Fünftes Kapitel

[39] In truth, he was a strange and wayward wight,

Fond of each gentle and each dreadful scene:

In darkness and in storm he found delight,

Nor less than when on Oceans wave serene

The southern sun diffus'd his dazzling sheen.

Even vicissitude amus'd his soul;

And if a sigh would sometimes intervene,

A sigh, a tear so sweet, he wish'd not to control.

The Minstrel.


Der Einladung der englischen Kolonie folgend, die unter eben so ehrenvollen, als vortheilhaften Bedingungen ihn zu ihrem Prediger berufen, war Doktor Richard Jameson, ungefähr gleichzeitig mit der Verheirathung meiner Eltern, in Danzig angelangt. Ob er einen Vorgänger im Amte gehabt, weiß ich nicht, bezweifle es aber, weil ich einen solchen nie erwähnen gehört.

In Edinburg zum Doktor der Theologie promovirt, brachte er unstreitig einen weit gründlichern und ausgebreitetern Schatz von Gelehrsamkeit mit sich, als es seine Stellung erforderte, doch wurde diese nur für ihn selbst ein Quell erhöhten Genusses,[39] nie entschlüpfte ihm eine Aeußerung, die nur von fern auf Pedantismus deutete, oder daß er sich unterrichteter und des halb besser fühle, als andere Leute.

Bei seiner Ankunft in Danzig mochte er, soviel ich ihm jetzt nachrechnen kann, ungefähr vier bis fünfunddreißig Jahre alt gewesen sein. Sein Aeußeres zeichnete nur durch den Ausdruck des reinsten Wohlwollens sich aus; die regelmäßigen Züge seines nicht schönen, aber angenehmen Gesichts verleugneten keineswegs sein Vaterland: helle blaue Augen, blonde Augenbrauen und Wimper, ließen sogleich den Schotten in ihm erkennen. Uebrigens war er von mittler schlanker Gestalt, in seinen Bewegungen nicht ungewandt, trug eine runde wohlfrisirte Perrücke, und Jahr aus Jahr ein, bei schwarzseidenen Unterkleidern und Strümpfen, einen hellgrauen Rock mit schwarzen Knöpfen.

Nie gab es ein still zufriedneres Gemüth als das seine, nie einen jeder echten geräuschlosen Freude offneren Sinn, nie ein regeres Gefühl für alles Edle, Große und Schöne, wie für jeden menschlichen Schmerz, den zu lindern die Aufgabe seines Lebens zu sein schien. Mit warmer Theilnahme umfaßte sein mitleidiges Gefühl alles was in der Natur[40] leidensfähig ist, die Thiere mit eingeschlossen; er konnte keines derselben mißhandeln sehen, ohne sich dessen anzunehmen; aber falsche, erkünstelte, oder übertriebene Sentimentalität, wie sie zu seiner Zeit anfing Mode zu werden, war ihm unaussprechlich zuwider, und er verfolgte sie unbarmherzig spottend, wo er sie auftauchen sah.

Seine innere und äußere Erscheinung erinnerte lebhaft an Yorik, wie die sentimental Journey und Tristram Shandy ihn darstellen.

Bei aller ihm eignen Heiterkeit des Gemüths verrieth doch ein ihn zuweilen fast unmerklich überschleichender Zug von Schwermuth, daß er noch die Nachwehen von freilich jetzt vernarbten Wunden empfinde, die ihm früher das Leben geschlagen haben mochte. Doch erwähnte er nie seiner Vergangenheit, wie er denn überhaupt nicht gewohnt war, viel von sich selbst zu sprechen. Nie entschlüpfte ihm ein Wort, das auf dieselbe Bezug gehabt hätte, nie hörte ich Eltern, Verwandte, oder vertrautere Freunde ihn erwähnen. Fern vom geliebten Vaterlande, in einer ihm ganz fremden Welt, stand er mit seinem warmen Herzen ganz isolirt da.

Meine Eltern, als seine nächsten Nachbarn, machten gar bald seine Bekanntschaft; das heitre Familienleben[41] des neuvermählten Paars hatte viel Anziehendes für ihn; fester geknüpft durch die aneinander grenzenden Beischläge beider Häuser, ging diese, anfangs oberflächliche Bekanntschaft bald in einen vertrauteren Umgang über. Man sah sich fast täglich, Jameson hatte die deutsche Sprache sich in dem Grade angeeignet, daß beinah nur seine etwas fremdartige Aussprache als Ausländer ihn verrieth, und so war auch dieses Hinderniß einer innigeren Annäherung von beiden Seiten völlig gehoben.

Als Kasche an einem recht hellen Sonnentage mich zum erstenmal in den Beischlag trug, um den neuen Ankömmling dem Herrn Nachbar zu zeigen, nahm er mich freudig in die Arme, und es war, als ob dieser Augenblick das Band fester verknüpfte, das schon damals mit meiner Familie ihn vereinte.

Als ich heranwuchs, wurde Jameson mein Lehrer, mein Führer, mein Berather, und blieb mir zur Seite, und wachte über meine junge Seele, und ließ nicht von mir, bis die Zeit herangekommen war, in welcher ein Anderer die Verpflichtung, für mich Sorge zu tragen, mit meiner Hand am Altare übernahm.[42]

Quelle:
Johanna Schopenhauer’s Nachlaß. Band 1, Braunschweig 1839, S. 39-43.
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