Zweiter Akt


[242] Villa Hofreiter; entsprechende Partie des Gartens.

Links die hintere Fassade des Hauses. Türe, die direkt in den Garten führt. Rechts und links von der Türe je zwei Fenster, zum Teil offen. Im ersten Stockwerk ein kleiner Balkon. Mitte Rasen. Weiter rechts ein großer Nußbaum, darunter Bank, Tisch, Sessel. Weiter rückwärts Mitte eine Baumgruppe, durch die der im Hintergrund liegende Tennisplatz zum Teil gedeckt wird. Um den Tennisplatz hohes Drahtgitter. Außerhalb des Tennisgitters, sowohl links als rechts, je eine Bank. Zwei kleine Bänke zu seiten der Haustür unter den Parterrefenstern. – Heißer, sonniger Sommertag.


FRAU GENIA unter dem Nußbaum im weißen Sommerkleid. Ein Buch in der Hand, nicht lesend.


Auf dem Tennisplatz ist eine Partie im Gang. Links Friedrich Hofreiter und Adele Natter, rechts Erna Wahl und Paul Kreindl. Die weißen Kostüme schimmern her, doch die Gesichter sind kaum zu erkennen. Zuweilen hört man die Rufe: »fifteen, thirty, fourty, out, deuce, second« usw.

Bald nachdem der Vorhang aufgegangen ist, kommt Otto von Aigner, diesmal in Zivil, Tennisanzug, Panamahut, Rakett in der Hand, hinter dem Hause

hervor und will sich auf den Tennisplatz begeben. Er gewahrt Genia, die seine Schritte gehört hat, und geht auf sie zu. Sie begrüßt ihn mit freundlichem Kopfnicken.
[242]

OTTO. Guten Tag, gnädige Frau – Sie spielen nicht?

GENIA. Wie Sie sehen, Herr Fähnrich. In der Gesellschaft komm' ich ja doch nicht auf.


Ein Ball fliegt vor Otto hin, er schleudert ihn zurück.


STIMMEN VOM TENNISPLATZ. Danke!

OTTO. Auch nicht lauter Meister ... abgesehen vom Herrn Gemahl natürlich. Verzeihen Sie, gnädige Frau, ich habe Sie in Ihrer Lektüre gestört ... Will zum Tennisplatz.

GENIA. Sie stören mich gar nicht. Ich hab' wohl zu lesen versucht, aber eigentlich war ich nah' daran einzuschlummern. Diese Luft ...

OTTO. Ja, warm ist's wohl. Aber dafür sind's auch schöne Tage! Man kann die heimatlichen Wälder so recht genießen!

GENIA. Sie haben heut' gewiß schon einen größeren Spaziergang hinter sich?

OTTO. Ja; ich war in aller Früh' bis zur »Waldandacht«, mit meiner Mutter.

GENIA. Die muß aber glücklich sein, daß sie Sie endlich wieder in ihrer Nähe hat.

OTTO. Und ich erst ... Umsomehr als es auf lange Zeit hinaus mein letzter Urlaub ist. Ich bin auf ein Schiff kommandiert, das für drei Jahre nach der Südsee geht.

GENIA konventionell. Oh!

OTTO. Unser Schiff ist vom Kriegsministerium aus einer wissenschaftlichen Expedition attachiert.

GENIA. Sie beschäftigen sich gewiß in Ihren freien Stunden auch mit allerlei Studien, Herr Fähnrich?

OTTO. Warum glauben Sie das, gnädige Frau?

GENIA. Ich kann mir nicht recht denken, daß das militärische Leben an sich Sie völlig befriedigen sollte.

OTTO lächelnd. Ich darf mir vielleicht die Bemerkung erlauben, daß wir bei der Marine allerlei zu betreiben haben, was man, ohne Überhebung, als Wissenschaft bezeichnen kann.

GENIA. Natürlich – daran hab' ich nicht gezweifelt. Ich meinte nur, daß Sie auch außerhalb Ihres Berufes noch ernste Interessen haben dürften.

OTTO. Es bleibt einem nicht allzuviel Zeit dazu. Auf meiner bevorstehenden Reise hoff' ich ja allerdings in ein Gebiet näheren Einblick zu gewinnen, in dem ich mich bisher einigermaßen dilettantisch umgetan habe ... Die Expedition, der wir uns anschließen, ist nämlich für Tiefseeforschung[243] ausgerüstet; und da ich überdies mit einem der Assistenten befreundet bin ... Oh, da kommt Frau von Wahl.

GENIA sich erhebend. Davon müssen Sie mir noch mehr erzählen, Herr Fähnrich ... von diesen Tiefseegeschichten.


Frau Wahl aus dem Haus in den Garten.


FRAU WAHL. Grüß' Sie Gott, liebe Genia, guten Tag, Herr Fähnrich. Lorgnon ans Auge führend. Die Jugend ist ja schon fleißig bei der Arbeit –?

GENIA. Wenn Sie den Friedrich auch zur Jugend zählen –

FRAU WAHL. Den ganz besonders. Na überhaupt die Männer! Möchten Sie glauben, Herr Fähnrich, daß wir ungefähr im selben Alter stehen, der Herr Hofreiter und ich? Wahrhaftig, die Natur hat sich gegen uns Frauen jammervoll benommen. Auf ein Lächeln Genias. Na nett keineswegs. Wer ist denn noch bei der Partie? Adele Natter jedenfalls. Ich habe nämlich das Automobil draußen stehen gesehen, das scharlachrote. Hier auf dem Lande im Grünen macht es sich ja nicht übel. Jedenfalls besser als an einer Friedhofmauer ...

GENIA matt lächelnd. Den Eindruck können Sie ja gar nicht vergessen, wie es scheint, Frau von Wahl?

FRAU WAHL. Es ist ja noch nicht so lang her; vierzehn Tage kaum.


Friedrich und Erna vom Tennisplatz mit Raketts in der Hand. Genia, Frau Wahl.


FRIEDRICH in seiner lachend boshaften Art. Küss' die Hand, Mama Wahl. Grüß' Sie Gott, Otto! Was ist denn vierzehn Tage her?

FRAU WAHL. Daß sie den armen Korsakow begraben haben.

FRIEDRICH. So ... Ist es schon so lang –? Wie kommt man übrigens auf dieses schwarzgeränderte Thema?

GENIA. Frau von Wahl hat das Nattersche Automobil draußen stehen sehen – das scharlachrote – wie damals ...

FRIEDRICH. Ah so ...

ERNA. Wer spräche sonst an einem so schönen Sommertag von einem toten Klavierspieler.

FRAU WAHL. Haben Sie je ein so tiefsinniges Mädchen gesehen, meine Herrschaften. Das ist wieder eine ihrer Pirouetten auf[244] dem philosophischen Drahtseil, wie ihr seliger Vater zu sagen pflegte.

FRIEDRICH. Sie muß nur Obacht geben, daß sie nicht einmal abstürzt, die Erna ...


Frau Adele, Paul Kreindl mit Raketts vom Tennisplatz. Genia, Otto, Frau Wahl, Friedrich, Erna. Begrüßung.


ADELE hübsch, rundlich, weiß gekleidet, roter Gürtel, roter Schlips. Was ist denn, spielen wir nicht weiter?

PAUL KREINDL küßt Frau Wahl die Hand.

FRIEDRICH. Ihr hättet ja indes singeln können.

ADELE. Aber ich spiel' ihm ja zu schlecht, diesem Menschen da.

PAUL. Wieso denn, gnä' Frau? Weinerlich. Mir wird ja bald niemand mehr zu schlecht spielen. Ich spiel' ja wirklich schon wie ein Schwein. O Pardon. Aber es ist wirklich wahr. Ich weiß überhaupt nicht mehr, was das ist mit mir. Rein, wie wenn ich verhext wär'. Oder ist es vielleicht nur, weil ich ein neues Rakett hab' ... Die Herrschaften entschuldigen – ich geh' geschwind nach Haus und hol' mir mein altes. Empfiehlt sich. Die anderen lachen.

FRIEDRICH. Warum lachts ihr eigentlich? Er nimmt's wenigstens ernst, der Paul. Darauf kommt's an. Ob es nun Tennis ist oder Schlittschuhlaufen oder Malen oder Leut' kurieren. – Ich find', ein guter Tennisspieler ist ein viel edleres Menschenexemplar als ein mittelmäßiger Dichter oder General. Na, hab' ich nicht recht? – Zu Otto.

ADELE zu Genia. Also wann kommt denn eigentlich der Percy zurück, Frau Genia?

FRAU GENIA. In vierzehn Tagen soll er da sein. Und dann müssen Sie auch einmal Ihre Kinder mit bringen, ja?

ADELE. Wenn Sie erlauben, gern. Aber ob der große Bub' sich überhaupt noch herablassen wird, mit den Fratzen zu spielen –


Doktor Mauer kommt, zugleich mit ihm Stanzides in Uniform.

Begrüßung.


GENIA zu Stanzides. Das ist schön, daß wir Sie auch wieder einmal bei uns sehen.

FRIEDRICH. Wie geht's dem Arm?

STANZIDES. Danke der Nachfrage. Soeben hat ihn mein hochverehrter[245] Herr Doktor zum letzten Mal massiert ... Legt Mauer den Arm freundschaftlich um die Schulter. Aber mit dem Tennisspielen ist's noch nichts.

MAUER. Wird auch wieder werden.

STANZIDES zu Adele. Sie auch kampfbereit, gnädige Frau? Soeben habe ich das Vergnügen gehabt, im Park dem Herrn Gemahl zu begegnen.

FRIEDRICH. No Mauer, was ist denn mit dir, du laßt dich ja überhaupt nicht mehr anschaun. Ich hab' geglaubt, du bist schon über alle Berge.

MAUER. Ich komm' heut nur her Abschied nehmen. Morgen reise ich ab.

GENIA. Wohin denn?

MAUER. Nach Toblach. Von dort aus begeb' ich mich auf eine Paßwanderung. Falzarego – Pordoi –

FRIEDRICH. Nimmst mich mit, Mauer?

MAUER. Ja, kannst du denn und willst du?

FRIEDRICH. Ja – warum sollt' ich denn nicht ...? Morgen fahrst du?

MAUER. In der Früh', mit dem Schnellzug.

ERNA zu Mauer. Und wann werden wir das Vergnügen haben, Sie am Völser Weiher zu begrüßen?

MAUER. In acht Tagen ungefähr, wenn's erlaubt ist.

FRIEDRICH ehrlich entrüstet. Ah ... da geben sich die Herrschaften Rendezvous ...

ERNA. Ohne Sie um Erlaubnis zu fragen, Friedrich!

FRAU WAHL. Wir fahren übermorgen – ganz direkt. Während des folgenden stehen Otto mit Genia und Adele abseits. Der Gustl ist schon dort. Übrigens was er mir schreibt! Wissen Sie, wer der Direktor von dem neuen Hotel ist? Der Doktor von Aigner.

FRIEDRICH. Ah, der Aigner!

FRAU WAHL. Und soll dort sämtlichen Damen den Kopf verdrehen, trotz seiner grauen Haare.

FRIEDRICH. Ja, dem sind die Weiber immer hineingefallen. Also Obacht geben, Mama Wahl.

PAUL kommt. So da wär' man wieder! Das Rakett hochhaltend. Das ist wieder mein altes! Man hat doch gleich was rechtes in der Hand.

FRIEDRICH. Also gehen wir's an? – Zu Paul. Aber jetzt gibt's keine Ausred' mehr! Sonst heißt's eben einen andern Beruf erwählen ... Advokat ... oder Raseur ... Im Abgehen.


[246] Friedrich, Erna, Adele, Otto, Paul zum Tennis. Frau Wahl und Stanzides folgen.

Genia, Mauer.


GENIA. Wollen wir nicht zuschauen? Das Tennisspielen, das steht der Erna nämlich besonders gut zu Gesicht!

MAUER stehen bleibend. Haben Sie nicht den Eindruck, gnädige Frau, daß ich ihr vollkommen wurst bin?

GENIA. Das ist möglicherweise der beste Anfang für eine glückliche Ehe.

MAUER. Ja, wenn die Gleichgültigkeit gegenseitig wäre, aber so – Abbrechend. Glauben Sie übrigens, Frau Genia, daß es dem Friedrich ernst ist mit seinen Reiseabsichten?

GENIA. Ich – ich weiß nicht recht. Ich war selbst ein wenig überrascht. Freilich, er hat die letzten Tage so rasend viel gearbeitet, daß ihm ein paar Tage Erholung wohl zu gönnen wären. Aber dazu müßt' er am Ende nicht – Es war wohl nicht so ernst gemeint. Eigentlich glaub' ich nicht, daß er mit Ihnen fahren wird.

MAUER. Und wie steht denn die Sache mit Amerika?

GENIA. Friedrich geht hinüber, das ist sicher.

MAUER. Und Sie, Frau Genia?

GENIA. Vielleicht auch. Lächelnd. Ja lieber Freund. Vielleicht!

MAUER. Sie fahren zusammen? – Na, das ist schön, das freut mich.

GENIA. Warum denn so feierlich ...?! Vielleicht, hab' ich gesagt! ...

MAUER. Ah, es wird schon gewiß werden. Es wäre ja auch gar zu dumm, wenn der arme Korsakow ganz umsonst gestorben wäre.

GENIA befremdet. Wenn Korsakow –? Wie meinen Sie das? – Wenn Korsakow umsonst gestorben wäre?

MAUER. Ich habe nämlich die Überzeugung, daß Korsakow von der Vorsehung bestimmt war, gleichsam als Opfer zu fallen.

GENIA immer befremdeter. Als Opfer?

MAUER. Für Sie – und Ihr Glück.

GENIA. Als Opfer für mein Glück –? Sie glauben an solche Dinge?

MAUER. Man muß ja nicht gleich im allgemeinen an solche Dinge glauben. Aber hier spüre ich so etwas wie einen geheimnisvollen Zusammenhang. Sollten Ihnen nicht auch schon ähnliche Gedanken gekommen sein?

GENIA. Mir? Um die Wahrheit zu gestehen, ich denke an diese[247] traurige Geschichte überhaupt sehr wenig.

MAUER. Das – scheint Ihnen nur so.

GENIA. Und wenn ich – zuweilen daran denke, so ist das Ganze so merkwürdig blaß und fern ... Ich versichere Sie – ganz fern! Es ist eine milde Trauer – nicht mehr. Ich kann mich nun einmal nicht besser oder gefühlvoller machen als ich bin. Vielleicht wird das später noch anders. Wenn der Herbst kommt, vielleicht. Die Tage sind jetzt wahrscheinlich zu sommerlichhell zum Traurigsein – und überhaupt zum Schwernehmen. Es ist nicht nur damit so. Die meisten Dinge kommen mir viel leichter vor. Ich kann zum Beispiel auch dieser guten Adele absolut nicht böse sein. Vorhin habe ich sie sogar gebeten, nächstens ihre Kinder mitzubringen; ich konnte gar nicht anders. Es schiene mir geradezu lächerlich, ihr oder sonst wem etwas nachzutragen. Sie hat eher was Rührendes für mich. Wie ein Wesen kommt sie mir vor, das längst gestorben ist und es gar nicht weiß. –

MAUER sie lang anschauend. Na ja. Pause. Und Friedrich wird ja nun hoffentlich endgültig zur Vernunft gekommen sein. Was am Ende nicht schwer sein sollte, wenn die Vernunft dem Glück so zum Verwechseln ähnlich sieht, wie in diesem Falle. – Aber wenn er es jetzt nicht festzuhalten versteht, dann –

GENIA rasch. Es gibt vorläufig nichts festzuhalten. Sie haben mich früher offenbar mißverstanden, Doktor. Es hat sich nicht das geringste zwischen uns verändert – bisher.

MAUER. Aber es wird sich verändern. Auf die Dauer kann man ihm ja nicht böse sein, dem Friedrich! Mir geht's ja geradeso mit ihm. Ich mag mich über ihn noch so rasend geärgert haben, – sobald er seine Charmeurkünste spielen läßt, bin ich ihm doch wieder ausgeliefert auf Gnade und Ungnade.

GENIA. Das bin ich nicht, Doktor! Um mich muß man werben, lange werben.


Vom Tennisplatz her Otto, Friedrich, Adele, Stanzides, Frau Wahl, Paul, Genia, Mauer.


PAUL während sie sich nähern, zu Erna. Wirklich, Fräulein, alles was wahr ist! Ihr Service – first class.

FRIEDRICH. Na – und der Schlag? – Dafür hat sie aber auch bei mir gelernt! –

ERNA. Was manchmal – entschuldigen schon, Herr Lehrer – ein zweifelhaftes Vergnügen gewesen ist!

FRIEDRICH. ... Oh ...?! –[248]

ERNA zu den andern, insbesondere Paul. Sekiert hat er einen nämlich – bis aufs Blut! – Wenn man nur einmal ein bißl nachgelassen hat – sofort ist man behandelt worden wie eine vollkommen hoffnungslose Erscheinung – wie eine ganz miserable Person überhaupt –

FRIEDRICH beiläufig. – Ja – die Sachen hängen auch sehr mit dem Charakter zusammen – meiner Ansicht nach –

GENIA die indes vom Stubenmädchen eine Meldung erhielt. Wenn ich bitten darf, meine Herrschaften ... der Tee! Auch Eis ist vorhanden. Zwang wird keiner ausgeübt ... Bitte.


Frau Wahl mit Stanzides, Genia mit Otto, Paul, Erna, Mauer im Haus. Es bleiben als letzte zurück Friedrich und Adele.

Friedrich, Adele.


FRIEDRICH zu Adele, wie sie eben im Haus hineingehen will. Ich habe leider heute noch gar keine Gelegenheit gehabt, mich nach dero geschätztem Befinden zu erkundigen. Wie geht's dir denn eigentlich?

ADELE. Mir geht's famos. Und Ihnen?

FRIEDRICH. Nicht schlecht. Viel zu tun halt. Wir bauen wieder. Im nächsten Jahr haben wir sechshundert Arbeiter. Und im Herbst fahr' ich hinüber nach Amerika.

ADELE. So.

FRIEDRICH. Besonders zu interessieren scheint dich das nicht.

ADELE. Hat mir ja schon alles mein Mann erzählt. Und dann möcht' ich dir vorschlagen, daß wir uns endgültig »Sie« sagen. Aus ist aus. Ich bin für klare Verhältnisse.

FRIEDRICH. Daß sie auch klar sein müssen, hab' ich gar nicht gewußt.

ADELE. Ich bitte dich! Mach' jetzt keine Witze ... Sein wir lieber froh, daß es so gut ausgegangen ist. Die Zeit der Jugendtorheiten ist vorbei. Für uns beide, denk' ich. Meine Kinder wachsen heran. Und Ihr Bub' auch.

FRIEDRICH. Ja, das ist schon nicht anders.

ADELE. Und wenn Sie mir erlauben wollen, Ihnen einen guten Rat zu geben ...

FRIEDRICH. Ich höre.

ADELE anderer Ton. Also im Ernst, – ich finde, daß du mit dieser kleinen Wahl in einer geradezu unverschämten Weise kokettierst. Halt das um Gottes willen nicht für Eifersucht! Ich[249] denke da wirklich nicht an dich ... Sondern vielmehr an deine Frau –

FRIEDRICH belustigt. Ah!!

ADELE. – Die wirklich das entzückendste, rührendste Geschöpf ist, das mir jemals vorgekommen ist. Wie sie mich früher gebeten hat, nächstens die Kinder mitzubringen – hast du's gehört? ... ich bin in die Erde gesunken!

FRIEDRICH. Das hab' ich gar nicht bemerkt.

ADELE. Hätt' ich sie früher so gut gekannt – na –! Wahrhaftig, du verdienst sie nicht.

FRIEDRICH. Da kann ich dir nicht einmal unrecht geben. Aber wenn es auf Erden nach Verdienst ginge ...

ADELE. Und was Erna anbelangt – so nimm dich in acht. Ein Bruder ist was anderes wie ein Gatte. Ein Bruder merkt zuweilen was.

FRIEDRICH. Der Gustl! Ich bitt' dich – dem wäre das doch ganz egal! ... Das ist ein Philosoph ... Und ich weiß überhaupt nicht, was dir da durch den Kopf fährt. Du bringst einen wirklich erst auf Ideen. Ein Mädel, das ich auf den Knien geschaukelt hab'.

ADELE. Das beweist nichts. Solche Mädeln gibt's wahrscheinlich in den verschiedensten Altersklassen.

FRIEDRICH. Ja, ja, Adele ... ohne gerade an die freundlichst von dir vorgeschlagene Erna zu denken ... es wär' schon schön!

ADELE. Was wär' schön? –

FRIEDRICH. Noch einmal jung zu sein!

ADELE. Du bist es lang genug gewesen.

FRIEDRICH. Ja, aber ich war's zu früh ... Jetzt verstünd' ich's ja erst jung zu sein! ... Es ist überhaupt dumm eingerichtet auf der Welt. Mit vierzig Jahren sollt? man jung werden, da hätte man erst was davon. Soll ich dir was sagen, Adele? Mir ist eigentlich doch, als wäre alles Bisherige nur Vorstudium gewesen. Und das Leben und die Liebe fing' erst jetzt an.

ADELE. Ich versteh' dich wirklich nicht. Es gibt doch noch was anderes auf der Welt als – uns.

FRIEDRICH. Ja, – die Pausen zwischen der einen und der andern. Die sind ja auch nicht uninteressant. Wenn man Zeit hat, und in der Laune ist, baut man Fabriken, erobert Länder, schreibt Symphonien, wird Millionär ... aber glaube mir, das ist doch alles nur Nebensache. Die Hauptsache – seid ihr! – ihr – ihr! ...[250]

ADELE kopfschüttelnd. Wenn man denkt, daß es Leute gibt, die dich für einen ernsten Menschen halten!

FRIEDRICH. Ah, hältst du das für so besonders lustig, was ich dir da mitgeteilt habe?

HERR NATTER kommt. Ein großer, etwas starker Herr in sehr elegantem Sommeranzug, Bartkoteletts, Monokel. Guten Tag, Adele! Grüß' Sie Gott, lieber Hofreiter.

FRIEDRICH ihm die Hand reichend. Warum so spät?

ADELE sehr freundlich. Wo treibst du dich denn herum?

NATTER. Ich bitte um Verzeihung, mein Kind. Ich bin im Kurpark gesessen und hab' gelesen, sonst komm' ich ja gar nicht dazu. Sagen Sie, Hofreiter, gibt's was Schöneres als so im Freien unter einem Baum sitzen und lesen?

FRIEDRICH. Kommt darauf an ... Was war's denn?

NATTER. Sie werden lachen. Ein neuer Sherlock Holmes! Aber wirklich großartig! In einer Weise spannend! –


Mauer und Erna kommen aus dem Harne. – Begrüßung.


ERNA zu Friedrich. Wird noch weiter gespielt?

FRIEDRICH. Selbstverständlich. Zu Natter. Nehmen Sie mit uns einen Tee? Wir wollten eben ...

NATTER. Gern ... Ist übrigens der Oberleutnant Stanzides noch hier?

FRIEDRICH. Ja, natürlich.

NATTER. Ich will ihn nämlich einladen mit uns ins Theater zu gehn. Zu Adele. Wenn du nichts dagegen hast. Ich hab' eine Loge genommen für heut in die Arena. Mauer und Erna nach rechts.

FRIEDRICH. Macht Ihnen das denn Spaß, sich so eine Schmierenvorstellung anzusehn?

NATTER. Warum denn nicht?

ADELE. Es gibt nichts auf der Welt, was ihm nicht Spaß macht. Es gibt kein dankbareres Publikum als meinen Mann! –

NATTER. Ja, das ist wahr. Ich finde das Leben höchst amüsant. Ich unterhalte mich königlich. Immer. Bei jeder Gelegenheit!


Friedrich, Adele, Natter im Haus.

Mauer, Erna, die schon im Gespräch waren.


ERNA. Und wie ist das Unglück damals geschehn?

MAUER. Offenbar dadurch, daß sich unter seinen Füßen ein Stein losgelöst hatte ... Es war beim Abstieg vom Aignerturm.[251] Friedrich war voran. Da hört er das gewisse unheimliche Gepolter über sich. Gleich darauf sausen mächtige Blöcke an ihm vorbei und nach ihnen, knapp neben Friedrich, der arme Bernhaupt selbst. Friedrich spricht nicht gern davon. Wenn er nämlich auch tut, als wenn er über alles erhaben wäre, die Sache hat damals doch einen furchtbaren Eindruck auf ihn gemacht.

ERNA. Sie glauben?

MAUER. Der beste Beweis ist doch, daß er seither keine Bergtouren mehr unternommen hat.

ERNA. Also – der Aignerturm wird heuer gemacht.

MAUER. Das werden Sie sich wohl überlegen, Fräulein Erna.

ERNA. Überlegt ist es schon. Das kommt bei mir nämlich immer vor dem Reden.

MAUER. Ich werd' Ihrem Bruder schreiben.

ERNA. Aber, lieber Doktor! Sie glauben doch nicht, daß das hilft, wenn ich mir einmal was in den Kopf gesetzt hab'! Höchstens kann ich Ihnen versprechen zu warten, bis Sie auch bei uns am Völser Weiher sind.

MAUER. Soll ich denn hinkommen?

ERNA. Gewiß sollen Sie. Ich engagiere Sie als Führer, gegen die übliche Taxe natürlich.

MAUER. Ich hab' mir nie eingebildet, daß ich auf mehr Anspruch erheben dürfte.

ERNA. Hat das wehmütig sein sollen, Doktor Mauer, oder nur geistreich?

MAUER. Soll ich an den Völser Weiher kommen, Fräulein Erna, ja oder nein?

ERNA. Ich seh' keinesfalls einen Grund, daß Sie Ihren ursprünglichen Reiseplan ändern.

MAUER. Ist es Ihnen wirklich unmöglich, Fräulein Erna, mir geradeaus zu antworten?

ERNA. Nicht leicht, Doktor. Sie sitzt unter dem Nußbaum. Sie wissen, daß Sie mir sehr sympathisch sind. Hinkommen sollten Sie jedenfalls. Es wäre die beste Gelegenheit, einander besser kennen zu lernen. Aber verpflichtet dürfen Sie sich so wenig fühlen als ich, selbstverständlich.

MAUER. Das ist sehr klug, Fräulein Erna.

ERNA. Es kommt noch klüger. Hören Sie mich nur an. Sie haben doch gewiß so irgend etwas wie eine Liebste oder einen Schatz – wie alle unverheirateten Herren. Also übereilen Sie[252] sich nicht. Ich meine: Bilden Sie sich nicht am Ende ein, daß Sie mir nach unserm heutigen Gespräch schon Treue schuldig geworden sind.

MAUER. Diese freundliche Mahnung kommt leider zu spät. – Ich kann natürlich nicht leugnen, daß ich wie alle Männer und so weiter ... Aber ich habe ... Schluß gemacht. Ich bin nämlich kein Freund von Herzensschlampereien. Da würd' ich mir zuwider werden.

ERNA. Sie sind wirklich ein anständiger Mensch, Doktor Mauer! Man hat so das Gefühl, wenn man Ihnen einmal sein Schicksal anvertraut ... da ist man dann im Hafen. Da kann einem nichts mehr geschehn.

MAUER. Hoffentlich ...

ERNA. Nur weiß ich nicht recht, ob dieses Gefühl der Sicherheit etwas so besonders Wünschenswertes bedeutet. Wenigstens für mich. Wenn ich ganz aufrichtig sein soll, Doktor Mauer, mir ist manchmal, als hätt' ich vom Dasein auch noch andres zu erwarten oder zu fordern als Sicherheit – und Frieden. Besseres oder Schlimmeres – ich weiß nicht recht.

MAUER. Halten Sie mich für keinen Tropf, Fräulein Erna, wenn ich mir einbilde, daß Ihnen – nicht gerade das Beste, das es auf Erden gibt, aber doch manches Gute auch an meiner Seite beschieden sein könnte. Das Leben besteht ja noch aus allerlei anderm als aus Abenteuern einer gewissen Art.

ERNA. Hab' ich denn –?

MAUER. Sie haben es nicht gesagt, Fräulein Erna, aber es ist Ihre Empfindung. Kein Wunder, – in dieser Atmosphäre! da rings um uns! Aber ich versichere Sie, es gibt eine kräftigere, reinere – und ich traue mir zu, Sie auch dort ein frisches und freies Atmen zu lehren.

ERNA. Sie haben Courage, Doktor. Sie gefallen mir überhaupt ganz besonders. Kommen Sie an den Völser Weiher. Man wird ja sehen.


Aus dem Hause: Adele, Natter, Stanzides, ihnen folgen allmählich Genia, Otto, Paul, Friedrich, Frau Wahl, Mauer, Erna.


STANZIDES. In früherer Zeit hab' ich mir die Vorstellungen manchmal gar nicht vom Zuschauerraum aus angesehn, sondern von oben – aus der Vogelperspektive, von dem Hügerl aus hinter der Arena.

ADELE. Das muß lustig sein.

WANZIDES. Lustig – weiß ich nicht. Sonderbar ist es. Man sieht[253] natürlich nur ein kleines Stück von der Dekoration. Ein Eck von einem Felsen oder eine Ofenfigur oder so was. Und von den Schauspielern sieht man natürlich so gut wie gar nichts, nur gelegentlich hört man ein abgerissenes Wort ... Aber das eigentümlichste ist, wenn dann plötzlich unter all diesen Stimmen eine heraufklingt, die man kennt, – zum Beispiel von einer bekannten Dame, die da unten mitspielt. Da kann man plötzlich auch die Worte verstehn. Von dem, was die andern reden, nichts – und nur, was die Bekannte redet, versteht man ganz genau.

ADELE lachend. Die Bekannte!

FRIEDRICH. Statt Geliebte sollte man nicht Bekannte sagen Stanzides – sondern Unbekannte ... Stimmt eher, Stanzides! –

ADELE. Oder Freundin, wenn man diskret sein will.

FRIEDRICH. Oder Feindin.

ERNA. Wenn man indiskret ist.

FRAU WAHL. Erna! – – –

NATTER. Es wird spät, wir müssen uns empfehlen, wenn wir überhaupt noch was von der Vorstellung sehn wollen. Bitte sehr, sich nicht stören zu lassen.


Natter, Adele und Stanzides gehen.


PAUL zu Otto. Im vorigen Jahr hab' ich einmal hintereinander neun Stunden gespielt, mit dem Doktor Herz. Zuerst vier Stunden, dann haben wir eine Eierspeis' gegessen, und dann ...


Spricht weiter mit Otto.


MAUER sich empfehlend. Auch meine Stunde hat geschlagen. Zu Genia. Gnädige Frau ...

FRIEDRICH. Na, was hast du's denn so eilig? Wenn du dich eine Viertelstunde geduldest, so fahr' ich gleich mit dir hinein.

MAUER. Wie – es ist also dein Ernst?

FRIEDRICH. Natürlich ... Also wartest du?

GENIA. Du willst mit dem Doktor – du willst noch heute in die Stadt hinein –?? –

FRIEDRICH. Ja, es ist doch das gescheiteste. Meine Sachen hab' ich alle drin, die ich fürs Gebirge brauch', packen kann mir der Josef in einer Stund'; und da fahr' ich gleich morgen in der Früh' mit dem Mauer weg.

MAUER. Das wär' ja famos.

FRIEDRICH. Also du wartest auf mich? Eine Viertelstunde!

MAUER. Ja, ich warte.[254]

FRIEDRICH rasch ins Haus.


Erna, Paul, Otto, Frau Wahl stehen zusammen.


ERNA hat manchmal hingehört.

GENIA sieht Friedrich nach.

MAUER. Er ist der Mann rascher Entschlüsse.

GENIA antwortet nicht.

PAUL. Also benützen wir die letzten Strahlen der Abendsonne ...


Erna, Otto, Paul, Frau Wahl gegen den Tennisplatz.


MAUER folgt nach kurzem Besinnen.

GENIA steht noch immer regungslos, plötzlich will sie ins Haus hinein, da tritt ihr Frau Meinhold entgegen.


Frau Meinhold, Genia.


FRAU MEINHOLD etwa vierundvierzig, nicht jünger aussehend, Züge etwas verlebt, Gestalt noch jugendlich. Guten Abend.

GENIA. Oh, Frau Meinhold, so spät? Ich fürchtete schon, Sie kämen heute gar nicht mehr. Nun freue ich mich doppelt, daß Sie da sind. Kommen Sie doch, liebe Frau Meinhold. Vielleicht dorthin Zum Nußbaum weisend. es ist doch Ihr Lieblingsplatz.

FRAU MEINHOLD Genias Zerstreutheit merkend. Danke, danke.

GENIA. Oder wollen wir zum Tennisplatz? Es wird noch fleißig gespielt, und Sie sehen ja ganz gerne zu, nicht wahr?

FRAU MEINHOLD lächelnd. Ich komme ja zu Ihnen, liebe Frau Genia. Mit ihr zum Nußbaum. Aber habe ich Sie nicht gestört, Sie scheinen mir ein wenig – wollten Sie nicht eben ins Haus?

GENIA. Nein, durchaus nicht. Es ist nur – mein Mann fährt dann in die Stadt hinein mit Doktor Mauer. Morgen reist er nämlich mit ihm ab. Sie machen zusammen eine Fußtour. Denken Sie, vor einer Stunde wußte er selbst noch nichts davon. Der Doktor kam uns Adieu sagen, sprach natürlich von seinen Reiseplänen – und Friedrich war sofort hingerissen von der Idee, wieder einmal über die Berge zu wandern wie in früherer Zeit. Und nun fährt er auch schon davon. Blickt zum Balkon.

FRAU MEINHOLD. Da komme ich Ihnen doch wohl ungelegen. Sie werden gewiß noch mit Ihrem Gatten zu sprechen haben, da er so plötzlich abreist.

GENIA. Ach nein, es ist ja nur auf kurze Zeit. Und sentimental sind wir nicht, nein, wahrhaftig. –

FRAU MEINHOLD. Und nun haben Sie auch Ihren Percy bald wieder da.[255]

GENIA. Oh, da wird mein Mann wohl noch früher zurück sein. Percy kommt erst in vierzehn Tagen.

FRAU MEINHOLD. Sie sehnen sich schon sehr nach ihm, wie?

GENIA. Das können Sie sich denken, Frau Meinhold. Nun hab' ich ihn seit Weihnachten nicht gesehen. Kein leichtes Los, seinen Einzigen so in der Fremde haben. Aber Sie wissen ja auch was davon zu erzählen, Frau Meinhold.

FRAU MEINHOLD. Einiges, ja.

GENIA. Nun verläßt Sie Ihr Herr Sohn gar auf mehrere Jahre?

FRAU MEINHOLD. Ja, drei Jahre sollen es werden. Und weit, weit.

GENIA. In die Südsee, er hat mir früher davon erzählt. Ja, das ist freilich – Und doch kommt mir vor, als wären Sie besser dran als ich, Frau Meinhold. Sie haben einen Beruf, einen so schönen! Einen, der Sie so ganz erfüllt! Das hilft gewiß über viel hinweg.

FRAU MEINHOLD. Über manches.

GENIA. Nicht wahr? Wenn Frauen nur Mütter sind, das ist doch wohl nicht das Richtige, scheint mir manchmal. Sie hätten es gewiß nicht zugegeben, daß Ihr Otto zur Marine ging, wenn Sie nichts anderes gewesen wären als Mutter.

FRAU MEINHOLD einfach. Und wenn ich's nicht zugegeben hätte ...?

GENIA. So wär' er bei Ihnen geblieben. O, davon bin ich ganz überzeugt. Wenn Sie es gewünscht, wenn Sie es verlangt hätten?! Er liebt Sie ja so sehr. Er hätte ja auch was anderes werden können. Ich kann mir ihn sehr gut als Gutsbesitzer vorstellen ... oder – oh ja ... auch als Gelehrten.

FRAU MEINHOLD. Es ist nur die Frage, liebe Frau Genia, ob ich ihn dann mehr hätte als jetzt, da er aufs Meer hinaussegelt.

GENIA. Oh ...!

FRAU MEINHOLD. Ich glaub' nicht. Nicht schwer. Nämlich von diesem Wahn, Frau Genia, kann man sich nicht früh genug freimachen, daß wir unsere Kinder jemals besitzen könnten. Besonders Söhne! Sie haben uns, aber wir haben sie nicht. Ich glaube sogar, das müßte einem noch schmerzlicher zum Bewußtsein kommen, wenn man mit ihnen immer unter einem Dache wohnte. Solang sie klein sind, verkaufen sie uns um ein Spielzeug, und später ... später um noch weniger.

GENIA kopfschüttelnd. Das ist doch ... nein das ... Darf ich was sagen, Frau Meinhold?

FRAU MEINHOLD lächelnd. Warum denn nicht? Wir plaudern[256] doch. Jede sagt, was ihr eben durch den Kopf geht.

GENIA. Ich hab' mich nämlich schon neulich gefragt, als Sie auch so eine – verzeihen Sie – eine so düstere Bemerkung machten – so über die Menschen im allgemeinen – ob das nicht vielleicht irgendwie mit den Rollen zusammenhängt, die Sie spielen, daß Ihnen das Leben manchmal so tragisch erscheint?

FRAU MEINHOLD lächelnd. Tragisch ... Finden Sie?

GENIA. Denn ich habe offenbar eine leichtere Lebensauffassung als Sie, Frau Meinhold. Ich bilde mir zum Beispiel fest ein, daß ich niemals aufhören werde, Percy viel, – unendlich viel zu bedeuten. Und auch Sie, Frau Meinhold, hätten meiner Ansicht nach alles Recht dazu ... ja gerade Ihr Sohn scheint mir ein besonders zärtlicher, ein – ich bin überzeugt, daß er Sie geradezu anbetet.

FRAU MEINHOLD lächelnd. Nennen wir's so!

GENIA. Und wenn er Sie einmal »verkaufen« sollte, wie Sie sagen, so wird es gewiß um nichts Unwürdiges geschehn. Und nur in einem solchen Fall denke ich, könnte sich in den Beziehungen zwischen Mutter und Kind etwas ändern. Nach kurzem Besinnen. Und da eigentlich auch nicht.

FRAU MEINHOLD nach einer kleinen Pause. Er ist ein Mann, vergessen Sie das? Wie läßt sich da etwas vorhersehen ... Auch Söhne werden Männer. Mit Bitterkeit. Sie sollten doch auch, denk' ich, eine Ahnung davon haben, was das heißt.

GENIA schlägt wie betroffen die Augen nieder.

FRIEDRICH erscheint oben auf dem Balkon, sich eben die Krawatte knüpfend, sieht mit kurzsichtig verkniffenen Augen herab. Ich höre da eine wohlbekannte, edle Stimme ... Hab' mir's ja gleich gedacht ... Küss' die Hand, Frau Meinhold.

FRAU MEINHOLD. Guten Abend, Herr Hofreiter.

GENIA. Brauchst du was, Friedrich?

FRIEDRICH. O nein, dank' schön, bin gleich fertig. Dann komm' ich herunter. Ich fahr' nämlich weg.

FRAU MEINHOLD. Ja, Frau Genia sagte mir eben.

FRIEDRICH. Also auf Wiederschaun. Verläßt den Balkon. Pause.

GENIA. Darf ich Ihnen etwas erwidern, Frau Meinhold?

FRAU MEINHOLD lächelnd. Aber warum bitten Sie mich denn immer um Erlaubnis, Frau Genia –

GENIA. Sie imponieren mir nämlich so, Frau Meinhold. Was Sie sagen, das klingt immer so bestimmt, so unwidersprechlich. Und man hat die Empfindung, Ihnen bleibt nichts verborgen,[257] nichts ... Und Sie kennen die Menschen, ja ... Aber sind Sie nicht doch ... sind Sie nicht doch ein bißchen ungerecht?

FRAU MEINHOLD. Mag sein, Frau Genia ... Aber Ungerechtigkeit ist ja schließlich unsere einzige Revanche. Auf einen fragenden Blick Genias. Die einzige Revanche für ein Unrecht ... das irgend einmal an uns begangen wurde.

GENIA. Aber ewige Ungerechtigkeit gegenüber einem ... verjährten Unrecht – ist das nicht zu viel?

FRAU MEINHOLD bitter. Es gibt Dinge, die nicht verjähren. Und es gibt Herzen, in denen nichts verjährt. Pause. Kommt Ihnen das wieder tragisch vor, liebe Frau Genia? Sie denken sich wohl, was erzählt sie mir da für Geschichten, diese alte Komödiantin. Was will sie denn eigentlich? Vor einer Ewigkeit hat sie sich von ihrem Mann getrennt, hat nachher, wie man hört, ihr Leben völlig nach eigenem Belieben eingerichtet ... nachgeweint zu haben scheint sie ihm keinesfalls ... was will sie ...? Nicht wahr, Frau Genia, das denken Sie sich?

GENIA etwas verlegen. Kein Mensch wird bestreiten, daß Sie das Recht hatten zu leben, wie es Ihnen gefiel ...

FRAU MEINHOLD. Natürlich hatt' ich das. Das ist eine Sache für sich. Und ich will auch niemandem einreden, daß ich wegen jener längst vergangenen Geschichte heute noch irgend etwas wie Schmerz empfände. – Oder Groll! – Nur – vergessen hab' ich's eben nicht ... das ist alles. Mehr sag' ich auch nicht. Aber denken Sie nur, wieviel habe ich seither vergessen! Heitres und Trauriges ... vergessen – als wäre es nie gewesen! Und gerade das, was mir vor mehr als zwanzig Jahren mein Mann angetan hat, nicht! ... So muß es doch wohl was bedeutet haben! Ohne Groll, ohne Schmerz denk' ich dran – ich weiß es eben nur – das ist alles! Aber ich weiß es, wie am ersten Tag – gerade so klar, so fest – so unwidersprechlich – das ist es, liebe Frau Genia ...

FRIEDRICH kommt im grauen Reiseanzug, sehr montiert. Küßt Frau Meinbold die Hand. Ich freu' mich sehr, Ihnen noch adieu sagen zu können, gnädige Frau.

FRAU MEINHOLD. Bleiben Sie lange fort?

FRIEDRICH. Das ist ungewiß. Hängt auch davon ab, ob ich hier dringend benötigt werde. In der Fabrik, mein' ich.


Vom Tennisplatz Otto, Paul, Erna, Frau Wahl, Mauer. Begrüßung.


OTTO. Guten Abend, Mutter. Küßt ihr die Hand.

FRAU MEINHOLD. Guten Abend, Otto! –[258]

FRIEDRICH. Na, wie ist's gegangen, Paul?

PAUL. Bitt' schön, nicht fragen. Von morgen an spiel' ich wieder mit dem Trainer.

MAUER. Also, bist du bereit?

FRIEDRICH. Selbstverständlich. – Meine Herrschaften ... Allen die Hand reichend. – liebe Genia ...

GENIA. Entschuldigen Sie, lieber Doktor, auf ein paar Minuten darf ich mir noch meinen Herrn Gemahl von Ihnen ausbitten?

MAUER. Oh ...


Mauer, Erna, Frau Meinhold, Otto, Frau Wahl, Paul entfernen sich.


FRIEDRICH. Du hast mir noch was zu sagen, Genia?

GENIA. Eigentlich nichts, als daß ich mich ein bißchen über deinen Entschluß wundre. Ich hab' nämlich keine Ahnung gehabt, daß du heute fortfahren willst.

FRIEDRICH. Ich doch auch nicht, mein Kind.

GENIA. Wirklich, keine Ahnung?

FRIEDRICH. Daß es gerade heute abend sein wird – absolut nicht. Wenn der Mauer nicht zufällig gekommen wäre ... Aber daß ich Lust hätt', auf ein paar Tage ins Gebirge zu gehen – das war dir ja nicht unbekannt. Ob ich nun heut' fahr', – oder morgen oder übermorgen ... Also zum Wundern ist doch kein Anlaß.

GENIA sich über die Stirn streichend. Gewiß, du hast ja recht. Nur weil eben so gar keine Rede davon war.


Bange Pause.


FRIEDRICH. Also, ich telegraphier' natürlich täglich, sowohl hierher als ins Bureau. Und schreib' auch. Bitte gleichfalls um regelmäßige Berichterstattung. Und wenn von Percy was kommt, so schick' mir's nach ... Auch wenn's nur an die dear mother gerichtet ist ... Ja, mein Kind. Also jetzt heißt's ... der Mauer wird wirklich schon ungeduldig werden.

GENIA. Warum – warum – fährst du fort?

FRIEDRICH etwas ungeduldig, aber nicht heftig. Du, Genia, mir scheint als hätt' ich dir darauf schon geantwortet.

GENIA. Du weißt sehr gut, daß du mir noch nicht geantwortet hast.

FRIEDRICH. Jedenfalls ist diese Art zu inquirieren etwas ganz neues – in unserm Haus.

GENIA. Du bist nicht verpflichtet mir Rede zu stehn, gewiß nicht. Aber ich seh' eigentlich auch keinen Grund, warum du mir die Antwort direkt verweigern solltest.[259]

FRIEDRICH. Ja, mein liebes Kind, wenn du wirklich findest, daß es erst ausdrücklich festgestellt werden muß ... also schön: Ich fühle mich seit einiger Zeit nicht besonders wohl. Das wird ja wieder vorübergehn – wahrscheinlich ... gewiß. Aber in den nächsten Tagen brauch' ich eben eine andere Luft, eine andre Umgebung. Sicher ist jedenfalls, daß ich von hier fort muß.

GENIA. Von hier!? ... Von mir!!

FRIEDRICH. Von dir – Genia –? Das hab' ich doch nicht – Aber wenn du's absolut hören willst – gut, von dir! Ja, Genia.

GENIA. Aber warum? Was hab' ich dir denn getan?

FRIEDRICH. Nichts ... Wer sagt denn, daß du mir was getan hast.

GENIA. So erklär' dich doch, Friedrich ... Ich bin ja ganz ... Auf alles war ich eher gefaßt, als daß du jetzt ... so plötzlich ... Von einem Tag zum andern – von einer Stunde zur andern hab' ich erwartet, daß wir uns ... aussprechen werden ... daß wir ...

FRIEDRICH. Ja. Diese Erwartung hab' ich dir schon angemerkt, Genia. Ja. Aber ... ich glaube, dazu ist es noch zu früh, – zum – Aussprechen ... Ich muß mir noch über mancherlei klar werden ...

GENIA. Klar –? Ja ... wo gibt's denn eine Unklarheit? Du hast doch ... den Brief in der Hand gehabt? Du hast ihn doch gelesen? Wenn du vorher gezweifelt hast ... was ich ja gar nicht glaube ... seit dem Abend – um Himmels willen, Friedrich – seit dem Abend muß dir doch eine Ahnung aufgegangen sein – Friedrich, was – was du mir ... Gott ... ist es denn wirklich notwendig, das erst mit Worten zu sagen! ...

FRIEDRICH. Nein, gewiß nicht ... Das ist es ja eben. Der Abend. Ja. Mir ist nämlich schon die ganze Zeit her, verzeih – es ist natürlich nicht deine Absicht – aber ich hab' halt den Eindruck, als wenn du diese Affäre ... – Zögert.

GENIA. Nun – nun –?

FRIEDRICH. Als wenn du den Selbstmord von Korsakow gegen mich irgendwie ausspieltest ... Innerlich natürlich ... Und das – das macht mich halt ... ein bissel nervös ...

GENIA. Friedrich! Ja, bist du denn ... Ich spiele den Selbstmord ... Nein – ist es möglich! ... Das! ...

FRIEDRICH. Ich sag' ja schon, du kannst nichts dafür. Du meinst es nicht so. Du bist gewiß nicht stolz darauf, daß er deinetwegen[260] ... daß du ihn sozusagen in den Tod – du bildest dir gewiß nichts ein, auf deine Standhaftigkeit, das weiß ich ja alles ...

GENIA. Nun also, wenn du das weißt ...

FRIEDRICH. Ja, aber daß es überhaupt geschehen ist ...

GENIA. Was, was?

FRIEDRICH. Daß er sich hat umbringen müssen ... das ist das Furchtbare ... darüber komm' ich nicht weg.

GENIA. Was – das ... Greift sich an den Kopf.

FRIEDRICH. Na, ja, bedenk doch nur, man kann's drehn und wenden, wie man's will ... daß der arme Korsakow jetzt unter der Erde liegt und verwest ... die Ursache davon bist ja doch du! ... Natürlich ... unschuldig – in doppeltem Sinn. – Ein andrer als ich würde vielleicht vor dir auf den Knien liegen, dich anbeten – wie eine Heilige – gerade deswegen! ... Ich bin halt nicht so ... Mir bist du gerade dadurch ... gleichsam fremder geworden.

GENIA. Friedrich!! ... Fremder – Friedrich! –

FRIEDRICH. Ja, wenn er dir zuwider gewesen wäre – ja, dann, dann wär' es die natürlichste Sache von der Welt. Aber nein, ich weiß ja, er hat dir sogar sehr gut gefallen ... Man kann schon sagen, du warst ein bissel verliebt in ihn. Oder – wenn ich's ... um dich verdient hätte ... wenn du mir gegenüber zu der sogenannten Treue verpflichtet gewesen wärst ... Aber ich hab' doch wirklich kein Recht gehabt ... na ... davon müssen wir doch nicht erst reden. – Also ich frag' mich halt immer und immer wieder: Warum hat er sterben müssen?

GENIA. Friedrich!

FRIEDRICH. Und, verstehst du, dieser Gedanke ... daß irgend etwas, das doch in Wirklichkeit gar nicht ist – ein Schemen, ein Phantom, ein Nichts, wenigstens einem so furchtbaren Ding gegenüber, einem so irreparabeln wie der Tod – daß deine Tugend – einen Menschen in den Tod getrieben hat, das ist mir einfach unheimlich. Ja ... Ich kanns' nicht anders sagen ... Ja ... Es wird ja wohl wieder vergehn ... mit der Zeit ... im Gebirg ... und wenn wir ein paar Wochen nicht beieinander sind ... Aber jetzt ist es nun einmal da – und da kann man nichts machen ... Ja, liebe Genia ... So bin ich einmal ... Andre wären halt anders ...

GENIA schweigt.

FRIEDRICH. Ich hoffe, du nimmst mir's nicht übel, daß ich – auf[261] deinen Wunsch hin – alles das so deutlich ausgesprochen habe. So deutlich, daß es schon wieder beinah nicht wahr geworden ist ...

GENIA. Es ist schon wahr geblieben, Friedrich ...


Die andern kommen allmählich näher.


MAUER zuerst. Verzeih, Friedrich, aber es ist die höchste Zeit. Ich hab' nämlich in der Stadt noch was zu tun ... Du kannst ja vielleicht mit einem späteren Zug ...

FRIEDRICH. Ich bin schon bereit ... Hinaufrufend. Also Kathi – geschwind! Meinen Überzieher und meine kleine, gelbe Tasche, die liegt auf dem Diwan in meinem Zimmer.

FRAU WAHL. Also glückliche Reise und hoffentlich auf Wiedersehn.

ERNA. Am Völser Weiher.

FRAU WAHL. Wissen Sie, was hübsch wär', Frau Genia? Wenn Sie auch hinkämen.

ERNA. Ja, Frau Genia! –

GENIA. Geht leider nicht! Der Percy kommt ja –

FRIEDRICH. Aber doch nicht so bald. Zu Mauer. Wann sind wir denn dort?

MAUER. So in acht bis zehn Tagen, denk' ich.

FRIEDRICH. Ja, Genia, das wär' wirklich eine Idee. Du solltest dir's überlegen, Genia. –

GENIA. Ich ... werd' mir's überlegen.

STUBENMÄDCHEN kommt mit Überzieher und Tasche.

MAUER. Also adieu, Frau Genia. Verabschiedet sich auch bei den andern.

FRIEDRICH. Adieu, meine Herrschaften. Na, was macht ihr denn eigentlich heute noch alle?

PAUL. Ich hätte eine Idee. Man könnte eine Mondscheinpartie machen nach Heiligenkreuz.

ERNA. Ich wär' gleich dabei.

FRAU WAHL. Zu Fuß –?

FRIEDRICH. Aber das ist ja nicht nötig. Ich schick' euch das Auto von der Bahn zurück.

PAUL. Hoch der edle Spender!

FRIEDRICH. Keine Ovationen, wenn ich bitten darf. Also adieu. Gute Unterhaltung allerseits. Adieu, Genia. Nimmt noch einmal Genias Hand, die sie dann schlaff fallen läßt.

FRIEDRICH UND MAUER durchs Haus ab.

GENIA steht starr.

PAUL, ERNA, FRAU WAHL stehen nebeneinander.[262]

OTTO UND FRAU MEINHOLD haben einen kurzen Blick der Verständigung gewechselt.

OTTO zu Genia, Abschied nehmend. Gnädige Frau, wir werden uns auch – –

GENIA rasch, erregter. Sie wollen gehen? Und Sie, gnädige Frau? Aber warum denn? Wir haben ja im Auto ganz bequem alle Platz.

ERNA. Natürlich. Der Herr Kreindl sitzt vorne beim Chauffeur.

PAUL. Mit Wonne.

OTTO. Ich möchte mir nur die Bemerkung erlauben, daß es mit der Mondscheinpartie einige Schwierigkeiten haben dürfte, da wir uns unterm Neumond befinden.

ERNA. Uns genügen zur Not auch die Sterne, Herr Fähnrich.

FRAU MEINHOLD zum Himmel schauend. Ich fürchte, Sie werden heute auch auf die verzichten müssen.

ERNA. So sausen wir kühn ins Dunkel hinein.

GENIA. Ja, Erna, das ist vielleicht das Allerlustigste. Sie lacht auf.


Vorhang.


Quelle:
Arthur Schnitzler: Die Dramatischen Werke. Band 2, Frankfurt a.M. 1962, S. 242-263.
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