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[633] Anfang Juli legten Karl Fabiani und Alfred Nüllheim ihre Maturitätsprüfung ab. Alfred bestand sie als Bester unter seinen Kollegen, Karl mit eben genügendem Erfolge. Tags darauf trat er eine Fußreise an, nachdem er von Mutter und Schwester so kühl und flüchtig Abschied genommen, als wenn er abends wieder zu Hause sein wollte. Alfred, der einem früheren Plan nach ihn auf der Wanderung hätte begleiten sollen, nahm eine leichte Erkrankung seiner Mutter zum Vorwand, um vorläufig in der Stadt zu bleiben. Er kam auch weiterhin fast täglich in das Haus Fabiani, zuerst um Bücher und Hefte abzuholen, ein nächstes Mal, um Erkundigungen über Karl einzuziehen; und es fugte sich, daß sich an diese Nachmittagsbesuche an den schönen Sommerabenden Spaziergänge mit Therese anschlössen, die sich immer länger ausdehnten.

Eines Abends auf einer Bank in den Anlagen des Mönchsbergs sprach er wieder einmal davon, daß er im Herbst die Wiener Universität beziehen werde, um Medizin zu studieren, was Theresen freilich wie das meiste, was er ihr sagte, nicht neu war, und gestand ihr, was sie auch nicht überraschte, daß er nur deshalb auf eine Ferialreise verzichtet habe, um diese paar letzten Monate in ihrer Nähe zu verbringen. Sie blieb ungerührt, ja wurde eher ärgerlich, denn ihr war nicht anders, als ob dieser junge Mensch, dieser Knabe in all seiner Bescheidenheit ihr eine Art von Schuldschein vorzuweisen sich unterfing, den einzulösen sie wenig Lust verspürte.

Zwei Offiziere gingen vorbei, der eine war Theresen vom Sehen längst bekannt, wie die meisten Herren von den hier garnisonierenden Regimentern; die Erscheinung des andern aber war ihr neu; es war ein glattrasierter, dunkelhaariger, schlanker Mensch, der, was ihr besonders auffiel, die Kappe in der Hand hielt.

Seine Augen streiften Therese ganz flüchtig, aber als Nüllheim und der andere Offizier einander grüßten, grüßte auch er, und zwar, da er barhaupt war, nur durch ein lebhaftes Neigen seines Kopfes, und richtete einen lebhaften, beinahe lachenden Blick auf Therese. Doch er wandte sich nicht nach ihr um, wie sie eigentlich erwartet hätte, und verschwand mit seinem Begleiter bald in einer Biegung der Allee. Die Unterhaltung zwischen Therese und Alfred wollte nicht wieder in Fluß geraten, beide erhoben sich und gingen langsam in der Dämmerung nach abwärts.

Quelle:
Arthur Schnitzler: Gesammelte Werke. Die erzählenden Schriften, 2 Bände, Band 2, Frankfurt a.M. 1961, S. 633-634.
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