Vierte Szene

[766] Johanna, Sala, Doktor Reumann, Frau Wegrat und Felix von der Veranda her.


FRAU WEGRAT. Grüß' Sie Gott, lieber Herr Doktor. Was sagen Sie zu der Überraschung?


Freundliches Händedrücken zwischen den Herren.


FRAU WEGRAT. Guten Abend, Herr von Sala.

SALA. Ich freue mich, gnädige Frau, Sie so wohl zu sehen.

FRAU WEGRAT. Ja, es geht mir ein wenig besser. Wenn nur die traurige Jahreszeit nicht so nahe wäre.

SALA. Aber gnädige Frau, jetzt kommen ja erst die allerschönsten Tage. Wenn die Wälder rot und gelb schimmern, der goldene Dunst über den Hügeln liegt und der Himmel so fern und blaß ist, als schauerte ihn vor seiner eigenen Unendlichkeit –!

FRAU WEGRAT. Das möchte man wohl noch einmal sehen.

DOKTOR REUMANN vorwurfsvoll. Gnädige Frau –

FRAU WEGRAT. Verzeihen Sie, es kommen einem manchmal solche Gedanken. Heiterer. Wenn ich nur wenigstens wüßte, wie lange mir mein guter Doktor noch erhalten bleibt.

DOKTOR REUMANN. In dieser Hinsicht kann ich Sie beruhigen, gnädige Frau: Ich bleibe in Wien.

FRAU WEGRAT. Wie? Ist die Sache schon entschieden?

DOKTOR REUMANN. Ja.

FELIX. Ist also richtig ein anderer nach Graz berufen worden?

DOKTOR REUMANN. Das nicht. Aber der andere, dem die Stelle so gut wie sicher war, hat sich auf einer Bergtour den Hals gebrochen.

FELIX. Da wären doch jetzt Ihre Chancen die allerbesten? Wer außer Ihnen käme denn noch in Betracht?

DOKTOR REUMANN. Meine Chancen wären jetzt gewiß nicht übel. Aber ich habe es vorgezogen, zu verzichten.

FRAU WEGRAT. Wie?

DOKTOR REUMANN. Ich nehme eine Berufung nicht an.

FRAU WEGRAT. Sind Sie so abergläubisch?

FELIX. Sind Sie so stolz?

DOKTOR REUMANN. Keines von beiden. Aber der Gedanke, irgend einen Vorteil dem Malheur eines andern zu verdanken, wäre mir außerordentlich peinlich. Meine halbe Existenz[767] wäre mir vergällt. Sie sehen, das ist weder Aberglaube noch Stolz, es ist ganz gemeine, kleinliche Eitelkeit.

SALA. Das ist raffiniert, Herr Doktor.

FRAU WEGRAT. Ich höre aus alldem nur, daß Sie bleiben. Ja, so niedrig beginnt man zu denken, wenn man krank ist.

DOKTOR REUMANN absichtlich abschweifend. Nun, Felix, wie behagt's Ihnen denn in Ihrer Garnison?

FELIX. Sehr gut.

FRAU WEGRAT. Bist du also ganz zufrieden, mein Kind?

FELIX. Ich bin euch sehr dankbar. Dir besonders, Mama.

FRAU WEGRAT. Warum mir besonders? Die letzte Entscheidung stand ja doch beim Vater.

DOKTOR REUMANN. Ihm wäre es natürlich lieber gewesen, wenn Sie einen friedlicheren Beruf erwählt hätten.

SALA. Es gibt ja heutzutage gar keinen, der friedlicher wäre.

FELIX. Da haben Sie recht, Herr von Sala. – Übrigens hab' ich Ihnen Grüße vom Oberstleutnant Schrotting zu überbringen.

SALA. Danke sehr. Denkt denn der noch an mich?

FELIX. Nicht er allein. Wir werden ja häufig an Sie erinnert; – bei jeder Mahlzeit. Ihr Porträt hängt ja unter manchen andern von gewesenen Offizieren unseres Regiments im Kasino.


Quelle:
Arthur Schnitzler: Die Dramatischen Werke. Band 1, Frankfurt a.M. 1962, S. 766-768.
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