte, daß er von diesem Stück nicht der Inventor wäre, sondern das Original in französischer Sprache in der Liebes- und Lebensgeschicht des spanischen Kardinals Porto-Carero gefunden, als auf welchen der Autor diese Verse verfertiget hätte. Hierauf lase er folgendes her:


1


Liebreiche Nacht! anmutge Dunkelheit,

Verzeuch doch nicht, die Schatten herzuführen.

Der Sonnen mir verhaßte Helligkeit

Laß unter deinem Flore nicht mehr spüren;

Ein Engel sucht vermittelst deiner Gunst

Die süße Frucht vor sein und meine Brunst.


2


Mein Herze brennt, wie groß ist seine Pein?

Es stirbet fast, der Angst ist nichts zu gleichen.

Soll denn davor kein Trost zu finden sein?

Ach Tageslicht! willst du nicht einmal weichen,

Ei weich doch nur! du unglückseligs Licht,

Weil mir die Nacht mehr Süßigkeit verspricht.


3


Mein Engelskind! mein holdes Tausendschön!

Was werd ich nicht vor süßen Nektar schmecken,

Wird nicht mein Herz in vollen Freuden stehn,

Wenn es dir darf sein Innerstes entdecken?

Komm, schönes Schwarz, vertreibe Tag und Licht,

Mein schönstes Licht verlier ich dennoch nicht.


Die Fräulein von R. sahe ihn hierauf mit einem so charmanten Blicke an, daß er ihre Regungen leicht erraten konnte, und die Fräulein von D.T. ersuchte ihn mit einer angenehmen Freiheit, daß er ihr von seinen eigenen Erfindungen doch etwas möchte sehen lassen, da ihm die Übersetzung anderer so wohl geraten wären.[375]

Elbenstein, den der delikate Wein und das artige Wesen der sämtlichen Damen freier zu reden animierete, fragte mit einer schmeichlenden Art, von was vor einer Materie solche handeln, ob sie verliebt, lustig, traurig oder moralisch sein sollte. Die Fräul. von D.T. sahe ihn mit einer solchen Miene an, daraus er als ein erfahrener Practicus in Liebeshändeln schon ermessen konnte, wie seine Verse sollten eingerichtet sein; demnach sagte er etwas heimlich zu ihr: »Mein englisches Fräulein werden mir demnach erlauben, daß, wenn ich morgen meine Dichterei vornehmen werde, an Ihre anbetenswürdige Schönheit gedenken und solche zum Sujet meiner Poesie erkiesen darf. Ich flattiere mir, daß alsdenn die Einfälle und Penséen nicht anders als tendre und sinnreich sein werden, da das wunderschöne Sujet voller Esprit und höchst liebenswürdig ist.« »Ach!« gab hierauf das Fräulein zur Antwort, »der Herr von Elbenstein wird's wohl erfahren, daß, wenn er seine Gedanken auf die Betrachtung meiner schlechten Qualitäten wenden wird, wie schlecht und gezwungen seine Verse geraten werden. Jedoch«, fuhr sie fort, indem sie ihm die Hand sanfte drückte, »will ich es gern geschehen lassen, auch mich glücklich schätzen, wenn so ein qualifizierter und galanter Kavalier sich meinetwegen bemühen will, und die dafür schuldige Reconnaissance soll auf seiten meiner genau beobachtet werden.« Da fing nun die seiner geliebten Fräulein von L. allein gewidmete Liebe und Treue allmählich an zu wanken, ja als nach aufgehobener Tafel er mit der Fräul. von D.T. alleine reden konnte, machte er ihr so viel Karessen, daß das gute Fräul. seinen verliebten Anfällen nicht lange widerstehen konnte, sondern ihm sein Bitten gewährete, welches darinnen bestund, daß sie ihm erlauben möchte, ihren schönen Mund zu küssen; dieserwegen wollte er sich hinaus auf den Saal in den Erker verfügen und ihrer gütigen Gewährung seines inbrünstigen Wunsches daselbst im Dunkeln erwarten.[376]

Es trug sich aber zu, daß ihre Frau Mutter sie zu sich rufte und mit ihr von ein und andern, so sie veranstalten sollte, über Vermuten etwas lange redete. Mittlerweile ging die Fräul. von R., um sich etwas abzukühlen, aus dem Gemache auf den Saal und an den Erker, allwo sich Elbenstein befand. Indem er nun diese vor das Fräulein von D.T. hielt, so umarmete und küssete er sie etlichemal aufs zärtlichste, sagte hierauf: »Morgen wird mein schönster Engel erfahren, wie angenehme Penséen meine Verse in sich halten werden.« Es ward ihm aber hierauf nicht geantwortet, vielmehr begab sich die Fräulein von R. eiligst von ihm hinweg, indem sie sich leicht einbilden konnte, daß diese Karessen einer andern zugedacht wären. Sie war auch kaum wieder bei der andern Gesellschaft angelanget, als sich die Fräulein von D.T. bei ihm einstellete und Elbensteinen um Vergebung bat, daß sie ihn so lange hätte warten lassen, zur Satisfaktion aber wegen des Verzugs wollte sie ihm dasjenige erstlich selbst geben, was sie sonsten von ihm erwarten wollen. Unter diesen Worten küssete sie ihn auf eine solche liebreizende Art, daß Elbenstein dadurch in die angenehmste Entzückung geriet und nach vielen gewechselten Küssen sich noch mehrerer Freiheit gebrauchen wollte, über welche unzeitige Verwegenheit aber sich das Fräul. von D.T. dergestalt alterierte, daß sie sich augenblicklich von ihm losriß und mit geschwinden Schritten eine Treppe hinunterlief. Wiewohl nun Elbenstein, als er wieder zur Compagnie kam, auch die Fräul. von D.T. bereits bei derselben wieder antraf, alle Gelegenheit suchte, seiner erzürnten Venus den begangenen Fehler oder Frevel abzubitten, so wollte sich selbige doch nicht fügen, und die Fräul. von D.T. führete sich, solange die Compagnie noch beisammen blieb, dergestalt spröde und kaltsinnig auf, daß er auf einmal alle Hoffnung verlor, seine Löffelei fortzusetzen. Inmittelst war er desto neugieriger auszukundschaften, wer diejenige gewesen, so er zuerst vor der Fräulein von D.T.[377] Ankunft geküsset, und seiner changanten Art nach schlug er sich die spröde und kaltsinnige Fräul. von D.T. sogleich aus dem Sinne, ergötzte sich hingegen in sei nem Herzen über den angenehmen Irrtum, der ihm begegnet war. Endlich mahnete die Uhr die sämtliche Gesellschaft an, bei der Wohltäterin unter geziemender Danksagung sich zu beurlauben, dahero die Hofdames hierinnen den Anfang machten, und Elbenstein, als er die Fräul. von R. in den Wagen hub und um Vergebung bat, woferne er sich etwas zu frei aufgeführt hätte, bekam unter einem zärtlichen Händedrücken ganz leise von derselben zur Antwort: »Ich bitte gleichzeitig um Verzeihung, daß ich mich etwas zu frei aufgeführet und einer andern vorgefischt habe, jedoch ist es mir lieb, daß ich nunmehro nur weiß, daß der Herr von Elbenstein nicht so unempfindlich gegen das Frauenzimmer ist, als er sich bishero angestellet hat.«

Er ging demnach, weil er nunmehro gewiß wußte, wer ihm den Liebespossen gespielet, mit vergnügten Gesichte zurück in der Baronne Zimmer, um gleichfalls seinen Abschiedsreverenz zu machen, sobald auch solches geschehen, begab er sich nach seinem Quartiere, allwo er sich mit vergnügten Gedanken über die den vergangenen Tag über gehabten Liebesaventuren innigst ergötzte. Den darauffolgenden Morgen bekam er von seiner Herzogin Befehl, nach der Mittagstafel nach H. zu reuten und sie bei der daselbst regierenden Herzogin anzumelden, dahero, weil er lieber bei guter Zeit als zu späte in H. sein, auch seine Pferde nicht übernehmen wollte, er in sein Logis zurück ging und seinem Diener befahl, ihm etwas von Speisen, ob es gleich auch nur kalte Küche wäre, von dem fürstl. Mundkoche zu langen.

Der Diener berichtete ihm bei seiner Zurückkunft, daß die Fräulein von D.T. im Begriff wäre, zu ihrer Frau Muhme, der Frau von B., nach Hh. zu fahren. Weil nun Elbenstein wußte, daß die Straße dahin vor seinem[378] Quartiere vorbeiginge, als setzte er sich mit seinem Essen an das aufgemachte Fenster, da denn kurze Zeit darauf die Fräulein von D.T. gefahren kam, und als sie den von Elbenstein, welcher ihr mit verstellten traurigen Gesichte die Reverenz machte, erblickte, nahm sie das an der Brust steckende und aus weißen Lilien und Jesmin bestehende Bouquet und schickte solches durch ihren Laquais dem von Elbenstein, nebst dem Vermelden, daß weil sie gestern von ihm erfahren und gemerkt hätte, wie er ein besonderer Liebhaber der Blumen, vornehmlich aber der Lilien sei, so wollte sie ihm hiermit von dergleichen ein Présent machen, wünschte anbei so glücklich zu sein, ihn zu Hh. zu sehen und nur eine Viertelstunde mit ihm zu sprechen. Elbenstein ließ nebst Vermeldung seines gehorsamsten Respekts der Fräulein zurücksagen, wie er verhoffte, sie in einer halben Stunde einzuholen und seinen gehorsamsten Dank vor das höchst angenehme Présent persönlich abzustatten.

Unterdessen hatte er zwar keine Zeit gehabt, die versprochenen Verse zu machen, zu allem Glück aber fielen ihm etliche bei, die er schon vor einiger Zeit verfertiget, so aber niemand sonst bekannt waren. Er hielt davor, daß sie sich bei der jetzigen Aventure ebenfalls wohl anbringen ließen, schrieb sie derowegen neu ab, und lauteten dieselben also:


1


Ach, warum ändert doch der Himmel meiner Liebe

Nun auf einmal den heitern Freudenschein?

Ach! welche Wolke macht ihn jetzt so plötzlich trübe?

Was muß doch wohl hieran die Ursach sein?

Ich bin mir nichts Verdammliches bewußt,

Kein Falschheitsgift beflecket meine Brust.


2


Mein Schiffgen ladet ja sonst keine andern Waren,

Als die mir selbst die Liebe hat erlaubt.

Von mir soll nimmermehr ein Sterblicher erfahren,[379]

Daß Geilheits Mumien ich je geraubt;

Gleichwohl straft mich die Liebe solchen gleich,

Die ihren Fuß gesetzt ins Lasterreich.


3


So mußt du denn nunmehr, mein armes Herze, stranden

Auf Klippen, die ein kalter Sinn gemacht.

Kein Hoffnungsanker ist vor dieses Mal vorhanden,

Ein Liebessturm hat dich in Not gebracht,

Ist's nicht zu scharf? der Venus strenge Wut

Benimmt mir jetzt Trost, Freude, Lust und Mut.


4


Nun denn mein Geist! bleib nur auf deinen Trauerklippen,

Da deine Lust im wilden Meere schwimmt,

Bis deine Göttin dich mit tröstungsvollen Lippen

Besänftigt und in ihren Schoß aufnimmt,

Denn klage ihr bei wiederholtem Kuß,

Wie Redlichkeit unschuldig leiden muß.


Inzwischen nun, da die Pferde fertig gemacht wurden, kleidete er sich propre an, sobald er aber vor die Stadt kam und der Fräulein Wagen annoch erblickte, folgte er demselben in vollen Galopp, welchen er endlich nach Verlauf einer halben Stunde einholete, weil die Fräulein dem Kutscher unter dem Vorwande, daß sie ein wenig schlafen wollte, langsam zu fahren befohlen hatte. Der Laquais, welcher Elbensteinen gleich er kannte, meldete solches der Fräulein alsobald an, worüber sie in ihrem Herzen eine ungemeine Freude empfand. Als nun Elbenstein nach abgelegten Kompliment derselben die Verse zum Wagen hineingereicht und sie solche gelesen hatte, ersuchte sie ihn, daß er belieben möchte, ihr bis nach Hh. das Geleite zu geben, auch, um die Zeit mit angenehmen Gesprächen zu vertreiben, sich zu ihr in den Wagen zu setzen. Dieser ließ sich nicht zweimal nötigen, sondern stieg vom Pferde[380] ab, gab solches seinem Diener an die Hand und setzte sich zur Fräulein in den Wagen, deren erste Worte waren: »Ihre Verse, mein wertester Herr von Elbenstein, haben völlige Approbation bei mir gefunden; davor sollen Sie auch die Erlaubnis haben, auf die in Ihrer Ode beschriebene Art mir Ihre Not zu klagen«, mit welchen Worten sie ihren Arm ganz entzückt um ihn herum schlug und ihren Kopf an seine Brust legte.

Die darauf erfolgte verliebte Tändeleien, so sie miteinander vornahmen, sind unnötig zu beschreiben, sondern man will nur melden, daß Elbenstein der Fräulein versprechen müssen, diesen Abend noch von H. zurückzukehren und die Nacht über bei ihrer Frau Muhme und Herrn Vetter zu verbleiben, welches er ihr unter vielen Tenderküssen versprach, auch um desto eher wieder aufbrechen zu können, vor Hh. sich wieder zu Pferde setzte und den nächsten Weg nach H. nahm, allwo die dasige Herzogin an seine Prinzipalin wieder zurückschrieb und selbige ersuchte, ihr ohnmaßgeblich übermorgen auf dem halben Wege zu T. die Ehre ihres höchst angenehmen Zuspruchs zu gönnen und ihre Reise also zu veranstalten, daß sie im Mittage daselbst eintreffen könnte. Ebendieses sagte sie Elbensteinen auch, mahnete ihn zugleich an, daß er den Aufbruch von M. also ordinieren möchte, damit sie mittags in gemeldten Orte sein könnten, welches denn leichtlich möglich zu machen, indem beide Örter nur drei Stunden voneinander lagen. Indem nun Elbenstein solchergestalt seine Abfertigung erhalten, auch seine Pferde unter der Zeit wohl gefüttert waren, und ihm von den Herren Kavalieren etliche Gläser Wein waren zugetrunken worden, weiln er allen andern Traktamenten depreziert hatte, nahm er seine Rückreise wieder nach Hh., schickte aber aus einem eine Stunde von Hh. gelegenen Dorfe einen sichern Expressen mit der Herzogin von H. Schreiben an seine Prinzipalin nach M. und berichtete anbei, daß ihm eine plötzliche Unpäßlichkeit unterweges zugestoßen,[381] welches Ursach wäre, daß er das von der Herzogin zu H. Hochfürstl. Durchl. ihm anvertraute Schreiben nicht selbst gehorsamst überreichen können, sondern unterwegs bleiben müssen; jedoch weil es nur ein Anstoß von der Colica, hoffe er morgen mittags in M. zu sein und seine untertänigste Relation mündlich abzustatten. Hiermit befahl er dem Boten, soviel als möglich zu eilen, damit die Herzogin die Briefe noch zu lesen bekäme, ehe sie zur Ruhe ginge, er aber eilete, sobald der Bote fort war, ebenfalls so schnell als möglich nach Hh. zu, allwo er mit Untergang der Sonnen anlangete und sowohl von dem Herrn B. als dessen Gemahlin sehr höflich empfangen ward.

Weiln nun der Obristlieutnant von R. und seine Gemahlin, ingleichen zwei Fräul. von R. und zwei junge Kavaliers des Geschlechts von K. bereits daselbst eingesprochen, so hatte Elbenstein mittlerweile, da diese Gäste in dem daranliegenden Garten die Abendmahlzeit bei der angenehmen Abendluft in einer wohlangelegten Grotte einnehmen wollten, Gelegenheit, die schöne Fräul. von D.T., wiewohl auf eine sehr kurze Zeit, in ihrem Gemache zu sprechen, da sie denn viele Küsse wechselten, worbei das Fräulein immer die zwei letztern Zeilen aus seiner von ihm empfangenen Ode wiederholete: Da klage ihr bei wiederholten Kuß, wie Redlichkeit unschuldig leiden muß. Da aber der Wohlstand erforderte, sich zur Gesellschaft zu begeben, nahmen sie ihren Weg durch eine Scheune, aus welcher man sogleich in den Garten kommen konnte, und verfügten sich in eine Mooshütte, welche der Grotte, worinnen gespeiset werden sollte, gerade gegenüber lag, fingen hieselbst ihre Löffelei von neuen wieder an, dabei sogar auch die Hände nicht müßig waren, ja die Vertraulichkeit wurde endlich so groß, daß, ob es gleich die Tugend und Ehrbarkeit verbote, die von des veränderlichen Elbensteins Schmeicheleien und Karessen gleichsam bezauberte Fräulein ihm dennoch eine nächtliche Visite in ihrem Zimmer zu verstatten, mithin[382] die Türe nicht zuzuschließen, sondern nur anzulehnen versprach. Wie er nun als ein fürstl. Bedienter ein propres Zimmer, welches sehr nahe an der Fräul. von D.T. ihrem angelegen, einbekommen hatte, so machten sie sich die süße Hoffnung, daß die nächtliche Zusammenkunft ganz fein angehen könnte und würde.

Nachdem dieses alles verabredet, gingen sie zur andern Compagnie und setzten sich bald hernach unter selbiger zur Tafel, sobald selbige abgehoben, wendete Elbenstein wegen getaner Reise große Müdigkeit vor, nahm derowegen von der Compagnie unter dem Vorwande, daß er morgen mit dem allerfrühesten aufbrechen müßte, sogleich Abschied und begab sich in das ihm angewiesene Zimmer. Die andern Gäste blieben noch bis Mitternacht in der Grotte, spieleten und trunken von dem delikaten Weine, welchen der Herr von B. selbsten im Überflusse im Keller hatte; die Fräul. von D.T. aber machte sich unter dem Vorwande, daß ihr die heutige Sonnenhitze starke Kopfschmerzen zugezogen, auch bald aus dem Staube. Sobald nun Elbenstein merkte, daß im ganzen Hause alles ruhig und stille war, schlich er sich ganz leise in der Fräulein Zimmer, was sie aber daselbst miteinander ferner verabredet, ist nicht eigentlich zu melden, man hat auch nicht gehöret, daß sich auf seiten der Fräul. etwas geäußert, so einen unglückseligen Verräter dieser nächtlichen Visite abgegeben hätte oder ihr sonsten einigen Verdruß zuziehen mögen, außer diesen, daß die Elbensteinen verstattete Freiheit ihm nachmals einen solchen Ekel vor dieses sonst recht liebenswürdigen Fräuleins Person verursachte, daß er nach der Zeit auf alle nur ersinnliche Art und Weise jederzeit die Gelegenheit vermieden, mit ihr zu konversieren, worüber das gute Kind unter ernstlicher und unaufhörlicher Bereuung ihrer Leichtsinnigkeit unzähliche Tränen vergossen, welches er aber, als ein rechter Wetterhahn im Lieben, sich wenig oder gar nicht zu Herzen[383] gehen ließe, hergegen leichtsinniger- und irraisonnablerweise sich über ihre Einfalt mokierte, nunmehro aber neugierig war, sein Liebsglück und Verhängnis bei der Fräul. von R. zu erfahren. Dannenhero er, als er in Hh. ziemlich früh von dem Herrn von B., weil die andern alle noch schliefen, ordentlichen Abschied genommen und sich vor alle erwiesene Höflichkeit und Güte hofmäßig bedankt, sich zu Pferde setzte und zu rechter Zeit in M. anlangete.

Er stattete noch vor der Tafel seinen mündlichen untertänigsten Bericht bei seiner Herzogin ab, und dieselbe gab in besonders gnädigen Terminis zu vernehmen, wie sie in allen Stücken mit seiner Aufführung sehr wohl zufrieden wäre. Allein Elbenstein war ein Schalk, denn da er heraus ins Vorgemach kam und wohl wußte, daß die beiden Kammerfräuleins von K. und Z. bald durchpassieren müßten, setzte er sich auf einen am Fenster stehenden Lehnestuhl, legte den Kopf rückwärts und stellete sich, als ob ihm eine Ohnmacht oder Steckfluß befiele, spielete auch diesen Streich dergestalt witzig, daß es der allerklügste Medicus hätte glauben müssen. Die beiden Fräuleins trafen ihn also in diesem Zustande an, fragten, was ihm fehlete, da er aber die Augen im Kopfe verdrehete und ein Zeichen gab, daß er nicht antworten könnte, lief die Fräul. von Z. sogleich zur Herzogin ins Zimmer, um aus dero Apothekgen, welches jederzeit in Bereitschaft stunde, einen herzstärkenden Spiritum zu langen; da ihm inzwischen die Fräulein von R. ein mit Schlagbalsam angefülltes Büchselein vor die Nase hielt, seine Schläfe und Pulse an den Armen mit diesem Balsam salbete und ihm zu allem Überfluß drei derbe Küsse auf den Mund versetzte. Diese letztere kräftige Medizin würkte so viel, daß der chicanierende Elbenstein plötzlich die Augen aufschlug, der Fräul. von R. sanfte die Hand druckte und mit schwacher Stimme sagte: »Ach mein Engel!« Ihre gleich falls ganz leise Antwort war: »Ach mein wertester Elbenstein!«[384]

Indem brachte die Fräul. von Z. den Spiritum, von welchen die Fräulein von R. etwas auf ein in ihr Schnupftuch gemachtes Knötgen goß, auch seine Stirne, Schläfe und Hände damit bestrich, jedoch es schien dennoch, als ob die Lebensgeister nicht so bald zurückkehren wollten; demnach bezeugte die durchl. Herzogin in eigener hoher Person das gnädige Mitleiden gegen ihm, daß sie selbst aus ihrem Gemach heraustrat und ihm eine Schale voll Arzenei brachte, welche er austrinken mußte. Er fand sich oder stellete sich vielmehr hierdurch auf einmal erquickt, dankte in schuldigster Devotion vor die gnädigste Vorsorge, welche Ihro Durchl. vor dero untertänigsten Knecht gehabt; worauf die Herzogin befahl, daß er in ein bequemes Zimmer gebracht und aufs beste verpflegt werden sollte, trug auch den beiden Fräuleins auf, fleißige Nachfrage nach ihm tun zu lassen. Der verstellete Patient ließ sich des andern Morgens vernehmen, wie er sich völlig restituiert befände, allein die Herzogin ließ ihm sagen, wo er vermerkte, daß sein Malheur noch nicht völlig vorbei, könne er immer zu Hause bleiben und seine völlige Gesundheit abwarten; daferne er aber ja im Stande, in ihrer Suite mit nach H. zu gehen, solle er bis vor die Stadt mit in der Fräulein Kutsche fahren, um seine Gesundheit desto besser zu menagieren. Elbenstein ließ sich nochmals untertänigst, und zwar durch das Fräul. von R., vor die ihm erzeigte besondere Gnade bedanken und um Erlaubnis bitten, daß er sich in sein Logis begeben dürfte, um sich reisefertig zu machen, weil er sicherlich glaubte, daß sich sein ganzes Malheur durch die empfangenen köstlichen Medicamenta gänzlich verloren hätte.

Da aber sein Bedienter und der Fräulein Aufwärterin sich aus dem Zimmer begeben hatten, stattete er der schönen Fräul. von R. die verbindlichste Danksagung vor ihre gehabte Mühe und Vorsorge ab und beteurete dabei, daß eines solchen englischen Fräuleins gütiges Mitleiden und persönl. geleistete Hülfe ihn am meisten[385] gestärkt und das Leben erhalten hätte. »Ach! mein wertester Elbenstein«, antwortete das Fräulein, »könnten Sie nur in mein Herze sehen, so würden Sie von meiner gegen Sie hegenden aufrichtigen und unverfälschten Neigung die vollkommenste Versicherung finden.« Nach diesen Worten nahete er sich ihr in einer Ecke des Erkers, und als er sie auf die verliebteste Art etlichemal geküsset, welches die Fräulein aus gütiger Erkenntlichkeit auf gleiche Art wieder vergalt; ja sie ließen ihren Affekten nach in etwas weiter den Zügel schießen, bis sie endlich von den ankommenden Bedienten in der Hauptsache gestöret wurden, worbei keine Partei sagen konnte, daß sie etwas gewonnen oder verloren hätte.

Etwa eine Stunde hernach, als das Fräulein von ihm Abschied genommen hatte, kam ein herzogl. Kutscher und meldete, wie der Wagen bereits angespannet wäre, um den Herrn von Elbenstein in sein Logis zu führen. Er hielt sich demnach nicht lange mehr auf, sondern fuhr fort. Sobald er aber in seinem Logis angelanget war und seine Wirtin die ihm auf dem Schlosse zugestoßene Unpäßlichkeit erfuhr, schickte sie ihre älteste Tochter hinauf zu ihm in sein Zimmer, allwo ihm dieselbe im Schlafrocke auf dem Bette liegend antraf. Sie bezeugte sowohl im Namen ihrer Mutter als vor sich selbst ein herzliches Mitleiden wegen des ihm zugestoßenen Unfalls, und zwar auf eine so bewegliche Art und in obliganten Terminis, daß Elbenstein gleich urteilen konnte, wie von seiten der Mutter eine mitleidige Vorsorge, von seiten der Tochter aber die Liebe an dieser Besuchung teilhabe.

Weil nun Elbenstein vorwitzig war und probieren wollte, wie weit er es bei diesem wohlgewachsenen, mit ein paar schönen schwarzen Augen, küssenswerten Lippen und rot mit weiß vermischten angenehmen Antlitze von der gütigen Natur begabten Frauenzimmer bringen könne, so ersuchte er sie, nach vorher abgestatteter Danksagung vor die gütige Vorsorge, sich[386] bei seinem Bette ein wenig niederzulassen, bis sein Diener das Essen vom Schlosse gebracht hätte. Sie gehorsamete ganz willig und bat, nur zu befehlen, worinnen sie ihm dienen könne. Elbenstein druckte ihr die Hand und sagte zugleich, daß ein solches charmantes Frauenzimmer, wie sie wäre, das meiste zu seiner Genesung kontribuieren könne, dahero er jetzo erfahren wollte, ob sie gütig oder hart mit ihm zu verfahren gewillet sei, unter welchen Worten er sie zärtlich umarmete und auf den weichen Rosen ihrer Lippen etliche Küsse anbrachte. Sie sahe ihn mit gleichsam schmachtenden Blicken an, und unter einem oft wiederholten Ach! vergönnete sie ihm nicht allein viele Liebesfreiheiten, sondern forderte ihn endlich durch etliche hitzige Küsse, so ihre zarten Lippen mit der schönsten und einer recht bezauberenden Geschicklichkeit anzubringen wußten, zu noch etwas Ernsthafftern heraus, und Elbenstein, welcher nicht gewohnt war, zu dergleichen verliebten Bravaden lange stille zu sitzen, machte sich schon fertig, als die zur Treppe herauf kommende Mutter, welcher ein schwindsüchtiger Husten anstatt des Furiers vorlief, alles verstörete und dieses vorseiende Duell unterbrach, man konnte aber aus denen erröteten Wangen, funkelenden Augen und in Unordnung gebrachten Haaren sattsam urteilen, daß die Keuschheit bei beiden in größter Gefahr gewesen wäre. Weil aber die gute Mutter erstlich haußen vor der Stube auf dem Saale etwas verschnauben und recht aushusten wollte, gewann sowohl die schöne Gratiana als auch Elbenstein Zeit und Raum, sich zu rekolligieren und alles wieder in ziemliche Ordnung zu bringen.

Gratiana nahm ein leeres Glas in die Hand, ging heraus auf den Saal, eilete aber nach der etwas dunkeln Treppe zu und fragte die mit dem trockenen Husten sich noch katzbalgende Mutter, wo der Kellerschlüssel wäre, indem der gnädige Herr einen Trunk von ihrem Hausbiere verlangete, und da sie solches erfahren,[387] eilete sie vollends die Treppe hinunter in den kühlen Keller, allwo sie die verdächtige übrige Röte vollends verlor. Elbenstein war über diese mit der artigen Gratiana so geschwind gemachte Liebeskundschaft dergestalt vergnügt, daß er die folgende Arie verfertigte:


1


Unvergleichlich schönes Wunder!

Harter Herzen Liebeszunder!

Deiner Anmut Glanz und Schein

Macht die Liebe selbst verliebet;

Der ist härter als ein Stein,

Der sich dir nicht ganz ergibet.


2


Meine Freiheit ging verloren

In dem Kampf mit zweien Mohren.

Seh ich deine Augen an,

So hab ich schon die gefunden,

Die mir Fesseln angetan

Und mich völlig überwunden.


3


Doch ich will gefangen leben

Und der Freiheit mich begeben;

Meine Ketten sind so schön,

Daß sie allen Freiheitsschätzen

Nicht nur an der Seite stehn,

Sondern mich weit mehr ergötzen.


Als nun endlich aber Gratiana mit dem Biere heraufkam und ihr langes Außenbleiben damit entschuldigte, daß sie erstlich nicht sogleich den Kellerschlüssel finden und vors andere auch kein Licht bekommen können, indem die Magd die Küche zugeschlossen und den Schlüssel zu sich gesteckt hätte, als sie von der andern Schwester verschickt worden, ging die alte Mutter zugleich mit in die Stube, und weil der Diener zu gleicher Zeit das Essen vom Schlosse brachte, nahm sich[388] Gratiana die Mühe selbst, solches zu wärmen und aufzutragen. Elbenstein ersuchte Mutter und Tochter mit zu speisen, welches sie endlich nach einigen Weigern eingingen, unterdessen ließ er bei dem Italiäner etliche Bouteillen Frontignac langen, welcher bei seinen Gästen den gewünschten Effekt tat, denn die Mutter, welche nur ein einziges Gläsgen zuviel getrunken hatte, hielt vors ratsamste, sich in die Unterstube zu begeben, um ein wenig zu ruhen. Gratiana hingegen, weil sie vollends vom Weine erhitzt war, erlaubte Elbensteinen alle Freiheiten, deren er sich bei ihr gebrauchte; jedoch dieser ging sehr behutsam, und zwar aus Furcht, damit er nicht etwa von einem kleinen Zeugen ihrer Liebespossen dereinsten überführt werden möchte.

Tages darauf reisete die Herzogin nach T., da unterwegs Elbenstein, weil die Fräulein von Z. sich zur Herzogin in die Kutsche setzen müssen, mit der angenehmen Fräulein von R. vertraulich zu sprechen und sich in Küssen zu ergötzen die schönste Gelegenheit hatte. Mit solchen Beschäftigungen ward die Zeit auf beiden Seiten höchst vergnügt zugebracht, welches Vergnügen bei Erblickung der Stadt T. zwar auf kurze Zeit unterbrochen wurde; doch hatten sie den Trost und Hoffnung, bald wiederum Gelegenheit zu finden, ihr Liebesspiel ungehindert fortzusetzen, weswegen sie beiderseits ein munteres und lustiges Wesen an sich nahmen, mithin außer dem Verdachte blieben, daß sie genauer miteinander bekannt wären.

Bei solchen wollüstigen Ausschweifungen gedachte Elbenstein wenig oder gar nicht an seine getreue und von der Sehnsucht gequälte Fräul. von L., traf also das Sprichwort: Aus den Augen, aus dem Sinne, bei ihm am ersten und besten ein.

Allein nunmehro konnte die Gerechtigkeit des Himmels dieses unbeständigen Wetterhahns strafbare Untreue und Unbeständigkeit nicht länger ungestraft lassen, dahero schickte sie ihm ein und andere Unglücksfälle[389] zu, worunter auch dieser mit begriffen war: daß ihm sein bestes Pferd, so 150 Reichstaler gekostet, jählings umfiel. Dieser und andere dergleichen Unglücksfälle waren sozusagen nur die Vorläufer weit größerer und härterer Züchtigungen, die ihm sein Gewissen als wohlverdiente Strafen nunmehro zu erkennen gab. Die tägliche Konversation aber mit der charmanten Gratiana und die tendren Karessen, so er täglich von der liebenswürdigen Fräulein von R. genoß, benebelten gleichsam seinen Verstand und gesunde Vernunft, so daß er seine Buhlschaftssünden und Verbrechen nicht eher bereuete und erkannte, bis die Unglückswetter ihn sozusagen auf allen Seiten bestürmeten. Denn als die Fräulein von R. sich endlich überzeugt sahe, daß ihre auf eine ehrliche Verbindung abzielende Liebe und Treue bloß mit einer schnöden Löffelei belohnet werden sollte und sie nur immer von einer Zeit zur andern bei der Nase herumgeführet wurde, auch Wind bekam, daß Elbenstein mit Gratianen, als seiner Wirtin Tochter, ebenso vertraut, ja wohl noch vertrauter und verliebter als mit ihr umginge, ließ sie sich das darüber empfundene Betrübnis und Kummer dergestalt einnehmen, daß jedermann und sonderlich die Herzogin ihre Gemütskrankheit gar leicht wahrnehmen und erkennen konnte. Weiln nun die Herzogin dieses artige Fräulein wegen ihrer besondern Qualitäten und trefflichen Verstandes sonderlich werthielt, als melierte sie sich, nachdem sie das zwischen der Fräul. von R. und Elbensteinen angesponnene Liebeskommerzium in Erfahrung gebracht, selbsten in diese Affäre und bemühete sich, diese beiden Personen durch das Band der Ehe zu vereinigen, dahero sie eines Tages, als sie sich auf ihrem Leibgedinge zu W. im Garten divertierte, Elbensteinen in besonders gnädigen Terminis zu verstehen gab, wie es ihr nicht mißfällig sein würde, wenn er sich mit ihrer Kammerfräul. der von R. in ein ehrliches Verbindnis einließe, indem sie angemerkt, daß beide einander wohl leiden möchten;[390] worbei sich die durchl. Herzogin ferner erklärete, alles, was zu beiderseits Vergnügen und Wohlsein gereichen könnte, gnädig beizutragen, und wollte sie ihm hiermit nebst der Amtshauptmannsstelle zu S. auch die Oberhofmeister-Charge versprochen haben, weil ihr bisheriger Oberhofmeister bei ihrem Herrn Vater Kammerpräsident werden sollte. Sie, die noch jetzige Fräul. von R., sollte bei ihren Prinzessinnen Hofmeisterin sein und beiderseits ihre Wohnung auf dem Schlosse haben.

Elbenstein wurde nicht wenig über den freien An-und Vortrag der Fürstin bestürzt, und weil die seiner getreuen L. geschworne Treue, welche bishero eine Zeitlang durch eine tadelhafte und strafwürdige Liebe ins Exilium vertrieben gewesen, bei dieser Begebenheit plötzlich zurückkam, so konnte er seiner (ausgenommen in Liebeshändeln) beiwohnenden Redlich-und Aufrichtigkeit nach nicht anders, als der Herzogin offenherzig und aufrichtig bekennen, wie daß er schon seit zweien Jahren her sein Herz und Treue der Baronne von L. verpflichtet hätte, dannenhero er herzlich bedauerte, daß er dieses sonderbaren Glücks und hoher Gnade nicht fähig sein könnte. Hierbei dankte er Ihro Hochfürstl. Durchl. vor die gnädige Vorsorge ganz untertänigst, bat anbei, dieses sein freies Bekenntnis nicht in Ungnaden zu vermerken, sondern fernerweit seine gnädige Herzogin zu verbleiben.

Die Herzogin wurde durch Elbensteins Antwort, welche ihr so unvermutet kam, ungemein verbittert, sie sahe ihn mit einem ernsthaften Blicke an und sagte: »So sollte man auch ehrlicher Leute Kinder nicht so leichtfertigerweise mit allerhand Schmeicheleien bei der Nase herumführen und ihnen vergebliche Hoffnung machen.« Hiermit wendete sich die Herzogin von ihm hinweg, ging in ein Gartenhaus, worinnen sich die Fräul. von R. befand, und schloß die Tür hinter sich zu. Bei so gestalten Sachen merkte Elbenstein gar leicht, daß sich sein Glücksrad bald verdrehen und[391] sein Wohlstand sich zu Grunde neigen würde. Da es nun heißet:


Nulla calamitas sola,

Kein Unglück kömmt allein,

Es will begleitet sein,


also erfolgte den andern Tag darauf eine neue Widerwärtigkeit. Es hatte nehmlich der Fräul. von R. älteste Schwester sich mit dem Forstmeister B. ehrlich versprochen. Dieser nahm teil an der Beschimpfung, so Elbenstein der Schwester seiner Liebsten erwiesen, suchte derowegen auf alle Art und Weise Gelegenheit, sich an ihm zu reiben. Er fand dieselbe endlich und schalt Elbensteinen in Gegenwart des Erbprinzens und der andern Kavaliers vor einen nichtswürdigen Kerl, welcher Affront Elbensteinen dermaßen aus aller Contenance brachte, daß er des Respekts gegen Ihro Durchl. vergaß und in dero Zimmer dem von B. eine solche derbe Maulschelle gab, daß er sich um und um drehete. Da nun solchergestalt alle beide sich gewaltig vergangen und zugleich den Burgfrieden violiert hatten, so wurde einem jeden in seinem Quartiere eine Soldatenwacht gesetzt.

Elbenstein vertrieb seine Zeit mit Büchern und der Poesie, unter andern machte er damals folgende


Aria:


1


Ach schmerzliches Lieben und flüchtiges Glücke!

Ihr seid es, die mich jetzt so kirre gemacht.

Im Anfang gabt ihr mir sehr liebliche Blicke,

Nun werd ich von beiden so schnöde veracht.

Ach! Liebe und Glücke, wie steckt ihr voll Tücke?

Ihr habt mich, ach leider! zu Falle gebracht.


2


Ach Stunden! wo seid ihr? ja leider! verschwunden,

Allwo ich in einem recht englischen Schoß

Sehr öfters so süßes Entzücken gefunden,

Indem mich der Himmel der Wollust umschloß,[392]

Da mich der Cupido so lange gebunden,

Bis daß mir vor Anmut die Seele entfloß.


3


Was ganz vor unmöglich sonst wurde betrachtet,

Das ward mir durch Hülfe der Liebe ganz leicht,

Worüber ein Herkules wäre verschmachtet,

Das hab ich durch Hülfe des Glückes erreicht.

Ach! aber nun werd ich von beiden verachtet;

Drum schaut doch! wie Liebe und Glücke betreugt.


Mittlerweile wurden sowohl Elbenstein als B. jeder von seiner Charge auf sechs Wochen suspendiert. Weil aber B. gleich acht Tage darauf wieder nach Hofe kommen und seine Funktion verrichten durfte, Elbensteinen hingegen dergleichen nicht widerfuhr, so entschloß er sich, nachdem er erstlich mit dem von B. als seinem Kontrapart seine Sache durch ein ordentliches Duell auf der W.-Grenze ausgemacht, seine Dimission an selbigem Hofe zu fordern, indem er deutlich spüren konnte, daß sich die durchl. Herzogin ganz kaltsinnig und ernsthaft, kurz zu sagen, ungnädig gegen ihn erzeigte. Es kam ihn bei so gestalten Sachen die Lust an, mit obgedachten durchl. Erbprinzen, bei welchem er wegen des vor seine hohe Person nicht beobachteten Respekts untertänigst depreziert und Pardon erhalten hatte, mit in die Kampagne nach Brabant zu gehen.

Die ohne einzige Diffikultät darzu erhaltene Einwilligung gab ihm sattsam zu verstehen, daß man ihn gerne los sein wollte, worüber er sich aber als ein Fladdergeist wenigen Kummer machte, indem er einen wohlgespickten Beutel und standesmäßige Equipage hatte, über dieses wußte, daß er sich von dem variablen Gemüte dieser Fürstin niemals weder beständige Gnade noch Dienste versprechen könnte, da dieselbe mit ihren Bedienten gar zu öfters zu changieren gewohnt war und diejenigen, denen sie wenig Stunden vorher alle Gnadenzeichen erkennen lassen, wegen Klatscherei[393] einer geringen Waschmagd oder einer verlogenen Kammerfrau und anderer dergleichen Postenträger und Beiläufer sogleich auf den Platz mit dem Abschiede zu regalieren pflegte.

Ein französischer Refugié, welcher an diesem Hofe in Diensten stund, schrieb dieses Sentiment an einen seiner guten Freunde in französischer Sprache, welches man aber nur ins Deutsche vertiert anhero setzen will:

›Übrigens lebt man allhier in kontinuierlicher Unruhe, und wie die Sonne selbsten ihre Gebrechen und Flecken hat, also mögen hohe Personen eben nicht gerühmet werden, als wenn sie eine unvergleichliche Vollkommenheit besäßen. Man gibt der Canaille gar zuviel Gehör und glaubt einer klatschhaften Kammerfrau oder andern lüderlichen Dirne alles, was sie sagen, welche doch nicht wert sind, von so hohen Standespersonen angesehen zu werden. Bisweilen ist man gar zu leichtgläubig und bisweilen gar zu argwöhnisch. Man liebt die Neuerung und vergisset leichtlich der guten und getreuen Dienste. Der Geistlichkeit läßt man, ich weiß nicht aus was vor Ursachen, gar zu sehr den Zügel schießen, welches ein erschreckliches Unheil verursachet. Schlüßlich will man vor sehr gerecht gehalten und ästimiert sein, ohne denen, die es bedürfen, Recht widerfahren zu lassen‹ etc.

Demnach reisete Elbenstein ganz getrost und vergnügt von diesem Hofe ab, indem er ein solches Humeur hatte, das sich bald fassen konnte, er ließ sich auch der Fräul. von R. Tränen und kläglich Tun um soviel weniger zu Herzen gehen, je mehr sie an der von der Herzogin auf ihn geworfenen Ungnade teilhatte, und zwar durch ihre unbedachtsame Offenherzigkeit und unzeitiges Verlangen, Elbensteinen in das Garn des Ehestandes zu ziehen. Die angenehme Gratiana aber verließ er nicht ohne Wehmut und schrieb derselben zu guter Letzt unter tausend Küssen in ihr Liederbuch folgende
[394]

Aria:


1


Vergiß mein nicht! mein holdes Tausendschön,

Dies will ich dir zum Angedenken schenken.

Mein Schicksal heißt mich ferne von dir gehn,

Es ist umsonst, den strengen Schluß zu lenken,

Es muß so sein, drum bitt ich dich, mein Licht,

Vergiß mein nicht.


2


Vergiß mein nicht! mein Tausendschön, mein Licht!

Vergiß mein nicht! Magneten ziehn das Eisen.

Vergiß mein nicht! Ach ja! Vergiß mein nicht,

Vergiß mein nicht! muß ich gleich von dir reisen;

Vergiß mein nicht, mein Tausendschön, mein Licht!

Vergiß mein nicht.


Die artige Gratiana war in ihrer Liebe so bescheiden, klug und heimlich gewesen und hatte diejenigen freien Handlungen, so zwischen ihr und Elbenstein bei Nachte vorgegangen, dergestalt geschicklich verborgen, daß zwar jedermann ihrer Schönheit wegen glauben konnte, daß dieser Kavalier ein Auge auf sie hätte, durch ihre Modestie aber von allen wollüstigen Ansinnen zurückgehalten wurde, derowegen bliebe sie bei den allermeisten Leuten in besondern Kredite, als ob sie zwar höflich und freundlich mit Mannespersonen umgehen könnte, darbei aber ihre Ehre zu konservieren wüßte. Allein, wie der äußerliche Schein gemeiniglich zu betrügen pflegt, so war es auch hier mit der Gratiana beschaffen. Unterdessen setzte ihr Elbenstein noch folgende Reimzeilen zum Angedenken auf:


1


Mein Schicksal, dem ich nicht kann widerstreben,

Heißt mich im Lieben heimlich sein,

Drum geb ich mich geduldig drein,

Gewohnheit lehrt auch Sklaven ruhig leben.[395]

Mein Engel weiß, ob gleich der Mund nicht ächzet,

Daß bloß nach ihm mein brennend Herze lechzet.


2


Verhöhl' ich gleich die rosensüße Lüste,

Die deine Anmut auf mich streut,

Mit strenger Eingezogenheit,

Und tu ich, als ob ich von dir nichts wüßte,

So muß mein Mund jedoch ganz heimlich sagen:

Wer also liebt, ist würklich zu beklagen.


Der durchl. Prinz nebst dero bei sich habenden Suite, nachdem sie ihren Weg über Rotenburg an der Fulda, Hilgershausen, Gutensberg, Fritzlar, Wildungen, Frankenberg, Hatzfeld, Badenbruck, Hilgebach, Ehrensdorf, Römershagen, Ruhmburg, Cranecht, Köln, Bergen, Jülich, Ma[a]strich[t] und Löwen genommen, gelangete den 10. Jul. gesund und glücklich in Brüssel an und begaben sich, nachdem sie vier Tage daselbst ausgeruhet, in das nicht weit davon befindliche Campement der holländischen und anderer Auxiliairtruppen.

Eines Tages, als Elbenstein alleine in seinem Zelte war und über seine seithero gehabten wunderlichen Zufälle und Fatalitäten allerhand Grillen gemacht hatte, zeichnete er endlich diese Verse in seine Schreibtafel:


1


Wenn langt einmal aus denen Unglückswellen

Mein Herz am Port der Freuden an?

Wenn kommt es denn nach vielen Trauerfällen

Ganz sorgenfrei auf die Vergnügungsbahn?

Das Glücke hat mit mir den Ball gespielet,

So daß mein Herz noch dessen Schläge fühlet.


2


Ich walle rum in der verhaßten Ferne,

Unglück hat mich zum Pilgerim gemacht.

Ich sehe nicht die Sonne, Mond und Sterne,[396]

Drum seufzt mein Mund, der sonsten nur gelacht.

Mein Zeitvertreib ist bloß ein stilles Klagen,

Mein Körper ist ein Träger aller Plagen.


3


Ich schreibe zwar auf meinen magern Wangen

Mit Tränenflut mein Leiden täglich auf;

Und ist schon oft ein schöner Tag vergangen,

So endet sich doch nicht mein Unglückslauf.

Tag, Zeit und Jahr muß zwar sein Ende finden,

Mein Trauren will jedennoch nicht verschwinden.


4


Jedoch ich will nichts mehr von Trauren sagen,

Mein Wort erstirbt. Ach stürb ich selber mit!

So dürft ich hier nicht ferner ängstlich klagen,

Ich täte gern ins Grab den letzten Schritt,

So stillte sich mein jammervolles Girren,

Ich dürfte nicht in finstern Wäldern irren.


Es ist wahr, Elbenstein befand sich um selbige Zeit sehr niedergeschlagen und mißvergnügt, indem sein Naturell nicht sonderlich zum Soldatenleben inklinierte, allein er wurde bald anderes und lustigern Sinnes, denn eines Tages, da ein gewisser Obrister namens S. in seinem Zelte etliche Staats- und Oberoffiziers traktierte, Elbenstein aber eben von ferne vorbeiging, kam der Obriste S. selbst aus seinem Zelte heraus auf ihn zugegangen und sagte: »Monsieur! ich habe mir alleweile sagen lassen, daß ich in Ihrer Person den Herrn von Elbenstein sähe, welcher sich eine gute Zeit in Italien und andern fürstlichen Höfen aufgehalten. Wollen Sie mir derowegen die Gefälligkeit erweisen und um fernerer Bekanntschaft willen meine Compagnie, so ich bei mir habe, verstärken, so wird es mir zum besondern Plaisir gereichen.« Elbenstein, welchen diesen Obristen schon kennenlernen, jedoch noch niemals mit ihm gesprochen hatte, machte anfänglich verschiedene Exquisen, wessentwegen er sich nicht im[397] Stande befände, vor dieses Mal bei einer solchen vornehmen Compagnie zu erscheinen, allein der Obriste S., welches ein redlicher Deutscher war, ließ mit Nötigen nicht nach, nahm ihn auch selbst bei der Hand und führete ihn in sein Zelt. Es befanden sich noch zwei Obristen, ein Obristlieutnant, zwei Majors drei Capitains und noch andere Offiziers darinnen, von welchen allen, sowohl hohen als geringern, er aufs allerhöflichste bewillkommet wurde. Die Weingläser gingen stark herum, und hierbei war sonsten nichts aufgesetzt als eine Schale voll Biskuit. Elbenstein zeigte sich dergestalt, daß ein jeder darvor halten konnte, wie er als ein Kavalier zu leben wüßte, weswegen alle Anwesende einen besondern Estim vor ihn darlegten. Nach verschiedenen Gesprächen sagte endlich der Obriste S.: »Monsieur, unser Zeitvertreib bei müßigen Stunden allhier ist dieser, daß, wenn wir beisammen sind, einander curieuse Geschichte erzählen. Wie ich nun nicht zweifele, Sie werden in Italien viele dergleichen aufgemerkt haben, als will ich nicht allein vor mich, sondern im Namen der sämtlichen Compagnie freundlich gebeten haben, uns mit ein oder anderer Historie zu divertieren, sonderlich von dem verliebten Frauenzimmer und von der unbändigen Jalousie der Männer, sonderlich was sich zu Ihrer Zeit in diesen Stücken zugetragen.«

Elbenstein, der sich auf einmal ganz aufgeweckt befand, tat gar nicht blöde, sondern versprach, dem Herrn Obristen Gehorsam zu leisten, fing demnach an, nicht allein seine eigene Begebenheiten (wiewohl unter verdeckten Namen), sondern auch andere Geschichte, die zu seiner Zeit in Italien passieret waren, zu erzählen, welche die sämtliche Compagnie mit besondern Vergnügen bis nach Mitternacht anhörete, ja sie wären ohnfehlbar vor Tages nicht auseinander gegangen, wenn nicht die meisten mit früher Tageszeit hätten auf dem Platze sein müssen.

Mittlerweile hatte sich Elbenstein hierdurch bei allen[398] insgesamt ungemein rekommendiert. Der Obriste K., welches ein ungemein artiger Mann war, nahm ihn bei der Hand und sagte: »Mein Herr von Elbenstein, Sie haben mir durch Ihre Erzählung heute viel Vergnügen verursacht, auf morgen nachmittags ohngefähr drei Uhr will ich Sie benebst dieser ganzen löbl. Compagnie in mein Zelt auf ein Glas Wein gebeten haben, da will ich Ihnen gewiß auch eine artige Geschicht erzählen, die mir in neulichen Zeiten nicht beigefallen ist.« Wie nun die andern sich um bestimmte Zeit einzustellen versprochen hatten, so versprach auch Elbenstein dem Herrn Obristen seinen gehorsamen Reverenz zu machen; mithin nahmen alle voneinander Abschied. Elbenstein begab sich nach seinem Zelte und schlief um ein gut Teil ruhiger als bishero. Des andern Tages, und zwar nachmittags um drei Uhr, kleidete er sich proprer an als gestrigen und spazierte gegen vier Uhr auf des Obristen von K. Zelt zu. Dieser kam ihm sogleich mit der größten Complaisance entgegen, führete ihn hinein, da denn, obgleich nicht alle Personen, so gestern zugegen gewesen, doch fast alle Stühle um die Tafel herum besetzt waren.

Nachdem die Gesundheiten herum getrunken, wurde der Obriste K. erinnert, sein gestriges Versprechen zu halten und die artige Geschicht zu erzählen. Er war sogleich bereit darzu und fing also an:

»Vor wenig Jahren hatte ich einen gemeinen Reuter unter meinem Regimente, dessen Frau sehr wohlgebildet war, so, daß sie meritiert hätte, einen Mann von höhern Stande zu haben, denn nicht allein ihre Schönheit, sondern auch ihr Verstand und Geschicklichkeit distinguierten sie vor allen andern, und wenn es wahr ist, daß sie ihrem Manne allein Farbe gehalten, wie ihr denn jedermann Zeugnis gab, so ist es gewiß von einer Soldatenfrau etwas Rares. In diese verliebte ein gewisser Edelmann dasiges Orts namens W., welcher jedoch schon Frau und Kinder hatte; und unter dem Vorwande, daß er ihr eine scharlachene Chabraque[399] zu stücken geben wollte, lockte er sie einsmals, da seine Frau abwesend war, in sein Haus, allwo er mit Darlegung einiger Stück Dukaten sie zu seinen Willen zu bereden sucht. Da aber weder mit guten Worten noch mit Geschenken etwas von ihr zu erhalten, will er Gewalt brauchen. Die Frau aber ist resolut, lauft an ein Fenster des Zimmers, welches auf die Gasse hinaus gehet, drohet um Hülfe zu schreien, ergreift auch ein Messer, ihre Ehre damit zu defendieren. Derowegen wird der wollüstige Buhler verzagt, spricht sie zu Frieden, reicht ihr sechs Stück Dukaten und bittet um aller Heiligen willen, daß sie nur niemanden etwas von dieser Rencontre sagen sollte. Madine, so will ich die Frau nennen, verspricht zwar dieses Mal zu schweigen, verlangt aber weder das Gold noch die Chabraque, so er ihr zu stücken mitgeben will, anzunehmen, sondern gehet in größter Rage von ihm.

Sobald sie nach Hause kömmt, erzählet sie ihrem Manne den ganzen Handel, der zwar ihre Treue lobet, ihre Einfalt aber wegen Verschmähung der Dukaten und des guten Stücks Arbeit sonderlich tadelt. Madine lag mit ihrem Manne in der Vorstadt, und zwar in einem Weinhause im Quartiere, derowegen kömmt der Herr von W. wenige Tage darauf hinein und lasset sich eine Kanne Wein geben. Weiln auch Madinens Mann eben nicht zu Hause ist, nimmt er Gelegenheit, mit ihr zu sprechen, und bittet inständig, ihm doch die Gefälligkeit zu erweisen und die Chabraque zu verfertigen, weil er wüßte, daß niemand die Arbeit besser machen könnte als sie, erbietet sich auch, darvor zu bezahlen, was sie nur verlangen wollte. Madine erlaubt ihm endlich, ihr die Chabraque durch seinen Diener zuzuschicken, worauf er ihr sechs Dukaten zu Gold- und Silberfaden gibt und darbei verspricht, ihre Arbeit à parte zu bezahlen; ferner bittet er sich aus, daß er öfters zu ihr kommen und ihrer schönen Arbeit zusehen dürfte. Da ihm nun Madine dieses mit[400] verstellten liebreichen Gebärden erlaubt, wird er etwas dreuster und fängt an, ihr seine heftige Liebesleidenschaft aufs neue zu offenbaren. Da sie nun auch dieses ganz gelassen anhöret und sich ein wenig freundlicher gegen ihn anstellet, fragt er, warum sie denn neulichst so eigensinnig gegen ihn gewesen und sich seiner sogar mit dem Messer erwehren wollen. Hierauf gibt sie zur Antwort, sie würde sich ja nimmermehr so dreuste machen und in einem frembden Hause dergleichen Dinge vornehmen, da so leicht seine Frau als jemand anders darzukommen können. Allein er versichert, daß sie sich dieserwegen nichts zu befürchten habe, und bittet um eine nochmalige Visite, weil aber Madine sich hierzu nicht verstehen will, bittet er, sie möchte doch selbst einen Ort vorschlagen, der sich zu einem verliebten Rendezvous schickte. Madine aber bleibt bei der Antwort, es wäre besser, man ließe solche gefährliche Händel gar unterwegens. Mit solchem Bescheide muß er vor dasmal zufrieden sein, jedoch weil ihre verstellten verliebten Gebärden und Karessen ihn betrügen, gehet er das erstemal mit der größten Hoffnung, sie durch gute Worte und Geschenke mit der Zeit noch zu gewinnen, ganz vergnügt von ihr.

Folgende Tage, da sie die Chabraque in der Arbeit hat, ist er fast täglich auf etliche Stunden bei ihr eingesprochen, und weiln ihr Mann dann und wann zu Hause gewesen, macht er vermittelst einiger Kannen Wein und anderer Delikatessen mit demselben die vertrauteste Freundschaft. Dieser Reuter, welcher ein durchtriebener Vogel war, lasset sich dieserwegen die vorgesetzte Rache wegen des versuchten Hörner-Aufsetzens gar nicht vergehen, wird hergegen desto erbitterter gegen seinen Herrn Schwager Ungewiß, zumalen da ihm seine Frau des von W. verliebte Gespräche täglich wiedererzählt und die kostbarn Geschenke zeiget, welche sie gemeiniglich recht mit Zwange angenommen oder sich zum wenigsten so zu stellen gewußt.[401]

Solchergestalt wird der von W. von einem Tage zum andern von ihr bei der Nase herumgeführet, einmal macht sie ihm verblümterweise Hoffnung zu der verlangten letzten Gunst, ein andermal aber stellet sie sich wieder gewissenhaft und rappelköpfisch, daß der von W. teils vor Liebe, teils vor Verdruß hätte bersten mögen. Die rote Chabraque wird fertig, worauf er ihr nebst raisonnabler Bezahlung noch verschiedene andere Sachen zu stücken gibt, jedennoch will sich das eigensinnige Weib noch nicht nach seinem Willen bequemen. Derowegen, als er bedenkt, daß diese Sirene bereits über 100 spec. Dukaten von ihm gezogen und vielleicht nur aus bloßer Blödigkeit und Scham sich seinem Begehren widersetze, greift er das Werk anders an, gibt Madinen ihrer Wirtin ein Stück Geld, womit er sie zur Verschwiegenheit bringet und von ihr verlanget, daß, da sie im Kuppeln sehr berühmt, ihn bei nächtlicher Weile in Madinens Kammer zu verhelfen, sobald ihr Mann nebst seinem Kameraden, dem andern Reuter, auf die Wacht oder sonst auskommandiert wäre. Madine behorcht beide, läßt sich aber gegen ihre Wirtin ganz im geringsten nichts merken, vertrauet es hergegen ihrem Manne, welcher ihr befiehlt, dem von W. nur aufs allerfreundlichste zu begegnen, damit er den Possen nicht merke, inzwischen wollte er schon einen Streich ersinnen, wie er diesen Vogel ganzbeinigt fangen könne.

Indem es nun diesem Schalke an lustigen Einfällen nicht ermangelte, als erfindet und bewerkstelligt er folgenden Fang: Die Kammer, worinnen er und seine Frau liegen, ist gerade über einer andern großen Kammer, welche über vier Ellen hoch mit Häckerling an gefüllet ist; aus seiner Kammer aber gehet eine Falltüre herunter in die unterste Kammer, von welcher der lose Vogel die Türbänder abreißet und die Türe also befestiget, daß sie beim Aufmachen in die unterste Kammer zurück fällt, jedoch an der Decke behangen bleibt; über diese Türe setzt er sein Bette ohne Boden,[402] säget auch dessen Füße ab, daß es fein niedrig stehet, und füllet es wohl mit kleingehackten Heu aus, hinter dem Bette macht er noch eine Bucht, worinnen eine Person sehr genau liegen kann, daß es also scheinet, als ob es ein einziges breites Bette wäre. Hierauf unterrichtete er seine Frau, wie sie sich in allen Stücken zu verhalten habe, bestellet einen seiner Kameraden, welcher ihn anstatt des Korporals pro forma, und zwar in Gegenwart der Wirtin, auf ein drei Meilen von der Stadt gelegenes Dorf kommandieren muß, um daselbst etliche Tage als Salva guarde stehen zu bleiben.

Beide im Quartier liegende lose Vögel donnern, blitzen und hageln, daß sie niemals rechte Ruh haben könnten, setzen sich aber zu Pferde und reiten fort, jedoch nicht weiter bis in eine andere Vorstadt, da sie ihre Pferde bei guten Kameraden einstellen, sich mit ihnen lustig machen und mit Verlangen auf die hereinbrechende Nacht warten.

Mittlerweile, da beide Reuter kaum vom Hause hinweg sind, läuft die alte Kupplerin augenblicklich fort, dem Herrn von W. eine fröhliche Zeitung zu bringen und sich ein gut Trinkgeld zu verdienen. Dieser kömmt selbigen Nachmittag nicht zu Madinen, da es aber Abend worden, stellet er sich ein und verlangt, folgende Nacht ihr Beischläfer zu sein. Diese will sich anfänglich hierzu nicht verstehen, doch da der von W. sagt: ›Wie aber, wenn ich Sie, mein schönes Weibgen, einmal heimlich beschleichen könnte?‹, gibt sie ihm nebst einer verliebten Miene einen sanften Backenstreich und bittet, er möchte sie doch verschonen, indem ihr Mann gar zu schlimm wäre, und wenn er das Geringste hiervon erführe, würde er sie und ihn ohnfehlbar erschießen. Hierauf gehet sie von ihm zur Tür hinaus, um zu sehen, ob sich ihr Mann abgeredtermaßen schon heimlich hereingeschlichen hätte. Wie nun dieser nebst dreien seiner Kameraden sich schon an denjenigen Ort versteckt hatte, wo er auf gegebenes[403] Zeichen von seiner Frauen den Riegel an der Falltüre aufziehen konnte, so begab sich Madine, als sie dessen vergewissert war, wieder hinein in die Stube, begegnete dem von W. sehr freundlich, weiln aber sonsten noch verschiedene Weingäste anwesend, gab sie vor, daß sie unter diesem Schwarme nicht bleiben könne, sondern sich zu Bette verfügen wolle, nahm derowegen sowohl bei dem von W. als bei der Wirtin gute Nacht und legte sich, jedoch in Kleidern, ordentlich zu Bette, und zwar in die vorbesagte, hinter dem Bette gemachte Bucht. Etwa zwei Stunden hernach, da alle andern Gäste hinweggegangen und der von W. vermeinet, Madine solle nunmehro wohl im besten Schlafe sein, lässet er sich von der Wirtin hinaufleuchten, öffnet die Tür mit einem Nachschlüssel, den ihm die Wirtin prokurieret hatte, kleidet sich aus bis aufs Hembde und legt sich mit zitterender Freude zu Madinen ins Bette. Diese stellete sich, als ob sie jählings erwachte, schrie also: ›Holla! Wer ist da?‹ ›Stille, mein Engel‹, gab der von W. sachte zur Antwort, ›ich gebe Euch vor diese erste Visite zehn Dukaten.‹ Indem er sich ihr nun nähern wollte, stieß sie mit dem Fuße eine zurechtgelegte etliche Pfund schwere eiserne Kugel auf den Boden herunter, welche mit ihrem Gepoltere die Losung gab. Im selbigen Augenblicke wurde der Riegel an der Falltüre aufgezogen, da denn der Herr von W. in den Häckerling herunterstürzte und bis an die Schultern darinnen versank. Madine stellete sich erschrocken, rief ihm zu, er solle nur die Arme in die Höhe recken, sie wolle ihm ein Seil hinunterlassen und alle Kräfte dran strecken, ihn heraufzuziehen, damit er nicht etwa erstickte, denn er selbst habe es versehen und den Riegel aufgestoßen. Unter der Zeit aber kam ihr Mann mit seinen Kameraden zur Kammer hineingeschlichen, warf dem guten Hrn. Schwager ein Seil hinunter, sobald aber die losen Vögel des armen Sünders Hände im Hinaufziehen erreichen können, schlingen sie einen Strick darum, machen denselben[404] oben feste und lassen den unglückseligen Venusritter so lange in der Luft schweben, bis der helle Tag anbricht; doch dieses war noch nicht genung, sondern diese vier Saufbrüder zechten die ganze Nacht hindurch und ließ immer einer nach dem andern sein Wasser auf des Hrn. von W. Kopf laufen. Dieser bat um aller heil. Märterer willen, man möchte ihn los und in der Stille nach Hause gehen lassen, so wolle er 200 sp. Dukaten zahlen. Die Frau und die andern Reuter baten selbst vor ihn, allein der erzürnte Ehemann ließ sich durchaus nicht erbitten, sondern sobald es helle geworden, ging er hinunter in die Häckerlingskammer, legte ein Brett über eine Leiter, risse dem in der Luft verarrestierten Herrn von W. das Hembde vom Leibe und peitschete mehr als 50 Spitzruten an ihm entzwei. Da nun über des von W. Zetergeschrei viele Leute vor das annoch verschlossene Haus gelaufen kommen, höret er endlich auf, den armen Herrn Schwager zu peinigen, stößet ihn nackend und bloß zum Hause hinaus und ruft hinterdrein: ›Lauft zu, ihr Leute! so muß man die Edelleute striegeln, die eine ehrliche Frau zur Hure und einen tapfern Reuter zum Hahnrei machen wollen.‹

So wurde mir«, sagte hier der Obriste von K., »die ganze Species facti von dem Reuter und seiner Frau erzählet, worbei sie bekannten, daß sie 50 Stück spec. Dukaten, etliche Taler Silbergeld, eine englische goldene Uhr, eine silberne Tabatière, einen goldenen, mit Diamanten besetzten Petschaftring und andere Kleinigkeiten mehr bei ihm und in seinen Kleidern gefunden. Ich ließ auf Befehl des Herrn Gen. Lieutn. von N. diesen Reuter nebst seiner Frau und den darbeigewesenen Kameraden alsofort arretieren und die erbeuteten Sachen in mein Quartier bringen. Es entstunde hierüber ein starker Streit, denn der Generalauditeur wollte behaupten, man könnte den ohnedem genungsam kastigierten und prostituierten Venusritter nicht mit gedoppelten Ruten peitschen, unterstunde[405] sich auch, aus den Rechten darzutun, daß, weiln der Reuter die Selbstrache ausgeübt, er die eroberten Sachen wieder herausgeben und selbige dem Eigener zustellen müsse, wann er aber die Selbstrache unterlassen und den Edelmann ohne Kastigation und Prostitution fortgeschickt, hätte er unter der Hand alle diese Sachen wohl behalten können.

Allein ich nahm mich meines Reuters an und schützte vor, es wäre keine geringe Verwegenheit, einen rechtschaffenen Soldaten suchen zum Hahnrei zu machen, es könne auch dergleichen Frevel nicht gnugsam bestraft werden. Wenn mir dergleichen Streich passierte, würde ich mich schwerlich enthalten können, einem solchen ungebetenen Gaste eine Kugel oder den Degen durch den Leib zu jagen. Was nun Ehestandsaffären anbeträfe, darinnen hätte ein gemeiner Reuter soviel Recht als ein Ober- oder Stabsoffizier etc., derowegen wollte ich meinen Reuter bei seiner gemachten Beute so lange schützen, bis sein Kontrapart die Sache höheres Orts suchte und ausmachte. Allein dieser machte sich bald hernach unsichtbar, mein Reuter aber wurde wenig Tage darauf seines Arrests entlassen und behielt, was er hatte.«

»Meines Erachtens«, sagte hierauf ein gewisser Major, »wäre es unbillig gewesen, wenn man des Reuters Verfahren nicht in allen Stücken approbiert und ihm die erbeuteten Sachen nicht vor seinen gehabten Chagrin zur Rekreation überlassen hätte, in Betrachtung, daß selbige Nation, wo dieser mir schon bekannte Streich passiert ist, mit unsern Landsleuten weit barbarischer umzugehen pflegt. Wie ich denn ein gräßliches Exempel weiß, das eben im selbigen Jahre sich zugetragen.«

Die ganze Compagnie bat den Herrn Major, selbiges zu erzählen, und selbiger erzeigte sich seiner complaisanten Art nach hierzu gefällig, fing derowegen also zu reden an: »In N. befand sich eine gewisse vornehme Dame, welche man dem Liebesappetite nach[406] mit Recht unter die unersättlichen rechnen konnte. Diese warf ihre Augen auf einen Fähndrich von meiner Compagnie, den ich nur mit dem Buchstaben F. bezeichnen oder benennen will. Er sahe nicht häßlich von Gesichte und hatte eine vortreffliche große und lange Nase, woraus sie als eine wollüstige Dame vielleicht sonst einen guten Schluß gemacht. Vor seine Person war dieser F. sonsten ein sehr stiller, mehr melancholischer als lustiger Mensch, verrichtete seine Dienste akkurat, liebte weder Spiel noch Trunk und dem Ansehen nach das Frauenzimmer am allerwenigsten.

Corvenia, so will ich die Dame nennen, hatte diesen Fähndrich kaum in die Augen gefasset, als sie ihn durch ein altes Weib und eigenhändige vertrauliche Briefe die auf ihn geworfene Liebe anzeigt und inständig bittet, sich mit ihr in nähere Vertraulichkeit einzulassen; allein dieser Eigensinnige trägt Bedenken, sich in einen solchen gefährlichen Handel einzulassen, gibt sich derowegen nicht einmal die Mühe, diese Dame kennenzulernen, viel weniger, auf ihre Schreiben zu antworten, ohngeacht sie ihm eine namhafte Geldsumma versprochen, wann er ihr zu demjenigen verhelfen könnte, worzu ihr Mann sich seit länger als acht Jahren her incapable befunden hatte.

Hierauf begab sich's, daß, da er bloß mit seinem Knechte ein kleines Haus bewohnete, ihm in einer Nacht fast alles, sein Geld, Kleider und die meisten Meubles gestohlen wurden, so daß er so lange im Bette bleiben muß, bis ihm andere Offiziers notdürftige Kleidung nebst etwas Gelde vorschießen; über alles dieses aber haben die schelmischen Diebe seine im Stalle stehende drei Reitpferde mit Dolchen erstochen. Demnach sahe sich F. in einem sehr miserablen und bedürftigen Zustande, jedoch, da gleich des andern Tages Corvenia, deren Haus von hinten zu an das seinige stieß, ihm wegen seines Verlusts ein Kondolenzschreiben zuschickte, anbei ersuchte, ihr nur eine einzige Visite zu geben, wofür sie ihm seinen erlittenen[407] Schaden gedoppelt ersetzen wollte, konnte dieser eigensinnige Kopf dennoch nicht resolvieren, dergleichen Vokation Gehorsam zu leisten, sondern gab dem abgeschickten Weibe zu Antwort: ›Ei was!‹ Er als ein Kavalier könnte doch wohl in kurzen wieder zu Equipage und Gelde kommen und hätte eben nicht nötig, solches mit verbotener Courtoisie zu erwerben. Allein was geschicht? Etwa fünf oder sechs Tage hernach wird mein guter Fähndrich des Nachts, als er im besten Schlafe liegt, von sechs baumstarken Kerls gebunden und im bloßen Hembde mit verbundenen Augen und verstopften Munde in einen finstern Keller getragen, auf eine Schötte Stroh gelegt, und nachdem sie ihm die Augen aufgebunden, lassen sie ihn in dem finstern Keller verschlossen alleine liegen.

Anfänglich weiß er nicht, ob dieses alles ein Traum ist oder ob es ihm in der Tat und Wahrheit also widerfähret, doch als ihm wegen des festen Bindens Arme und Beine geschwollen und er kaum durch die Nase ein wenig Luft holen kann, auch in dem kalten Keller den grausamsten Frost empfindet, vermerkt er mehr als zu wohl, daß es kein bloßer Traum sei. Nachdem er nun über zwei Stunden lang in solchen schmerzhaften Zustande da gelegen, erblickt er eine Person in einem langen Nachtkleide, die durch eine kleine Treppe zu ihm von oben herunterkommt. Es hat dieselbe einen silbernen Leuchter mit darauf brennenden Wachslichte in der Hand, tritt gerade gegen ihn über und hält ohngefähr folgenden Sermon: ›Verdammter Hund! Welcher Wolf hat dich erzeuget, oder welcher Bärin Brüste hast du gesogen, daß du so unempfindlich gegen meine heftige Liebe gewesen bist? Doch nein! du mußt nicht einmal von wilden Tieren herstammen, dann diese lassen sich öfters noch leichter bewegen, die Menschen zu lieben, sondern die höllischen Furien, als Feinde des menschlichen Geschlechts, müssen dich geboren, erzogen und in die Welt geschickt haben. Elender Sklav! du hast meine Gewogenheit und übermäßige[408] Liebe verschmähet, deren du nimmermehr würdig bist, ja du hast eine Dame verächtlich traktieret, vor welcher noch fast täglich einer, der zehenmal besser ist als du, sich zur Erden wirft und nur um einen günstigen Blick bittet. Vermaledeieter Molch! vergiftender Basiliske, du hast mich niemals sehen und dennoch töten wollen, voritzo tue deine schändlichen Augen auf und betrachte mein Gesichte, ob, ohngeacht ich jetzt voller Zorn und Grimm bin, ein einziger Zug darinnen zu finden, der wider das Muster der Schönheit ist. Beschaue, du Nichtswürdiger! meinen ganzen Leib und erwäge, ob es der Natur wohl möglich sei, ein zärtlicher und zierlicher Frauenzimmer zu bilden?‹ Unter diesen Worten hatte sie das Licht vor sich niedergesetzt, den Schlafrock aufgeschlagen und ihren bloßen Leib, der auch nicht einmal von einem Hembde bedeckt gewesen, hergewiesen. ›Sage an!‹ redet sie ferner, ›wo siehest du einen Flecken, der dir einen Ekel erwecken, im Gegenteil nicht das allerunempfindlichste Herz zur Gegenliebe reizen könnte? Siehst du allhier nicht den kurzen Begriff aller Annehmlichkeiten? Urteile demnach, ob sich derjenige nicht glücklich zu schätzen hat, dem ich dieses alles aus Liebe freiwillig in die Arme liefern wollte. Dir war es bestimmt, du schändliches Krokodil! nunmehro aber hast du anstatt des Genusses aller dieser Delikatessen und meiner brünstigen Liebe, nebst reichlicher Belohnung, nichts anders als die grausamste Marter und den allerschmählichsten Tod zu hoffen. Du hast mich entblößet gesehen, aber zu deinem Verderben, und sterben mußt du nunmehro gewiß, damit niemand auf der Welt leben möge, der sich rühmen könne, er habe die von C. nackend gesehen. Ich habe mir vorgenommen, dich in diesem Gewölb verhungern und erfrieren zu lassen, jedoch wenn du mir die Wahrheit bekennest, warum du einen solchen besondern Ekel gegen meine Person bezeiget, kannst du vielleicht noch mit einer etwas gelindern Todesstrafe begnadiget werden.‹[409]

Der armselige Fähndrich hätte hierauf antworten sollen, es war ihm aber unmöglich gewesen zu reden, weilen seine Diebe ihm ein solches Instrument in den Mund gesteckt, welches ihm den Gebrauch der Zunge und Lippen verhindert. Die erzürnte Dame vermeinet, er wolle ihr aus Trotz nicht antworten, tritt ihn deswegen mit dem Fuße in die Seite, knirschet mit den Zähnen und sagt: ›Höllischer Drache! Bist du noch so verstockt und willst mir nicht einmal antworten? Warte! ich will dir noch in dieser Nacht mehrere Würkungen meines Zorns empfinden lassen.‹ Hierauf gibt er mit Brummen und Brausen zu verstehen, daß ihm etwas im Munde stecke. Demnach nimmt ihm die Frau von C. selbiges heraus, da ihm denn die Angst ohngefähr folgende Worte in den Mund gibt: ›Schönste Göttin! ich gestehe es, ich habe den Tod verdienet, indem ich zwar nicht aus Ekel und Verachtung, sondern aus bloßer Einfalt und knechtischer furchtsamer Einbildung Dero englische Schönheit anzubeten verabsäumet. Ich schwere, daß ich Dero unvergleichlich wohlgebildetes Angesicht zu sehen niemals das Glück gehabt, und wäre es auch geschehen, so würde ich doch, als ein von Natur sehr blöder Mensch, in meiner Einbildung noch vielmehr gestärkt worden sein, daß man mit mir als einer schlechten Person ein bloß Possenspiel zum Zeitvertreibe vornehmen wolle. Erbarmen Sie sich derowegen meiner und lassen mich auf eine gelinde Art vom Leben zum Tode bringen, denn mein Leben würde mir ohnedem zur Last gereichen, da ich ein solches Engelsbild gesehen und mich des würklichen Liebesgenusses bei demselben unachtsamerweise selbst verlustig gemacht habe.‹

Solche und dergleichen herzbrechende Reden bewegen endlich die erzürnte Dame zum Mitleiden, so daß sie fragt: ›Liebt Ihr mich denn nunmehro?‹ Der arme Gefangene kontestiert aus Angst mit noch tausenderlei schmeichelhaften Worten, daß er nunmehro in diesen wenigen Minuten zum allerersten Male den heftigsten[410] Liebesaffekt bei sich, und zwar gegen ihre Person empfunden (ohngeacht ihm die Bande an Händen und Füßen ziemliche Schmerzen verursachten), da er doch sonsten von Jugend auf ein Abstemius von Frauenzimmer gewesen und von den Leidenschaften der Liebe befreiet geblieben. ›Einfältiger!‹ sagte die Dame hierauf, ›damit Ihr sehet, wie ich, jedoch wider meine gewöhnliche Art, voritzo mit Euch leichter zu versöhnen als fernerweit zum Zorne zu reizen bin, so soll Euch vor diesmal nebst Eurem Leben meine Liebe und Gnade geschenkt sein, jedoch mit dem Bedinge, daß Ihr Euch verpflichtet, sooft ich Euch rufen lasse und Ihr keine erweisliche höchst wichtige Verhinderungen habt, Eure Visiten bei mir abzulegen‹

Der angstvolle Fähndrich F. williget alles ein, was sie ihm vorschreibt, erkläret sich auch sogar, woferne sie es verlangte, seiner Charge zu resignieren, damit er an seinen ihr allein gewidmeten Diensten nicht verhindert werde. Allein sie erlaubt ihm bis auf fernere Verabredung, nur noch eine Zeitlang seine Charge zu behalten, sich aber nur sonsten ihrem Willen und Verlangen gemäß zu bezeigen. Hierauf langet sie ein Messer, schneidet ihm die Stricke an Händen und Füßen entzwei, umarmet und küsset ihn aufs zärtlichste, führet hernach den halberstarreten Gefangenen in ein propre meubliertes und warmgemachtes Zimmer, erquicket denselben mit vortrefflichen Herzstärkungen, bestreicht und bereibt seine geschwollenen Arme und Schenkel mit den kostbarsten Balsamen und Spiritibus, legt ihn saubere Nachtkleider an und zeiget ihn hernach ein großes sauberes Bette, wohinein er sich legen muß.

Seine nunmehrige Aufführung und verliebtes Bezeigen hatte die Dame dergestalt kontentiert, daß sie ihn persuadiert, fünf Tage und ebensoviel Nächte in geheim bei ihr zu bleiben. Weiln er nun aufs propreste von ihr traktiert und aufs zärtlichste karessiert wird, kömmt ihm diese Lebensart je länger je angenehmer[411] vor; die Madame von C. aber ist nicht weniger vergnügt, weiln sie sich in ihren Gedanken nicht geirret, sondern in reicher Masse bei ihm gefunden, was sie gesucht.

Inmittelst, weiln des Fähndrichs F. Diener nicht zu sagen wußte, wie es mit seinem Herrn zuginge und wo derselbe hingekommen wäre, so wußte man beim Regimente nicht, was man von ihm denken sollte. Viele gerieten, in Betrachtung, daß er jederzeit sehr zur Melancholie inklinieret habe, auf die Gedanken, ob er sich wegen Beraubung seines Geldes, Verlust der Pferde und anderer Equipage nicht etwa aus Desperation ersäuft oder sonsten auf eine andere Art ums Leben gebracht habe. Man forschete derowegen fleißig nach seiner Person, um dieselbe entweder lebendig oder tot ausfündig zu machen. Allein es war alle Mühe vergebens. Endlich am sechsten Tage kam er wieder zum Vorscheine und meldete sich am allerersten bei mir, weil er wohl wußte, daß ich ihm wohl geneigt war. Er entschuldigte seine fünftägige Abwesenheit mit einem besondern Zufalle, der ihm wider seinen Willen begegnet wäre, auf so lange Zeit ein Arrestante zu sein. Da nun ich dieserhalb einen ausführlichern Bericht von ihm verlangte, bat er inständig, ihn damit zu verschonen, weiln er, um sein Leben zu retten, einen schweren Eid ablegen müssen, diese Begebenheit noch zur Zeit niemanden zu erzählen und noch viel weniger vor sich selbst Rache auszuüben. Ich ließ ihn als einen bekannten Grillenfänger passieren und deprimierte alles, obgleich verschiedene wunderliche Gespräche über sein Außenbleiben geführet wurden. Jedoch er gab durch seine nachherige Aufführung denen, die ihn vorher gekannt hatten, Materie zu weitern Nachsinnen. Denn von nun an merkte ein jeder gar leicht, daß das melancholische Wesen den Fähndrich F. ganz und gar verlassen hatte, gegenteils war aus ihm ein vollkommener Sanguineus worden. Er besuchte wider seine Gewohnheit die stärksten Compagnien, traktierte zum öftern,[412] tanzte, spielete, schaffte sich die propresten Kleider, vier der schönsten Pferde, hielt zwei Kerl, in summa, er tat es allen Subalternen fast zuvor. Dieses alles aber kam aus der Frauen von C. Beutel hergeflossen, denn da sie ihn das erste Mal von sich gelassen, hatte sie ihm ein Päckl., worinnen 500 Dukaten, mit auf den Weg gegeben, anbei versprochen, daß, wo er sich ferner wohl halten und seinem Versprechen nachkommen würde, dieses nur ein kleiner Anfang ihrer Erkenntlichkeit sein solle, denn es war ihr nur allzuviel an einem jungen Sohne gelegen, damit, wenn ihr gebrechlicher Gemahl aus dieser Welt spazierte, sie alles sein Vermögen fein beisammen behielte.

Dieser ihr Mann brachte seine meiste Zeit bei den Gesundbrunnens, warmen Bädern und Doctoribus zu; außerdem aber, wenn er sich etwas bei Kräften befand, mehrenteils auf seinen Rittergütern, deren er neun erb- und eigentümlich besaß. Sie, die Gemahlin, hingegen, unter dem Vorwande, daß sie außer ihrem Palais in der Stadt keine Nacht recht ruhig schlafen könne, vertreibet mittlerweile die Zeit mit ihren Galans, worunter, wie schon gemeldet, das Glück oder Unglück auch unsern Fähndrich F. führet, und weil es zutrifft, daß sie dreiviertel Jahre nach der mit ihm aufgerichteten nahen Bekanntschaft mit einem jungen Sohne niederkömmt, hat er, seinem eigenen Geständnisse nach, binnen Jahresfrist über 2000 Reichstaler Wert von ihr geschenkt bekommen.

Allein man pflegt im gemeinen Sprichworte zu sagen: Der Krug gehet so lange zu Wasser, bis ihm der Henkel abbricht; und dieses war bei beiden Verliebten auch richtig eingetroffen, denn weil ihr Liebesverständnis so vielen Domestiquen bekannt wird, die Frau von C. aber zuweilen sehr barbarisch mit ihren Leuten umzugehen gewohnt ist, als mag eins von denselben endlich auf Revanche bedacht sein und dem Hausherrn aufrichtig entdecken, was seine Gemahlin vor eine Lebensart führet.[413]

Der alte Herr wird ziemlichermaßen in Harnisch gejagt, begreift sich aber in der Bosheit und studiert auf Mittel und Wege, wie er seine Frau nebst ihrem Galane plötzlich überfallen möchte. Er erreicht endlich seinen gewünschten Zweck und betrappelt beide in aller Stille, da sie, von allzuheftiger Liebesarbeit ermüdet, im süßesten Schlafe liegen. Wie er nun vorhero schon alle Anstalten darzu gemacht, als werden beide an Armen und Beinen gebunden und aus dem Bette auf den Boden geworfen, so daß sie sich kaum ermuntern und begreifen können, wie ihnen geschicht. Sechs Kerls stehen mit entblößten Schwertern und aufgespanneten Pistolen um sie herum, der erzürnte Corniger wendet sich mit einem entblößeten Dolche zu dem Fähndrich F. und spricht: ›Bekenne, du Massette! wie lange du mit dieser vermaledeieten Canaille dieses Spiel getrieben hast, und leugne mir nicht, sonsten will ich deinen schändlichen Körper, ehe ich ihn des Lebens beraube, auf eine solche grausame Art zermartern lassen, dergleichen noch von keinem Barbar erfunden worden.‹ Unter diesen Worten stach er ihm mit dem Dolche in jedes dicke Bein ein Loch.

Der Fähndrich F., welcher nichts Gewissers als den allerschmerzhaftesten Tod sich in seinen Gedanken vorstellen konnte, merkte nunmehro wohl, daß weder Schmeicheln, Leugnen, Verstellen, Bitten noch Flehen mehr helfen würde, ergriff die Resolution, die klare Wahrheit zu bekennen, fing derowegen also zu reden an: ›Mein Herr! wenn ich aus eigenen Mutwillen oder unzüchtigen Liebesbegierden mich unterstanden hätte, Eurer Gemahlin genaue Umarmung zu suchen und Euer Ehebette zu beflecken, so würde mir doch von der ganzen Christenheit keine andere Marter als der Tod durch das Schwert zuerkannt werden; da ich aber bei Nachtszeit von sechs bewehrten Leuten mit Gewalt aus meinem Bette, worinnen ich im besten Schlafe lag, geholet, entsetzlich gemartert und gepeiniget, auch mit der grausamsten Todesart bedrohet worden, sohabe mich, um mein Leben zu fristen, verleiten lassen, Eurer Gemahlin ihren Willen, sooft sie es verlangen und mir nur immer möglich sein würde, zu erfüllen. Demnach bedenket selbst, mein Herr, wie Ihr Euch bei dergleichen Umständen, wenn Ihr an meiner Stelle gewesen wäret, hättet aufführen wollen. Nunmehro wird es‹, so fähret der arme F. auf ferneres Befragen mit seiner Antwort fort, ›wenig Wochen über ein Jahr sein, daß man mir also mitgespielet hat, und seit der Zeit habe ich zu verschiedenen Malen, wenn Ihr nicht einheimisch gewesen, Eure Stelle vertreten müssen, aus Furcht, nicht etwa wegen Brechung meines Eides heimlicher- und meuchelmördischerweise um mein Leben gebracht zu werden. Erwäget demnach, daß man mich auf eine grausame Art gezwungen, dergleichen Torheit zu begehen, und verschonet meiner mit der gedroheten Marter. Kann aber mein Verbrechen bei Euch durch nichts anders als durch meinen Tod ausgesöhnet werden, nun! so lasset mich nur eine einzige Stunde beten, hernach schicket meine Seele in die andere Welt, jedoch nicht auf eine barbarische Art, denn ob Ihr gleich von mir empfindlich beleidigt worden, so bedenkt doch, daß Ihr kein Barbar, sondern ein getaufter Christe seid.‹

Der ergrimmte Ehemann hatte sich unter Anhörung dieser Relation entsetzlich ungebärdig gestellet, mit den Füßen auf die Erde gestampft, mit den Zähnen geknirschet und die Augen grimmigerweise im Kopfe verdrehet, nachhero aber gefragt, ob er, F., Vater zu dem Kinde sei, welches die von C. letzthin geboren hätte, worauf dieser geantwortet, das könne er nicht sagen, sondern die Dame müsse es am besten wissen. Demnach wird die Dame von ihrem furieusen Manne dieserwegen befragt, welche sich ganz rasend anstellet und ihm zur Antwort gibt: ›Nein! nicht dieser mein Liebster, sondern du alter verfluchter Drache bist selbst Vater zu diesem häßlichen Balge, welches nebst der mir verhaßten Gestalt schon alle deine ekelhaften[417] Mienen und Gebärden an sich hat. Rechne die Zeit nach von deiner Wiederkunft aus dem N. Bade, ob es nicht eintrifft. Inmittelst bedaure ich nichts mehr, als daß ich diesen schändlichen Wurm nicht im ersten Bade ersäuft habe; bringe ihn her, ich will ihn sogleich vor deinen Augen erwürgen, damit du nur kein Andenken von mir haben mögest. Töte mich immerhin, du verfluchter Tyranne, denn ich verlange ohnedem nicht mehr deine Gemahlin zu heißen, laß nur den unschuldigen F. leben, denn es ist wahr, und ich bekenne es selbst, daß ich ihn aus allzu heftiger Liebe zu meinem Willen gezwungen habe.‹ ›Halt! du ungetreue Bestia!‹ spricht der erzürnete Mann, ›ich will dich und deinen Galan schon zu belohnen wissen.‹ Hiermit gibt er seinen Gewaffneten ein Zeichen, daß sie den ohnedem schon gebundenen F. festhalten müssen, einer von seinen Bedienten aber, der vielleicht ein Wundarzt gewesen, schneidet demselben in größter Geschwindigkeit die Zeugen seiner Mannheit heraus und überliefert dieselben seinem Herrn. Dieser präsentiert solche seiner Gemahlin auf einem silbernen Teller mit einem zornigen Lächeln und spricht: ›Hier Madame! labet Euch nunmehro recht wohl mit den delikatesten Stücken Eures Amanten.‹ Die Dame gerät hierüber fast in eine vollkommene Raserei, reißet das Band, womit ihr die Hände gebunden sind, entzwei, ergreift den Teller und nimmt beide Stücke zu sich, den blutigen Teller aber wirft sie ihrem Gemahl an den Kopf mit diesen Worten: ›Siehe da, du tyrannischer Mordhund! das mußt du vor meinem Ende doch noch leiden‹ etc.

Es ist leicht zu erachten, daß der ohnehin ergrimmte Mann hierdurch vollends in eine rasende Wut versetzt worden, er tritt sie demnach mit dem Fuße dergestalt auf den Leib, daß sie in eine starke Ohnmacht verfällt, ja er würde sie ohnfehlbar mit dem Dolche durchbohret und ermordet haben, wenn nicht einer von seinen Bedienten, auf den er sehr viel gehalten, ihm in die Arme gefallen und den Stoß aufgehalten hätte. Hierauf[418] begreift er sich in etwas, gehet in ein anderes Zimmer und befiehlt, den Fähndrich F. bis auf seine fernere Verordnung in ein wohlverwahrtes Gefängnis zu legen.

Dessen Wunden sind von einem unbekannten Menschen behörig verbunden und er binnen 18 Tagen fast völlig kuriert worden, auch hat man ihm mittlerweile ganz wohl zugerichtete gesunde Speisen und Getränke gereicht, den 19ten Tag aber hat man ihm bloß Wasser und Brot gebracht, mit der Ankündigung, daß er sich nur immer zu seinem Ende gefaßt machen könne, weil er täglich 50 Hiebe mit einer mit Draht durchflochtenen Geißel, woran viele Häkgen und kleine Sporn befestiget, bekommen sollte, bis er krepierte. Derjenige, so ihm dieses sein Urteil angekündiget, wartet auf keine Antwort, sondern macht sich eilig wieder zurück; allein etwa eine Stunde hernach kommen zwei starke Kerls, welche seinen Oberleib entblößen, ihm die Hände zusammenbinden und also mit den Händen an einen Haken hängen, der oben mitten im Gewölbe eingemauert ist, so, daß der arme F. in der Luft schwebt. Hierauf gibt ihm ein jeglicher von den zweien Canaillen 25 Hiebe mit der schon erwähnten Geißel, da denn sein Oberleib dergestalt zugerichtet wird, daß ganze Stückgen Haut und Fleisch herausgerissen worden; hernachmals waschen sie ihn mit Essig und Branntewein, binden ihn wieder los und legen ihn auf sein Lager.

Wie dem guten F. müsse zumute gewesen sein, ist wohl ganz leicht zu erachten, ja ich glaube, der Allerherzhafteste sollte wohl bei dergleichen Todesart erzittern und auf die Gedanken geraten, sich sein Lebensziel selbst abzukürzen. Allein der Fähndrich F. resolviert sich, mit möglichster Standfestigkeit die zeitlichen Strafen zu ertragen, welche der Himmel über ihn verhängt hat. Demnach fügt es der Himmel auch, daß dennoch sein Leben erhalten wird. Denn gleich darauffolgende Nacht kömmt der Kerkermeister[419] mit einem Lichte zu ihm hinein und bringet ihm nebst verschiedenen Kleidungsstücken einen Mantel, erinnert ihn, daß er ohne Zeitverlust dieses alles anlegen und sich mit Hülfe der Nacht in Sicherheit bringen solle, weilen er sonsten in wenig Tagen des Todes sein müsse. Sobald er sich nun völlig angekleidet und den Mantel um sich geschlagen, gibt ihm der Kerkermeister einen versiegelten Brief in die Hände mit dem Vermelden, daß er denselben wohl verwahren möchte, weil er ihm in seinem jetzigen elenden Zustande wohl zustatten kommen würde. Dieser hält sich also nicht lange an diesem unglückseligen Orte auf, sondern eilet so geschwinde, als es seine Schwachheit zulassen will, nach seinem Quartiere, welches aber verschlossen und von keinem Menschen bewohnet war.

Demnach nimmt er in diesen seinen Ängsten seine Zuflucht zu mir, zumalen da er in meinen Fenstern noch Licht erblickt und von der Schildwache vernimmt, daß niemand Frembdes bei mir sei. Ich erschrak, den ganz vor verloren geschätzten Fähndrich F., und zwar in so jämmerlicher Gestalt, vor mir zu sehen, und hörete nur erstlich die Hauptstücke seiner Aventure, die er mir unter Vergießung häufiger Tränen erzählete, mit Erstaunen an. Es erweckte aber sein elender Zustand bei mir ein ganz besonderes Mitleiden, derowegen sprach ihm soviel als möglich Trost zu, hielt ihn ganz heimlich in meinem Quartiere auf und ließ ihn aufs beste verpflegen. Ein Feldscher, auf dessen Treue und Verschwiegenheit ich mich verlassen konnte, mußte den elenden Menschen vollends kurieren, sodann verschaffte ich ihm sein im Quartiere zurückgelassenes Geld und Equipage nebst einem ehrlichen Abschiede vom Regimente. Damit ich aber auch nicht vergesse, was das Papier zu bedeuten gehabt, welches ihm der Kerkermeister bei seiner Loslassung so sehr rekommendiert hatte; so war dieses ein Kondolenzschreiben von der Mad. C., in welchem sie recht herzbrechende Worte gebrauchte und versprach, seinen und ihren ausgestandenen[420] Schmerz, Verlust, Spott und Hohn mit dem Blute und Tode ihrer Feinde zu rächen, inmittelst könne er vor beigelegten Wechselbrief bei dem Kaufmanne N.N. 1000 spec. Taler heben und sich in möglichster Stille nach R. begeben, allwo sie ihn ehe Jahr und Tag verginge, anzutreffen verhoffete, da sie denn ihre Treue und Erkenntlichkeit in Erwägung seines ihrenthalber erlittenen schmerzlichen Verlusts ihm reichlicher zeigen wolle. Ich verschaffte also dem armen Fähndrich F. auch diese 1000 spec. Taler, worvon er mir eine ansehnliche Verehrung offerierte, allein ich nahm nichts an, sondern erwiese ihm vielmehr noch die Gefälligkeit und ließ ihn in einem verdeckten Wagen unter hinlänglicher Eskorte über die Grenze dieses ihm unglückseligen Landes bringen.

Etliche Wochen hernach empfing ich Briefe von ihm, worinnen er aber, wie er schrieb, mit allem Fleiß den Ort seines Aufenthalts nicht melden wollte, indem dieses sein einziger Wunsch wäre, daß er von allen Menschen, die ihn vorhero gesehen oder die er gekennet, nicht möchte erkannt oder gesehen werden. Anbei schickte er mir dennoch zur Erkenntlichkeit 200 spec. Dukaten, welche ich, weil ich nicht wußte, wohin ich sie respedieren sollte, wider meinen Willen behalten mußte.«

Die ganze Compagnie bezeigte nach geendigter Erzählung ein wundervolles Erstaunen und bekräftigte, daß dieser barbarische Hahnrei eine Rache nach italiänischer Art ausgeübt, ohngeacht er kein Italiäner gewesen, beklagten anbei den redlichen Fähndrich F., daß er sich nicht besser prospiziert und endlich wegen allzugroßer Sicherheit dergestalt unglücklich worden.

»Es fällt mir«, sagte ein gewisser Capitain, der mit in Compagnie saß, »bei abermaliger Erwähnung der Italiäner eine zum Teil etwas lächerliche Historie ein, die dem von B., welchen viele von uns kennen werden, vor ohngefähr anderthalb Jahren in Italien passieret ist. Dieser lässet sich durch die charmanten Blicke,[421] Präsente und Liebesbriefe einer ungemeinen schönen Kaufmannsfrau anlocken, ihr dann und wann, sooft ihr höchst eifersichtiger Mann nicht zu Hause ist, eine Visite zu geben und ihr einen beliebigen Zeitvertreib zu machen. Hiervon aber mag der Mann Wind bekommen, ziehet derowegen einige von seinem Gesinde mit Geschenken an sich, macht auch sonsten alle behörige Anstalten, seine Frau mit dem von B. zu belauschen und zu sehen, wie sie miteinander umgehen. Einsmals gibt er vor, daß er mit der um Mitternacht abgehenden Post fort müsse, allein der Vogel schleicht sich wieder in sein Haus zurück und logiert sich neben seiner Frauen Zimmer, allwo er durch ein gemachtes Loch, so er verdecken kann, alle Actiones seiner Frauen zu betrachten vermögend ist. Diese läßt den von B. mittags zu sich zu Gaste laden und traktiert ihn aufs propreste, da denn der delikateste Wein und die trefflichsten Confituren beide um soviel desto mehr instigieren, einander die zärtlichsten Karessen zu machen, bis endlich nach aufgehobener Tafel die Hauptursache ihrer Zusammenkunft vorgenommen werden soll. Beide machen es sich mit Ablegung der Oberkleider und sonsten recht kommode, indem sie aber im Begriffe sind, den Liebesstreit anzufangen, eröffnet der abgünstige Mann die Tür, postiert sechs oder acht Banditen davor, welche ihre entblößten Degen und Mordmesser in Händen halten, tritt hierauf hinein ins Zimmer und spricht zu dem von B.: ›Mein werter Herr! es stehet in meinem Hause alles zu Euren Diensten, ausgenommen meine Frau, die ich, wenn es möglich wäre, gern vor mich allein behalten wollte; unterdessen, weil ich vernommen habe, daß Ihr einesteils unschuldig seid, indem sie Euch selbsten hat rufen lassen, so will ich mein Hausrecht vor dieses Mal an die Seite setzen und keine Hand an Euch legen, sondern Euch die Freiheit lassen, ob Ihr Euch durch diese bewaffnete Kerls zur Tür hinaus schlagen oder zu diesem großen Fenster, welches ich hiermit eröffne, hinunter[422] auf die Straße springen wollet?‹ Dem von B. mögen allerdings wohl die Haare zu Berge stehen, denn sich durch so viel desperate, doppelt bewaffnete Banditen durchzuschlagen und lebendig davonzukommen, scheinet eine ohnmögliche Sache zu sein, und einen solchen Sprung aus dem zweiten, sehr hohen Stockwerke zu wagen, ohne den Hals auf dem Steinpflaster zu stürzen, will ihm auch nicht in den Kopf, jedoch da der vertrackte Kaufmann kurze Resolution fordert, erwählet er das letztere, zumalen da er etwas im Voltigieren getan, springt herunter auf das Steinpflaster, und zwar dergestalt glücklich, daß er keinen weitern Schaden nimmt, als das Gelenke des rechten Fußes ein wenig verdrehet; hierauf eilet er, soviel als möglich sein will, davon in eine Kirche, mischt sich unter das Volk, trifft einige von seinen guten Freunden und Landsleuten an, welche ihn an einen sichern Ort bringen. Allda läßt er sich verbinden, befiehlt seinen Leuten, in größter Geschwindigkeit alle seine Sachen einzupacken und eine Extrapost zu bestellen, mit welcher er noch selbigen Abend in Begleitung einiger guten Freunde zu Pferde auf und darvon reiset, indem er befürchtet hat, der Kaufmann möchte etwa auf andere Gedanken geraten und ihm durch bestellte Banditen einmal plötzlich das Lebenslicht ausblasen lassen. Wie aber der Kaufmann mit seiner wollüstigen Frau umgegangen, solches hat er niemals in Erfahrung bringen können.«

Es entstunde unter der ganzen Compagnie über diese wunderliche Begebenheit ein nicht geringes Gelächter und wurden verschiedene Urteile darüber gefället. Unter andern mancherlei Gesprächen kam auch aufs Tapet, daß sich durch verbotenes Courtoisieren sowohl im Militär- als Zivilstande viele geschickte Mannespersonen glücklich gemacht, auch zu großen Mitteln und hohen Ehrenstellen geholfen hätten. Bei dieser Gelegenheit bat ein gewisser Lieutenant, welcher in eines andern großen Potentaten Diensten stunde und[423] nur gute Freunde zu besuchen bei diesem Regimente auf der Vorbeireise eingesprochen war, um Erlaubnis, eine curieuse und wahrhafte Geschicht zu erzählen. Als er nun von der sämtlichen Compagnie ersucht wurde, ihnen diese Gefälligkeit zu erweisen, finge er also zu reden an:

»Als ich vor acht Jahren als Fähndrich in Z. auf Werbung stund, um sonderlich vor meines Capitains Compagnie etwa zehn bis zwölf Rekruten anzuwerben, bekam ich auf listige Art einen schönen und wohlgewachsenen Menschen von ohngefähr 20 Jahren, welcher seine Studia auf der Schule daselbst absolvieret hatte und bei seinen Eltern nur auf etliche Taler Geld laurete, um damit auf Universitäten zu gehen, womit ihm aber dieselben, weil sie wenig im Vermögen hatten, nicht alsobald helfen konnten. Eben dieses war wohl die meiste Ursache, daß er zwei Dukaten Handgeld und das Versprechen von mir annahm, daß er den ersten Furiersplatz, so unter dem Regimente aufginge, haben sollte. Allein, wie es gemeiniglich zu gehen pflegt, daß dergleichen Versprechen nicht gar zu genau gehalten werden, so traf es auch bei dem ehrlichen Merillo zu, denn er mußte über Jahr und Tag die Flinte tragen, führete sich aber dabei sehr wohl und gelassen auf, hielt sich in der Montur allezeit reinlich und überhaupt alle seine Sachen sehr ordentlich, frequentierte keine lüderlichen Compagnien, sondern blieb lieber zu Hause, lase in den Büchern, so er geborgt kriegen konnte, bemühete sich anbei sonderlich, die französische Sprache fertig reden und schreiben zu lernen, wie er denn auch dieselbe binnen kurzer Zeit fast vollkommen innen hatte. Nach der Zeit, da er sich durch sein Schreiben einige Taler Geld erworben, mag ihm auch wohl auch ein Lüstgen ankommen, in Compagnie zu gehen, derowegen attachiert er sich stets an die Unteroffiziers und andere reputierliche Leute, welche ihn wegen seiner guten Aufführung und klugen Diskurse lieben und ehren. Nur ist das schlimmste, daß[424] das Geld nicht immer zureichen will, denn die Löhnung langete nicht allzuweit, und nach einiger anderer Soldaten Art, auf Merode oder, besser zu sagen, stehlen zu gehen, war seiner noblen Ambition zuwider, derowegen mußte er sich nolens volens nach der Decke strecken und manche lustige Compagnie meiden. Bei seiner Wirtin, die eine stürmische, geizige Wittbe und bereits etliche 40 Jahr alt war, hatte er sich seit etlichen Wochen vor empfangene Viktualien in ein paar Taler Schulden gesetzt, durfte sich also, wenn er nicht gemahnet sein wollte, nicht allzuwohl vor ihr sehen lassen, sondern kroch manchen Nachmittag auf den Heuboden, nahm ein Buch mit dahin und las so lange darinnen, bis ihn der Mittagsschlaf überfiel.

Ich habe vergessen zu melden, daß wir damals schon nach einem zurückgelegten Marsche von etliche 40 Meilen bei unserm Regiment angekommen waren. Jedoch die Geschicht fortzusetzen, wie mir dieselbe von dem Merillo umständlich erzählet worden: so schlummert er eines Tages auf gedachten Heuboden abermals ganz süße; seine Frau Wirtin, die etwa ihr Heu besichtigen will, trifft ihn, und zwar in einer solchen Positur liegend an, die zwar ein junges Mägdgen, keinesweges aber eine Frau von solchen Jahren zur Liebe reizen sollen. Merillo ermuntert sich zwar und merkt, daß sie vor ihm stehet und ihn beschauet, jedoch aus Furcht, von ihr gemahnet und gescholten zu werden, bleibt er ganz stille liegen und fängt an zu schnarchen als ein Ratz. Die verliebte Alte bleibt eine gute Zeit ganz entzückt zu seinen Füßen stehen, endlich, da sie vermeinet, daß er in dem allerfestesten Schlafe läge, setzt sie sich ganz sanfte an seine Seite, suchet dasjenige, was ihr Herze begehrt. Weil aber Merillo sich hierdurch nicht ermuntern läßt und ihr die Zeit zu lang werden will, legt sich das verliebte alte Rabenfell auf ihn, liebkoset und bittet ihn so lange, bis er ihr denjenigen Dienst leistet, den er, wenn er nur einige Taler im Vermögen gehabt, ihr vielleicht[425] versagt hätte. Sie hat sich hierauf ungemein vergnügt und gütig gegen ihn erzeigt, ihm die Schuld erlassen und noch darzu etliche harte Taler in seine Tasche gesteckt, anbei versprochen, ihn täglich aufs beste zu traktieren und jederzeit mit benötigten Gelde zu versorgen, daferne er sie in Zukunft ferner vergnügen wolle. Merillo entschließet sich demnach, in einen sauern Apfel zu beißen, um delikate Bißgen zu haben und ein gutes Leben zu führen. Er führete sich weit sauberer in Kleidung und Wäsche auf als sonsten, ging öfters in Compagnie, spielete auch dann und wann ein Spiel mit, welches vorhero sein Werk nicht gewesen war, doch bei allem dem war er sehr akkurat in Versehung seiner Dienste und suchte sich beständig in der Gunst der Höhern zu erhalten, welches ihm denn erstlich die Korporals- und wenig Monate hernach die Furiersstelle zuwege brachte. Damals gab er denen andern Unteroffiziers einen vortrefflichen Schmaus, der ihm mehr als 30 Taler kostete, hatte es auch eben nicht weit von sich geworfen, als ihm einige railliert, wie nehmlich er gewiß Frauenzimmer-Stipendia genösse. Niemand aber hätte auf seine unscheinbare Wirtin gedacht und geglaubt, daß bei derselben die Liebe den Geiz überwunden hätte. Allein die Alte gab alles her, was er von ihr verlangte, beide aber trieben ihr geheimes Liebesspiel so lange, bis sie einsmals von der Tochter beschlichen und in voller Arbeit angetroffen worden. Da sich nun die Tochter unterstehet, der Mutter wegen ihres unzüchtigen Lebens einen Verweis zu geben, wird das gute ehrliche Mägdgen von der erzürnten Mutter dergestalt mit Schlägen traktiert, daß sie in etlichen Tagen nicht aus dem Bette kommen, mithin, ihrer Bedrohung nach, dem Beichtvater nicht anzeigen kann, was sie mit ihren Augen gesehen. Mutter und Tochter versöhnen sich zwar wieder, allein in wenig Tagen gehet der Streit und das Drohen der Tochter von neuen an, bald hernach aber wird das Mägdgen frühmorgens in ihrem Bette tot gefunden und unter[426] dem Vorwande, daß sie an einem Schlagflusse gestorben, in aller Stille begraben.

Merillo schöpft hierüber arge Gedanken und mutmaßet aus verschiedenen Umständen, daß die Mutter ihre Tochter vielleicht durch Gift von der Welt gebracht, um das Liebesspiel desto sicherer zu treiben. Demnach bekömmt er einen heftigen Ekel und Abscheu vor diesem alten Felle und sinnet auf Gelegenheit, sich mit guter Manier aus den Fesseln derselben zu reißen. Hierzu ereignete sich nun dieses angenehme Mittel: Das alte Weib hatte von ihrem zusammengescharreten Gelde 1200 Stück alte Kremnitzer Dukaten in ihrem Speisegewölbe in die Erde gesetzt. Merillo kömmt ihr von ohngefähr hinter die Schliche und merkt das Fleckgen; einige Tage hernach aber nimmt er diesen Schatz heraus und vergräbt denselben an einen andern, ihm gelegenern und sichern Ort, lässet sich aber nichts merken, sondern stellet sich, als ob er immer ärmer und Geld bedürftiger würde, ja er macht sich gar unpäßlich, um der Aufwartung bei seiner alten Sara überhoben zu sein. Diese wartet und pflegt ihn aufs beste, um seine Kräfte wiederherzustellen, eines Tages aber kömmt sie ohnversehens als eine höllische Furie mit zerrauften Haaren und gräßlichen Zetergeschrei in seine Stube gelaufen und stellet sich nicht anders an als ein Mensch, das ganz von Sinnen kommen will. Merillo stellet sich ungemein erschrocken an und fragt, was ihr denn Leides widerfahren sei, worauf sie ihm mit allen Umständen klaget, daß ihr ihr größtes Kapital, an 1200 Stück Dukaten, weggenommen worden, auch hinzufügt, er und kein anderer müsse es entführet haben, derowegen möchte er es nur bekennen, weil sie ohnedem gesonnen gewesen, dieses Geld mit ihm zu verzehren. Merillo versucht anfänglich, ihr diesen Wahn in Güte zu benehmen, ermahnet sie auch, vorhero recht zu suchen, weil sich das vergrabene Geld oftermalen zu verrücken pflegte. Da sie aber nicht nachlässet, ihm diesen Raub auf den Kopf schuld zu[427] geben, fähret er plötzlich mit andern Worten heraus und spricht: ›Du alte Bestia! kannst du mir so wohl erweisen, daß ich dich bestohlen habe, als ich dir dartun will, daß du, um deine Geilheit desto sicherer auszuüben (worzu du mich sozusagen bei den Haaren gezogen hast), eine Mörderin an deiner einzigen Tochter worden bist? Warte, warte!‹ spricht er ferner, ›ich will dich altes Luder bald in Schindershänden sehen, weil du mich als einen ehrlichen Unteroffizier zum Diebe machen willst.‹ Hiermit springt er auf, ziehet seine Kleider an und will zum Hause hinausgehen, allein die Alte, welcher das Gewissen schlägt, fällt zu seinen Füßen und bittet mit Tränen, ihr kein Unglück über den Hals zu ziehen, sie wolle gern alles vergessen und, ob sie gleich an dem plötzlichen Tode ihrer Tochter unschuldig, ihm doch noch 100 spec. Taler schenken, nur daß sie durch ihn nicht in bösen Verdacht und Nachrede gesetzt würde. Merillo läßt sich nach langen Weigern endlich besänftigen, nimmt die 100 Taler noch mit und verspricht, ihr weder Guts noch Böses nachzureden, gehet zum Hause hinaus, lässet seine Sachen durch ein paar Musketiers nachholen und kömmt nachhero nicht wieder zu ihr, erfähret aber wenig Wochen hernach, daß sie in einem hitzigen Fieber in größter Raserei dahingestorben sei.

Solchergestalt konnte er sich nun seines erworbenen Geldes etwas freier bedienen, doch fing er seine Sachen recht klug an, indem er vorgab, es wäre in seiner Heimat ein naher Anverwandter von ihm gestorben, welcher ihm zu seinem Avancement unter der Miliz ein ziemliches Kapital vermacht hätte. Nebst seiner guter Aufführung machten die geheimen Spendagen, daß er bald hernach Feldwebel wurde, da er sich denn so galant als der beste Oberoffizier aufführete. Er besuchte den Fecht- und Tanzboden fleißig, zeigte viel Courage; seiner guten Conduite wegen waren ihm aber auch diejenigen gewogen, welche einesteils Ursach gehabt hätten, ihn zu beneiden und sich feindselig gegen ihn zu erzeigen.[428]

Wegen seiner propren Aufführung und wohlgebildeten Person nun verliebte sich ein Kammerfräulein einer gewissen vornehmen Dame, die als Wittbe in der Stadt lebte, wo wir in Garnison lagen, in unsern Merillo. Ich will die Dame bloß Livicarda und das Kammerfräulein Rosinde nennen. Diese Rosinde kann nicht ruhen, bis sie mit Merillo zu sprechen kömmt. Es geschicht endlich dieses durch Vermittelung einer alten Frau zum ersten Male, als von ohngefähr, in einem Garten. Beide Personen gefallen einander, werden derowegen ihres verliebten Krams bald einig, worauf denn Merillo von seiner Geliebten einsmals um Mitternachtszeit in ihrer Gebieterin, der Livicarden Palast, ja sogar in ihre Schlafkammer geführet wird, allwo sie im größten Vergnügen eine Bouteille Wein und allerlei Sorten von Konfekt miteinander verzehren. Indem sie sich aber anschicken, die allersüßeste Kost der Liebe zu genießen, öffnet sich ganz plötzlich die Tür, welche Rosinde zuzuschließen vergessen. Livicarda kömmt selbsten hineingetreten und spricht: ›Siehe da! ihr artigen Herzgen, trifft man euch also hier beisammen an. Beschimpft ihr solchergestalt meinen Palast? Rosinde! wollet Ihr schon Euren Jungferkranz durch einen Soldaten zerreißen lassen? Und Ihr!‹ so redet sie den Merillo an, ›wer seid denn Ihr? Ich bitte um Vergebung nur derentwegen, daß ich Euch ein standesmäßiges Bad kann zubereiten lassen. Traget Ihr nicht mehr Respekt vor eine solche Dame, wie ich bin, als daß Ihr Euch unterstehet, eine von ihren Fräuleins zu schänden?‹

Merillo will zwar seine Verantwortung und untertänigste Bitte um Gnade vor Livicarden kniend verrichten, doch dieselbe höret ihn nicht, sondern ergreift Rosinden beim Arme und schleppt sie fort aus der Stube, verriegelt dieselbe und spricht, er solle nur Gedult haben, sie wolle ihm etwas anders weisen. Daß dem guten Merillo nicht allzuwohl bei der Sache gewesen sein müsse, ist leicht zu glauben; er hatte die Fenster[429] betrachtet, um herunterzuspringen, allein sie sind zu hoch und darzu mit eisernen Stäben verwahret, auch ist die Tür dergestalt befestiget, daß er sie nicht aufbrechen kann. Ob nun zwar sein Verbrechen keine Todsünde war, so wollte ihm doch schon im voraus von einer scharfen Züchtigung und starken Prostitution träumen, derowegen blieb er über eine Stunde lang in den allerängstlichsten Sorgen und Bekümmernissen sitzen; nach Verlauf derselben aber stellet sich die zwar sehr schön, doch darbei sehr zornig aussehende Livicarda wieder ein und redet ihn mit folgenden Worten an: ›Wohlan! freveler Soldat! hieraußen vor meiner Tür stehen vier bewehrte Knechte, getrauet Ihr Euch mit Euren Degen durchzuschlagen, so waget Euch hinaus, die Türen meines Palasts sind geöffnet, daß Ihr weiterkommen könnet.‹ Merillo fällt abermals zu ihren Füßen, bittet um Gnade, stellet vor, es würde ja einer solchen irdischen Göttin, welcher lauter Güte und Barmherzigkeit nebst andern unaussprechlichen Annehmlichkeiten aus den Augen leuchteten, eben nicht mit einer Handvoll seines Bluts gedienet sein, zudem so wäre ja das Verbrechen, worzu ihn die hitzige Jugend verleiten wollen, noch nicht vollführet worden etc. etc., worauf Livicarda mit einer etwas gnädigern Miene spricht: ›Rosinde hat mir bereits gestanden, wievielmal ihr Unzucht miteinander getrieben habt; werdet Ihr nun auch in diesem Stücke die reine Wahrheit bekennen, damit ich höre, ob Eure Reden übereintreffen, so soll Euch dennoch ein Teil meiner Gnade angedeihen.‹

Merillo bekräftiget demnach mit teuren Schwüren, daß dieses ihre erste geheime Zusammenkunft wäre, und setzet noch hinzu, daß er sich zeitlebens noch mit keinem Frauenzimmer fleischlich vermischt habe. Hierauf erkundigt sie sich wegen seiner Charge, Herkommens und anderer seine Person betreffenden Umstände, und da er sie dessen allen mit wohlgesetzten Worten und manierlichen Gebärden berichtet hat, sagt sie endlich[430] mit lachenden Munde: ›Ich glaube Euch alles wohl, nur daran zweifele ich, daß Ihr noch ein reiner Junggeselle seid.‹

Dieses nun versichert Merillo nochmals mit den kräftigsten Worten, worauf Livicarda mit einer verliebten Miene spricht, dergleichen Wildpret wäre etwas Rares und viel zu delikat vor ein armes Fräulein. ›Wo mich mein Spiegel nicht betrügt oder ich mir nicht selbst schmeichele, so hielte ich mich fast um ein gut Teil wohlgebildeter als meine Rosinde. Wie gefiele Euch demnach der Tausch, Merillo, wenn Ihr anstatt Rosinden mich karessieren dürftet?‹ ›Madame!‹ antwortete Merillo, ›Sie suchen vielleicht ein Wort von mir herauszulocken, welches mir das Leben kosten soll; doch muß ich bekennen, daß mir dergleichen übermenschliche Schönheit, wie die Ihrige ist, zeit meines Lebens noch nicht vor Augen gekommen, ich aber bin ein Wurm gegen Dero unvergleichliche Person und genieße mehr als zu vieles Glück, wenn ich nur den Staub zu Dero Füßen küssen darf.‹ ›Eurer Gestalt und Geschicklichkeit nach‹, versetzte Livicarde, ›wäret Ihr würdig, ein geborner Prinz zu sein, demohngeacht aber, wo Ihr vernünftig lieben und schweigen könnet, so stehet Euch bei mir dasjenige Vergnügen offen, welches Ihr diese Nacht bei Rosinden zu finden verhofft habt, saget demnach kürzlich Eure Meinung und was Ihr Euch selbsten zutrauet.‹

Bei so gestalten Sachen hielt Merillo mit der Resolution nicht lange zurücke, sondern gab die Livicarden wohlgefällige Erklärung mit zitterender Freude von sich, worauf sie selbst ihm den ersten Kuß gab, ihn nach einigen verliebten Tändeleien bei der Hand nahm und eine Treppe hinunter in ihr Schlafzimmer führete, allwo er auf den gehabten Schrecken erstlich einen guten Trunk von einer köstlichen Herzstärkung tun, hernach sich kommode machen und bei Livicarden, ihrer Meinung nach, die ersten Proben seiner Tapferkeit im Venuskriege ablegen mußte.[431]

Er hat mir«, sagte hier der Lieutenant, »teuer zugeschworen, daß ihm damals 1000mal besser um die Leber gewesen als bei seiner alten Wirtin auf dem Heuboden; allein er hätte solches eben nicht nötig gehabt, denn ich konnte es ohnedem wohl glauben sowohl als dieses, daß beide keinen Schlaf in ihre Augen kommen lassen, bis endlich der anbrechende Tag erinnert, daß es Zeit sei, voneinander zu scheiden, da ihm denn Livicarda die Verschwiegenheit nochmals bei Verlust seines Lebens eingebunden, diese erste Visite mit einer guten Handvoll Dukaten, die sie ihm in den Hut gelegt, belohnet, auf folgende Nacht seine Wiederkunft durch eine kleine Gartentür, die sie ihm bezeichnet, verlanget und also diesen wohlbestellt befundenen Venusritter fortwandern läßt.

Solchergestalt hatte sich nun Merillo das gestörte Liebesvergnügen bei Rosinden gar nicht gereuen lassen, dieses arme Mägdgen aber hat selbige Nacht ihre heiße Liebesglut in einem kalten Gewölbe abkühlen müssen, folgenden Morgens aber ist sie in einen zugemachten Wagen gesetzt und 16 Meilen von dannen zu den Ihrigen geführt worden, weswegen denn Merillo dieselbe nach der Zeit nicht wieder zu sehen bekommen.

Livicarda lebte, wie ich bereits gemeldet, als eine Wittbe, indem ihr Gemahl, mit dem sie kaum zwei Jahr in einer sehr vergnügten Ehe gelebt, an einer Blutstürzung nur etwa vor einem halben Jahre plötzlich gestorben war. Sie war sehr schön, ihres Alters ohngefähr 21 bis 22 Jahr, darbei stark bemittelt. Es hatten sich zwar schon verschiedene Freier bei ihr antragen lassen, allein sie mochte bei jedweden etwas auszusetzen haben, indem sie sehr eigensinnig war, jedoch weil sie sehr propre und delikat lebte, konnten die wollüstigen Liebestriebe wohl ohnmöglich außen bleiben, derowegen suchte sie sich in geheim zu vergnügen, vor den Leuten aber wußte sie sich dergestalt zu verstellen, daß man hätte glauben sollen, es[432] wäre ihr an nichts weniger als an dem Venusspiele gelegen, wie sie denn auch noch niemals gesegnetes Leibes gewesen war, allein die öftern Umarmungen des muntern Merillo verursachten, daß sie binnen wenig Wochen bei sich verspürete, wie sie zwei Lebern im Leibe hätte. Es stiegen ihr dieserwegen verschiedene Grillen in den Kopf, doch alles dieses gibt der Liebe zu dem Merillo nicht den geringsten Stoß, welches er daraus abmerken konnte, da sie ihm immer eine starke Geldsumme über die andere in die Taschen steckte, welches er denn nicht übel anlegte, sondern vermittelst desselben erstlich die Fähndrichs- und etwa drei oder vier Monat hernach die Lieutenantsstelle erhielt, auch einen kavaliermäßigen Staat führete.

Mittlerweile wird ihrer beider Liebe und die nächtlichen Zusammenkünfte dergestalt geheim praktiziert, daß kein Mensch das geringste davon erfähret, da aber die Zeit ihrer Niederkunft immer näher herbeikömmt, tritt sie eine Reise in ein anderes Königreich an. Merillo erlangt zu gleicher Zeit Urlaub, auf etliche Monate in seine Heimat zu reisen, also kommen sie beide an einem bestimmten Orte zusammen, allwo Livicarda ihre Bagage und übrigen Bedienten zurücklässet, weiter aber niemand mit sich nimmt als eine einzige vertraute Frau und ein getreues Mägdgen, die von Jugend auf bei ihr erzogen worden. Merillo, der sich Wagen und Pferde, ingleichen zwei fremde Bedienten angeschafft, führet sie also etliche 50 Meilen weit in das fremde Land hinein, so lange bis der junge Merillo sich zu stark reget und das fernere Reisen verhindert. Indem sich nun beide Verliebte vor ein Paar Eheleute ausgeben, wird das Kind, nachdem es frisch und gesund zur Welt gekommen, in einem Dorfe getauft. Livicarda pflegt daselbst drei bis vier Wochen ihrer Gesundheit, nach diesen lassen sie die alte Frau mit dem Kinde in besagten Dorfe und begeben sich wieder auf die Rückreise. Merillo begleitet sie bis nahe an den Ort, wo sie ihre Suite zurückgelassen, sodann gehet[433] er genommener Abrede nach abermals zurück und nimmt das Kind nebst der alten Frauen und einer tüchtigen Amme mit sich nach Deutschland, bringet es bei gute Leute zur Auferziehung, mit dem Begehren, daß es als ein adeliches Kind traktiert und besorgt werden solle; hierzu deponiert er vorerst 500 spec. Taler, indem er von Livicarden noch einmal soviel empfangen hatte, und verlanget, daß man ihm wenigstens alle Monat einmal von des Kindes Zustande Rapport abstatten solle.

Seinen Eltern gibt er bei dieser Gelegenheit auch eine Visite, sagt ihnen aber von der Vermehrung ihres Geschlechts nicht das geringste. Da aber dieselben sich über sein jählinges Avancement zum höchsten verwundern, gibt er bei ihnen vor, er sei einsmals des Nachts von einem Gespenste aufgeweckt worden, welches ihm anbefohlen, gleich aufzustehen und mitzugehen, weil er in dieser Nacht denjenigen Schatz heben könne, welcher ihm bescheret sei, widrigenfalls würde dieser Schatz nach sieben Jahren einem andern zuteil werden. Er als ein Soldat habe demnach das Herze gefasset und wäre dem Gespenste gefolget, welches ihm den Schatz frei und sicher heben und hinwegtragen lassen, auch weiter nichts von ihm verlangt, als daß er jährlich auf diesen Tag zum Gedächtnisse des gehobenen Schatzes sein Hemde ausziehen und dasselbe einem armen Menschen geben solle.

Ich weiß nicht mehr zu sagen«, sprach hier der Lieutenant, »was er seinen Eltern und Befreundten noch mehr vor Wind vorgemacht, denn es fehlete ihm niemals an geschickten Einfällen. Er lässet aber ein gut Stück Geld zu Hause, worgegen ihm liegende Güter verschrieben werden, den usum fructum aber schenkt er seinen Eltern, bis er nach gebüßeter Soldatenlust wieder nach Hause käme. Nachdem er nun die Sachen in seiner Heimat behörig eingerichtet, verkaufte er die Kutsche und die Pferde, bis auf drei tüchtige Reitklöpper, gab den ausländischen Bedienten eine raisonable[434] Belohnung, schenkte ihnen die Liberei, die sie nur wenig Wochen getragen, mit auf den Weg, nahm sich einen Reitknecht aus seiner Vaterstadt an, der ihn zugleich als Laquais bedienen konnte, und reisete, nachdem seine Urlaubszeit beinahe verflossen, wieder zum Regimente.

Das Liebesspiel mit Livicarden fing er also aufs neue an, jedoch muß er auf ihr banges Zureden mehr Behutsamkeit als anfänglich gebrauchen, weilen ihr ohngelegen, dergleichen Fatiguen so bald wieder auszustehen und einen solchen Hazard zu wagen, der vielleicht nicht so glücklich ausschlagen dürfte als der erste. Solchergestalt war nun Livicardens Trauerzeit, und zwar noch ein großer Teil drüber, auf eine ganz plaisante Art verbracht. Es melden sich zwar, wie schon gedacht, verschiedene standesmäßige Freier, muß aber einer nach dem andern mit einem Korbe abziehen, weil sie vielleicht von keinem unter allen vermuten können, daß er so geschickt sei, sie zu vergnügen, als Merillo. Endlich kömmt ein junger feiner Herr namens Ch. mit seiner Werbung bei Livicarden angestochen, zu diesem bekömmt dieselbe Appetit, weiln er dem Merillo an Jahren, Gestalt und galanten Wesen ziemlich zu gleichen geschienen, an Reichtum aber übertraf er fast die Livicarda selbst; allein sie will dennoch nicht eher zuschlagen, bis sie vorhero ihrem Trampelgalan mit guter Manier abgeschaffet hat.

Merillo, welcher zwar vor wie nach seine Aufwartung noch bei Livicarden machen muß, merket jedoch gar bald, daß er, nur um ihre Brunst zu löschen, Notknecht sein müsse, indem er nicht des zehenden Teils mehr so zärtlich traktiert und karessiert wird als vorhero. Derowegen fängt er an, sich einigermaßen über ihre Kaltsinnigkeit zu beklagen und ihr vorzurücken, daß sie vielleicht seiner überdrüssig sein müsse, indem sie gemeiniglich nach vollbrachten Liebesspiele einen besondern Ekel gegen seine Person spüren ließe, worauf Livicarda freimütig bekennet, daß sowohl das Staats- als[435] ihr eigenes Interesse erforderte, die Anwerbung des Herrn G. von Ch. nicht auszuschlagen, sondern ihm die ehelige Hand zu geben; derowegen würde er, Merillo, sie nicht verdenken, wenn sie sich gewöhnen müßte, sich seiner nach und nach zu enthalten, inzwischen würde sie das mit ihm genossene Liebesvergnügen beständig in geneigten Andenken behalten und allezeit eine gute Freundin von ihm verbleiben.

›Wohl gut, Madame!‹ sagt Merillo mit einer etwas ernsthaften Stimme und Miene, ›ich muß mir gefallen lassen, meine Glückseligkeit und Vergnügen, zu welchem ich plötzlich und unverhofft gelanget, auch plötzlich und unverhofft wiederum zu quittieren, schätze mich auch verbunden, vor Dero Interesse mehr als mein Vergnügen aufzuopfern, und bin bereit, das letzte Adieu von Ihnen zu nehmen, doch bitte nur vorhero von Ihnen Ordre aus, ob die Frucht Ihres Leibes zum bürgerlichen oder adelichen Stande erzogen werden soll.‹ Sie lässet durch Gebärden nicht undeutlich spüren, daß sie sich über diese Reden alteriert, gehet aber, nachdem sie ihn noch ein wenig warten heißen, in ein Nebenzimmer und kömmt erstlich nach Verlauf einer halben Stunde wieder zurück, da sie denn mit einer negligenten Miene zu ihm spricht: ›Ich bin voritzo nicht imstande, Euch zu kontentieren. Gehet dieses Mal hin, ich will Euch bei nächster Zusammenkunft in allen Satisfaktion geben.‹ Er macht sein Kompliment und gehet ziemlich trotzig seiner Wege, ist aber kaum drei oder vier Schritt von der Gartentür hinweg, als er in der dicken Finsternis, und zwar in einem Tempo, zwei Stiche, einen von vorne in die rechte Schulter und den andern durch die linke Weiche, bekömmt. Er tut einen Sprung auf die Seite, ziehet seinen Degen, um bei weiterer Attaque einen seiner Feinde mit in den Tod zu nehmen, da er aber vermerkt, daß dieselben davonlaufen, hält er nicht vor ratsam, größern Lärm zu machen, sondern schleicht in aller Stille nach seinem Quartiere, läßt einen Feldscher[436] kommen und sich verbinden. Etliche Tage sahe es sehr schlimm mit ihm aus; jedoch weil keine Hauptteile im Unterleibe verletzt waren, wurde er in wenig Wochen vollkommen restituiert.

Inmittelst erfuhr er, daß Livicarda ehester Tages mit dem G. von Ch. Beilager halten würde, derowegen trieb ihn der heftige Chagrin an, folgende Zeilen an Livicarden zu schreiben:


Gehet dieses Mal hin, ich will Euch bei nächster

Zusammenkunft in allen Satisfaktion geben.

Madame!


Dieses waren die letzten Worte, so ich neulich von einer vornehmen Dame hören mußte, die mich ehedem sehr öfters kommen, aber niemals weggehen heißen. Doch Glücke, Glas und die Liebe eines vornehmen Frauenzimmers gegen eine Mannsperson geringeres Standes zerbricht gar leichtlich, und also bewundere ich nichts, als daß Dero heftige Brunst von so langer Dauer sein und durch mein unermüdetes Bemühen nicht eher als itzo gelöschet worden. Jedoch was will ich von löschen sagen, da vielleicht die Glut dermalen durch den Anblick eines vierschrötigen Landsmannes noch heftiger angeblasen worden, von welchen etwa präsumiert wird, daß er seine Rebus besser machen werde als ein politer Deutscher. Demnach verwundere ich mich auch nicht, daß ich meinen Abschied von Ihnen bekommen, nur wundert mich, daß, da beschlossen gewesen, mir das Lebenslicht ausblasen zu lassen, Sie keine geschicktern Meuchelmörder, sondern solche feige Canaillen choisiert haben, welche die rechten Fleckgen nicht zu treffen gewußt, sondern, nachdem sie ihre Stöße mit selbsteigener Angst und Zittern angebracht, sich, sobald sie nur meinen Degen aus der Scheide fahren höreten, auf die Flucht begaben. War denn etwa dieses, Madame! die versprochene Satisfaktion? Sollte dieses der Rekompens vor meine oft über die Gebühr angespannete Kräfte sein? Sollte solchergestalt das kostbare Geheimnis erstickt und keinen[437] Menschen kundgemacht werden, ob der arme kleine Livicardomarillus vom Himmel gefallen oder hinter dem Zaune gefunden sei, mithin dieses unschuldige Kind zu einer vater- und mutterlosen Waisen gemacht werden? Ja, ja! ich besinne mich, die Staatsraison hat solches absolutement erfordert. Doch nein, Madame! das Militärleben ist vermögend, einem bürgerlichen Körper ein adeliches Herze einzupfropfen. Ob es aber zwar gleich keine Heldentat ist, dergleichen Cameralia, als wir eine Zeit dahero miteinander traktieret, auszuplaudern, so wird doch hoffentlich die galante Welt, in Betrachtung meiner ausgestandenen Fatiguen, mich nicht verdenken, wenn ich auf Mittel sinne, meinen Hohn zu rächen, welches ich wohl unterlassen, wenn man nicht versucht hätte, mich auf eine so liederliche Art ums Leben zu bringen. Demnach kündige ich Ihnen, Madame! meine vorgesetzte Rache an, worbei ich meinen Körper tausend Gefährlichkeiten exponiere, jedoch garantiere, daß, ob auch mein Körper in tausend Stücke zerteilet würde, dennoch keine menschliche Gewalt vermögend sein soll, die Publikation des Geheimnisses zu verhindern, welches zur Zeit noch meines Wissens niemanden als uns beiden bekannt ist; denn es liegt bereits mit allen akkuraten Umständen der ganzen Welt zur Nachricht aufgeschrieben an einem sichern Orte, welches ich darum getan habe, weil ich nicht weiß, ob ich vor meinem Ende noch imstande sein möchte, solches mündlich publik zu machen. Zwar glaube ich nicht, daß mein vertrauter Umgang mit Ihnen Dero hohen Stande eben so gar sehr despektierlich sein kann, weil ein braver Soldat ebensowohl von Adam und Even herstammet als eine Staatsdame hiesiges Landes. Vielleicht ist auch der Herr G. von Ch. eben so ekel nicht, daß er nach Vernehmung dieser Liebesbegebenheit Dieselben nicht ebenso feurig, als Sie sich ohnfehlbar schon im Geiste vorstellen, embrassieren sollte, wo er ja die Probe nicht bereits abgelegt. Dem sei aber, wie ihm sei, so[438] will doch ich erstlich eine mit Pulver, Blei und Blut geschriebene Protestation wider das fernere Verfahren einlegen, um wegen meines, mir meuchelmörderischerweise abgezapften unschuldigen Bluts Revanche zu nehmen. Solches meldet Ihnen zur dienstlichen Nachricht

der beherzte

Merillo.«


»Man muß bekennen«, sagte ein darbeisitzender Offizier, »daß dergleichen Schreiben vermögend ist, entweder ein Frauenzimmer in bange Furcht oder wohl gar in die ärgste Desperation zu setzen.« »Bei Livicarden«, versetzte der erzählende Lieutenant, »mag sich ohnfehlbar beides ereignen, jedoch sie bedienet sich der Verstellung, denn da Merillo eines Tages auf dem großen Platze vor ihrem Palais herumspazieret und wegen seiner in Gurt gesteckten Pistolen mutmaßen lässet, als ob er auf dem G. von Ch., der eben damals von Livicarden traktiert wurde, laurete, schickt sie eine ihrer Getreuen an ihn ab, lässet ihm eine ziemliche Summa Geldes bieten, wenn er sie ferner ungekränkt lassen und sich gar von dannen hinweg in andere Dienste begeben wolle; anbei läßt sie versprechen, sich noch selbigen Abends in einem Schreiben wegen des auf sie gelegten Verdachts, den Meuchelmord betreffend, zu entschuldigen und ihm bessere als vermeinte Satisfaktion zu geben. Dieser stellet sich anfänglich ziemlich spröde, weiln aber dennoch seine Absichten bloß allein auf das Geld gerichtet sind, verspricht er endlich, die Satisfaktionspunkte in seinem Quartiere zu erwarten, begibt sich also, nachdem er vor Livicardens Palais ein Pistol in die Luft geschossen, in sein Quartier.

Von ohngefähr fügte sich's, daß ich nebst noch einem Offizier durch solche Straße passierte, weiln wir nun den Merillo im Fenster gucken sahen und wußten, daß er öfters lieber ein paar gute Freunde auf der Stube hatte als in starke Compagnien ging, trafen ihn aber[439] sehr konsterniert und kaltsinnig an. Doch weiln sich bekannte Offiziers untereinander nicht viel hieran zu kehren pflegen, so machten wir beide auch diesmal uns keine Sorge daraus, setzten uns nieder, spieleten ein l'Hombre und rauchten eine Pfeife Tobak darbei. Merillo stellete sich, da es Abend zu werden begunnte, etwas unpäßlich und schläfrig an, allein mein Kamerad, der etwas lustiges Geistes war, sagte: ›Herr Bruder! du magst im Ernste krank oder schläfrig sein, so gehe ich doch vor Mitternachts nicht vom Flecke.‹ Wie er demnach sahe, daß es nicht anders war, stellete er sich etwas aufgeräumter. Ohngefähr um zehn Uhr des Nachts aber kam sein Bedienter und meldete, daß zwei Personen da wären, welche etwas an ihn zu überbringen hätten. Derowegen sprach Merillo zu mir und dem andern Offizier: ›Messieurs, seid von der Güte, nehmet ein Licht und gehet nur auf einige Minuten in dieses Nebenzimmer, weil ich nur noch etwas zu negotiieren habe, worvon ich euch nachhero Part geben will.‹ Wir weigerten uns nicht, dieses zu tun, weil ich aber curieux war zu sehen, was passierete, guckte ich durch das Schlüsselloch und wurde gewahr, daß sein Diener zwei Weibspersonen hineinbrachte, von welchen die eine einen schwer angefülleten Korb truge und von einer sogenannten wohlbewußten Person einen Gruß wie auch ein Schreiben brachte, anbei den Merillo bat, er möchte von der Güte sein und seinen Diener bis an die Ecke der Straße gegen den Markt zu schicken, weiln zwei Weiber unterwegs wären, die das Beste trügen, sich aber vielleicht verirren könnten. Dieser schickte also seinen Diener mit der Laterne fort, trat zum Lichte und erbrach den empfangenen Brief, immittelst half eine der andern den Korb auf die Erde setzen, welcher, wie wir hernach befanden, mit etlichen wohlversiegelten Kästlein, worinnen lauter Sand befindlich, unten aber mit Steinen beschwert war. Da dieses geschehen, zohen sie eine seidene starke Schlinge hervor, warfen dieselbe dem Merillo mit[440] größter Geschwindigkeit über den Kopf um den Hals, rissen ihn zu Boden, so daß er sich kaum regen, viel weniger um Hülfe rufen konnte.

Es ist leicht zu erachten, daß mein Kamerad und ich nicht lange werden gezaudert haben, dem ehrlichen Merillo in seinen Todesnöten beizuspringen. Ich kam eben noch zu rechter Zeit, demjenigen Stoße Einhalt zu tun, welchen die eine Verteufelte mit einem Dolche in seine Brust tun wollte. Indem ich nun bemühet war, dieselbe zu entwaffnen, wollte mein Kamerad dem gurgelenden Merillo die Schlinge vom Halse machen, bekam aber darüber von der andern Bestia einen Dolchstich ins Gesäße und hatte also Ursach, dem Himmel zu danken, daß sie seines hohlen Leibes verfehlet. Ich wurde es sobald als er selbst gewahr, zohe derowegen alsofort meinen Degen und hieb ihr die Hand, worinnen sie den Dolch führete, vom Leibe, so daß beides zu ihren Füßen fiel. Die andere fetzte ich gleichfalls etlichemal über den Kopf ins Gesicht und über die Hände. Da nun mittlerweile mein Kamerad dem ehrlichen Merillo die Schlinge abgemacht und es dahin gebracht, daß er wieder Luft schöpfen und die Augen eröffnen konnte, stießen wir beide Canaillen zu Boden, bunden ihnen selbst Hände und Füße so fest als möglich zusammen, befanden aber, daß das eine zwar eine Weibs-, das andere aber eine Mannsperson war. Wir ließen die beiden Mordbestien liegen und strampeln, den ohnmächtigen Merillo aber trugen wir auf sein Feldbette, da ihn denn mein Kamerad den Hals und das Gesichte mit Franzbrannteweine riebe, dessen er kaum eine halbe Stunde vorhero eine ganze Bouteille voll holen lassen, ich aber trat an ein Fenster und rufte dessen ausgeschickten Diener mit lauter Stimme, allein ich hätte lange rufen mögen, denn derselbe war ebenfalls von etlichen Straßenräubern überfallen, zu allem Glücke aber von der darzu kommenden Patrouille noch errettet und in die Corps de Garde gebracht worden. Solches erfuhren wir von[441] einem die Wacht habenden Soldaten, welchem ich befahl, daß er augenblicklich einen von sei nen Kameraden, den nächsten den liebsten aufsuchen und ihn sogleich zu uns schicken sollte. Es währete keine drei Minuten, so stellete sich einer ein, dem wir ein Paar geladene Pistolen gaben, um, daferne er etwa auf der Straße von Mördern angegriffen würde, sich damit zu wehren, nur aber ohne Zeitverlust einen Feldscher herzubringen. Er kam nebst dem Feldscher eiligst wieder, demnach wurde dem ehrlichen Merillo vor allen andern Dingen eine Ader geschlagen und etwas Arzenei eingeflößet, worauf er sich wieder besinnen, auch einige Worte sprechen konnte. Mein Kamerad ließ sich auch nach seiner Wunde sehen, es wurde aber dieselbe, wiewohl etwas tief, aber doch nicht gefährlich befunden. Die beiden Meuchelmörder wurden gleichfalls verbunden, und unser Soldat mußte sie bewachen, der Feldscher aber und ich bewachten unsere beiden Patienten, welche wir in das Nebenzimmer zur Ruhe gebracht hatten.

Frühmorgens befande sich unser Merillo ziemlich besser, da aber der Feldscher weggegangen war, um einige Medicamenta zu holen, dankte er uns aufs verbindlichste vor die Rettung seines Lebens, sagte anbei, wir als seine Schutzengel müßten gewiß durch eine besonders gnädige Fügung des Himmels ihm zugeschickt worden sein, da er doch nicht leugnen könnte, daß er gestrigen Abend wegen ein und anderer Grillen lieber allein zu sein gewünschet, wo er aber alleine gewesen, würde er sich nunmehro ohnfehlbar schon im Reiche der Toten befinden. Nach diesen, weiln er merkte, daß aus dem gefundenen und mit Livicardens Namen unterschriebenen Briefe uns ein und anderes von seinen Liebeshändeln müsse bekannt worden sein (denn ohngeacht dieser Brief, unter dessen Durchlesung ihm die Kähle bald wäre zugeschnüret worden, war, ohngeacht er ziemlich mit Blut besudelt, doch noch ziemlich leserlich), so erzählete er uns Verschiedenes von[442] seinen Aventuren, bat sich aber hierbei noch zur Zeit unserer Verschwiegenheit aus und versprach dargegen vor redlich geleistete Hülfe und Lebensrettung, uns eine ansehnliche Diskretion zu verschaffen.«

»Ei, Herr Lieutenant!« fragte der Obriste Sw., »wie lautet denn der an Merillo von Livicarden geschriebene Brief ohngefähr?« »Ich habe denselben«, versetzte der Lieutenant, »gleich in der ersten Nacht abgeschrieben, sowohl als die andern, welche mir Merillo kommuniziert und darbei erlaubt hat, seine Aventuren, die er mir nachhero weit umständlicher erzählet, in behöriger Form zu Papiere zu bringen. Livicardens Brief aber, den ich noch jetzo in meiner Brieftasche bei mir führe, klinget also:


Mein Merillo!


Ihr glaubt, daß ich Euch geliebt habe, daß ich Euch aber noch liebe, wollet Ihr nicht glauben; allein ich versichere Euch dessen vollkommen, ja ich rufe den Himmel zum Zeugen an, daß ich alle Staatsmaximen verdammen und niemand auf der Welt lieber als Euch zum Ehegemahl haben wollte. Doch wo Ihr vernünftig seid, so erwäget selbst, daß die rasende Wut meiner Landsleute uns alle beide nicht einen Monat lang würde leben lassen. Wie könnet Ihr nun verlangen, daß ich meine zeitliche Glückseligkeit, ja sogar mein Leben in die Schanze schlagen und an Euren und meinem Tode Ursächerin sein sollte? Zwar wie ich aus Eurem Schreiben ersehe, so stehet Ihr bereits in den Gedanken, als ob ich die Bosheit begangen und einen meuchelmörderischen Anschlag auf Euer Leben gemacht; allein mein Gewissen ist von dieser Sünde frei. Ich glaube wohl, daß Euch jemand bei meinem Garten mag aufgepasset haben, denn die Bangigkeit meines Herzens und das auf derselben Stelle gefundene frische Blut, sodann die Nachricht, daß Ihr Euch unpaß befändet, überzeugten mich, daß Euch ein Unglück widerfahren sein müsse. Ich konnte aber keine genauere Nachricht davon einziehen, weil man mir[443] sagte, daß Ihr Tag und Nacht gute Freunde um Euch hättet; unterdessen, weil ich an Eurem Unglück unschuldig, so hat Euer auf mich gelegter Verdacht mir wohl mehr Tränen als Euch der Mörderstahl Blutstropfen ausgepresset. Hierbei bin ich auf die Gedanken geraten, ob etwa einer von meinen Freiern eins von meinen Bedienten mit Gelde bestochen und zur Untreue bewogen, mithin einige Nachricht von unsern geheimen Zusammenkünften erfahren und Euch also auf den Dienst gelauret. Ihr sehet also, daß die Gefahr vor uns beiderseits sehr groß ist, derowegen handelt klug, nehmt von mir 6000 Taler bar Geld, verlasset diesen fatalen Ort, gehet auf eine Zeit in andere Dienste und machet damit vor dieses Mal mich ruhig, Euch aber glücklich und vergnügt. Ja! mein Merillo, folget mir und entfernet Euch auf diesmal, was Euch hinfüro mangeln möchte, sollet Ihr jederzeit par Wechsel von mir zu gewarten haben, denn Livicarda wird Euch nebst ihrem eigenen Fleische und Blute nimmermehr Not leiden lassen. Nach einigen Jahren ist Euch die Zurückkunft unverwehrt, ja Ihr könnet sodann Euer Vergnügen vielleicht in reicherer Maße wieder finden als jetzo, da Ihr es vor verloren schätzet. Folget mir anjetzo, mein Merillo, denn Euer und mein Glück beruhet darauf, bleibt auch versichert, daß ohngeachtet ihrer Vermählung mit einem andern Euch dennoch bis in den Tod beständig lieben wird.

L.v.c.A.


Es ist erstaunlich, wenn man das verzweifelte Gemüte einer solchen falschen Sirene betrachtet, welche zwar Honig im Munde, Strick und Dolch aber in Händen führet. Wenn ich an des Merillo Stelle gewesen wäre, so hätte mich der Jachzorn ohn allen Zweifel dahin verleitet, Livicarden auf ihren Zimmer zu erschießen oder sie aufs wenigste vor aller Welt zu prostituieren. Doch dieser hatte sich von der gesunden Vernunft und seinem eigenen Interesse regieren lassen, setzte demnach folgendes Schreiben an sie auf:
[444]

Tyrannische Dame!

Gestrenge Gebieterin der Henker

und Meuchelmörder!


Wisset, daß Euer verteufelter Anschlag, mich von zweien verkleideten Furien (wovon Ihr ohnfehlbar die dritte seid) mit Strick u. Dolch ums Leben bringen zu lassen, durch Schickung des Himmels abermals rückgängig worden und nicht nach Eurem Wunsche abgelaufen ist; denn Merillo lebet noch, ohngeachtet ihm der Hals bereits zugeschnüret und alle Gedanken vergangen waren. Ja, er lebt noch und vielleicht zu Eurem Unglück, wenigstens Spotte, Hohne und Verachtung bei der honetten Welt. Wisset ferner, daß, wo Ihr mir nicht heutiges Tages vor Untergang der Sonnen 6000 spec. Taler zu meiner Rekreation und zur Auferziehung Eures zur Welt gebrachten uneheligen Kindes, nächst diesen 1000 spec. Taler vor vier Personen, welche mir mein Leben errettet und um diese Begebenheit Wissenschaft haben, in mein Quartier anhero sendet, so will ich die in meiner Gewalt habenden Meuchelmörder morgen mit dem allerfrühesten in die Hände der Justiz liefern und nebst Eingebung einer ordentlichen Specie facti der curieusen Welt solche Geheimnisse vor Augen legen, die sich der tausende Mensch von einer solchen Person, wie Ihr angesehen sein wollet, wohl schwerlich hätte träumen lassen. Bekomme ich aber das Verlangte ungesäumt, so soll nicht allein alles, was geschehen, unterdrückt und verschwiegen bleiben, sondern es sollen auch die zwei gefangenen Mörder an Euch ausgeliefert werden. Nehmet es als eine besondere Marque meiner ehemaligen Liebe und noch jetzigen Höflichkeit und Gelassenheit an, daß ich mich den Jachzorn nicht verleiten lasse, anders zu verfahren. Überleget Eure Affären aufs beste, inzwischen wird seine Avantage auch zu überlegen bemühet sein

Merillo.


Diese Zeilen lieferte ich auf des Merillo Bitten Livicarden[445] in ihre eigenen Hände, sie erbrach dieselben und wendete sich damit an ein Fenster. Ohngeacht ich ihr nun nicht ins Gesichte sehen konnte, so bemerkte ich doch, daß sie unter dem Lesen recht erzitterte und eine gute Weile als eine Statue auf einer Stelle stehenblieb, endlich besonne sie sich wieder, wendete sich herum, sahe so blaß aus als eine Leiche und sagte zu mir: ›Monsieur! weil ich nicht zweifele, daß Sie ein vertrauter Freund von dem Herrn Lieutenant Merillo sind, so bitte ihm von meinetwegen zu melden, daß es zwar einen starken Schein habe, als ob ich an dem ihm begegneten Zufalle schuld habe, allein es ist nicht an dem, sondern ich bin unschuldig und will mich schriftlich deutlicher gegen ihn erklären, auch heute abend, sobald es dämmrig wird, dasjenige übersenden, was er verlanget hat, worgegen ich verhoffe, daß er als ein redlicher Offizier seine Parole halten werde.‹ Wie sie nun Miene machte, sich in ihr Cabinet zu begeben, versprach ich, dero Befehle wohl auszurichten, machte meinen très humble und brachte dem Merillo die fröhliche Post zurücke.

Livicarda hielt ihr Wort redlich, denn sobald es abends dämmerig zu werden begonnte, meldeten sich zwei Personen, die eine Sänfte mit sich gebracht hatten, lieferten in sieben Säcken 7000 spec. Taler an Merillo, welcher die Säcke sogleich aufschnitt, um zu sehen, ob nicht abermals ein Betrug darunter vorginge, mittlerweile stunden unser vier Personen bei einem Tische, worauf sechs Paar geladene Pistolen und vier Pallasche lagen. Da aber Merillo merkte, daß alles richtig sein und die Summa wohl zutreffen würde, ließ er die zwei blessierten Arrestanten verabfolgen, welche in die Sänfte gelegt und fortgetragen wurden, ohne daß weiter jemand etwas von der Hauptsache gemerkt hätte, denn Merillo bewohnete sein Quartier ganz alleine mit seinem Bedienten. Den Brief, welchen er nebst der Geldsumme von Livicarden empfangen, hat er mir nicht gezeiget, doch merkte ich, daß sich sein[446] Zorn gegen dieselbe ziemlich gelegt hatte, denn er ließ sich verlauten, wie er sich nicht genung verwundern könne, daß Livicarda ein so großes Vertrauen auf seine Parole gelegt, und er schlösse fast aus gewissen Umständen, daß sie an der Meuchelmörderei keinen Teil habe; derowegen bat er mich und meinen Kameraden höchlich, alles das, was er uns von seinen Liebesaventuren erzählet, sowohl als alles dasjenige, was in vergangener Nacht und heute passiert, verschwiegen zu halten, damit weder er noch Livicarda prostituiert und auf der Leute Zungen herumtanzen müßten. Wir gelobten ihm demnach nicht nur auf Offiziersparole das Stillschweigen an, sondern verschwuren uns auch teuer, weder zu seinem noch Livicardens Verdruß etwas auszuplaudern, und obgleich ich anitzo diese Geschicht erzählet habe, so wird doch von Ihnen, Messieurs! wohl keiner erraten, was eigentlich vor Personen unter den fingierten Namen gemeinet sein.

Jedoch zum Schlusse meiner Erzählung zu kommen, so muß ich bekennen, daß Merillo so liberal war und uns beiden Offiziers jeden 500 spec. Taler vor unsere gehabte Bemühung aufzwange. Dem Feldscher gab er 200, dem Musketier aber wie auch seinem eigenen Bedienten jeden 100 Taler, welche drei letztern in unsern Beisein einen ordentlichen Eid schwören mußten, von dieser Begebenheit und alledem, was sie gesehen und gehöret, nichts auszuplaudern. Mein Kamerad und ich blieben noch einige Tage bei ihm, ausgenommen, wenn mich die Wache traf, brachten auch auf des Merillo Verlangen verschiedene andere Offiziers mit, die ihm, weil er würklich vom Schrecken noch etwas unpaß war, die Zeit passieren mußten. Ferner hielt er alle Nacht vier bis sechs Musketiers von der Compagnie, bei welcher sein Hauptmann damals nicht gegenwärtig war, in der untern Stube seines Quartiers mit Essen und Trinken frei, welche die Nachtwache mit ihrem Gewehr bei ihm halten mußten, indem er sich immer noch eines meuchelmörderischen Überfalls befürchten[447] mochte. Sobald aber sein Capitain wieder zur Compagnie kam, nahm Merillo abermals Urlaub zu verreisen, ließ seine beschwerliche Bagage in meiner Verwahrung und machte sich mit einer Extrapost aufs eiligste fort. Wenig Wochen hernach kamen Briefe von ihm, worinnen er bei dem Chef um seinen Abschied anhielt, welchen er auch bald hernach nebst seinen zurückgelassenen Sachen bekam. Nach diesen habe ich zwar den ehrlichen Merillo nicht wieder gesprochen noch gesehen, jedoch vernommen, daß, nachdem er bei einer nordischen Puissance Dienste genommen und sich in ein paar Kampagnen wohl gehalten, er nunmehro den Obristlieutenants-Posten erstiegen. Ich aber bin immer noch Lieutenant«, meldete hier der Historicus mit Lächeln, »das macht, weiln ich kein Geld, mithin nur einen Sack voll Hoffnung habe, mit der Zeit, wenn es einmal buntüber gehet, höher zu steigen. Unterdessen siehet man doch, wie das Glücke mit dem Menschen zu spielen pfleget, denn hätte Merillo bei dem Frauenzimmer keine Goldgruben gefunden, was gilt's? er sollte mir wohl noch bis auf diese Stunde Korporal, wenn es viel wäre, Furier oder höchstens Sergeant sein.«

Wie nun der Lieutenant hiermit seine Erzählung beschlossen hatte, sagte ein gewisser, zwar noch junger, jedoch sehr artiger und geschickter Capitain: »Ich gebe dem Herrn Lieutenant in seiner letztern Meinung gar gerne Beifall; vor mein Particulier aber danke ich vor dergleichen Behelfsmittel und wollte lieber zeitlebens Musketier sein als solchergestalt avancieren. Es ist doch kein Segen und Gewissensruhe darbei. Wie kann ein Offizier, der sein Herz mehr der Veneri als dem Marti gewidmet, seine Dienste mit Plaisir verrichten? Wie kann er mit freien und sichern Herzen in eine Bataille oder Sturm gehen? Gewißlich ein Soldat, der sein Herz erstlich an das Frauenzimmer henkt, wird feige gemacht, und wenn er gleich noch soviel Guts an sich hat. Man sage mir, ob dergleichen Courtoisie reputierlich,[448] im Gegenteil aber nicht vielmehr höchst schädlich und sündlich sei. Über dieses siehet man sich darbei sehr öfter solchen Gefährlichkeiten exponiert, die vermögend sind, auch den wackersten Soldaten um Ehre und Leben, ja was das vornehmste ist, gar um seiner Seelen Seligkeit zu bringen. Wo wäre Merillo wohl hingefallen, wenn die beiden Meuchelmörder nicht von dem Herrn Lieutenant und dessen Compagnon wären verhindert worden, ihn mit der Schlinge und dem Dolche ums Leben zu bringen?«

»Wenn man dieses bedenkt«, versetzte der Lieutenant, »so sollte einem freilich wohl der Appetit vergehen, dergleichen gefährliche Glückswege zu wandeln, die ohnedem einem Menschen nicht zur wahren Glückseligkeit, sondern in den Irrgarten aller Laster führen und worauf die Strafe, wo nicht in dieser, doch in jener Welt erfolget. Allein, es ist leider! zu beklagen, daß das Courtoisieren bei den Soldaten grand mode worden, auch ganz und gar vor keine Sünde mehr gehalten wird, es sei auch mit ledigen oder vereheligten Frauenzimmer, denn ein junger Mensch, der gerne gut leben will, mit seiner Gage nicht auskommen kann und dennoch auch nach höhern Chargen strebt, lässet sich niemals eine Sünde leichter als diese gelüsten, weil sie mit so vielen wollüstigen Vergnügen verknüpft ist. Ja, wenn alle hohe und geringere Martis-Söhne, welche das sechste Gebot übertreten haben, vom Himmel darmit gestraft werden sollten, daß sie keine Pistole oder Flinte losbrennen könnten, so würde man gewißlich dann und wann in manchem Treffen sehr miserable Salven hören.«

Über diese letztere Expression entstunde bei der ganzen Compagnie ein starkes Gelächter und wurde über dieses Thema noch eine Zeitlang pro & contra disputiert, bis endlich die Reveille geschlagen wurde, da sich denn ein jeder über die Flüchtigkeit der Zeit verwunderte und nach schuldigster Danksagung vor genossene Gültigkeit an seinen gehörigen Ort eilete.[449]

Elbensteinen begunnte von nun an das Soldatenleben immer besser und besser zu gefallen. Es ging aber in diesem Jahre außer der blutigen Bataille bei F. nichts Remarquables vor, weswegen hochgemeldter Prinz im Weinmonat aus dem letztern Campement bei St. Q.L. sich wieder nach N. begaben. Elbenstein aber, der sich leicht die Rechnung machen konnte, daß er zu N. sein Glück schwerlich finden würde, blieb bei der Armee und hielt sich die übrige Zeit der Kampagne wie auch den Winter über als Volontär bei dem Dragoner-Regiment von Bh. auf. Er spürete klärlich, daß, da er ein Gelübde getan, nun und nimmermehr seiner geliebten L. wiederum treulos zu werden, der erzürnte Himmel seine gerechte Strafe und Rache gegen ihm aufgehoben und in lauter Erbarmung und Gütigkeit verwandelt hatte, auch seine Vorsorge ihm reichlich blicken ließ, indem er bei Eröffnung der folgenden Kampagne eine Lieutenantsstelle unter dem N. Regiment zu Pferde erhielt, welches auf englischen Fuß stunde. Er hatte solchergestalt monatlich 70 Taler Einkommens, derowegen fassete er den Schluß, um seine Gelübde desto besser halten zu können, sich mit seiner verlobten Braut zu vereheligen. Solches geschahe auch nach geendigter Kampagne, und zwar zu U. in Gegenwart vieler darzu erbetener vornehmer Personen sowohl männals weibliches Geschlechts.

Vorhero aber, ehe sich die Kampagne noch geendigt hatte, mußte Elbenstein noch zwei starke Anfechtungen von dem Feinde des menschlichen Geschlechts und des heil. Ehestandes ausstehen. Die erste bestunde darinnen: Als er eines Abends bei einem Marketender, der zugleich Wachtmeister unter dem Regiment war, gespeiset und eine Bouteille Wein getrunken hatte, gab er der Frauen einen Louisdor mit der Bitte, ihm einzelne Münze darvor zu geben und das Verzehrte zu dekortieren. Sie bat ihn, ohnbeschwert mit ihr in ihr Nebengezelt zu gehen, woselbst sie ihm einzelne Münze aufzählen wollte. Da sich nun Elbenstein nichts[450] Übeles besorgte, folgte er ihr auf dem Fuße nach, sobald er aber in das Zelt trat, umarmete sie ihn und gab ihm einen derben Kuß auf seinen Mund, sagte hierauf: »Liebster Herr Lieutenant! nun habe ich mich vor die schlechte Abendmahlzeit, die Sie bei mir genossen haben, schon bezahlt gemacht; hier haben Sie Ihre Pistolette zurück, erweisen Sie mir nur die Gefälligkeit und bedienen Sie sich meines Tisches alle Tage, ich will Sie nach meinem äußersten Vermögen aufs allerbeste bedingen und sonst nichts darvor verlangen als Dero Gewogenheit nebst der Erlaubnis, daß ich heunte Nacht auf ein Stündgen in Ihr Zelt kommen und Sie um eine Gefälligkeit ansprechen darf.«

Elbenstein übereilete sich aus angeborner Complaisance gegen das weibliche Geschlecht nicht wenig mit seiner Antwort, indem er sie versicherte, daß ihm ihre Visiten jederzeit sehr angenehm sein sollten, worauf er sich nach seinem Zelte begab und bei einer Pfeife Tobak einen französischen Autorem las, den ihm ein guter Freund kommuniziert hatte; immittelst begunnte es ihm zu gereuen, daß er der Wachtmeisterin, ohngeachtet sie eine sehr wohlgebildete Frau war, Erlaubnis erteilet hatte, ihm eine Nachtvisite zu geben, denn er besanne sich nunmehro erstlich, daß der Satan mit im Spiele sei und ohnfehlbar dahin trachten würde, ihn zu Brechung seines Gelübdes zu bewegen. Zu allem Glück kam der Quartiermeister von seiner Compagnie, welcher noch etwas zu rapportieren hatte, diesen, weil er ein artiger Mensch, über dieses auch von vornehmen Eltern war, bat Elbenstein, daß er ihm die Gefälligkeit erweisen und noch ein paar Pfeifen Tobak mit ihm rauchen möchte, offenbarte auch demselben, daß sich ein gewisses Frauenzimmer bei ihm melden lassen, um etwas Geheimes mit ihm zu sprechen, weilen ihm aber die Sache, zumalen bei nächtlicher Zeit, verdächtig vorkäme, indem er kein Liebhaber des Frauenzimmers sei, so möchte er, der Quartiermeister, sobald das Frauenzimmer angestochen käme,[451] zwar zum Zelte hinausgehen, als ob er bei der Compagnie etwas zu besorgen hätte, jedoch nur bei dem Zelte stehenbleiben und, wenn er, Elbenstein, hustete, sogleich wieder hineinkommen und rapportieren, was ihm eben in die Gedanken käme; denn er wisse selbst nicht, was das Frauenzimmer von ihm haben wolle. Ohngefähr um elf Uhr erschien also die Frau Wachtmeisterin mit einem Mantel bedeckt. Der Quartiermeister retirierte sich alsofort, weswegen sie den Mantel abwarf, Elbensteinen umarmete und küssete, hernachmals als eine geborne Wallonin in französischer Sprache sagte: »Mein Herr Lieutenant, ich bemerke, daß es Ihnen an kleinen Gelde fehlet, hier bringe ich Ihnen zehn Taler Kleingeld in einem Beutel, freie Zehrung an Speisen und Wein sollen Sie außerdem alle Tage bei mir haben, hiervor bitte mir aber nur Dero genauste Freundschaft und Liebe aus, denn ich kann nicht leugnen, daß mich auf der Welt nach nichts mehr als nach einem jungen Erben verlanget, welchen ich wegen der heftigen Liebe, so ich auf Sie geworfen, von niemand eher als von Ihnen zu erhalten verhoffe.«

Elbenstein war froh, daß er dem Quartiermeister vor seinem Zelte zu warten befohlen, denn durch dieser wohlgebildeten Frauen spirituellen Liebsantrag und herzhaften Expressiones, als auch durch die negligente, zur Liebe reizende Tracht, in welcher sie vor ihm erschien, wurde er dergestalt konsterniert, daß es, wenn er nicht an die Verabredung mit dem Quartiermeister gedacht, gefährlich um die Haltung seines Gelübdes gehalten haben würde. Solchergestalt aber sagte er zu ihr: »Madame! Ich bin niemals gewohnt gewesen, unerkenntlich gegen diejenigen zu sein, so Freundschaft vor mich hegen, geschweige denn gegen so ein charmantes Frauenzimmer, als Sie sind. Allein ich bedauere, daß ich mich nicht im Stande befinde, Ihrem Verlangen ein Genügen zu leisten, denn da ich mich vor zwei Jahren mit einer gewissen Baronesse verlobt, habe ich ihr, bevor ich in Kampagne ging, vermittelst der allerteuresten[452] Eidschwüre die Versicherung geben müssen, in meiner Treue und Liebe nicht wandelbar zu sein. Derowegen müßte ich die allerschweresten Strafen des Himmels befürchten, wenn ich solche teuren Schwüre leichtsinnigerweise bräche.«

Die Frau Wachtmeisterin wollte zwar hierwider verschiedene Exceptiones machen, da sich aber Elbenstein stellete, als ob ihm unter währenden Trinken etliche Tropfen in die unrechte Kehle gekommen wären und er dieselben wieder aushusten müßte, kam bald hernach der Quartiermeister, pochte vor dem Zelte, und da ihn Elbenstein hereintreten hieß, rapportierte [er] folgendes: »Mein Herr Lieutenant, diesen Augenblick läßt der Korporal von N. Compagnie zur Nachricht melden, daß zwei von unsern Leuten, welche vergangene Nacht mit auf Partie gegangen, zurückgeblieben; er wisse aber nicht, ob sie desertiert oder gefangen wären.« Elbenstein ließ den Quartiermeister ins Zelt kommen und hieß ihn warten, weil er diesfalls noch weiter mit ihm zu sprechen hätte. Die Frau Wachtmeisterin vermeinte zwar, es würde dieser bald wieder fortgeschickt werden, da es aber nicht geschahe, wurde sie endlich verdrüßlich und sagte: »Nun, mein Herr Lieutenant, Sie werden, weil Sie heunte mehr zu tun haben, das Geld wohl morgen früh nachzählen, meines Wissens ist es richtig.«

»Nein! Madame!« versetzte Elbenstein, »erweisen Sie mir die Gefälligkeit und nehmen dieses Geld wieder zurücke bis morgen nach der Mittagsmahlzeit, die ich bei Ihnen einnehmen werde, sodann wird es sich besser als bei Lichte zählen lassen.« Mit diesem Bescheide mußte sich die lüsterne Frau Wachtmeisterin abfertigen lassen und mit größten Mißvergnügen nach ihrem Marketenderzelte zurücke kehren in Hoffnung, ihm mit der Zeit den Rummel dennoch zu benehmen und ihr verliebtes Dessein auszuführen.

Hingegen dankte Elbenstein, als er sich vollends recht besonne, daß er dieser Versuchung so glücklich entgangen[453] war. Der Quartiermeister erzählete hierauf, daß diese Frau, welche ihren Mann, den Wachtmeister, nunmehro erstlich vier Jahr hätte, sich in den ersten zwei bis drei Jahren sehr retirée gehalten, so daß man an ihr nicht die geringste Ausschweifungen verspüret, nachdem ihr aber die Grillen in den Kopf gekommen sein möchten, wie sie einen Mann habe, der ihr nicht einmal ein Kleines fabrizieren könne, wäre sie auf die Gedanken geraten, sich nicht allein an ein und andern wohlaussehenden Offizier, sondern auch sogar an verschiedene gemeine Reuter, und zwar bald an diesen, bald an jenen zu attachieren, wie man aber sähe, wollte dennoch nichts fruchten. Da nun Elbenstein und der Quartiermeister noch verschiedenes von dieser Begebenheit gesprochen hatten, stellete sich endlich der erste schläfrig an, der andere nahm gute Nacht und begab sich nach seinem Gezelte.

Ob sich nun Elbenstein auch sogleich zu Bette legte, so wollte doch kein Schlaf in seine Augen kommen, derowegen verdroß ihm, sich vergeblicherweise im Bette herumzuwälzen, stund also auf, nahm sein Schreibezeug und brachte folgende Arie zu Papiere:


1


Auf, mein Geist, sei wohlgemut,

Wenn Begierden stürmen,

Laß nicht ab, dein Fleisch und Blut

Tapfer zu beschirmen.

Halte dich

Ritterlich,

Laß nicht ab zu kämpfen,

Du wirst sie noch dämpfen.


2


Laß die Sinnen leblos sein,

Fühle ohne Fühlen,

Schließ die geilen Lippen ein

Vor der Küsse Spielen.

Das Gesicht[454]

Sehe nicht,

Wenn ein schnödes Blicken

Unschuld will bestricken.


3


Laß die Ohren abgekehrt

Vom Sirenensingen,

Weil, sobald man sie gehört,

Sie uns bald verschlingen.

Ihr Getön

Klinget schön,

Doch in einer Stunde

Geht man gleich zu Grunde.


4


Ach! ihr Sinnen, regt euch nicht,

Sonst müßt ich verlieren!

Der Begierden Irrwisch-Licht

Pflegt nur zu verführen,

Und ihr Glanz

Kann mich ganz

Als ein Blitz verblenden

Und in Abgrund senden.


5


Frisch, mein Geist! dein tapfrer Mut

Hat nun doch gesieget,

Schau! wie Lasterlüste Wut

Ganz darniederlieget.

Du hast dich

Ritterlich

Gegen sie verhalten,

Wollust muß erkalten.


Der zweiten Falle, so ihm der Asmodäus oder der Geist der Unzucht und Hurenteufel gestellet, entging er durch Gottes Gnade folgendermaßen: Er hatte etliche Tage nach der Aventure mit der Marketenderin den Feldprediger auf sein Ansuchen wegen gewisser Umstände zu seinem Zeltkameraden angenommen[455] und dessen Feldbette neben das seinige schlagen lassen. Nun trug es sich zu, daß besagter Feldprediger zu einem andern Regiment, um einen Delinquenten zu einem christlichen und seligen Ende zu präparieren, voziert wurde, weil der Feldprediger des andern Regiments krank darniederlag, welches dieser auch gern und willig über sich nahm und fortginge. Es mochte aber frühmorgens etwa um vier Uhr sein, als ein sehr artig angekleidetes Weibsbild zu Elbensteinen in das Zelt trat und bat, ihr etwas von ihren guten und delikaten Liqueurs und Confituren abzukaufen. Sie erwartete keine Antwort, sondern setzte sich recht frech und ungescheut zu ihm aufs Bette, präsentierte ihm ein Gläsgen Persico nebst einem Schälchen voll Konfekt. Elbenstein, um nicht vor einen Schrupper oder kargen Filz angesehen zu werden, akzeptierte solches und trunk es aus. Mittlerweile setzte sich das Frauenzimmer zu ihm aufs Bette, reichte ihm noch zwei Gläser und unterstund sich nachhero, ihm an demjenigen Orte den Puls zu begreifen, wo derselbe bei Sanguineis am stärksten zu schlagen pflegt, anderer Karessen durch Küsse und dergl. zu geschweigen. Indem nun dieses eine Person, die nicht schöner hätte gemalt werden können, weil sie von der Natur nicht nur wohl, sondern noch mehr als wohl gebildet worden, so wachten bei Elbensteinen, sonderlich wegen des eingeschluckten Persico, die Lebensgeister oder, besser zu sagen, die Hurengedanken auf einmal wieder auf, und es war an dem, daß der arme Elbenstein in die vom Asmodäo neu gelegte Schlinge verfallen sollte, denn diese Lais oder Sklavin der Unzucht hatte bereits das Körbgen, worinnen sie ihre Waren hatte, beiseite gesetzt und war eben im Begriff, sich mit entblößeten Unterleibe zu Elbensteinen ins Bette zu legen, als sich von ferne des zurückkommenden Feldpredigers Stimme hören ließ, welcher aus dem bekannten Liede: Wer weiß, wie nahe mir mein Ende etc. eben den Vers anstimmete: Herr! lehr mich stets mein End bedenken etc.[456]

Hierdurch wurde die unzüchtige und verdammliche Vollziehung des schändlichen Desseins, worzu schon beider Wille geneigt und bereit war, auf einmal plötzlich unterbrochen; dahero die geile Canaille ihre Waren eiligst auffassete, jedoch nicht so hurtig fortwischen konnte, daß sie der Feldprediger nicht hätte aus des Lieutenants Zelte kommen sehen. Es bot derselbe zwar Elbensteinen einen guten Morgen, fragte aber auch zugleich mit einem sehr ernsthaften Gesichte, was denn die Erzhure, die Regimentshenkerin, bei ihm im Gezelte gemacht hätte. Elbenstein erschrak ungemein, als er den Charakter dieser Schönen erfuhr, war aber so aufrichtig und bekannte dem Feldprediger alles haarklein, worauf der Feldprediger sagte: »Gott Lob und Dank, daß ich noch zu rechter Zeit die würkliche Vollbringung solcher Schandtat verhindert habe, allein, dem allen ohngeacht, mein werter Herr Lieutenant, hat Er doch den langmütigen Gott mit Seinem unzüchtigen Willen und Begierden vorsätzlicherweise beleidiget und sich wider seine Gebote schwerlich versündiget. Ach! Er bereue demnach Seine Sünden herzlich und schmerzlich und danke darnebst der unermeßlichen göttlichen Barmherzigkeit vor die unverdiente Gnade, die Ihm vor dem würklichen Falle so treulich behütet hat, wofür ich selbsten dem allmächtigen Gotte, der den Tod des Sünders nicht begehret, inbrünstigen und demütigsten Dank abstatte, daß er mich, seinen armen und geringsten Diener, gewürdiget hat, ein Instrument zu sein, welches diese Schandtat verhindert hat.« Elbensteinen gingen solchergestalt die Augen über, der Feldprediger aber, nachdem er seine Reue als das erste Stück der Buße bemerkt, tröstete und stärkte ihn ferner zur ernstlichen Buße und Bekehrung, prägte ihm den wahren Glauben ein, wodurch er allein die Vergebung seiner groben Sünden erlangen könnte, hierauf betete er vor ihm ein kräftiges Gebet aus dem Herzen und legte sich hernach, weil er die ganze Nacht gewacht, zur Ruhe, indem die Exekution[457] allererst auf den folgenden Tag angesetzt war. Elbenstein aber stund, sobald sich die Sonne blicken ließ, auf und spazierte in eine hinter dem Lager befindliche dünne, jedoch sehr angenehme Bosquade, allwo er die bei sich habende Bibel aufschlug und sogleich die Flucht Lots aus Sodom in die Augen bekam.

Diese Geschichte und was ihm vor wenig Stunden passiert war, vereinigte er miteinander und hatte seine Speculationes und Meditationes darüber, endlich schrieb er folgende Strophen in seine Schreibtafel, welche eine Arie oder Ode bedeuten sollen. Man hat selbigen bona fide bloß wegen einiger guten Penséen die Stelle an diesem gehörigen Orte eben nicht streitig machen wollen, ohngeachtet gar sehr wider die reine Poesie darinnen gestrauchelt ist. Sie lauten aber also:


1


Eile, meine Seele, eil!

Aus dem Sodom schnöder Lüste,

Sonsten findest du kein Heil

Oder Mittel, das dich friste

Vor dem ewig herben Tod,

Den dir Gottes Zorn androht.


2


In Buß, Reu und Glauben lauf!

Schau, was vor ein schröcklichs Wetter

Über dich sich türmet auf;

Eile, hier ist kein Erretter,

Dein Verweiln und Stillestehn

Macht dich sonst zu Grunde gehn.


3


Aber sieh! daß deine Flucht

Sichrer mög als Lots geschehen:

Wer auf Erden Rettung sucht,

Kann dem Falle nicht entgehen,

Und ein geiler Stärkungstrank

Macht die Seele sterbekrank.
[458]

4


Ich weiß beßre Sicherheit

Vor dich, o! du arme Seele!

Christus hält vor dich bereit

Seiner heilgen Wunden Höhle.

Da wird dir sein Blut ein Wein,

Der dich ewig stärket fein.


5


Lauf hin mit getrosten Mut,

Meid ein sündliches Umsehen;

Dieser Erden Pracht und Gut

Muß in Dampf und Glut aufgehen:

Wer zu Christi Schutz sich hält

Acht't kein Zoar dieser Welt.


Es ist ohnstreitig, daß die Poesie nicht viel tauget, unterdessen aber sind doch die Gedanken gut gewesen. Er ging auch in seiner Andacht weiter und genoß des andern Tages darauf, nach herzlicher und bußfertiger Bereuung seiner vielen und schweren Sünden, das heil. Abendmahl. Sobald aber die Armee in die Winterquartiere einrückte, reisete er heraus nach U., ließe sich daselbst, wie schon gedacht, mit seiner liebsten Baronne von L. ordentlich kopulieren, von dar führete er sie nach Hause zu seinen Eltern, woselbst er bis Fastnachten mit ihr verbliebe. Als aber die Zeit zum Marsche herbeikam, nahm er von seiner liebsten, nunmehro schwangern Gemahlin Abschied, sowohl auch von seinen betagten Eltern, welcher denn auf allen Seiten traurig und betrübt genung war, jedoch die Renommée instigierte ihn, sich nicht länger aufzuhalten, zumalen da ihm sein Obristlieutenant, dessen Compagnie er kommandierte, durch einen Expressen Ordre zusendete, daß er nicht säumen sollte, sich auf seinem Platze zu finden, weilen allem Vermuten nach, wie es denn auch geschahe, die Kampagne frühzeitiger als sonsten würde eröffnet werden, zumalen da Se. Majestät von Großbritannien derselben dieses Jahr in eigener hoher Person beiwohnen würden.[459]

Demnach erfolgte sein Aufbruch unter vielen Tränen, er aber mußte Tag und Nacht par Posto, zuweilen fahrend, zuweilen auch reutend gehen, bis er das bereits abmarschierte Regiment, worzu er gehörete, endlich einholte und bei Löwen antraf.

In dieser Kampagne bekam der Marquis de Cronvall wegen vorgehabten Meuchelmordes an höchstgedachten Könige von Engelland seinen verdienten Lohn, indem derselbige nicht weit von Notre Dame de Lambeck bei der spanischen Artillerie gevierteilt wurde. Nach diesem folgte den 3. Aug. selbiges Jahres das hitzige Treffen bei Steenkirchen zwischen dem König Wilhelm und dem französischen Marschall von Luxemburg (den, woran man doch aus christlicher Liebe zweifelt, der Teufel geholt haben soll). Sichere Nachrichten meldeten damals, daß auf beiden Seiten 22000 Mann geblieben, der Spion aber, welcher das Dessein der Alliierten, nehmlich das französische Lager zu attaquieren, dem General Duc de Luxembourg verraten, ward gleich den Tag nach dieser unglücklichen Aktion ohne viele Weitläuftigkeiten frühe um fünf Uhr an einen Baum geknüpft.

Nach diesen ging die holländische Armee in Flandern, allwo sie so lange stehenblieb, bis man die Winterquartiere reguliert hatte. Weiln nun das Regiment, bei welchem Elbenstein Lieutenant war, wiederum an den Rheinstrom marschieren sollte, auch die Armee bereits zu kantonieren begunnte, so bekam er Urlaub, voraus und sodann nach seiner Heimat zu reisen, allwo er zu Ende des Octobris anlangte. Anstatt aber seine herzallerliebste Gemahlin gesund und vergnügt zu embrassieren, mußte er bei seiner Anheimkunft die betrübte und höchst schmerzliche Nachricht hören, daß schon im verwichenen Augustmonat Mutter und Kind das Zeitliche mit dem Ewigen verwechselt hätten, und zwar das Kind 14 Tage eher als die Mutter.

Nunmehro kam Elbensteinen erstlich in den Kopf, daß es seiner Sünden Schuld wäre, einen so kostbaren[460] Schatz eingebüßet zu haben, derowegen sank er, noch ehe er seines Herrn Vaters Haus erreichen konnte, in eine Ohnmacht, mußte also hineingetragen werden. Er blieb über zwei Stunden in solchem gefährlichen Zustande, sobald er sich aber wieder besonne, beklagte er mit bittern Tränen und ängstlichen Händeringen seinen jämmerlichen und schmerzlichen Verlust, ließ sich auch nachhero den Gram, Kummer und Traurigkeit dergestalt einnehmen, daß an seiner Wiederaufkunft billig zu zweifeln war.

Demnach sahen sich seine Eltern gemüßiget, etliche wohlgeübte und exemplarische Geistliche herbeizurufen, welche dem trostlosen Elbenstein aus Gottes Wort zusprachen und zugleich vorstelleten, daß durch eine solche heidnische Traurigkeit der Allmächtige zum höchsten beleidiget würde. Alldieweiln er nun ein Mensch war, der sowohl in geistlichen als politischen Schriften wohl erfahren, so geschahe es, daß, da er Wudrians ›Kreuzschule‹ zu lesen bekam, er sich allmählich in Gottes unerforschlichen Willen zu schicken und sich demselben in rechtschaffener Christen geziemender Gedult gänzlich zu ergeben lernete.

Er wollte zwar wieder zum Regimente und dem Kriege weiter nachfolgen, allein seine Eltern und sonderlich der Vater lag ihm sehr an und stellete vor, wie er diese Krankheit als einen Morbum Chronicum, der Medicorum Urteile nach, nicht würde überstehen und der Gebrauch aller Medikamenten bloß eine Cura palliativa wäre; er als der Älteste müßte nach seinem tödlichen Hintritte sich nicht allein der hinterlassenen Güter, sondern auch der alten schwachen Mutter und des jüngern Bruders annehmen, und weiln er den mittelsten Sohn als Capitain in Ungarn eingebüßet, so würde er wenig Segen haben, wenn er wider der Eltern Willen die Kriegsdiense kontinuieren wollte, und was dergleichen mehr war. Wie nun einer seiner Vettern, der Obristlieutenant war, mit einstimmete, mußte endlich der unglückliche Elbenstein versprechen, die Kriegsdienste[461] zu quittieren, doch ward ihm frei gelassen, sich in der Nähe an einem fürstl. Hofe zu engagieren, da es sich denn einige Wochen hernach fügte, daß ihm sein Vetter, der Baron von W., schriebe, wasmaßen er einige Zeit daher bei der Herzogin von N.N. als Kammerjunker in Diensten gestanden, nunmehro aber in anderweite Bestallung als Hofmeister bei dem Herzog zu N. gelangen würde. Weiln er nun seiner gnädigsten Herzogin versprochen, einen andern Kavalier an seine Stelle zu schaffen, welchen sie sowohl in Verschickungen als in ihren andern Angelegenheiten wohl gebrauchen könnte, so hätte er den von Elbenstein vorgeschlagen, welchen Vorschlag sich auch Ihro Durchl. gnädigst gefallen lassen und ihm Befehl erteilet hätte, an ihn zu schreiben, daß er sich ehestens zu P. einfinden und seine Station antreten sollte. In Erwägung nun, daß er nicht so gar weit von seinen Eltern käme und alle Woche von ihrem Zustande Nachricht erhalten könnte, akzeptierte er mit deroselben Bewilligung diese Funktion, schrieb auch sogleich an den Baron von W. wieder zurück, daß er erstlich bei der ihm anvertrauten Stabscompagnie abdanken, nachhero aber aufs längste in 14 Tagen oder drei Wochen sich bei Ihro Hochfürstl. Durchl. untertänigst einfinden wollte. Es trachteten zwar seine andern Freunde, zweifelsohne auf Veranlassung seiner Eltern, ihn zu einer anderweitigen Heirat zu persuadieren, allein die Wunde wegen des Verlusts seiner so lieb gewesenen Gemahlin war noch zu frisch, weswegen sie, da sie sahen, daß sie ihn mit dergleichen Vorträgen nur chagrinierten, endlich davon stille schwiegen.

Nachdem er nun seinen Abschied vom Regimente, und zwar zum großen Verdruß seines Obristlieutenants, als welcher ihn ungerne verlor, bekommen hatte, versäumete er keine Zeit, sondern ging par Posto nach P. Er langete daselbst glücklich an und ward sowohl von der durchl. Herzogin als dero Frau Mutter wegen seiner ihnen anständigen Gestalt und Conduite sehr[462] gnädig empfangen, zumalen sie ihm nicht allein ihre Hofhaltung, sondern auch die Korrespondenz mit etlichen großen Ministris am kaiserl. Hofe anvertrauen konnte. In währender Zeit, da die Herzogin fast wöchentlich, ja täglich Visiten von hohen Standespersonen bekam, konnte es ohnmöglich sein, als daß sich unter so vielen schönen Gesichtern doch wenigstens eins, wo nicht mehr, befand, welches capable war, Elbensteinen zu charmieren und seine verliebten Blicke zu rekompensieren. Die erste Intrigue sponne sich also an: Es wurde die durchl. Herzogin eines Tages von dem OBG. traktieret, an der Tafel kam Elbenstein neben der Gräfin von W. zu sitzen, bei welcher er sich durch allerhand insinuante Diskurse dergestalt einzuschmeicheln wußte, daß, um dieses Mal allen Verdacht zu vermeiden, sie ihn auf den folgenden Tag in die Karmeliterkirche auf der K.S. beschiede, daselbst nahmen sie die Abrede, den morgenden Tag in ihrer Fr. Muhmen, der Gräfin von S., Palais, weil selbige eben in das warme Bad gereiset, zusammenzukommen. Elbenstein war so unachtsam nicht, daß er die abgeredte Stunde sollte vergessen haben, sondern er wartete mit größter Attention darauf, wurde auch von der schönen Gräfin mit einer anmutigen und liebreizenden Miene empfangen. Sie spielete, als er kam, eben auf der Laute und hatte ein kleines Arienbuch bei sich liegen, weswegen Elbensteinen die Curiosité antrieb, selbiges zu perlustrieren. Indem er nun akkurat 59 Arien, Oden und dergleichen darinnen fand, bat er sich die Erlaubnis aus, das Schock voll zu machen und eine Arie nach einer bekannten Melodei hineinzuschreiben. Da nun die Gräfin versicherte, daß ihr dieses zum besondern Plaisir gereichen würde, zeichnete er folgende Verse ex tempore hinein:


1


Ein hartes Verhängnis hat mich jetzt betroffen,

Es heißet mich lieben und dennoch nicht hoffen;[463]

Unendliches Quälen bleibt, glaub ich, der Lohn,

Den ich vor mein Lieben einst trage darvon.


2


Doch ob auch mein Lieben ganz abgeschmackt scheinet,

So bin ich's zu lassen doch gar nicht gemeinet;

Dieweil mir der Himmel noch diesen Trost gibt:

Sei stille im Lieben, bleib immer betrübt.


3


Mein brennendes Herze, das eilet zum Grabe,

Dieweil ich die Hoffnung zum Troste nicht habe.

Wer kann mir das nachtun, der schreibe sich ein:

Ohn Hoffnung im Lieben beständig zu sein.


Ob nun schon mancher Poete diese daktylischen Reime durchzuhecheln Ursache gehabt hätte, so war dennoch die Gräfin vollkommen wohl damit zufrieden. Sie sahe ihn, nachdem sie selbige durchlesen, recht liebreizend an, drückte ihm die Hand und sagte: »Ein solcher Amant, der ohne Hoffnung beständig sein kann, muß nicht ohne Hoffnung gelassen werden. Sein Sie nur beständig, mein werter Elbenstein, und hoffen zugleich, so werden Sie nicht fehlen.« Er ergriff der Gräfin schöne Hand und küssete dieselbe, sprach darbei: »Hierdurch will ich versuchen, wieviel ich hoffen darf.« Die Gräfin antwortete: »Wer mein Herz zu eigen hat, kann alles hoffen.« Unter diesen Worten legte sie ihren Kopf ganz, als ganz unachtsam, an Elbensteins Brust. Dieser küssete erstlich ihre charmanten blauen Augen und sagte darbei: »Ihr allerschönsten Augen! euch beschwere ich, mich nicht zu verraten wegen dessen, was ihr sehen werdet.« Hierauf machte er sich an die korallenroten Lippen und küssete dieselben mehr als hundertmal. Theresia, so war der verliebten Gräfin Taufname, ließ solches unter einer verstellten Unempfindlichkeit geschehen, endlich aber nahm die Liebe und Erkenntlichkeit dergestalt überhand, daß sie das Empfangene mehr als gedoppelt restituierte,[464] weswegen Elbenstein, wegen wichtiger Verrichtungen, höchst vergnügt von ihr schiede, nachdem sie die Abrede miteinander genommen, daß, sooft sie miteinander in Compagnie kämen, sich durch ein unvermerktes Zeichen ihre beständige Liebe zu erkennen geben wollten.

Dieses Zeichen bestunde darinne, daß Theresia ein Bouquet Blumen an ihrer Brust, Elbenstein aber nach damaliger Bändermode in seinen Ärmeln oder Manschetten rosenfarbene Bänder tragen wollten. Theresia pflegte demnach oftermals den Blumenstrauß, als ob sie daran riechen wollte, an den Mund zu drücken, und Elbenstein im Gegenteil stellete sich zum öftern, als ob ihm die Manschettenbänder zu lose worden wären, befestigte sie derowegen mit Hülfe des Mundes und küssete zugleich das Band, welches der Theresia Leibfarbe war. Solchergestalt führeten beide ihr geheimes Liebesverständnis miteinander fort. Allein dieses Geheimnis wurde bald entdeckt: denn als sie einsmals in dreien Tagen miteinander zusammenzukommen keine Gelegenheit finden können, gab die Gräfin, welche der Herzogin Palais gegenüber wohnete, Elbensteinen ein Zeichen, zur Vesperzeit in obgedachtes Karmeliterkloster zu kommen. Der Herzogin Fräulein aber, eine geborne von C., die ebenfalls ein Auge auf Elbensteinen haben mochte, wurde solches gewahr, wollte demnach gerne wissen, was solches bedeutete und wem das Winken gegolten; demnach stellet sie sich in der kleinen Prinzessin Zimmer an ein Fenster, aus welchem sie alle in selbige Kirche gehende Leute observieren konnte.

Solchergestalt, da Elbenstein als ein Protestante so gar allzusehr nach der Karmeliterkirche zu eilete, sie das ganze Geheimnis erriet, indem sie urteilen konnte, daß keine besondere Andacht, sondern vielmehr der reizende Gehorsam der vorausgegangenen Gräfin ihn dahin gezogen.

Es fehlete bei der Abendtafel keineswegs an allerhand Stichelreden, welche sich aber Elbenstein gar nicht zuzog.[465] Jedoch da die Fräulein von C. ihm einen Becher Wein auf Gesundheit der Gräfin Theresia zutrank, wurde er im Gesichte blutrot, und ohngeacht er seine Liebe zu derselben zu verbergen suchte, wurde nachhero doch alles völlig verraten.

Demnach mußten sich beide Verliebten etwas genauer in acht nehmen, und weil sie nicht persönlich zusammenkommen konnten, so wurde ihr Liebeswerk durch Briefe traktiert. Diese trug hin und her des Generals und Kommendanten zu P., Grafens von T. Zuckerbäckerin, womit denn beiderseits einiges Labsal geschafft wurde. Ob sie aber nicht zuweilen einander dennoch in geheim gesprochen, solches kann man nicht vor gewiß sagen. Inzwischen daurete dieses Vergnügen nicht länger als ein Vierteljahr, denn Elbenstein bekam Briefe, aufs schleunigste zu seinem Herrn Vater zu kommen, derowegen bat er bei der Herzogin auf vier Wochen Urlaub, welchen er auch erhielte. Da aber mittlerweile hochgedachte, seine durchl. Herzogin, sich mit dem Fürsten von N. in eine Eheverlöbnis eingelassen und das Beilager mit nächsten geschehen sollte, hergegen Elbensteins Eltern ihm nicht gestatten wollten, ferner bei Hofe zu bleiben, aus Beisorge, daß er etwa wegen der Religion Anstoß haben möchte, so resolvierte er sich, seine Dimission schriftlich zu suchen, erhielt auch dieselbe nebst seiner rückständigen Besoldung und einem besondern Gnadengeschenke.

Die holdselige Gräfin Theresia wechselte zwar noch über ein halbes Jahr Briefe mit ihm par Adresse des Traiteurs S. zu D., als sie aber sich nicht entschließen wollte, ihre Gelder nach N. zu verwenden, im Gegenteil prätendierte, sein väterlich Gut zu verkaufen und das dafür bekommene Kaufgeld entweder in B. oder C. wieder anzuwenden, verloschen diese Liebesflammen beiden auf einmal.

Nachhero fügte sich's, daß Elbensteins Herr Vater im Herbste des 1693sten Jahres das Zeitliche mit dem Ewigen verwechselte, weswegen er sich genötiget[466] sahe, in seinem Vaterlande zu heiraten. Es wurden ihm demnach von seinen Freunden allerhand Partien vorgeschlagen, unter welchen eine mit besonderer Schönheit und Klugheit begabte Fräulein des Geschlechts von M. war; allein es zwangen ihn triftige Raisons, sich bei derselben nicht zu engagieren. Er vereheligte sich demnach Anno 1694 mit einer Fräulein von D., welche aber nach elf Monaten im Kindbette starb, und das Kind, welches ihm nachhero, da es erwachsen war, viel Bekümmernis und Herzeleid verursachte, am Leben bliebe.

Der arme Elbenstein sahe sich nunmehro zum andern Male in dem betrübten Witberstande, hatte die ganze Last der schweren Haushaltung allein auf dem Halse, weswegen er sich denn zum dritten Male vermählete, und zwar mit einer Fräulein des Geschlechts von NB., mit welcher er verschiedene und meistenteils ganz wohlgeratene Kinder erzeugte. Als er nun in die zehn Jahre auf seinen Gütern im Privatstande und ohne Herrndienste gelebt, bekam er von einem gewissen Reichsfürsten Vokation, bei welchem er etliche Jahre in ansehnlichen Hofdiensten verharrete.

Wie aber die Sünden der Jugend von dem gerechten Gott nicht ungestraft bleiben, also mußte Elbenstein nunmehro an sich auch erfahren, daß nichts Gutes unvergolten und nichts Böses ohngestraft bliebe, indem er allmählig durch viele schwere kostbare Prozesse, Kriegstroublen, sonderlich die schwedische Invasion, ferner durch etliche Jahr nacheinander fortdaurenden Mißwachs, Falliment seiner Debitoren und dergleichen mehr in große Schulden und Abfall seines Vermögens geriet. Der Gram und Kummer, welchen er dieserwegen einnahm, brachte ihn dergestalt von Kräften, daß er schwachheitshalber seine Funktion nicht mehr verrichten konnte, sondern sich genötiget sahe, seine Charge zu resignieren und sich auf sein Gut zu begeben in Hoffnung, durch gute Menage sich wiederum empor und aus den Schulden zu bringen. Allein es war[467] vor ihn weder Glück noch Stern, sondern alle seine Projekte, sie mochten noch so vernünftig und klug ausgesonnen sein, gingen den Krebsgang, so daß er fast seinen gänzlichen Ruin vor Augen sahe. Dergleichen Unglücksfälle entkräfteten ihn nun binnen zwölf Jahren dermaßen, daß er sozusagen alt und grau vor der Zeit wurde, indem er öfters mit einem schlechten Gerichte Kohl oder andern Zugemüse nebst einem leichten Trunk Kovent vorliebnehmen mußte, wenn er sich nur noch einigermaßen seinem gehabten Charakter gemäß aufführen wollte. In solchen trübseligen Zeiten und kümmerlichen Zustande ließ sich eines Abends, da es entsetzlich stark regnete, ein Kavalier bei ihm melden und ihn wegen der besondern Freundschaft, so sie in der Jugend miteinander gepflogen, bloß allein um ein Nachtquartier ansprechen, indem er in dem kleinen Schenkhause, welches bereits mit Fuhr- und andern Leuten angefüllet wäre, nicht wohl unterkommen könnte, sonsten aber wolle er dem Herrn von Elbenstein keine Ungelegenheit verursachen. Elbenstein erfreute sich demnach recht herzlich, einen alten Bekannten anzutreffen, und zwar um soviel desto mehr, weil ihm seine Zinsleute vor ein paar Tagen etliche Scheffel Hafer und anderes Getreide eingebracht, auch waren ihm von einem benachbarten Edelmanne, der seine Klöpperjagd gehalten, drei Hasen und etliche schöne Stück Flügelwerk zum Geschenke geschickt worden, also kam ihm dieser gute Freund recht à propos, dieses mit zu genießen. Demnach fragte er den Bedienten nach seines Herrn Geschlechtsnamen, allein der Bediente sagte: »Ihro Gnaden werden mir nicht ungnädig nehmen, wenn ich hierinnen nicht gehorsamen kann, weil mir solches von meinem Herrn expresse verboten worden, indem er die Lust gern haben will zu erfahren, ob er von Ihro Gn. wird erkannt werden, da Sie einander in so vielen Jahren nicht gesehen haben.« Solchergestalt wurde nun Elbenstein noch zehnmal curieuser zu wissen, wer sein Gast sein[468] würde, als vorhero, fertigte aber den Bedienten sogleich ab und ließ zurücksagen, weil ihm der Zuspruch honetter Kavaliere jederzeit sehr angenehm, so müsse ihm die gütige Visite eines alten Freundes um soviel mehr vergnügend sein. Er bäte demnach, sich in dem schlimmen Wetter nicht länger zu verweilen, sondern nur mit seinen Leuten und Pferden frei einzusprechen und mit bei jetzigen Umständen möglichsten Accommodement gütigst vorliebzunehmen.

Es währete demnach nur noch eine kurze Zeit, da sich der Gast einstellete. Elbenstein ging demselben bis vor seine Hoftür entgegen, kaum aber war dieser vom Pferde gestiegen und hatte sein Gesicht blicken lassen, als ihn Elbenstein im Moment vor den Herrn von A. erkannte. Dieser Herr von A., welcher nur ohngefähr ein Jahr jünger als Elbenstein, war von der zartesten Kindheit an mit Elbensteinen zugleich aufgezogen worden, indem des Herrn von A. Herr Vater sehr frühzeitig gestorben war, der alte Herr von Elbenstein aber als Vormund diesen jungen Hrn. von A. zu sich genommen hatte und, als ob es sein eigenes Kind wäre, mit unter den seinigen erziehen ließ. Dieser nun und unser Elbenstein hatten sich wegen Gleichheit der Jahre und des Temperaments jederzeit vor allen andern am besten miteinander vertragen können und sich fast niemals veruneiniget, auch immer vor einen Mann gestanden, wenn sie von den andern attaquieret worden. Demnach war die Freude vorjetzo bei Elbensteinen ungemein groß, da sie in ihrem 15ten oder 16ten Jahre voneinander gekommen und seit der Zeit sich nicht wieder gesehen, auch wenig Nachricht voneinander erhalten. Beide Herrn umarmeten und küsseten sich recht brüderlich, worauf der Herr von A. von Elbenstein in sein bestes Zimmer geführet und hernach etwas allein gelassen wurde, um seiner Bequemlichkeit zu gebrauchen. Nachhero wurde die Abendmahlzeit aufgetragen, und ob selbige gleich eben nicht kostbar war, sondern nur aus einer guten Eiersuppe,[469] ein paar gekochten Hühnern und aus einem rohen Schinken bestund, so erzeigte sich doch der Gast sehr vergnügt darbei und bat Elbensteinen, der sich wegen schlechter Bewirtung zum öftern entschuldigen wollte, inständig, hiervon nichts zu gedenken, indem er bei dem Plaisir, ihn zu sehen und mit ihm zu sprechen, gar gern mit einem bloßen Butterbrot, einem Trunk Bier und Pfeife Tobak vorliebnehmen wollte. Mit Weine war Elbenstein nicht versehen, doch konnte er einen herrlichen Trunk Bier in seinem Dorfe haben. Sobald sie demnach die Abendmahlzeit mit gutem Appetite eingenommen, blieben sie beide ganz alleine beisammen, da denn Elbenstein dem Herrn von A. die Hauptstücke seines Lebenslaufs nebst seinen bis hieher gehabten Fatalitäten ziemlich ausführlich erzählete. Wie aber unter solchem Gespräch die Mitternachtsstunde bereits verstrichen, wollte Elbenstein seinen Gast nicht länger von der Ruhe abhalten, nahm derowegen, nachdem derselbe auf inständiges Bitten endlich versprochen, morgenden Tag noch bei ihm zu bleiben, auf dieses Mal gute Nacht und begab sich gleichfalls zur Ruhe.

Folgenden Morgen beim Tee erzählete Elbenstein vollends den Rest seiner Begebenheiten und machte den Schluß damit, wie er wohl erkennete und sich in seinem Gewissen überzeugt befände, daß alle seine gehabten Unglücksfälle gerechte Strafen des Himmels wären, die er mit seiner zuweilen recht unbändigen Lebensart wohl, ja noch weit mehr verdienet, weswegen er sich auch von Tage zu Tage besser in seinen jetzigen pauvren Zustand schicken lernete, anbei den Himmel inbrünstig anflehete, daß er nach den zeitlichen Strafen seiner nur dorten in der Ewigkeit schonen möchte.

Nachdem nun der Herr von A. sein herzliches Mitleiden gegen Elbensteinen bezeuget und gewünscht, daß, da dem Himmel es eine sehr schlechte Sache wäre, den Reichen arm und den Armen reich zu machen, er auchElbensteins Zustand bald in einen vergnügtern und fröhlichern verwandeln möchte. »Allein, mein wertester Herr Bruder«, fuhr der Herr von A. gegen Elbensteinen fort, »sonsten pflegt man zu sagen: Solamen miseris socios habuisse malorum. Ich kann Euch versichern, daß unser beiderseitiger Zustand sehr wenig voneinander unterschieden ist. Mein einziges Glück ist's, daß ich mit meiner Gemahlin keine Kinder habe, sonsten würde ich noch weit miserabler leben müssen. Ich habe aber nur vor weniger Zeit erstlich auch angefangen, Betrachtungen anzustellen, daß dergleichen Kalamitäten, welche mir seit wenigen Jahren her begegnet, gerechte Züchtigungen und Strafen des Himmels sein müssen.«

Elbenstein erseufzete hierüber sehr tief. Weiln sie eben zur Mittagsmahlzeit abgerufen wurden, versprach der Herr von A., nachhero, weil sie wegen des starken Regens doch nicht aus dem Zimmer kommen und ein wenig spazierengehen könnten, Elbensteinen zur Revanche auch die Hauptstücke von seinen Begebenheiten zu erzählen.

Solches geschahe nun, denn da sie sich beide allein in das Zimmer begeben, wohin Elbenstein Bier, Tobak und Licht bringen lassen, fing der Herr von A. also zu reden an:

»Sobald Ihr, mein wertester Herr Bruder, nach J. auf die Universität gebracht, ich aber wegen einer damaligen schweren Krankheit, die beinahe ein halb Jahr anhielt, in Eures Vaters als meines Vormunde Hofe zurückbleiben mußte, wurde mir Zeit und Weile entsetzlich lang, und weil [ich] aus Ungedult kein Buch vor den Augen leiden konnte, so geschahe es, daß ich viel von demjenigen, was ich schon gelernet hatte, verschwitzte, wie es sich aber in etwas mit mir gebessert, brachte mich Euer Herr Vater nach M. zu demjenigen Medico ins Haus, welcher mich bishero in der Kur gehabt hatte und meine Gesundheit ferneweit besorgen sollte. Hierbei mußte ich nun fleißig in die[473] Schule gehen, und der Medicus hatte ein sehr scharfes wachsames Auge auf mich, nahm mich nicht allein, wenn er Zeit hatte, sonderlich des Abends, selbst privatissime vor und repetierte die Lectiones mit mir, sondern er gab auch sehr genau acht auf meine Diät und übrige Lebensart, woher denn kam, daß ich nach ein paar Jahren Verlauf gesund, frisch und sattsam tüchtig erfunden wurde, auf die Universität L. zu gehen. Ich hielt mich etwas über drei Jahre daselbst auf, brachte meine Zeit nicht eben allzu übel zu, sondern besuchte die Collegia fleißig und profitierte doch so viel, daß man schon mit mir zufrieden sein konnte, außerdem aber auch eben kein Melancholicus, sondern machte mich mit andern Kavaliers und andern braven Purschen zum öftern lustig, ließ mich auch bald mit diesem, bald mit jenem Frauenzimmer in eine verliebte Vertraulichkeit ein, welches aber nie mals lange Bestand hatte, indem [ich] im öftern Wechseln mein größtes Vergnügen suchte, auch nicht selten fand.

Da ich aber nach der Zeit, und zwar nur wenige Tage vorhero, als ich meinen Valetschmaus geben und von der Universität nach Hause gehen wollte, einen unglücklichen Sturz mit dem Pferde getan, dabei den linken Arm sehr stark angeschellert hatte, weswegen mir derselbe nach etlichen Wochen zu schwinden anfing und keine gebrauchten Arzeneien anschlagen wollten, riet mir mein ehemaliger Medicus, mit einem meiner Befreundten in ein warmes Bad zu gehen, als welcher ebenfalls ein gewisses Malheur an sich hatte. Wir traten demnach die Reise par Posto an und erreichten in wenig Tagen eines der berühmtesten warmen Bäder, mieteten uns Logis, und zwar jeder das seine besonders. Anfänglich lebte ich sehr douce und hielt mich außer der Zeit, die zur Motion bestimmt war, fast beständig inne, nachdem ich aber merkte, daß die Kur wohl ausschlüge, und mich der Medicus versicherte, daß ich vor Monatsverlauf vollkommen kuriert sein, hernach abreisen könnte, wenn ich wollte,[474] ward ich herzlich froh und begab mich in ein und andere Gesellschaften; unter andern traf ich eines Tages ein ungemein schönes Frauenzimmer darunter an, welche das Fräulein L. von P. genennet wurde. Ich konnte mich nicht erinnern, zeit meines Lebens jemals gegen ein Frauenzimmer dergleichen heftig verliebte Regungen bei mir empfunden zu haben als jetzo gegen dieses Fräulein, und zwar gleich bei der ersten Zusammenkunft, ich konnte auch folgends weder Tag noch Nacht rechte Ruhe haben, wenn ich nicht das Glück hatte, mit dieser Schönen in Compagnie zu sein. Sie stellete sich jederzeit sehr freundlich und complaisant gegen mich, und da sie eines Tages einige Kavaliers und Dames traktierte, ließ sie mich in specie mit darzu bitten. Indem sie nun gewahr ward, daß ich das Schachspiel, welches sie ungemein wohl spielte, auch in etwas gut spielen konnte, bat sie mich, ihr die Gefälligkeit zu erweisen und öfter bei ihr einzusprechen, weil sie dieses Spiels nicht leicht überdrüssig würde, außer diesem auch, da mein stilles Humeur mit dem ihrigen sehr wohl übereinstimmete, möchte sie mich vor allen andern gern um sich leiden. Ich versprach ihr, woferne ich mich ihrer gnädigen Erlaubnis im Ernst versichert halten könnte, meine Aufwartung, sooft es deroselben gefällig, zu machen. Es geschahe auch, so daß wir zum öftern vom Mittage an bis zur späten Abendszeit beisammen saßen und uns mit dem Schachspiele divertierten, wiewohlen, wenn ich ihre bewundernswürdigen Artigkeiten betrachtete, zum öftern bald dieses, bald jenes im Spiele versahe.

Mein heimliches Liebesfeuer wurde solchergestalt immer heftiger angeblasen, so daß ich es fast nicht mehr verbergen konnte, weiln aber Zunge und Mund allzu blöde waren, solches zu eröffnen, mußten meine Augen nur das ihrige verrichten. Die v. P. merkte bald, daß mir eine kleine Melancholie am recht bedachtsamen Spielen hinderlich wäre, derowegen, da ich einsmals in Gedanken etwas tief seufzete, fragte sie[475] mit einer mitleidigen Stellung: ›Was liegt Ihnen doch immermehr auf dem Herzen, Mons. de A., daß Sie von Tage zu Tage tiefsinniger werden? Ich bitte mich zu Ihrer Vertrauten zu machen, das Geheimnis sei so groß, als es immer will, durch mich soll nichts verraten werden, vielleicht aber kann ich etwa mit einem guten Rate dienen, obgleich die Hülfe in meinem Vermögen nicht stehen möchte.‹ Mir stieg unter diesen ihren Reden die völlige Glut aus dem Herzen ins Gesichte, ich bliebe auch eine gute Zeitlang ganz bestürzt sitzen und wußte nicht, was ich antworten sollte, endlich, da mir, ich weiß nicht was vor ein Geist meine scheltenswürdige Zaghaftigkeit, zumalen bei einem ledigen Frauenzimmer, welches mir sozusagen die Liebesdeklaration selbst abnötigte, vorwerfen wollte, fassete ich plötzlich einen Mut, brachte den ganzen verliebten Plunder auf einmal zu Markte und schloß mit diesen Worten: ›Ist also, allerschönstes Fräulein von P., noch kein anderer Kavalier in Dero Herz eingeschlossen, so bitte fußfälligst, mir, Dero gehorsamsten und getreu verliebten Knechte dieses himmlische Quartier zu gönnen, widrigenfalls wird mein äußerst gequältes Herz von den Flammen der Liebe vollends in Asche verwandelt werden.‹

Die von P. hörete meine Reden mit niedergeschlagenen Augen in größter Gelassenheit an, da ich aber innehielt, sagte sie mit einem tiefgeholten Seufzer: ›Ach, mein werter d'A., mein Herz ist mehr als zu ledig und hat zeit seines Lebens noch keine verliebten Triebe empfunden, ausgenommen diejenigen Zärtlichkeiten, welche Ihre Person und sonderbare Aufführung erweckt hat, allein mein unglückseliges Verhängnis und mein Gewissen lassen es nicht zu, Ihre Sehnsucht zu vergnügen, wie gern ich es auch wünschen wollte. Ich glaube es, daß Sie mich als ein honetter Kavalier aufrichtig und getreu lieben würden, und versichere, daß ich Ihrer Person nicht weniger gewogen bin. Aber wie gesagt, mein Schicksal gestattet nicht, Sie nach Wunsche[476] zu vergnügen, sondern ich bin darzu prädestiniert und kondemniert, daß ich vielleicht meine ganze Lebenszeit ohne Liebe, gegenteils aber im größten Mißvergnügen zubringen soll.‹

Was diese«, redete der Herr von A. weiter zu Elbensteinen, »mit einer besondern kläglichen Art vorgebrachte Antwort in meinem Gemüte vor eine Zerrüttung anrichtete, ist nicht auszusprechen. Der Fräulein von P. stiegen vor Jammer die Tränen in die Augen, und bei mir fehlete wenig, daß die einer Mannsperson übel anständigen Zeugnisse der Kleinmütigkeit nicht über die Backen heruntergerollet wären. Wir sahen einander mit ängstlichen Blicken an, und es war nicht anders, als ob ein Schlagfluß die Nerven meiner Zunge gerühret hätte. Nachdem aber die von P. ihre und meine Augen abgetrocknet, zugleich meine Wangen mit ihren zarten Händen sehr liebreich gedrückt, erholte [ich] mich in etwas und sprach: ›Eröffnen Sie mir doch nur wenigstens, mein allerschönstes Fräulein, die Ursache, so meinem Glücke und Vergnügen im Wege stehet. Sollen Dero überirdischen Annehmlichkeiten samt dem allerschönsten Körper etwa in ein fürchterliches Klostergebäude verbannet werden? Diesem Unglücke wäre ja noch vorzukommen, mein Vaterland ist die allersicherste Freistatt vor dieselben. Über dieses verlange ich außer Dero allerschönsten Person, wie Sie allhier gehen und stehen, weder Geld, Güter noch andere Kostbarkeiten, indem ich gesonnen bin, bloß nach meinem Vergnügen zu heiraten, weiln mir meine frühzeitig verstorbene Eltern als ihrem einzigen hinterlassenen Sohn zugleich auch drei einträgliche Rittergüter nebst einem guten Vorrate von Barschaft und Meubles hinterlassen.‹ ›Ach, mein Herzensfreund‹, versetzte hierauf die von P., ›Geld und Gut habe ich zur Gnüge und wollte mir nur vor dasjenige, was in dieser kleinen Chatoulle verwahrt liegt, in Eurem Vaterlande vortreffliche Land- und Rittergüter ankaufen; allein was hilft es mich, meiner Seelen ekelt vor dergleichen[477] Bagatellen und sehnet sich vielmehr nach solchen Schätzen, die in einem tugendhaften Behältnisse verwahrt liegen. Aber! ich bin bereits in ein solches Kloster verbannet, aus welchem mich niemand als der Tod reißen kann.‹

Indem sie dieses redete, eröffneten ihre zarten Hände zugleich ein mittelmäßiges Chatoull, in welchem alle Fächer und Schubladen mit lauter Goldstücken und den allerkostbarsten Juwelen angefüllet waren. Meine Augen wurden demnach ganz verblendet, die Vernunft aber überredete mich, die von P. vor eine höhere Standesperson zu halten, als sie sich ausgab. Derowegen gab ich ihr meine Gedanken ziemlich deutlich zu verstehen und bat mit zitterenden Lippen, da meine Wenigkeit sich allzuhoch verstiegen hätte, um gnädige Vergebung meines begangenen Fehlers und Irrtums. Es versicherte mich aber dieselbe, abermals mit einem tiefgeholten Seufzer, daß sie von Geburt nicht höher als eine von Adel, doch hätte sie der Himmel mit einem großen Vermögen, im Gegenteil aber auch mit desto mehr Kreuz und Elend überschüttet.

Indem ich nun vermittelst heftiger Klagen eine noch deutlichere Explikation von ihr herauszulocken vermeinete, ließen sich ein paar Dames bei ihr melden, weswegen ich mich vor diesmal genötiget sahe, zurückzuhalten und meine Retirade durch ein ander Zimmer und durch das Hintergebäude des Hauses zu nehmen. Daß ich aber den übrigen Teil des Tages benebst der darauf folgenden Nacht hindurch von der unbändigen Liebe die grausamsten Folterungen erlitten, kann niemand leichter glauben, als wer ehemals auch heftig verliebt gewesen. Ohnmöglich können sich Ödipus und seine Mitgesellen den Kopf über Sphyngis Rätsel so grausam zerbrochen haben, als ich den meinen zerbrach über die dunklen Sprüche der Fräulein von P. Bald schmeichelte mir wegen ihrer freundlichen und verliebten Aufführung die Hoffnung, sie noch mit der Zeit zu gewinnen, bald lachte Fortuna mit einem[478] höhnischen Gesichte mich mit allen meinen gemachten Anschlägen und Ideen recht häßlich aus. Morpheus versagte mir seinen Dienst gänzlich, weswegen ich in dieser einzigen Nacht ganz blaß, hager und merode wurde. Der anbrechende Tag wollte mir zwar einigen Trost versprechen, indem ich mir sicherlich einbildete, die von P. würde mich beizeiten wieder zu sich rufen lassen. Nachdem ich aber, bis es dunkele Nacht worden, vergeblich darauf gehoffet hatte, mußte sich mein gequältes Herze mit Gedult darein ergeben, noch eine Nacht wie die vorhergehende zuzubringen, da denn meine Liebespein mehr vermehrt als vermindert wurde.

Folgenden Morgens stund ich mit dem allerfrühesten auf und memorierte die in vergangener Nacht konzipierte Oration, welche in diesen Nachmittag bei der von P. zu halten mir vorgenommen hatte. Der Vormittag, welcher mir damals länger als ein Monat sonsten zu währen begonnte, verstrich endlich, da aber eine Stunde nach der Mahlzeit der von P. ihr Bote sich noch nicht einstellete, nahm ich mir die Kühnheit, mich in ihrem Logis selbst anmelden zu lassen. Allein, o Himmel! wie erstaunete ich, da ich vernahm, daß die von P. bereits gestern noch vor anbrechenden Tage samt allen ihren Sachen aufgebrochen und mit einer Extrapost fortgereiset wäre. Meine fünf Sinnen spieleten das Versteckspiel im ganzen Körper herum, keiner aber wollte sich finden lassen, bis endlich der Wirt des Hauses, nachdem er mich, der ich in der Tür stund und das Gesicht auf die Straße heraus gedrehet hatte, lange und oft bei dem Ärmel gezupft hatte, mich wieder zu mir selbst brachte und sagte: ›Monsieur! die fortgereisete Dame hat eine versiegelte Schachtel an Denselben zurückgelassen, hier ist sie.‹ Ich nahm selbige Schachtel begierig an, eilete damit nach Hause und fand nach Eröffnung derselben obenauf einen Brief, dessen Inhalt, weil ich ihn wohl mehr als 1000mal durchlesen, ganz von Wort zu Wort auswendig gelernet habe, also[479] denselben aus dem Kopfe hersagen kann. Er lautet aber also:


Liebster S. d'A.


Der Himmel ist mein Zeuge, daß ich Sie nicht allein wegen Ihrer galanten Person, sondern der angemerkten Tugend halber mehr liebe und ästimiere als sonsten eine einzige Mannsperson in der ganzen Welt. Tue ich Sünde hieran, so bitte ich den Himmel mit Tränen um Vergebung; jedoch da meine Liebe auf keinem lasterhaften Grunde ruhet, so hoffe, das heiligste Wesen, so über uns wohnet, werde ein Mitleiden mit meiner Schwachheit haben. Daß ich aber mich Ihren aufrichtig verliebten Augen ohne vorher genommenen mündlichen Abschied entzogen, und zwar so plötzlich, solches ist aus keiner andern Ursach geschehen, als weil ich mich vor mir selber fürchte und besorgt habe, die Schiffe unserer Tugend möchten etwa auf dem gefährlichen Liebesmeere an eine verborgene Klippe geraten und unvermutet stranden. Dieses zu verhüten, habe [ich] die Trennung vor das allersicherste Mittel erfunden. Wüßten Sie meinen völligen Zustand, so wollte mich persuadiert halten, Ihr tugendhaftes Herze würde mir in allen Beifall geben. Indessen entschlagen Sie sich der übermäßigen Liebe und verwandelen dieselbe in eine aufrichtige Freundschaft gegen meine Person, weilen unser beider Sehnsucht zu vergnügen die pur lautere Ohnmöglichkeit im Wege stehet. Ihre angenehme Person täglich sehen zu können, wäre zwar mein größtes Vergnügen, allein weiln es uns beiden nur zur Qual gereichen würde, wünsche ich, daß Sie mich niemals mögen finden, es sei denn, daß der Himmel selbst eine Änderung träfe. Wollten aber Mons. d'A. mir eine einzige Gefälligkeit noch erweisen, so lassen Sie Ihr Porträt bei demjenigen zurück, der Ihnen diese Schachtel einhändiget, bemühen Sie sich aber nicht, auf den Abforderer zu warten, denn ich selbst nicht weiß, ob ich es über lang oder kurz kann abholen lassen. Mein Porträt habe nicht zu[480] Erhaltung seiner Liebe, sondern nur zum geneigten Andenken beilegen wollen. Mein letzter Wunsch ist dieser, daß der Himmel Ihnen mit der Zeit bei einer andern anmutigen Liebste so vieles Vergnügen gönnen wolle, als in ihren jetzigen Stande Unvergnügen genießet

die unglückselige

L. de P.


Wie mir nach Verlesung dieser Zeilen zumute gewesen, bin selbst nicht vermögend, von mir zu sagen, so viel weiß ich mich zu entsinnen, daß ich fast über zwei Stunden lang als ein steinern Bild auf meinem Stuhle gesessen, den Brief aber beständig in den Händen gehalten habe. Nach diesen, da ich als aus einem Schlafe erwacht, durchstrich ich alle Gassen, um zu erkundigen, ob niemand wisse, wo die von P. hingefahren und wo ihre Heimat sei. Allein niemand konnte mich dessen berichten, keiner wollte ihr Geschlechte kennen, sondern viele glaubten, es wäre nur ein erdichteter Name, den sie sich beigelegt, unter ihrer Person aber eine weit höhere Standesperson versteckt gewesen, damit sie keinen so großen Staat führen dürfen. Ich wußte, wie gesagt, nicht, was ich denken sollte, bald glaubte ich solches auch, ohngeacht sie mich selbst versichert, daß sie bloß von Adel, bald hielt ich sie vor einen jungen großen Herrn, der sich zur Lust in ein Frauenzimmer verkleidet, bald vor eine bereits verheiratete Dame, ja es fielen mir wohl noch törichtere Gedanken ein, die ich nicht einmal melden will. Unterdessen, weil Cupido mich als seinen verliebten Hasen recht scharf aufs rechte Fleckgen getroffen hatte, konnte ich keine Ruhe haben, sondern mein Reitknecht mußte die Pferde satteln, da ich denn zehn bis zwölf Tage mit ihm herum göckerte, um der von P. Reisekurs oder wohl gar den Ort ihres Aufenthalts zu erfahren, allein die Mühe war vergebens; demnach reisete ich unverrichteter Sache wieder zurück ins warme Bad, ließ mein Porträt verfertigen, legte dasselbe nebst[481] einem kostbaren Ringe (denn sie hatte mir auch einen Diamantring von großen Werte beigelegt) in eine Schachtel, vergaß auch nicht, einen lamentablen Brief darbei zu schreiben, und gab alles dieses wohlversiegelt in des Wirts Verwahrung, mit dem Bedeuten, alles dieses so lange aufzuheben, bis es die Dame abfordern ließe, hiernächst versprach ich dem Wirte 50 Taler bar Geld zu zahlen, wenn er ausforschen und mir Bericht erstatten könnte, wo sich diese Dame eigentlich aufhielte, wie ich denn dieserhalb nach Verlauf einiger Wochen wiederum bei ihm wollte Anfrage tun lassen.

Der Wirt vermaß sich hoch und teuer, mir zu Gefallen allen möglichsten Fleiß anzuwenden, ich aber reisete fort, durchstrich alle umliegenden Provinzen und erkundigte mich nach dem Geschlechte von P., erfuhr aber an einem Orte sowenig als am andern. Endlich kam ich von ohngefähr zu einem Vornehmen von Adel, welcher wegen seiner Gelehrsamkeit in der Politik, Historie, Genealogie, Heraldik etc. weit und breit berühmt war. Dieser versicherte mich, wie er alle, auch die neueren adelichen Geschlechter des ganzen Deutschlandes und was darzu gehörig in etlichen Folianten aufzuweisen hätte, indem er sich dieserwegen viel Mühe durch Korrespondenzen gegeben, auch sehr viele Kosten daran gewendet, allein ohngeacht wir alle Folianten mit ihren Registern durchblätterten, so fand sich zwar endlich ein Geschlecht dieses Namens, welches aber schon vor länger als 200 Jahren gänzlich und glatt ausgestorben war, welches denn die darbei angeführten Umstände vollkommen glaubhaft machten. Wäre ich klug gewesen, so hätte ich mir diese Dame bald aus dem Sinne geschlagen, da es aber hieß: Amare & sapere vix Diis conceditur, so war ich halb rasend zu nennen, beging auch solche törichte Streiche, dergleichen man sich nimmermehr von mir einbilden sollen und worüber ich, nachdem ich wieder zu Verstande kommen bin, mich selbst verwundern müssen.[482]

Ich bin zwar mit denenjenigen eben nicht eines Glaubens, welche ein inevitabile fatun, praedestinationem, absolutum decretum und dergleichen statuieren, jedennoch weiß ich doch auch nicht, wie es damals mit mir zuging, denn ob ich gleich mich bereden ließ, in der Suite zweier junger Grafen Frankreich, Engelland, Holland, sodann die nordischen Königreiche mit zu durchreisen, so konnte ich mich doch binnen dieser Zeit von beinahe von vier Jahren dennoch nicht überwinden, die von P. aus den Gedanken zu schlagen, sondern mußte ihr [Bild] fast täglich mit größter Devotion betrachten, hatte ich auch dann und wann mir gelüsten lassen, eine würkliche Sünde wider das sechste Gebot zu begehen, so war mir in Wahrheit weit bänger darum, daß ich die von P. benebst ihrem Porträt, als daß ich meinen Gott dadurch beleidiget hätte, ja ich war weit hurtiger, vor dem Porträt niederzuknien und dergl. Sünden dem Originale abzubitten, als ein solches vor meinem allmächtigen Schöpfer zu tun, da doch weder Original noch Porträt von nichts wußten, Gott aber alles siehet.

Erwäget meine Torheiten, liebster Bruder!« sagte hier der Herr von A. besonders zu Elbensteinen. »Nachhero bin ich 1000mal auf die Gedanken geraten, ich müsse bezaubert und die von P. zur Hauptperson prädestiniert gewesen sein, mir in dieser Welt Fatalitäten, ja was sage ich, das größte Unglück zu stiften, woferne es nicht die göttliche Barmherzigkeit noch etlichermaßen remediert hätte. Ihr werdet erstaunen, mein Bruder! über den Verfolg meiner Geschichte, vorhero aber muß ich Euch erzählen, auf was vor Art ich nach so langer Zeit die von P., und zwar von ohngefähr, wieder zu sehen bekommen habe.

Die Grafen, in deren Suite ich noch immer mitreisete, von ihnen, weil sie mich gerne um sich leiden mochten, viel Gnade genoß, auch vor andern ziemlichermaßen distinguieret wurde, erfuhren, daß in einem gewissen Reiche eine starke Veränderung vorgegangen wäre,[483] dermalen aber in der Hauptstadt N. ein großer Pracht und Herrlichkeit zu sehen sein würde. Indem sie sich nun resolvierten, zur See dahin zu reisen, ließ ich mich persuadieren, diese Tour auch noch mit zu tun. Wir kamen eben zu rechter Zeit, da alles in prächtigster Gala war und niemanden gereuen dürfte, sich dieser Seltenheiten wegen auf die Reise begeben zu haben und etwas darauf gehen zu lassen. Eines Abends wurde eine vortreffliche italiänische Opera gespielet, welcher ich mit besondern Vergnügen zusahe, indem eine Passage darinnen vorkam, die eine ziemliche Gleichheit mit meiner Liebesaventure hatte.

Aber! o Himmel! in was vor eine Erstaunung geriet ich nicht, da ich unter dem vornehmsten Frauenzimmer [m]eine andere Seele, nehmlich die schöne von P. erblickte. Anfänglich wußte ich zwar nicht, ob ich meinen Augen trauen dürfte oder nicht, nachdem aber dieselben eine gute Zeitlang auf ihren englischen Angesichte kleben geblieben waren und alle Mienen und Gebärden wohl observiert hatten, befand ich mich der Wahrheit vollkommen überzeugt, zumalen da ich von ihr (die mich, wie ich hernach von ihr selbst erfahren habe, eher als ich sie erblickt) angesehen wurde, zugleich auch durch Neigung des Haupts das Zeichen eines Grußes von ihr empfing.

Demnach wußte ich mich vor Freuden und Vergnügen fast nicht zu lassen. Die von P. mochte meine Gemütsbewegungen merken, gab mir derowegen mit einer andern besondern Miene zu verstehen, ich sollte mich der Verstellung bedienen und tun, als ob ich sie nicht kennete. Ich folgte hierinnen, weilen mir aber die Zeit verzweifelt lang wurde, um zu erfahren, was ich gern wissen wollte, veränderte ich meine Stelle, begab mich zu einem deutschen Kavalier, mit welchem ich vor etlichen Tagen bekannt worden war und welcher sich schon eine Zeitlang in diesem Reiche aufgehalten hatte, ließ mich mit ihm in einen besondern Diskurs ein und fragte nach den Namen der meisten gegenwärtigen[484] Standespersonen, sonderlich aber des Frauenzimmers. Der Kavalier gab mir mit besonderer Höflichkeit in allen, soviel er wußte, Bescheid. Endlich kam die Reihe auch an die von P., von welcher er mir meldete, daß es die Gemahlin eines Staatsministers namens K. wäre. Ich verbarg mein dieserhalb entstehendes Schrecken und sagte: ›Man sollte diese Dame, welche noch sehr jung und schön aussiehet, eher vor ein lediges Fräul. als vor eine Vereheligte ansehen.‹ ›Viele glauben auch‹, versetzte der Kavalier, ›daß sie zwar eine Frau dem Namen nach, in der Wahrheit aber noch ihre Jungfrauschaft habe, indem sie von ihrem Gemahl noch niemals soll sein berühret worden. Sie ist‹, fuhr der Kavalier fort, ›eine geborne Deutsche und durch ein besonderes Schicksal an diesen Herrn vermählt worden. Ich glaube aber, sie wendeten auf beiden Seiten ein gut Stück Geld daran, wenn sie so leichte wieder voneinanderkommen könnten, als sie zusammengekommen sind.‹ ›Ei!‹ fragte ich, ›was hat denn das vor Ursachen?‹ ›Es wird nicht allein in dieser Stadt‹, antwortete der Kavalier, ›sondern auch weit und breit herumgesprochen, daß ihnen gleich an ihrem ersten Hochzeittage ein schändlicher Possen gespielet worden, denn wenn er sie nur an der Hand oder an Backen oder sie ihn berühret, bricht ihm gleich der Angstschweiß aus und stößet ihm eine Ohnmacht zu.‹ ›Das wäre ja‹, replizierte ich, ›ein unerhörter und verteufelter Streich.‹ ›Mein werter Herr Landsmann‹, gab der Kavalier hierauf, ›man hat mir gesagt, daß solches hierzulande ganz und gar nichts Seltsames sei, sondern man habe sowohl hier in dieser Stadt als in der Nähe herum, sowohl unter hohen als geringen Eheleuten erstaunlich viele Exempel, daß selbige teils auf ein oder etliche Jahr, teils auf ihre ganze Lebenszeit solchergestalt fasziniert oder, auf deutsch, behext gewesen und noch sind.‹ ›Es ist erstaunlich‹, war meine fernere Rede, ›allein was mögen sie solchergestalt wohl vor eine Ehe miteinander führen?‹ ›Diese Ehe‹, replizierte der[485] Kavalier, ›kann wohl schwerlich die beste sein, jedoch man höret doch, daß die fromme, tugendhafte und kluge Dame sich sonderlich in ihre Fatalitäten zu schicken und dem stürmischen Manne mit Gedult und Gelassenheit nachzugeben weiß. Es hat mir jemand gesagt, daß ihr eine hohe Person in geheim antragen lassen, ihre Ehescheidung zu befördern, allein sie soll großmütig zur Antwort gegeben haben, sie verlasse sich bloß allein auf die Fügung des Himmels und verlange niemals auf andere Art als durch einen natürlichen Tod von ihrem Gemahl getrennet zu werden.‹

Wir hätten vermutlich unser Gespräch noch weiter fortgeführet, weiln aber die Opera eben zum Ende ging, beurlaubte ich mich von diesem Kavalier und ersuchte ihn, mir ehester Tages die Ehre seines Zuspruchs in meinem Logis zu geben. Mittlerweile kam mir die von P., welche ich von nun an Mad. K. nennen will, aus den Augen, derowegen begab ich mich nach meinem Logis, allwo ich die darauf folgende Nacht mit tausenderlei verdrüßlichen Grillen hinbrachte, da ich aber endlich nach langen Herumwerfen meiner Vernunft Gehör gab, riet mir dieselbe, sowohl meiner unglückseligen Liebe als der Stadt N. adieu zu sagen und weder die Mad. K. selbst noch ihr Porträt wieder anzusehen, hergegen mich auf meine Güter zu begeben und eine ordentliche Ökonomie anzurichten. Ach aber, diese Resolution, ohngeachtet sie diese Nacht auf einen Stahl- und Eisengrund gebauet zu sein schien, wurde durch ein kleines Blättgen Papier über einen Haufen geworfen, denn sobald ich frühmorgens das Bette verlassen, lieferte mir einer von der Mad. K. Bedienten ein Billett folgendes Inhalts in meine Hände:


Monsieur!


An Ihrer Person vermerke, daß einem Verliebten alles auszuforschen möglich sei, und glaube zwar, daß eine übermäßige Zärtlichkeit, mich wiederzusehen, Sie angereizt hat, mir nachzufolgen, gestehe anbei, daß es mir zugleich lieb und leid ist, daß Sie mich gefunden.[486] Lieb darum, weil ich das Vergnügen habe, Ihre artige Person gesund zu erblicken, leid aber, weil Ihre Anwesenheit mir höchst gefährlich werden kann. Unterdessen wo Sie einige Consideration vor meine Person und mein Bitten haben, so bleiben Sie so lange in Ihrem Logis verborgen, bis ich Ihnen Nachricht gebe, an welchem Orte Sie mich ohne Gefahr sehen und sprechen können. Denn ich befürchte, es möchten sonsten untugendhafte Gemüter einen bösen Verdacht auf unsern zwar verliebten, doch tugendhaften Umgang werfen und meiner Ehre einen unauslöschlichen Schandfleck anhängen, zumalen da es eine sehr schwere Sache ist, die verliebten Affekten beständig im Zaume zu halten. Sie belieben demnach meinem Rate zu folgen und versichert zu leben, daß Ihnen mit einer beständigen, jedoch Ehre und Tugend unschädlichen getreuen Liebe ergeben verbleibt

L. de P.


Bei so gestalten Sachen änderte sich meine Resolution alsofort und beschloß, solange in N. zu verbleiben, als es der Mad. K. gefiele, damit ich aber ihrem Befehle gemäß desto verborgener in meinem Logis sein und mich bei meinen Reisegefährten nicht etwa in Verdacht setzen möchte, stellete ich mich krank, kam nicht aus meinem Zimmer, vertrieb indessen meine Zeit mit der Poesie und andern verliebten Grillenfängereien. Zwei Wochen vergingen, es meldete sich aber noch keiner von der Mad. K. Bedienten, inzwischen, weiln die Lustbarkeiten zum Ende und die Vornehmsten schon wieder abgereiset waren, brachen auch meine jungen Grafen auf und versprachen mir, ganzer vier Wochen in B. auf mich zu warten, damit ich, wenn ich binnen der Zeit wieder gesund würde, sie daselbst antreffen und vollends mit ihnen nach Hause reisen könnte. Ich wünschte ihnen aus guten Herzen viel Glück auf die Reise und war froh, daß ich vor diesmal ihrer loswurde, mithin mein fernerweitiges Schicksal vor mich allein in der Stille abwarten könnte. Gleich des darauffolgenden[487] Tages bekam ich den zweiten Brief von der Mad. K., worinnen sie sich bedankte, daß ich ihrem Begehren Folge geleistet hätte, anbei ein herzliches Verlangen bezeugte, mit mir zu sprechen, weiln aber allhier in der Hauptstadt so viele Aufseher wären, hielte sie vors ratsamste, daß ich ihr auf ein zwei Meilen von der Stadt gelegenes Landgut folgte, und zwar in Weibskleidern. Hierzu wollte sie mir in folgender Nacht durch eine getreue Frau und einen Bedienten alles Nötige übersenden, jedoch sollte ich ihr vorhero berichten, ob mir dergleichen Masquerade nicht etwa zuwider wäre.

Nun kann ich zwar nicht leugnen, daß mir dieser Streich anfänglich sehr unanständig schien, denn es fiel mir dabei diese Frage ein: Werden nicht die, so es einmal erfahren, sagen: Hercules servivit. Jedoch ich tröstete mich in diesem Stück folgendergestalt: Hat sich gleich Herkules durch die Liebe verleiten lassen, seiner geliebten Omphale zu Gefallen Weibskleider anzuziehen und in der Spinnstube mit dem Rocken unter ihren Mägden zu sitzen, so ist er doch der starke Herkules geblieben und nach seinem Tode vergöttert worden. Ferner wollte mir auch diese Masquerade verdächtig und gefährlich vorkommen, allein die Liebe überwältigte bei mir die gesunde Vernunft sowohl als den Wohlstand, derowegen versäumete keine Zeit, der Mad. K. zu versichern, wie mein Wille in allen Stücken ihren Befehlen unterworfen sei. Also stellete sich in darauffolgender Nacht eine mit zwei Pferden bespannete Karosse ein, worinnen nebst einer etwas betagten deutschen Frau auch ein einziger deutscher Laquais saß, welcher aber keine Liberei hatte. Die Frau allein kam in mein Zimmer und bat, ich sollte durch meinen Diener einen Coffre von dem Wagen nehmen und herauftragen lassen. Dieses geschahe, nachhero wurden aus dem Coffre vortreffliche Frauenzimmer-Kleider ausgepackt, ich als ein Frauenzimmer angekleidet und also reiseten wir, noch ehe der Tag anbrach, fort, nachdem[488] ich meinen getreuen Diener, welcher in Wahrheit das Leben vor mich gelassen hätte, Instruktion gegeben, wie er sich zeit meiner Abwesenheit verhalten und wie er mit den Geldern, so ich ihm zurückließ, disponieren solle.

In drei Stunden langeten wir ganz gemächlich auf dem Landgute an, ich wurde von der Mad. K., die schon vorausgereiset war, in einem schön meublierten Zimmer sehr freundlich empfangen. Die verliebten Komplimenten, so zwischen uns gewechselt wurden, will [ich] sowenig berühren als den täglich vergnügenden Zeitvertreib, den wir uns machten, sondern nur so viel sagen, daß ich mich dieses erste Mal ganzer vier Wochen bei ihr aufhalten mußte, im Liebeswerke aber konnte [ich] bei ihr nicht weiter avancieren, als daß sie mich dann und wann, jedoch in Wahrheit sehr selten, einen Kuß von ihrem schönen Munde und Händen rauben ließ, weiter konnte ich von ihrer strengen Tugend nichts erlangen, ja diese kleine erlaubte Freiheit wollte ihr schon mehr als zu lasterhaft vorkommen, jedoch auf meine unablässige verliebten Vorstellungen gab sie sich endlich zufrieden. Da aber hierdurch mein Liebesappetit nach den delikatesten, jedoch verbotenen Früchten immer stärker werden wollte, lockte sie mir einmals mit artiger Manier einen Schwur aus dem Munde und vinkulierte mich damit so weit, daß ich versprechen, angeloben und schwören mußte, ihr, solange ihr Gemahl am Leben, nie mals etwas zuzumuten, was wider die Hauptregeln der Keuschheit liefe. Demzufolge habe auch nach der Zeit nicht einmal an etwas Unkeusches gedenken, geschweige denn davon reden wollen. Außer diesem aber lebten wir sehr vertraut miteinander und vertrieben unsere meiste Zeit mit dem Schachspiele oder verliebten Gesprächen, und zwar in französischer Sprache, damit die alte deutsche Frau, welche der Mad. K. nicht von der Seite kommen durfte, nicht eben alles verstehen könne. Binnen dieser Zeit erzählete mir die Mad. K. auch ihre[489] ganze Lebensgeschicht, die mit demjenigen ziemlich übereinstimmete, was mir der deutsche Kavalier in der Opera gesagt. Sie ist gewiß sehr merkwürdig, aber auch sehr weitläuftig, derowegen halte es nicht vor ratsam, mein wertester Elbenstein, dieselbe voritzo anzufangen, sondern ich will dieselbe bis auf eine anderweite Zusammenkunft versparen, jedoch in meiner eigenen Geschichte fortfahren.

Nachdem vier Wochen verflossen, ließ mich die Mad. K. wieder nach der Hauptstadt in mein Logis bringen, sie folgte ebenfalls dahin, jedoch ich mußte daselbst ihr Palais gänzlich vermeiden und mich anstellen, als ob ich sie gar nicht kennete. Indessen, weil ich von ihrer Freigebigkeit mit einer starken Summe Geldes, außer etlichen Kleinodien von großen Wert, war beschenkt worden, so konnte ich in dieser Stadt, wo ohnedem sehr teuer zehren war, dennoch starke Figur machen und die vornehmsten Compagnien frequentieren; als ich aber nach Verlauf eines Monats die andere Ordre bekam, folgte ich der Mad. K. abermals höchst vergnügt auf ihr Landgut und bliebe fast sechs Wochen daselbst in ihrer Gesellschaft. Wir vertrieben einander die Zeit ebenso wie das vorige Mal, und, kurz zu sagen, wir wechselten solchergestalt Ort und Zeit unseres Aufenthalts über ein ganzes Jahr hindurch, denn ihr Gemahl, welcher in Affären des Staats verschickt war, schrieb zwar zum öftern, verschob aber seine Wiederkunft von einer Zeit zur andern. Mir geschahe hierdurch kein Possen, ohngeachtet ich manche Nacht sozusagen auf einem glühenden Roste lag und braten mußte, dieweiln ich die Quintessenz der Liebe nicht zur Arzenei erlangen konnte. Jedoch ich hielt der Mad. K. meinen Schwur, und diese ließ sich sehr öfters bewegen, etliche Wochen länger auf den Gütern die Zeit hinzubringen, als sie sich anfänglich vorgesetzt gehabt. Wie ich es demnach überrechnete, so haben wir im ganzen Jahre kaum zwölf Wochen separiert und in der Stadt gelebt.[490]

Eines Abends, da es bereits dämmerig zu werden begunnte, stunden wir alle beide an einem eröffneten Fenster und diskurierten miteinander. Indem fing Mad. K. ohnverhofft zu sagen an: ›Mein Herz wird mir grausam schwer, mein wertester d'A. Ich wollte wünschen, daß wir beide in der Stadt, und zwar ein jedes in seinem Logis befindlich wären.‹ ›Was schwer, was schwer, mein Engel?‹ versetzte ich, ›Euer Gemahl, vor dem wir uns allein zu fürchten haben, kömmt seinen letztern Briefen gemäß ja wenigstens in sechs Wochen noch nicht.‹

Kaum hatte ich diese Worte ausgeredet, da der deutsche Laquais gelaufen kam und berichtete, wie der Herr von K. mit etlichen andern Vornehmen von Adel auf den Hof zugeritten käme. Daß Mad. K. und ich nicht weniger bestürzt hierüber wurden, ist leicht zu erachten, jedoch wir hatten doch noch etwas Zeit, uns zu rekolligieren, fasseten deswegen die kurze Resolution, uns der Verstellung zu bedienen und den Ankommenden dreuste unter Augen zu gehen. Hierauf kam der Herr von K. mit allen seinen Gästen plötzlich ins Zimmer getreten und wurde sowohl von seiner Gemahlin als mir ganz freimütig und höflich bewillkommet. Der Herr von K. sahe mir starr, jedoch mit einer sehr freundlichen Miene in die Augen, sobald er aber von seiner Gemahlin vernommen, daß ich eine von ihren Befreundtinnen aus Deutschland sei, bewillkommete er mich aufs höflichste mit einem Handkusse. Mein Angesicht und der Bart konnten mich so leicht nicht verraten, denn ich habe mich bis dato eben noch nicht allzusehr über einen scharfen Bart zu beschweren, über dieses so kratzte ich damals selbst mit einem Schermesser alle Morgen die herausdringenden Stoppeln ab, so daß man an mir gar keinen Bart verspürete.

Die Angekommenen inkommodierten uns nicht lange, begehrten auch keine Abendmahlzeit einzunehmen, indem sie vorgaben, daß sie dieselbe kaum vor einer[491] Stunde bei einem benachbarten Edelmanne eingenommen hätten, hergegen führete sie der Herr von K. in ein ander Zimmer, allwo sie sich mit Wein, Bier und Tobakrauchen divertierten. Mittlerweile ließ der Herr von K. seiner Gemahlin sagen, wie er jetzo eben im Begriff wäre, einen Expressen nach der Stadt zu schicken, um allen Zubehör zu einem herrlichen Schmause vor 16 bis 20 Personen heraus zu schaffen, woferne sie nun eins oder das andere darbei zu erinnern hätte, möchte sie es bald tun, damit der Expresse nicht aufgehalten würde, sondern morgen bei guter Zeit mit allen Requisitis zur Stelle sein könne. Er, der Herr von K., würde mit seiner Gesellschaft zwar morgen mit dem allerfrühesten erstlich zu dem Hrn. von W. reiten, jedoch gegen abend um fünf oder sechs Uhr wieder zugegen sein, derowegen möchte Mad. K. alles so einrichten, daß sie bald nach ihrer Ankunft speisen könnten.

Mad. K. ließ ihn bitten, weiter vor nichts Sorge zu tragen, indem sie schon alles bestmöglichst besorgen wollte. Inzwischen war sie meinetwegen in großen Ängsten, geriet auch auf die Gedanken, mich noch in dieser Nacht heimlich nach der Stadt bringen zu lassen, allein sie resolvierte sich bald anders, indem sie glaubte, hierdurch den Verdacht noch größer zu machen, demnach bat sie mich, nur morgen bei Tage wenig zum Vorscheine zu kommen, wenn aber ihr Herr, nachdem ich mich wegen einer kleinen Unpäßlichkeit exkusieren lassen, ja darauf bestünde, daß ich mit bei der Tafel erscheinen sollte, möchte ich nur Folge leisten und meine Szene aufs beste spielen. Hierauf begab ich mich von ihr in mein ordentliches Zimmer, kam auch den andern Tag gar nicht zum Vorscheine, bis Mad. K. die alte Frau schickte und mir sagen ließ, es könnte nicht anders sein, ich müßte zur Tafel kommen, es wollte keine Entschuldigung helfen, derowegen sollte ich mich nur ankleiden. Da solches geschehen und ich bei der Compagnie, worunter sich vier[492] Frauenzimmer außer der Mad. K. befanden, wurde ich von allen insgesamt aufs complaisanteste bewillkommet und mußte mich an des Herrn von K. Seite setzen. Es wurde propre traktiert und Tafelmusik darbei gemacht, nach aufgehobener Tafel aber forderte mich der Herr von K. am allerersten zum Tanze auf, worüber die Mad. K. sowohl als ich, ohngeacht uns allen beiden nicht allzuwohl um die Leber war, von Herzen lachen mußten. Ohngeacht ich mich aber zeitlebens wenig in Frauenzimmerhabit und -art zu tanzen geübt hatte, so konnte doch meine Dinge noch so ziemlich machen, so daß nicht allein der von K., sondern auch seine Gäste meine Geschicklichkeit ungemein rühmeten. Kurz zu sagen, der Herr von K. verliebte sich in mich und trug mir seine inbrünstige Liebe gleich diesen ersten Abend an einem bequemen Orte in französischer Sprache an. Dieses war mir ein gefundenes Fressen, zwar wegerte ich mich anfänglich, ihm zu antworten, endlich aber, da er fortfuhr, von nichts anders als von verliebten Zeuge zu schwatzen, sagte ich: ›Stille, stille, mein Herr! Ich wollte nicht tausend Dukaten drum nehmen, daß Eure Gemahlin unsern Diskurs erführe.‹ ›Ha!‹ erwiderte der Herr von K., ›meine Gemahlin muß zufrieden sein, wenn ich mich morgendes Tages von ihr scheiden lasse. Saget nur ein Wort, meine Schöne, ob Ihr mich vergnügen wollet, so sollet Ihr nicht allein morgendes Tages 1000 Dukaten zum voraus von mir haben, sondern binnen wenig Wochen meine ehelige Gemahlin sein.‹ ›Mein Herr!‹ versetzte ich, ›nehmet nicht ungnädig, wenn ich glaube, daß vielleicht mehr der Wein als meine wenige Schönheit Euch diesen Abend in mich verliebt macht, leugnen kann ich zwar nicht, daß mich Eure galante Person ungemein charmiert, wünschte auch imstande zu sein, Euch zu vergnügen, allein Eure Gemahlin ist meine weitläuftige Befreundtin, und diese aus ihrem Ehebette zu vertreiben wäre nicht redlich gehandelt, eine Nebenbuhlerin aber zu leiden, würde ihr sowenig gelegen sein[493] als mir, dergleichen Kondition anzunehmen.‹ ›Mein Engelskind!‹ sagte hierauf der Herr von K. zu mir, ›berichtet mich nur kürzlich, ob Ihr mich lieben könnet oder nicht, denn wenn ich nur dessen versichert bin, daß Ihr mich liebet, so soll sich in der Kürze schon alles geben.‹ Ich stellete mich an, als ob ich vor Schamhaftigkeit und Furcht nicht antworten könnte, führete aber in aller Stille seine Hand zu meinem Munde, küssete und drückte dieselbe. Er nahm diese Karesse vor ein würkliches Jawort an und passete das Tempo ab, da seine Gemahlin hinausgegangen war, mich hinter eine Gardine zu führen und mir etliche derbe Küsse auf den Mund zu versetzen. ›Wohlan!‹ sprach er hierauf, ›lasset meiner Gemahlin nichts merken, morgen sollet Ihr mit derselben nach der Stadt in unser Palais fahren und von mir 1000 Dukaten zu Eurer Bedürfnis empfangen, ich muß zwar noch eine Reise tun, komme aber aufs längste in drei Wochen wieder zurücke, sodann soll zu unser beiderseits Vergnügen völlige Anstalt gemacht werden.‹ Hierauf verließ er mich und redete diesen Abend fernerhin sehr wenige Worte mit mir, hergegen machte er sich mit seinen Gästen bei den Weinbouteillen noch etliche Stunden lustig, folgenden Morgens aber brachen wir in aller Stille nach der Stadt auf. Mad. K. und ich saßen in einem Wagen beisammen, da ich denn derselben unterwegs erzählete, was mir gestern abend passiert war. Sie lächelte zwar darüber, allein das vor mich gewünschte Vergnügen wollte sich gar nicht zeigen, doch sagte sie: ›Weiln mein Gemahl heute wieder fortreisen will, wollen wir doch den Possen vollends fortspielen und abwarten, was daraus werden wird.‹

Nachdem wir im Palais angelanget, begab er sich in sein Appartement, mir aber ließ er durch seinen Kammerdiener in geheim sagen, daß ich mich mittags um drei Uhr in mein Zimmer begeben sollte, unter dem Vorwande, Mittagsruhe daselbst zu halten, weil er mir durch ihn, den Kammerdiener, dem gestrigen Versprechen[494] gemäß etwas zuschicken, sich sodann gleich zu Pferde setzen und fortreisen wollte. Wie ich nun versprechen lassen, mich darnach zu achten, begab ich mich sogleich zu der Mad. K., der ich den Antrag erzählete. Sie sagte hierauf, ich sollte mein Versprechen nur halten. Weiln aber der Herr von K. unter dem Vorwande, daß er vor seiner Abreise noch notwendige Briefe zu schreiben hätte, in seinem Appartement allein auf der Serviette zu speisen verlangete, als speisete ich mit der Mad. K. ganz allein und begab mich hernach in mein Zimmer. Um die bestimmte Zeit kam der Kammerdiener, brachte mir nebst einem freundlichen Abschiedskomplimente einen Brief nebst einem Beutel, worinnen 1000 Dukaten versiegelt, von seinem Herrn und begab sich eiligst wieder zurück. Ich erbrach den Brief und fand die herrlichsten Liebesverpflichtungen nebst folgender nachdenklichen Expression darinnen: Bleibet mir nur getreu und sorget vor nichts, die Ehescheidung zwischen mir und meiner Gemahlin und die Vermählung mit Euch und mir wird leichter geschehen, als sich vorjetzo jemand einbilden kann. Nachdem ich der Mad. K. diesen Brief zu lesen gegeben, sagte sie: ›Mein werter d'A., nunmehro ist dieses mein bester Rat, nehmet die 1000 Dukaten und retiriert Euch damit, wohin Ihr wollet, oder getrauet Ihr Euch, in Eurem Kavalierskleidern noch etliche Wochen hierzubleiben, so stehet es Euch frei. Ich finde vor nötig, mich auf eine Zeitlang zu verbergen, weilen, wie ich merke, mein Leben in Gefahr stehet, denn der verfluchte Kammerdiener wird ganz gewiß Ordre haben, mich mit Gifte hinzurichten.‹

Ich erstaunete gewaltig über diese ihre Reden, da sie sich aber sehr ängstlich gebärdete, mußte ich ihren Mutmaßungen desto mehr Glauben beimessen, versprach demnach, ihr zu gehorsamen und mich mit einbrechender Nacht in mein Logis zu begeben, jedoch noch eine kurze Zeit in dieser Stadt zu bleiben, um unter der Hand auszuforschen, was nach ihrer heimlichen[495] Abreise weiter passieren würde. Inmittelst ersonne sie einen artigen Streich, sich des Kammerdieners zu versichern, führete auch denselben glücklich aus, und zwar folgendergestalt: Sie ließ von ihren getreuen Bedienten sechs handfeste Kerls in ihr Zimmer kommen, welchen sie vorschwatzete, wasmaßen sie ein besonderes Geheimnis entdeckt, daß nehmlich der Kammerdiener ein Großes verbrochen, welches in einer Verräterei und Betrug gegen ihren Gemahl und auch sie bestünde; derowegen sollten sie den Kammerdiener alsofort gefangennehmen, binden und in einem finstern und tiefen Gewölbe so lange bewahren, bis ihr Gemahl wieder zurückkäme, dem sie alsofort einen Expressen nachschicken, auch ihm selbst entgegenreisen wollte. Dieses wurde nun alsofort bewerkstelliget, und zwar ohne einzigen Rumor, weil dem Kammerdiener keiner von allen andern Domestiquen gewogen war. Hierauf packte die Mad. K. alle ihre Kostbarkeiten in etliche Coffres ein und wartete mit Verlangen auf den hereinbrechenden Abend. Sobald derselbe eingebrochen, nahm sie von mir beweglichen Abschied und versprach, daß ich im warmen Bade bei ihrem Wirte nach wenig Wochen Briefe von ihr finden sollte. Hierauf ließ sie mich in mein Logis bringen, sie aber ist ohngefähr eine Stunde hernach abgereiset.

Ich hielt mich etliche Tage ganz stille in meinem Logis auf und ließ durch meinen Diener aussprengen, als wenn ich nach G. verreiset gewesen wäre, daselbst aber einige Zeit krank darniedergelegen hätte. Nachhero besuchte ich wieder diejenigen Örter, wo die vornehmsten Kavaliers anzutreffen waren und wo man alle neuen Mären, so in und außerhalb der Stadt passiereten, am allerersten erfahren konnte, es erwähnete aber kein Mensch etwas von denjenigen Affären, welche ich gern, ohne meine Person darein meliert zu wissen, anhören mögen. Etwa drei Wochen hernach, da ich nebst zwei Kavaliers aus der Stadt und drei Deutschen spazieren geritten war, stiegen wir bei einem[496] Wirtshause ab, das im freien Felde lag. Kaum hatten wir ein paar Gläser Bier ausgeleeret, da der Herr von K. nebst drei seiner bei sich habenden Leute von der S. Straße daher gejagt kam und allen Ansehen nach auf die Stadt zu eilete, da er aber uns zu sehen bekam, wendete er ein und stieg ebenfalls bei dem Wirtshause ab.

Der eine von den Stadtkavaliers, so in meiner Gesellschaft waren, mochte mit dem von K. bekannt sein, fragte derowegen sogleich, wo er so eiligst herkäme. Der von K. aber, sobald er mich in die Augen bekam, blieb ganz unbeweglich stehen und konnte diesem Kavalier, seinem Landsmanne, vor Bestürzung kein Wort antworten. Es wurde ihm ein Glas Bier zugetrunken, allein er entschuldigte sich und forderte Branntewein, leerete auch in der Geschwindigkeit fünf bis sechs ziemliche Gläser aus. Nach diesen rufte er seinen Kammerdiener auf die Seite, redete eine Weile heimlich mit demselben, worauf er wieder zurückkam und sich bei uns niedersetzte. Indem nun der Kammerdiener sich stellete, als ob er hinter das Schenkhaus gehen wollte, rief ihm sein Herr zu, er sollte Schnupftobak hergeben. Dieser brachte eine frisch gefüllete Dose und sahe mir ebenfalls starr ins Gesichte. Mittlerweile nun der von K. Schnupftobak nahm, fragte er den Kammerdiener: ›Ist's der rechte?‹ ›Ja, gnädiger Herr!‹ antwortete dieser, ›es ist der rechte.‹ Hierauf sagte der von K. nochmals: ›Wenn es nur wahr, daß es der rechte ist.‹ Da denn der Kammerdiener mit einem Fuße auf die Erde stampfte und mit ernsthafter Stimme sprach: ›Hol mich 1000 ..., es ist der rechte.‹ Hierauf präsentierte der von K. einem jeden die Dose, wie er aber an mich kam und ich eben zugreifen wollte, ließ er dieselbe aus der Hand auf die Erde fallen, ich nahm geschwind ein wenig Schnupftobak von dem Haufen, der auf den steinernen Tritt gefallen war, hub auch die Dose auf und präsentierte ihm dieselbe als einem Unbekannten mit einem höflichen Komplimente, sagte[497] anbei, wie es schade wäre, daß ein so delikater Tobak hätte sollen verschüttet werden. Der von K. antwortete nichts, nahm aber die Dose und warf dieselbe, ohngeacht es ein kostbares Stück war, augenblicklich in einen sehr nahe an dem Wirtshause gelegenen Teich. Alle sahen einander an und wußten nicht, was sie aus diesen närrischen Beginnen schließen sollten, ich aber fing nunmehro an zu merken, was diese Aufführung zu bedeuten hätte, setzte mich derowegen in Positur, rief meinem Diener und befahl ihm in geheim, frisch Pulver auf die Pfannen unserer Pistolen zu schütten und die Pferde an den Arm zu nehmen.

Hierauf redete der von K. seine beiden Landsleute, die mit mir dahin geritten waren, also an: ›Meine Herren! Wisset Ihr etwas Neues? Meine bisher gewesene Frau, die Canaille, ist mir seit kurzen mit einer starken Summa Geldes und vielen kostbaren Kleinodien echappiert.‹ Einer von diesen beiden antwortete, wie er zwar in der Stadt an einigen Orten etwas davon murmeln gehöret, wollte aber nicht hoffen, daß dem in der Tat also sei. ›Es ist mehr als zu wahr‹, versetzte der von K., ›ich habe es leider mit meinem Schaden erfahren, doch wollte ich gern noch einmal soviel verlieren, wenn ich nur das Vergnügen haben könnte, mich an ihrer Person dergestalt zu rächen, wie ich mich an demjenigen Kujon rächen will, der sie verführet hat.‹ Hierauf stieß er die allergrausamsten Flüche und Scheltworte auf die deutsche Nation aus, beides männlichen als weiblichen Geschlechts, sagte auch ausdrücklich, alle Deutschen wären wert, daß man sie in diesem Lande totschlüge wie die Hunde. Meine drei Landsleute machten große Augen, mir aber überlief die Galle dergestalt, daß ich aufsprunge und unter den Worten: ›So raisonieren Massetten‹ meinen Degen zog und dem von K. ferner zurufte: ›Ziehe vom Leder, Canaille! und defendiere deine aus einem mit Brannteweine eingebeizten Rachen ausgestoßene schändliche Redensarten.‹ Darnach zog der von K. auch seinen Sarraß,[498] beiderseits Diener liefen herzu und wollten auch mit schlachten helfen, allein die beiden Nationalisten stelleten sich darzwischen und wollten dergleichen irreguläre Rencontre durchaus nicht statuieren, widrigenfalls die Partie der Deutschen nehmen. Dergleichen Raisonabilité hatte ich und meine Landsleute mir von ihnen nicht eingebildet. Unterdessen aber, da mich der von K. aufs schärfste injurierte, einen Weiberverführer, Hurenschelm und dergleichen schalt, anbei mich zu einem Duell auf Leib und Leben provozierete, stellete ich mich zwar gegen die andern, als ob ich gar nicht wüßte, was der rasende Kerl bei mir als einem rechtschaffenen Kavalier suchen wollte, jedoch weil er mit aller Gewalt Händel an mir suchte, wollte ich ihm, um der deutschen Ehre zu maintenieren, auf ein paar Pistolen stehen, indem wir ungleich Seitengewehr hätten. Die Gesellschaft konnte hierwider fast nichts einwenden, sondern war geneigt, uns beide Mann vor Mann zu lassen, allein der von K. wollte von keinen Pistolen, sondern nur von einem Zweikampf mit dem Seitengewehr hören. Dieses war mir um soviel desto lieber, zumalen da er auch keine Sekundanten leiden wollte. Als wir demnach zusammen gelassen wurden, erklärete sich mein Gegner, daß absolut einer von uns beiden auf dem Platze bleiben müßte, er ging auch auf mich los als eine Furie, allein er kam blind und erhielt von mir kurz nacheinander zwei gefährliche Wunden, und zwar eine oben in den Arm und die andere in die Brust, weswegen er matt wurde, seinen Sarraß sinken ließ und endlich zu Boden fiel. Ich stellete mich, als ob ich ihm mit einem Stoße noch die letzte Ölung geben wollte; derowegen, als er den Tod vor Augen sahe, mich recht kläglich um sein Leben bat. Die übrigen von der Compagnie naheten sich herzu, um mich von diesen barbarischen Verfahren abzuhalten, ich aber gab ihnen einen Wink und sagte zu meinem Feinde: ›Siehe, Canaille! ohngeachtet nicht allein ich, sondern die ganze deutsche Nation von dir aufs allerschändlichste touchiert[499] worden, so will ich doch an dir etwas tun, welches du an mir nicht leicht würdest verübt haben, wenn du mich so wohl überwunden hättest als ich dich. Ich schenke dir demnach dein Leben, jedoch mit der Kondition, daß du alle ausgestoßene Injurien auf deine eigene Person zurücknehmest, dich selbst als einen boshaften Lügner aufs Maul schlägest und mir wegen der aufgebürdeten Laster eine Ehrenerklärung tuest. Geschicht dieses nicht, so stoße ich dir augenblicklich den Degen durch die Brust.‹

Die übermäßige Furcht vor dem Tode trieb den angstvollen von K. an, mein Begehren gleich auf der Stelle zu erfüllen, worüber seine Bedienten sowohl als die Leute die Augen nicht wenig in den Köpfen herum dreheten, allein es movierte sich niemand, weswegen ich mich mit meinen drei Landsleuten zu Pferde setzte und zurück nach der Stadt ritte. Tages darauf war diese Begebenheit bereits stadtkündig, wurde aber von einem auf diese und von dem andern auf jene Art erzählet, von den meisten aber wurde meine Aufführung gerühmet und ich vor einen resoluten Kavalier gehalten. Ohngeacht ich nun bei vielen in den heimlichen Verdacht geriet, als ob ich mit des von K. Gemahlin in heimlicher Vertraulichkeit gelebt hätte, so wurde doch wenig daraus gemacht, im Gegenteil wünschete sich mancher, wie ehemals Neptunus getan, bei dieser Venus so glücklich als Mars bei jener gewesen zu sein und einem mürrischen Vulkano Hörner aufzusetzen.

Nach der Zeit wurde mir von verschiedenen guten Freunden angeraten, diese Stadt zu verlassen, denn des von K. rachgieriges Gemüte wäre jedermann bekannt, und obgleich ich in der Hauptsache unschuldig, so würde er doch nicht unterlassen, bloß wegen des vor ihn unglücklich ausgefallenen Duelles an mir, wo nicht öffentliche, doch heimliche Rache zu suchen. Allein, ich kehrete mich an nichts, glaube auch, ich hätte dieses Land eher quittiert, wenn ich solches nicht erfahren hätte. So aber, um nicht vor einen feigen Kerl angesehen[500] zu werden und die Mad. von K. mit mir zugleich um soviel mehr aus allem Verdachte zu setzen, beschloß ich, das halbe Jahr vollends auszuwarten, sodann ins warme Bad zu reisen, um zu sehen, ob die von K. ihr Wort gehalten und Briefe an mich dahin gesendet hätte.

Durch diesen Eigensinn aber stürzte ich mich, wiewohl unschuldigerweise, in das größte Unglücke, und zwar folgendermaßen: Ich besuchte fast täglich die besten Compagnien, sonderlich wo stark gespielet wurde, indem mir das Glück im Spielen sonderlich favorisierte, derowegen spazierete zum öftern ganz allein, und zwar sehr spät in mein Logis, weil ich meinen getreuen Bedienten lieber zur Sicherheit meiner Habseligkeiten zu Hause ließ. Eines Abends aber spielete ich einmal ganz extraordinär unglücklich, so daß alles bei mir habende Geld fortging, derowegen, weil es bereits spät war, nahm ich vor dieses Mal von der Compagnie Abschied, und zwar akkurat, da die Glocke eins schlug. Es höreten alle die Glocke schlagen und verwunderten sich einigermaßen, daß die Zeit so geschwinde verflossen wäre, demohngeachtet machten die andern noch keinen Aufbruch, sondern ich alleine ging mit meiner kleinen Taschenlaterne den nächsten Weg nach meinem Quartiere zu. Als ich nun in die einsame Gegend eines Klosters kam, hörete ich etliche Personen hinter mir her getreten kommen, wandte mich derowegen mit der Leuchte um, zu sehen, wer dieselben wären, in selbigem Augenblick aber bekam ich einen Hieb über diese meine linke Hand, weswegen ich die Laterne mußte zur Erden fallen lassen. Eine Stoßklinge ging mir fast zu gleicher Zeit durch den Rock und Kamisol an der Brust hinweg, schürfte aber nur die Haut, derowegen tat ich einen Sprung auf die Seite, zohe meinen Degen und stieß auf den los, der mir am nächsten war, traf ihn auch dergestalt glücklich, daß er augenblücklich zu Boden fiel und in seiner Sprache das Miserere mei! ausrief. Demohngeachtet setzten mir die zwei[501] übrigen Mörder, deren Bewegung mich das wenige Sternenlicht einigermaßen observieren ließ, desto heftiger zu, da aber der eine, wie ich merken konnte, drei oder vier empfindliche Stiche von mir bekommen hatte, verging ihm die Lust, mich ferner zu attaquieren, der dritte Filou aber wollte gar nicht weiter anbeißen, sprang also zurück, nahm die Flucht, gab aber ein Zeichen mit einer hellen Pfeife von sich.

Nun konnte ich mir leicht einbilden, daß er hierdurch noch mehrere seiner schelmischen Kameraden herbeirufte, derowegen hielt ich nicht vor ratsam, mich länger auf diesem Platze aufzuhalten, begab mich also mit fliegenden Schritten nach meinem Logis und kam eben in demselben an, da es ein Viertel auf zwei Uhr schlug, welches mir der Wirt nebst demjenigen Feldscher, der mich verbunden, und vielen andern ehrlichen Leuten, die damals noch bei meinem Hauswirte gesessen haben, bezeugen konnten; denn unter währenden Verbinden, als ich den Feldscher fragte, ob ich eine lahme Hand bekommen würde, und mir derselbe zur Antwort gab, er könne vor die Restitution der Gelenke nicht Bürge sein, sagte ich ganz betrübt: ›Hilf Gott! kann man nicht so unverhofft in Unglück geraten. Jetzt hat es nur ein Viertel auf zwei Uhr geschlagen, und da die Glocke eins schlug, wußte ich hiervon noch nichts.‹

Man fragte mich hierauf, mit wem ich Händel gehabt, allein ich fand nicht ratsam, sogleich die Wahrheit zu sagen, sondern gab vor, es wäre in einer Rencontre geschehen, meinen Diener aber schickte ich gleich mit anbrechenden Tage auf den fatalen Kampfplatz, allein er hatte nichts daselbst angetroffen als meine in Kot getretene Laterne, welche er zum Wahrzeichen mitbrachte, und etliche Flecken Blut, woraus ich schloß, die Straßenräuber müßten ohnfehlbar ihren tödlich blessierten Kameraden selbst mit fortgeschleppt haben. Derowegen machte ich mir gar keine sorgsamen Gedanken, verbot aber meinem Diener, gegen jemanden[502] etwas von dieser Affäre zu gedenken, wie ich denn auch bei mir beschloß, kein Wesens davon zu machen.

Allein, ehe die Mittagsstunde herannahete, wurde ich von der Senatswache in meinem Logis arretiert und in ein Gefängnis geführet, wo sonsten die allergrößten Missetäter verwahret wurden. Der Himmel weiß am besten, wie schändlich und wider alles Recht mit mir prozediert worden, denn es war bekannt, ich aber erfuhr es nur von ohngefähr, daß der von K. ohnweit von seinem Palaste, und zwar in eben derselbigen Nacht, war ermordet worden. Dieser Palast aber liegt in der V. Vorstadt und eine gute halbe Stunde von demjenigen Hause, wo ich selbigen Abend in Compagnie gewesen bin. Nun bedenke ein jeder vernünftiger Mensch, ob es wohl möglich sei, in einer Viertelstunde dahin zu laufen, den Mord zu begehen und auch wieder in meinem Logis zu sein, welches noch weiter abgelegen war. Aber alles dieses und noch viel anderes mehr, was zu meiner Entschuldigung und Entdeckung meiner Unschuld dienen können, ist boshafterweise unterdrückt, hergegen vier falsche Zeugen über mich abgehöret worden, deren lügenhafte Aussage ich zwar klar und deutlich widerlegte, meine Inquisitores aber gaben sich nicht einmal die Mühe, dasjenige, was ich zu meiner Defension vorbrachte, anzuhören, noch viel weniger aber registrieren zu lassen, suchten hergegen mich durch die Tortur zur Bekenntnis zu bringen.

Wie ich mich nun von aller Welt verlassen sahe, indem man einem jeden, er mochte auch sein, wer er wollte, den Zutritt bei mir verwehrete, auch mir weder Feder noch Dinte zuließ, verging mir alle Hoffnung, errettet zu werden, indem die Gerechtigkeit dasiges Orts kein Quartier hatte. Alle meine Courage verließ mich, sobald ich den erschröcklichen Torturapparatum ansichtig wurde, derowegen schien mir der Tod weit erleidlicher zu sein, als mich so schändlich und jämmerlich martern zu lassen. Um nun meinen Tod zu beschleunigen,[503] indem ich deutlich spüren konnte, daß kein ander Mittel vorhanden wäre, mich der Ketten und Bande nebst einer jämmerlichen Marter zu entreißen, bekannte ich, eine Mordtat verübt zu haben, die mir zeitlebens nicht in den Sinn gekommen war, bat also um nichts mehr, als mir die Gnade zu erteilen und mich mit dem Schwerte hinrichten zu lassen. Dieses wurde mir nach etlichen Tagen verwilliget und zugleich ein paar Geistliche zu mir ins Gefängnis geschickt, welche sich viele Mühe gaben, mich zu bereden, meine Religion zu changieren und die ihrige anzunehmen. Allein ihre Mühe war vergebens, indem ich ihnen ein vor allemal sagte: ›Ich weiche nicht von meinem Glauben, sondern wollte viel lieber unschuldigerweise sterben, als mein Leben durch Veränderung meiner Religion oder Ausstehung der Tortur zu retten suchen, weiln ich mit dem erstern meiner Seele, mit dem andern aber meinem Leibe einen unauslöschlichen Schandfleck anhinge.‹ Also blieben diese geistlichen Herren etliche Tage von mir, bis sie endlich mit demjenigen wieder angestochen kamen, der mir ankündigte, daß ich mich zu meinem Ende bereiten möchte, weiln mir über den dritten Tag früh um neun Uhr der Kopf vor die Füße gelegt werden sollte. Das Urteil wäre zwar anfänglich so gesprochen worden, mich lebendig zu rädern, jedoch en regard dessen, daß ich von adelichen Geblüte herstammete, wäre es noch gemildert worden. Ich hörete alles mit größter Gelassenheit an, wendete nichts weiters dargegen ein als dieses: ›Ich danke Ihnen, mein Herr! vor Ihre Bemühung, mir mein Todesurteil anzukündigen. Vor Gottes Gerichte am Jüngsten Tage werde ich bessere Justiz antreffen als bei meinen hiesigen Richtern, derowegen will ich sie dahin zitieren und hier auf Erden mit mir umgehen lassen, wie sie belieben.‹

Der Mann, ich weiß nicht, wer er war, wendete sich ohne fernere Antwort von mir, hergegen kamen die Herren Geistlichen und bombardierten mich mit ihren[504] Vermahnungen, allein ich erklärete mich gegen sie rotunde, daß alle ihre Mühwaltung vergebens wäre, wollten sie aber ein Werk der christlichen Liebe an mir ausüben, so möchten sie meine ungerechten Richter dahin persuadieren, daß sie einen Geistlichen von meiner Religion zu mir kommen ließen. Hiermit aber hatte ich die Hölle vollends angezündet, sie übergaben mich dem Teufel und gingen in größter Rage von mir hinweg. Ich dargegen machte mich mit christlicher Gelassenheit zu meinem Tode gefaßt, indem ich an keine Erlösung zu gedenken hatte. In der Nacht aber vor dem angestelleten Exekutionstage bekam ich einen starken Anstoß von der Colica, so daß ich mich genötiget fand, meine Wächter zu bitten, mit mir hinauszugehen. Viere derselben schliefen, die zwei wachenden aber gingen mit mir heraus, da denn der eine eine Laterne vortrug, der andere aber mit entblößeten Seitengewehr hinter mir herging. Nachdem ich das Opus naturae verrichtet, lösete mich der eine Wächter ab, der andere aber blieb bei mir auf dem Boden an einem großen Fensterloche stehen, allwo ich frische Luft schöpfete.

Er sahe sowohl als ich hinunter in einen Hof, allwo, wie ich schon vor etlichen Tagen angemerkt, sehr viel Mist lag. Indem redete mich der Wächter also an: ›Wolltet Ihr wohl wagen, einen Sprung dahinunter zu tun, um den Händen des Scharfrichters zu entgehen?‹ ›Nein‹, gab ich zur Antwort, indem ich mich zugleich von dem Loche hinweg wendete und nach meinem Gefängnisse zuging, ›ein solcher Tod möchte ungleich schmerzhafter sein.‹ Unter diesen Reden aber kamen mir ganz plötzlich andere Gedan ken in den Kopf, derowegen, als wir ganz nahe bei einer steil herabgehenden Treppe vorbeigingen, gab ich dem Wächter einen solchen gewaltigen Stoß, daß er mitsamt seiner Laterne die Treppe hinunterstürzte, ehe aber der andere aus dem heimlichen Gemache herauskam, war ich schon wieder bei dem Loche, fassete meinen Schlafrock[505] zusammen, befahl mich dem Allmächtigen und wagte den Sprung von der Höhe herab, fiel auch so glücklich und ziemlich sanft auf einen lockern Misthaufen, daß ich weiter keinen Schaden nahm, als nur den linken Arm ein wenig anschellerte, weil ich mit demselben auf eine daliegende Mistgabel gefallen war. Der Hof war schlecht verwahrt, derowegen fassete ich die anhabenden Ketten zusammen, daß sie kein Gerassele machten, nahm die Mistgabel mit, schlich in der dicken Finsternis und im starken Regen hurtig fort und verkroch mich in ein altes zerfallenes Gebäude, allwo ich mit Hülfe der Mistgabel mich der Ketten, so an einem Arme und an einem Fuße befestiget waren, entledigte und dieselben ganz leise in einen Winkel legte. Mein Vorsatz war zwar, in dem Hause eines gewissen Abgesandten Schutz zu suchen, unterdessen aber hörete ich, daß auf der Straße einiger Lärm entstund, weswegen ich mich in einen Winkel verkroch, kann aber nicht leugnen, daß mir das Herze im Leibe gewaltig pochte. Es wurde endlich stille auf der Straße, doch sahe ich den Schein einiger Fackel herzukommen, weswegen mir noch tausendmal ängster wurde, allein meine Furcht verschwand einigermaßen, als ich zwei Laquais mit Fackeln vorausgehen und zwei Personen mit Regenröcken kommen sahe, auch vernahm, daß diese beiden letztern deutsch, und zwar recht laut, miteinander redeten. Als sie etwas näher kamen, verstunde ich ganz deutlich, daß der eine sagte: ›Es sei aber, wie es wolle, Herr Bruder! so muß doch eine solche ... Wache den Respekt gegen Offiziers von unserer Nation aufs genauste observieren.‹ ›Bei dergleichen Umständen, Herr Bruder!‹ versetzte der andere Offizier hierauf, ›sind sie in Wahrheit ebensosehr nicht zu verdenken, Gott gebe nur, daß sich der arme Teufel d'A. in Sicherheit gebracht hat.‹

Diese letztern Worte waren eine vortreffliche Herzstärkung vor mich, derowegen fassete ich einen Mut, spazierte aus dem alten verfallenen Gebäude heraus[506] und immer hinter den Offiziers her, bis sie auf einen mir gefällig scheinenden Platz kamen, da ich denn meine Schritte verdoppelte, den einen beim Ärmel zupfte und sagte: ›Messieurs! ich bitte Sie um Gottes und Ihrer eigenen Ehre willen, nehmen Sie sich eines unschuldigen Delinquenten und unglückseligen Kavaliers an, denn sonsten muß ich nach wenig Stunden Verlauf meinen Kopf wider alles Recht und Billigkeit hergeben.‹ ›Hui! Mons. d'A.‹, sagte dieser ›Ach frei lich‹, war meine Antwort, ›bin ich der unglückselige d'A.‹ Hierauf sagten beide: ›Stille, stille, kein Wort mehr gesprochen!‹ Unterdessen aber tat der eine seinen Regenrock ab und warf ihn über mich, der andere aber setzte mir seine Peruque und Hut auf, nahm inzwischen dem Diener den Hut und setzte ihn auf seinen eigenen Kopf, mich aber nahmen beide in die Mitte und führeten mich wohl noch über 300 Schritte bis in des einen Quartier. Wie ich diese beiden Herren recht beim Lichte besahe, waren es die Capitains B. und C., welche ich ehedem auf der Universität L. gekannt hatte, jedoch nur kurze Zeit mit ihnen umgegangen war, indem sie wenig Wochen nach meiner Dahinkunft ihren Valetschmaus gaben.

Um aber meine Erzählung nicht allzu weitläuftig zu machen, so will ich nur so viel sagen, daß diese beiden redlichen Kavaliers, welche nunmehro weit höhere Chargen erlangt haben, alles an mir getan, was nur leibliche Brüder aneinander tun können. Nachdem ich nun ihnen die ganze Speciem facti und alle Prozeduren erzählet, brachten sie es dahin, daß ich in höhern Schutz genommen wurde, auch zu Rettung meiner Ehre meine Defension ordentlicher führen konnte. Kaum aber war dieserwegen der Anfang gemacht, als meine Unschuld von selbsten wunderbarer- und unverhoffterweise zutage kam. Es wurde nehmlich mittlerweile ein berüchtigter Straßenräuber exekutiert und hatte bereits zwei Stöße mit dem Rade bekommen, als dieser ruchlose Mensch, der sich vorhero weder[507] bekehren noch von Himmel und Hölle hören wollen, dem Scharfrichter plötzlich zurufte: ›Halt inne, ich habe noch ein Geheimnis auf den Herzen, woran sehr viel gelegen ist, ich will beichten und das heilige Sakrament empfangen, vielleicht kann ich noch selig werden.‹

Dieserhalb machte der Scharfrichter mit seiner gräßlichen Arbeit einen Stillstand, rief die Richter und Geistlichen, welche, von einer großen Menge Volks begleitet, hinzutraten. Auf kurzes Befragen, was nehmlich er, der arme Sünder, noch auf seinen Herzen hätte, sprach er mit vernehmlicher Stimme: ›Gott hat mir mein Herze gerühret, derowegen bekenne ich, daß ich über alle Mordtaten, so ich bereits gestanden, noch etliche 30 verübt habe. Unter dieser Zahl ist auch der Herr von K., denn er hatte mich vor 100 Dukaten gedungen, den deutschen Kavalier d'A. bei Nachtszeit auf der Straße zu ermorden. Des Herrn von K. Kammerdiener hatte eines Abends ausgespüret, wo sich der Kavalier in Compagnie aufhielt, weilen aber sowohl der Herr als der Bediente wußten, daß der Kavalier ein resoluter Mensch und guter Fechter wäre, getraueten sie sich alle beide allein nicht an denselben heran, sondern der Kammerdiener kam zu mir und holete mich ab. Wir laureten also alle drei dem deutschen Kavalier bei dem ... Kloster auf, weil wir wußten, daß er den Weg nach seinem Logis allda vorbei nehmen mußte. Ich hatte einen Stoßdegen, der Herr von K. und sein Kammerdiener aber Pallasche, wir sahen ihn ankommen und attaquierten ihn, allein der Kavalier wehrete sich dergestalt desperat, daß der Kammerdiener durch einen tödlichen Stich sogleich zu Boden gelegt wurde. Dem Herrn von K. wurde durch einen gewaltigen Stich der rechte Arm gelähmet, weswegen er zu fernerer Attaque untüchtig war, mithin zurücke ging. Ich aber, weil ich merkte, daß der Deutsche als ein Löwe fochte und ihm nirgends beizukommen war, sprung endlich auch auf die Seite und vermeinete, mit meiner Pfeife etliche von meinen Kameraden, die sich[508] vielleicht um selbige Gegend aufhalten möchten, herbeizulocken. Allein der Deutsche begab sich aufs Laufen, und der Herr von K. befahl mir, ihn erstlich nach seinem Palais zu führen, hernach den Körper des entleibten Kammerdieners auch nachzubringen. Ich gehorsamte, griff ihm unter den Arm und führete ihn ganz sachte fort. Unterwegs fragte ich, ob Ihro Gn. etwa gefährliche Blessuren an sich spüreten, worauf er mir antwortete, daß er bloß an einem Stiche, den er in die Brust bekommen, einige Schmerzen fühlete, die übrigen Wunden aber würden nicht viel zu bedeuten haben. Inmittelst beklagte er den plötzlichen Tod seines erblasseten Kammerdieners fast mit Tränen, mir aber warf er mit den allerempfindlichsten Worten vor, daß ich vor 100 Dukaten meine Courage nicht besser gezeigt hätte, er selbst wäre tödlich blessiert, der Kammerdiener erstochen, ich aber hätte nicht einmal einen Blutstropfen dabei vergossen. Solche und dergleichen empfindliche Redensarten erbitterten mich aufs heftigste. Weilen mir nun vorhero ein kostbarer Diamantring, den er an seiner linken Hand trug, in die Augen gefallen war und ich darbei hoffen konnte, eine fette Goldbeurse und andere Kostbarkeiten bei ihm zu finden, als ergriff die Resolution und gab ihm, mich seiner pikanten Worte wegen zu revanchieren, mit einem Dolche in der Geschwindigkeit drei oder vier Stiche in den Rücken zwischen die Schulterblätter, weswegen er, da er sich ohnedem schon ziemlich verblutet hatte, ohne einzigen Laut von sich zu geben, zu Boden sank, durch drei Stiche aber, die ich ihm in die Brust gab, löschete ich ihm das Lebenslicht vollends aus. Hierauf nahm ich nicht allein den Ring von seinem Finger, sondern leerete ihm auch alle Schubsäcke aus, lief aber, weil ich hernach Leute kommen hörete, auf und darvon, und zwar wieder auf den Platz, wo der erstochene Kammerdiener lag. Diesen scheelete ich ebenfalls aus, fand ein herrliche Beute bei ihm und warf seinen Körper in den Brunnen bei dem ... Kloster, worinnen derselbe[509] ohnfehlbar noch zu finden sein wird. Außer diesem‹, verfolgte dieser Straßenräuber seine Rede, ›kann ich noch versichern, daß der Herr von K. zweien von meinen Kameraden, welche Franzosen von Geburt sind, einem jeden 100 Duk. in Abschlag und noch dreimal soviel zu geben versprochen hat, woferne sie seine Gemahlin antreffen und ums Leben bringen könnten, wenn sie aber ihm dieselbe lebendig in die Hände zu liefern capable wären, sollten sie gedoppelten Lohn empfangen. Weiter‹, sagte er zu den Geistlichen, ›fället mir voritzo nichts mehr ein, derowegen sagt mir, ob ich noch die Seligkeit erlangen kann.‹ Die Herren Geistlichen wollten also sich in ein christliches Gespräch mit ihm einlassen, mußten aber auf Befehl der Gerichtspersonen zurücktreten, welche diesen armen Sünder, der bereits dergestalt zugerichtet war, daß ihm die Splitter der Arm-und Beinknochen aus dem Fleische hervorrageten, auf eine Schleife legen und wieder zurück ins Gefängnis schleppen ließen, in welchem er, dem Vorgeben nach, weiter examiniert werden sollte, allein er ist in der darauffolgenden Nacht krepiert.

Hieran lag mir nun nichts, sondern dessen Aussage vor so vielen umstehenden Personen liberierte mich von allen meinen aufgebürdeten Verbrechen, weswegen mir auch auf höhern Befehl meine ungerechten Richter eine hinlängliche Satisfaktion prästieren mußten, zumalen, da alles wohl zutraf, auch der Körper des entleibten Kammerdieners im Brunnen gefunden wurde. Ich bekam hierauf eine Lieutenantsstelle unter einem Regimente Infanterie, reisete zwar erstlich ins warme Bad, fand auch daselbst ausführliche Nachricht von der Mad. von K. Aufenthalt, versäumete derowegen keine Stunde, sie zu sehen und zu sprechen, als ich aber dahin kam, mußte ich zu meinem allergrößten Schmerzen und Betrübnis vernehmen, daß dieselbe drei Wochen vorhero plötzlich dieses Zeitliche gesegnet hätte und standesgemäß wäre begraben worden.

Man kann leicht erachten, wie mir müsse zumute gewesen[510] sein, zumalen da alles ihr Vermögen in die Hände ihrer Befreundten gefallen war und ich nicht an einen Groschen Anspruch machen konnte, sondern abziehen mußte wie die Katze vom Taubenschlage. Ich wurde in Wahrheit recht melancholisch, bekam über dieses ein hitziges Fieber und mußte in B. beinahe ein Vierteljahr stille liegen, bis ich wieder restituiert war. Nachhero, weil die Kampagne eröffnet werden und ich mich wieder auf meinem Posten stellen sollte, hatte ich nicht einmal Zeit, nach Hause zu reisen und mich um meine Güter zu bekümmern, sondern ich mußte fort und mit zu Felde gehen. Ich hielt mich, ohne Ruhm zu melden, jedoch sozusagen fast aus Desperation, sehr tapfer, bekam als Capitain eine eigene Compagnie, wurde darauf Major und endlich Obristlieutenant. Als Major habe ich geheiratet, jedoch einen unglückseligen Ehestand geführet, von welchem ich voritzo nichts erwähnen will, jedoch betrachte denselben als eine Strafe des Himmels wegen der begangenen Sünden meiner Jugend.

Was mich aber am allermeisten geschmerzt und gekränkt hat, war dieses, daß mir meine Feinde, deren ich gewisser Ursachen wegen sehr viel hatte, aufbürden wollten, als hätte ich bei einer gewissen Attaque mein Devoir nicht behörig observiert. Ich kam dieserwegen in Arrest, führete aber meine Sache dergestalt aus, daß ich von dem höchsten Befehlshaber freigesprochen und in meiner Charge bestätiget, auch vertröstet wurde, das erste vakant werdende Regiment als Obrister zu bekommen. Allein es verging mir auf einmal die Lust, ferner in Kriegsdiensten zu verbleiben, derowegen suchte und erhielt [ich] meine Dimission, wendete mich auf meine Güter, fand aber dieselben in dem allermiserabelsten Zustande, denn durch Betrug der Pachter, Brand, Dieberei, Wetterschaden und andere Unglücksfälle, ohne die Capitalia, so ich vorhero zu Bestreitung meiner wollüstigen Reisen aufgenommen, ist es dahin gekommen, daß ich von meinen Rittergütern[511] das elendeste behalten habe, auf welches ich doch auch noch verschiedene Posten zu bezahlen schuldig bin. Demnach habe ich nicht mehr als aus der Hand ins Maul, danke aber, wie zuvor gemeldet, dem Himmel nur davor, daß er mich in meinem unglückseligen Ehestande mit Kindern verschonet hat. Wenn ich also sterbe, mag erben, wer da will.«

Hiermit endigte der Herr von A. seine Erzählung, und weil es bereits spät war, gönnete ihm Elbenstein die Ruhe; nach eingenommenen Frühstück aber schieden beide guten Freunde folgenden Morgens voneinander, worbei Elbenstein versprach, den Herrn von A. mit nächsten auf seinem Gute zu besuchen.

Er, Elbenstein, hatte zwar seines Freundes Fatalitäten sehr aufmerksam angehöret, allein er wußte sich daraus wenigen Trost vor seinen eigenen schlechten Zustand zu schöpfen, hergegen zohe er sich diesen immer mehr und mehr zu Gemüte, wurde auch ganz tiefsinnig darüber. Als er aber dieses an sich merkte, fing er desto fleißiger an zu beten, im übrigen hielt er vors ratsamste, sich dann und wann eine Motion zu machen. Demnach reisete er einsmals nach T., woselbst ihm in Gasthofe viel von einem nur eine kleine Stunde davon gelegenen wüsten Schlosse, auf welchem in vorigen Saeculis unterschiedliche deutsche Kaiser ihr Hoflager gehabt, erzählet wurde.

Dieweiln er nun ein besonderer Liebhaber des Studii antiquitatis und der Historiae medii aevi war, so resolvierte er sich, indem noch die besten Tage zu Anfange des Augustmonats vorhanden, das alte Schloß in Augenschein zu nehmen. Also befahl er seinem bei sich habenden Sohne, einem Knaben von zwölf Jahren, eine Bouteille Bier aufzupacken, und trat mit demselben die Reise an. Sie gelangeten nach Verlauf einer guten Stunde, wiewohl wegen der großen Hitze ziemlich ermüdet, auf dem Gipfel des Berges an, allwo Elbenstein das ganze Revier observierte, sich aber endlich in ein altes verfallenes Gewölbe des uralten[512] Schlosses setzte, eine Pfeife Tobak ansteckte, da immittelst sein Sohn sich die Erlaubnis ausbat, die Haselstauden durchzustreifen und seine Taschen mit Haselnüssen anzufüllen. Elbenstein fand verschiedene Merkwürdigkeiten, die er in seine Schreibetafel einzeichnete und darüber in ferneres Nachsinnen geriet, das gute Kind aber wurde in seiner Lust gestöret, denn es türmete sich ein entsetzliches Donnerwetter auf, und der zugleich mit einfallende heftige Platzregen jagte es zu dem Papa ins Gewölbe.

Beide laureten daselbst auf bessere Witterung, allein es erfolgete immer Blitz auf Blitz und Schlag auf Schlag, auch fing es immer heftiger an zu regnen, bis endlich die Nacht hereinbrach, da sich denn das Gewitter zwar verzog, der Regen aber nicht nachlassen wollte. Demnach mußten sie sich nolentes volentes resolvieren, in dem düstern Gewölbe zu pernoktieren. Der ermüdete Knabe schlief bald ein, Elbenstein aber hörete noch die Glocke elf Uhr schlagen, ehe er mit einem sanften Schlafe überfallen wurde. Er mochte aber kaum recht eingeschlummert sein, als ihm im Traume (wo es anders ein bloßer Traum gewesen) ein erschröckliches und merkwürdiges Gesichte vorkam. Er sahe nehmlich einen ganz schwarzen, mit sechs Pferden solcher Farbe bespanneten Wagen den Berg heraufgefahren kommen, aus welchem unterschiedliche Frauenzimmer herausgestiegen kamen und sich nach und nach vor ihm im Gewölbe präsentierten. Er erschrak ganz ungemein, als er inneward, daß diese Personen seinen vor vielen Jahren gehabten Amouren und Mätressen gleichten. Sie gingen in ihren Kleidungen, wie er sie in Italien und an andern Orten gesehen hatte, vor ihm vorbei und stelleten sich ihm gegenüber in eine Reihe. Das ganze Gewölbe wurde so helle, als ob lauter Lichter darinnen angezündet wären. Als er nun dieselben etwas genauer betrachtete, ward er gewahr, daß aus dieser sonst schönen und angenehmen Personen Augen, Munde, Nasen und Ohren lauter feurige[513] Schlangen herausgekrochen kamen. Als ihm nun dieselben eine lange Weile in solcher Stellung erschröckliche Blicke gegeben, huben sie zugleich ihre Unterkleider auf und zeigten ihm einen solchen Anblick, daß auch der Beherzteste darüber in Ohnmacht sinken mögen. Lauter Schlangen, Eidechsen, Kröten und dergleichen giftiges Gewürm bedeckten ihre Beine und diejenigen Teile des Leibes, mit welchen vor diesen am meisten und schändlichsten war gesündiget worden, in welcher Positur sie insgesamt mit gräßlicher Stimme »Weh! Weh! Wehe! Zeter und Mordio!« ausriefen und endlich ein abscheuliches Geheul anstimmeten.

In solchen Ängsten fiel Elbensteinen das Bußlied ein: Wo soll ich fliehen hin etc., und als er an den Vers kam: Du bist der, der mich tröst etc., verschwand dieses erschröckliche Gesichte, es wurde so finster als vorhero im Gewölbe, Elbenstein besann und ermunterte sich, zitterte aber wie ein Espenlaub mit allen Gliedern. Er rief seinem Sohne etlichemal, allein der Knabe gab mit seinem Schnarchen zu verstehen, daß er im allerfestesten Schlafe läge, derowegen kroch Elbenstein vor bis an die Tür des Gewölbes, blieb auf den Knien sitzen, sahe gen Himmel und verharrete im andächtigen Gebet, bis der Tag anzubrechen begonnte. Die trüben Wolken hatten sich zerteilet, und die Morgenröte verkündigte einen heitern Tag; als er demnach noch einige Morgen- und Bußlieder gesungen, weckte er seinen Sohn mit vieler Mühe auf und verließ diesen gräßlichen und fürchterlichen Ort. Der gehabte Schrecken war ihm dergestalt in die Glieder, sonderlich aber in die Beine geschlagen, daß er den Rückweg mit sehr langsamen Schritten nehmen mußte, endlich aber langete er sehr matt und kraftlos wieder zu T. im Gasthofe an, nahm vor die gehabte große Alteration, weil in der Geschwindigkeit sonsten keine andere Arzenei zu haben war, eine starke Dosin Hirschhorn und Krebsaugen mit Holundersaft ein und schwitzte darauf, der Effekt war nach Wunsche, indem er sich folgendes Tagesnebst seinem Sohne wiederum auf den Weg nach Hause machen konnte.

Nach der Zeit ist Elbensteinen dieses gräßliche Gesichte oder Traum, wie es zu nennen sein mag, nie aus den Gedanken gekommen, er tat dieserwegen unter herzlicher Bereuung der Sünden seiner Jugend Gott, dem barmherzigen Vater, ein Gelübde, solange er noch lebte, alle Jahr diesen Tag mit Fasten und Beten zuzubringen, mit dem ernstlichen Vorsatze, sich nicht nur vor dergleichen, sondern soviel als mensch- und möglich vor allen andern Sünden zu hüten. Hierbei dankte er Gott vor die bishero zugeschickten väterlichen Züchtigungen und Strafen, betete auch täglich sehr öfters ganz getrost die Worte: So fahr hie fort und schone dort und laß mich hier wohl büßen, unterwarf sich mithin in christlicher Gedult und Gelassenheit gänzlich der göttlichen Direktion, welche ihn denn zwar sinken, aber doch nicht gar ertrinken ließ.


Soviel ist in den schriftlichen Memoirs von des Herrn von Elbensteins Lebens- und Liebesgeschicht gefunden worden. Derowegen hat man, weil der Historicus allhier den Schluß gemacht, Bedenken getragen, ein mehreres hinzuzufügen, ohngeacht nachhero viele fernerweitige mündliche und schriftliche Nachrichten eingezogen worden; sonderlich wäre eine vor weniger Zeit unter des Herrn von Elbensteins nachgelassenen Erben passierte jämmerliche Mordgeschicht wert gewesen, ausführlich beigebracht zu werden, allein man hat seine besondern Ursachen gehabt, solches nicht zu tun, sondern es darbei bewenden lassen, daß alles vorhero Beschriebene unter der Decke fingierter Namen bleiben solle und möge. Doch wird zum Beschlusse noch die von dem ehrlichen Herrn von Elbenstein auf die Gedult selbst verfertigte Arie beigefügt.


1


Ich lasse mir den Trost mitnichten rauben,

Den der Gedult der Himmel zugesagt.[517]

Die Bosheit mag auch noch so grimmig schnauben,

So bleibt Gedult jedennoch unverzagt.

Der Zeiten Wechsel läßt sich sehn in allen Dingen,

Er kann nach trüber Nacht mir heitre Tage bringen.


2


Muß gleich mein Herz in bangen Kummer schweben,

Doch wird mein Schiff nicht gleich zu Grunde gehn.

Gedult kann nur das Unglück überleben,

Gedult kann nur in Glut und Wellen stehn.

Nur mit Gedult läßt sich ein steiler Fels ersteigen,

Hergegen Ungedult pflegt uns den Fall zu zeigen.


3


Des Gärtners Fleiß wird durch Gedult bewähret,

Die Aloe kömmt durch Gedult zum Blühn,

Gedult ist's nur, die matte Pflanzen nähret,

Doch Ungedult kann Saft und Kraft entziehn.

Daß Israel solang muß in der Wüsten wallen,

War einzig schuld, dieweil ihm die Gedult entfallen.


4


Des Lästrers Maul zwingt die Gedult zum Schweigen,

Ihr sanfte Tun stümpft den Verleumdungspfeil,

Gedult allein kann solche Mittel zeigen,

Die in der Not uns bringen Trost und Heil.

Wer bei entstandnen Sturm geduldig sich verborgen,

Erblickt nach schwarzer Nacht den angenehmsten Morgen.


5


Den Untergang hilft die Gedult vermeiden,

Wenn man sich nur in Fels und Klüfte schmiegt.

Wer widerstrebt, muß doppelt Schmerzen leiden,

Denn Ungedult macht alles unvergnügt.

Wer nun Verlangen trägt, zur Ehrenburg zu reisen,

Den kann nur die Gedult den sichern Fußpfad weisen.


ENDE[518]

Quelle:
Johann Gottfried Schnabel: Der im Irrgarten der Liebe herumtaumelnde Kavalier. Leipzig 1973, S. 329-363,365-415,417-471,473-515,517-519.
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