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[631] Der nächste Besuch in der Anstalt, vor dem Therese sich beinahe gefürchtet hatte, ließ sich anfangs tröstlich, ja beruhigend für sie an. Der Vater plauderte mit ihr wie in früheren Zeiten, harmlos, beinahe heiter, führte sie in den weitläufigen Alleen des Anstaltsparkes hin und her wie einen willkommenen Gast; und erst beim Abschied machte er alle Hoffnungen Theresens wieder zunichte durch die Äußerung, daß er sie bei ihrem nächsten Besuch[631] voraussichtlich schon in Generalsuniform werde empfangen dürfen.

Als sie tags darauf Alfred Nüllheim von ihrem Besuch in der Anstalt berichtete, erbot er sich, sie bei nächster Gelegenheit zu dem Kranken zu begleiten. Er beabsichtigte, was Theresen bekannt war, Medizin zu studieren und sich zum Nervenarzt und Psychiater auszubilden. So trafen sie einander ein paar Tage später, wie zu einem geheimen Stelldichein, außerhalb der Stadt und nahmen gemeinsam den Weg nach der Anstalt, wo der Oberstleutnant Alfred wie einen erwünschten, ja erwarteten Besuch begrüßte. Er erzählte heute von den Garnisonsorten seiner Jugendzeit, auch von dem kroatischen Gut, wo er seine Frau kennengelernt hatte, von dieser selbst aber in einer Art, als wenn sie längst nicht mehr am Leben wäre; und daß er einen Sohn hatte, schien ihm überhaupt völlig entfallen zu sein. Alfred wurde auch dem ordinierenden Arzte vorgestellt, der ihn sehr liebenswürdig, fast wie einen jungen Kollegen behandelte. Es berührte Therese sonderbar, fest schmerzlich, daß Alfred auf dem Heimweg von dem erledigten Besuch ohne jede Traurigkeit, eher in angenehm erregter Weise, wie von einem merkwürdigen, für ihn gewissermaßen bedeutungsvollen Erlebnis sprach und die Tränen nicht merkte, die ihr über die Wangen rannen.

Quelle:
Arthur Schnitzler: Gesammelte Werke. Die erzählenden Schriften, 2 Bände, Band 2, Frankfurt a.M. 1961, S. 631-632.
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