Zwanzigstes Kapitel

[189] So we grew together,

Like to a double cherry, seeming parted,

But yet a union in partition.

Two lovely berries moulded on one stem:

Shakspeare.


So war ich denn plötzlich wie durch einen Zauberspruch aus einem kleinen, wenig beachteten Mädchen eine erwachsene Mamsell geworden, die allmälig die Entdeckung machte, daß sie auch Jemand sei. Die Veränderung war groß, und ich mußte mich erst daran gewöhnen, ehe sie mir gefallen konnte.

Meine sämmtlichen Stunden des Unterrichts waren aufgehoben, auch die Societé des jeunes dames besuchte ich nur zuweilen, ein zur Theestunde geladener Gast. Mein Onkel hatte mir zwar endlich einen Zeichenlehrer aufgefunden, doch dieser trug wenig zu meiner Zufriedenheit bei; denn wir lebten in ewigem Zwiespalt mit einander. Silhouetten fabriciren und winzige Landschäftchen nach kleinen Kupferstichen, die er mir mitbrachte, malen, war Alles, was ich[189] von ihm lernen konnte, und Beides widerte mich an. Der einzige Vortheil, den seine Bekanntschaft mir gewährte, war, daß er mir Preislers, in Nürnberg herausgekommene, Anleitung zum Zeichnen lieh, nach der ich aus eigenem Antriebe Augen, Ohren und Nasen, so gut es ohne Hülfe gehen wollte, kopirte.

Auch hatte ich, von meinen Freundinnen dazu beredet, mir wieder musikalischen Unterricht erbeten, brachte es aber mit unsäglicher Mühe, viel Zeit- und viel Geldverschwendung in dieser Kunst nie so weit, daß die eigene Uebung derselben mir wirklichen Genuß gewährt hätte. Jameson war und blieb mein einziger Trost; sein Eifer für mich erkaltete nicht; bei ihm, mit ihm und mit Shakspeare brachte ich jetzt meine genußreichsten Freistunden zu, und ich hatte der Freistunden nur zu viele!

Meine Emancipation aus der Kinderstube fiel gerade in die schöne freudige Frühlingszeit; Bälle, Konzerte, Theater und was sonst noch zu den eigentlichen Wintervergnügungen gerechnet wird, hatten aufgehört. Nur einige verspätete Abendgesellschaften kamen zuweilen noch vor, deren Lichtpunkte ein wenigstens zwei Stunden währendes warmes Souper bildete, bei welchem die lange Tafel unter der Last der dicht an einander gereiheten Schüsseln und[190] Assietten zusammen zu brechen drohete. In Danzig, wie damals noch überall, überließ man gerade beim Abendessen sich am liebsten den Freuden der Geselligkeiten; Diners, wie sie jetzt an der Tagesordnung sind, kannte man gar nicht.

Bei einer solchen Abendgesellschaft wurde denn auch ich zum Erstenmale in meinem Leben von einer mit meinen Eltern sehr befreundeten Familie als eine Konfirmirte, und folglich erwachsene Person von kaum vierzehn Jahren eingeladen. Wie freuete ich mich auf mein Debüt in der großen Welt! und ach! wie kränkend für meine Eitelkeit fiel es aus!

Jedermann weiß oder könnte wissen, daß der vielfältig und vielseitig bekannte Lord Chesterfield einen noch jetzt in England für classisch geltenden, ziemlich starken Band sehr geistreicher Briefe herausgab, in welchen er sich bemüht, seinen Sohn in alle Pflichten und Gesetze der höchsten geselligen Eleganz einzuweihen, deren Kenntniß und strenge Uebung ihm über Alles ging. Seine Absicht war, den jungen Mann zu einem vollkommenen Beau auszubilden, ein Wort, das in jener, hundert Jahr hinter uns liegenden Zeit, mit dem jetzigen Dandy, Exclusive, oder wie die Mode solch ein Wunder noch ferner zu taufen belieben wird, völlig gleichbedeutend war.[191]

Doch die Saat, welche der edle Lord aussäete, fiel leider auf einen zu ihrem Gedeihen sich wenig eignenden Boden; zu seinem unaussprechlichen Entsetzen und höchsten Jammer mußte er nicht nur erleben, sondern sogar mit ansehen, daß sein Sohn, der honorable Mr. Stanhope in der ersten Gesellschaft, in welcher er sich zeigte, vor den Augen der schönsten und vornehmsten Ladies der drei Königreiche, nachdem er ein Glas Gelée wie gewöhnlich mit dem Löffelchen geleert, den darin zurückgebliebenen kleinen Rest ohne Scheu mit der Zunge ausleckte, um auch die süße Neige nicht zu verlieren!

Lord Chesterfield blieb natürlicher Weise darüber untröstlich sein Lebelang, und, ewig bedauernswerthe Mamsell Ackermann! das wäre ohne Zweifel auch Dein hartes unverdientes Loos gewesen, hätte Dein guter Genius es nicht von Dir abgewendet, betrübter Augenzeuge des Mißgeschicks Deiner ersten Schülerin zu werden. Sie, Dein Liebling, Dein Stolz, Deine Freude, die Du schmeichelnd zuweilen die Zierde Deiner Societé des jeunes dames zu nennen pflegtest, hättest Du es mit ansehen müssen, wie sie mit der Thür nicht eben ins Haus, aber was noch weit schlimmer war, mitten in eine große Gesellschaft festlich geputzter Herren und Damen platt[192] auf die Nase hineinfiel! O Du Aermste! was wäre aus Dir geworden? Eine Ohnmacht wäre das Geringste gewesen, um Dich einigermaßen aus diesem Elend zu retten!

Mit glücklich konservirter Frisur war ich nach meinen Eltern aus dem Wagen gestiegen, Alles war in erwünschter Ordnung, nicht ein Stäubchen Puder hatte an dem hohen Haarthurm sich verschoben, dessen breite Fläche ein Labyrinth von Federn, Blumen und Perlen krönte; stolz wogte das neue seidene Kleid über den ansehnlich großen Reifrock. Auf goldgestickten Schuhen, mit wenigstens zwei Zoll hohen dünnen Absätzen, trippelte ich an der Hand der ältesten Tochter des Hauses, die mir entgegengekommen war, zwei hohe Treppen bis zum Saale hinauf. So schön geputzt bei so bänglich pochendem Herzen war ich in meinem Leben noch nicht gewesen; die Flügelthüren flogen auf, und wir – ach!

Hatten unsere langen Schleppen sich in einander verwickelt? unsere Reifröcke mit einander karambolirt? ein Strohhalm, ein Rosenblatt auf der Schwelle unsere Füße ins Gleiten gebracht? Wir alle Beide, Clementine und ich, uns fest bei der Hand haltend, im gleichen Augenblick, denn mein Fall riß sie mir nach,[193] – was soll ich weiter sagen? daignez m'épargner le reste, seufze ich mit Grètrys tourière.

Clementine war kein Mitglied unserer Societé des jeunes dames, doch konnte auch Niemand der in dieser zu erlernenden Künste leichter entbehren als sie. Ein Hauch von Anmuth und unaussprechlicher Lieblichkeit umschwebte die graziöse Gestalt, wie der ihrem Innern entströmende Duft die eben sich öffnende Rose umschwebt, und neigte Augen und Herzen mit Wohlgefallen ihr zu. Clementine war ein oder ein paar Jahre älter als ich, wir hatten früher einander wenig oder gar nicht gekannt, und das tragi-komische Unglück, das bei meinem, im wörtlichsten Verstande, ersten Austritt aus der Kinderwelt im Hause ihrer Eltern mich traf und in welches mein Ungeschick sie mit verwickelte, würde wahrscheinlich jede Andere gegen mich erbittert haben. Sie hingegen suchte, um mich zu trösten und zu beruhigen, alles Ersinnliche auf, und blieb den ganzen Abend gütig und freundlich und mild, wie ich sie später immer gekannt.

Und so knüpfte ein Zufall, der uns auf immer von einander hätte entfernen können, jenes zarte Band innig vertrauter Mädchenfreundschaft zwischen[194] uns, dessen wir beim Eintritt in die Welt zur Vollendung unsers Jugendglücks so sehr bedürfen.

Beim ferneren Fortschreiten im Leben gestaltete unser Verhältniß zu einander, wie unser Karakter, sich immer ernster und fester; von unserm ersten Aufblühen an, bis unsere Locken ergraueten, war und blieb Clementine von Kampen die geliebteste, vertrauteste, ich darf sagen, die einzige Freundin aus meiner Jugendzeit. Nie hatte ich eine zweite neben ihr, und habe auch nach keiner zweiten jemals ausgeschaut.

Als wir Beide verheirathet waren, nahmen unsere Lebenspfade eine ganz von einander abgehende Richtung; doch bei jedem Wiederzusammentreffen, welches ein freundliches Geschick uns zuweilen gewährte, war es, als hätten wir erst gestern uns getrennt, obgleich wir nur selten Briefe wechselten.

Im Jahre achtzehnhundertneunzehn, bei meinem letzten Besuche in meiner Vaterstadt, fand ich zwar an unheilbarer Brustkrankheit sie leidend, doch ruhig ergeben. Acht Tage nachdem ich, ohne unsere so nahe Trennung für dieses Leben zu ahnen,[195] zum letztenmale sie gesehen, schwankte langsam auf dem Wege von Oliwa nach Danzig der Trauerwagen an meiner Wohnung vorüber, der ihre entseelte Hülle von ihrem schönen Landsitz in ihre Familiengruft zur ewigen Ruhe führte.[196]

Quelle:
Johanna Schopenhauer’s Nachlaß. Band 1, Braunschweig 1839, S. 189-197.
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