[101] Folget derohalben das erste Reimgeschlecht / nach vorgesetzten vier Haupt-Ordnungẽ / nemlich die Langkurtzen Reime / das ist / dieselbigen Reime /welche durch und durch abgemessen werden / durch die Langkurtze Reimmaas – ∪: Dieses Reimgeschlecht nun / nemlich die Langkurtze oder Trogaische Reimart / begreifft in sich sechzehen unterschiedliche Arten / welche ordentlich also zuerkennen / daß sie
I. Bestehen künnen in zweysilbigen Verse / also daß jeder Vers / oder jede Zeile / nur durch eine Reimmaas vollendet wird / die Reimung aber ist allezeit Fallend / und heissen derowegen diese Reime.
Zweysilbig-Langkurtze.
als:
– ∪
Singet
Springet /
Lebet
Strebet etc.
[101] NB. Anmerckung.
Diese Zweysilbige Reimart wird schwerlich allein ein völliges Gedicht geben können / dieweil es nicht leichtfallen möchte / einen rechten vollen Sinn und Meinung zierlich dadurch und also kurtz auszudeuten: Wird derowegen diese art vielmehr zur Zwischensetzung gebrauchet / das ist / daß sie unter andere Reime in ein Reimgedicht gesetzet / dennoch aber darin für eine völlige Zeile und Landkurtzes Verslein gehalten werde. als im folgenden
Weihnacht-Liede.
Auff die Melodey / Wie schön leuchtet der Morgenstern / Darin in jedem Reimschlusse die Siebende und achte Reimzeilzweysilbig-Langkurtz seyn.
1.
O Fürstenkind auß David-Stamm'
O meiner Seelen Breutigam /
Mein Trost / mein Heil / mein Leben /
Wie sol ich ewig dancken dir
Daß du ins Elend kömst zu mir?
Was sol ich dir dan geben?
Es geht
Und steht
Ausser Leiden
Nur in Freuden
Was man siehet
Weil der Friedens Fürst einziehet.
[102]
2.
Ich selbsten bin der Freuden voll
Ich weiß nicht / was ich schencken sol /
Dem außerwehlten Kinde?
Ach! Hertzens-Kind nim immer hin /
Nim hin mein Hertze / Muht und Sinn /
Und mich mit Lieb' entzünde.
Schleuß dich
In mich
In mein Hertze
Das ich schertze
Ja dich küsse /
Dich auch ewig lieben müsse.
3.
Bleib / höchster Schatz / O mein Sapphier /
O mein Orion bleib bey mir /
Du Hoffnung der Verzagten;
Du Himmelstau befeuchte mich
Du schönstes Manna zeige dich
Den Armen und Verzagten.
Laß nicht
Dein Licht
Hier auff Erden
Dunckel werden
Laß den deinen
Hie dein Wort noch ferner scheinen.
H. Cæsius.
II. Bestehen die Langkurtzen in Dreysilbigen Versen / also das jedes Verslein / oder jede Zeile durch eine Reimmaas abgemessen wird / aber noch eine Silb komt hinzu / und[103] behelt die Hinterstelle: Und solche Silbe muß sich reimen / weil der Reim alhie muß allezeit Steigend seyn. Es heissen diese Reime
Dreysilbig-Langkurtze.
– ∪ –
als:
Alles ist
Trug und List /
In der Welt
Da nur Gelt
Eitelkeit /
Haß und Neid /
Da regiert
Und stoltziert
Jederman /
So nur kan
Haben macht: etc.*
NB. Anmerckung.
Diese Dreysilbige Reimart kan zuweilen allein ein völliges Gedicht machen / wie auß dem hergesetzten zusehen / oder kan zur zwischensetzung und Vermengung mit anderen angewandt werden / woselbst sie denn auch eine volle Zeil einnehmen / und ein Verslein vollenden muß als im folgenden Trogaischen Liede / woselbst allemahl die eine Reimung durch die Dreysilbig-Langkurtze Zeile gemachet wird.
[104]
1.
Menschen Freundschafft / Menschen lieben
Wil ich nicht
Sich in solchem Lieben üben
Stets anficht.
2.
Gunst verschwindet / Menschen sterben /
Liebe fleucht /
Freundschafft haben kan nicht erben /
Welt die treugt.
3.
Himmel lieben / Gott gefallen /
Engelehr
Dieser Freundschaft nur für allen
Ich begehr.
4.
Sich von Menschen Gunst entfernen
Ist die Kunst /
So entweichen / kan man lernen
Gottes Gunst.
5.
Freunde suchen auff der Erden
Ist nur Spott:
Suche recht bekant zu werden
Nur bey Gott*
Im folgenden / dessen anfang auß dem XCV. Gesprächspiele Herrn Harsdörffers anhero gesetzt / ist diese Dreysilbig-Langkurtze art noch etwas anders gesetzt / als.
[105]
Lob des Sommers.
1.
Wann der Schwangren Erden Zier
Bricht herfür
Und bringet an des Tages Liecht
Was der Baur jhr hat vertraut
Und erbaut
Daß uns in der Stat gebricht. etc.
III. Bestehen die Langkurtzen in Viersilbigen Versen / also das zwo Langkurtze Reimmaassen jedes Verslein abmessen / das ist jedes Verslein hat zwey Glieder oder vier Silben / die Reimung ist aber allezeit Fallend und heissen diese Reime:
Viersilbig-Langkurtze.
– ∪ – ∪
Als:
Liebe Jugend
Solst die Tugend
Stets hoch ehren:
Sie ist mechtig /
Sie ist prächtig /
Sie kan mehren
Alles gute /
Das Gemühte[106]
Gantz vergötten:
Sie kan geben
Sie kan heben
Sie kan retten.*
NB. Anmerckung:
Diese Viersilbige Reimart / kan gleichfals entweder allein zu einem völligem Gedichte wol gebrauchet /oder auch zur Zwischensetzung unterweilen angewant werden. als
In folgender Ode /
Woselbst andere und Sechste Zeil
Viersilbig Langkurtz seyn.
1.
Weißheit sage wo du bist / wo dein reicher Quell auffsteiget
Und sich zeiget
Träncke mich mit deiner Fluht /
Höchstes Guth
Laß mich deinen Most durchsüssen /
Und geniessen
Deinen Zuckersüssen Wein etc.
H. Cæsius.
Viersilbig-Langkurtz /
1.
Liebet Friede / legt zun seiten
Haß und Streiten /[107]
Als den Brunquell aller Pein.
Werdet nicht hierinnen müde /
Weil zum Friede
Wir von Gott beruffen seyn.
2.
Friede wünscht er allerwegen
Für den Segen;
Friede / den das höchste Guth
CHristus als er ist gestorben
Hat erworben
Durch sein Leyden / Todt und Blut.
3.
Friede leßt dich deinen Bissen
Recht geniessen /
Wie dein Hertze selbst begehrt.
Darüm soltu Frieden suchen
Krieg verfluchen /
Krieg verzehret / Friede nehrt
Herr Tscherning.
IV. Bestehen die Langkurtzen in fůnffsilbigen Versen / also daß jeder Vers oder Reimzeile zwo Reimmaassen / das ist zwey Glieder / samt noch einer Silben in sich hat / diese überbleibende fůnfte Silbe muß sich allezeit reimen / und ist die Reimung Steigend. Es heissen aber diese Reime
[108]
FünfSilbig-Langkurtze.
– ∪ – ∪ –
als:
Numehr ist die ziet
Voller Eitelkeit
Voller Angst und Noht:
Unrecht und Gewalt
Haben auffenthalt /
Tugend die ist todt / etc.*
Item:
Einer richtet recht /
Herren und den Knecht /
Einer höret zu
Stets was ich und du.
Fassen in den Sinn;
Ende samt beginn
Ist jhm all bekant /
GOtt ist er genant.*
NB. Anmerckung.
Diese Fůnfsilbige Reimart kan gleichfals entweder ein völliges Geticht wol und allein machen / oder auch kan sie zur zwischensetzung gebrauchet werden als:
Im folgenden / so der anfang ist des 81 Ps. Opitii /ist die 1 / 3 / 4 / 5 / Zeile Fünffsilbig Langkurtz:
1.
Lobet jederman
Gott der groß von Stercke:
Singt wer singen kan /[109]
Jauchtzet Jacob Gott /
Der ein Schutz in Noht /
Rühmet seine Wercke. etc.
Im folgenden / so der anfang ist des 99. Ps. des Opitii / seynd die 1 / 2 / 3 / 4 / 5 / und 6. Zeile Fünffsilbig / die beyden folgenden Verse aber allezeit Sechsilbig-Langkurtz. als:
Gott der herschet wol
Als dem König soll /
Drum erhebet gar
Aller Leute Schaar:
Auff den Cherubin
Breitet er sich hin /
Daß das Volck der Erden
Gantz bewegt muß werden / etc.
Im folgenden ist die 2. und 4. Zeil Fůnffsilbig-Langkurtz / als:
Laßt sich freuen
Beydes Land und Meer /
rühmt den Lewen
Der von Juda her
Hell und Tod geschlossen. etc.
Herr Tscherning.
V. Bestehen die Langkurtzen oder Trogaischen Versen in Sechssilbigen Versen; also daß jeder Vers oder Reimzeile drey Glieder / oder drey Reimmaassen in sich[110] helt / die Reimung aber im letzten dritten Gliede ist allezeit Fallend: Und heissen diese Reime
Sechssilbig-Langkurtze
– ∪ – ∪ – ∪
als:
Hoffen und viel harren
Machet lauter Narren;
Wan man Hoffnung streuet
Auff das so gereuet /
Auff das so wir wollen /
Aber doch nicht sollen.*
Item:
Gottes Willen kennen /
Gottes-Kind mich nennen /
Hiernach wil ich streben /
Weil ich werde leben:
Ander' Eitelkeiten
Werfen von den Seiten /
Wil gehn Himmel dringen /
Ey es sol gelingen!
NB. Anmerckung.
Diese Sechssilbig-Langkurtze Art / kan gar wol entweder allein ein Reimgedichte vollenden / oder aber auch zu zwischensetzung mit angewant werden /als:[111]
Im folgenden so auß dem 33. Ps. des Opitii ist genommen / ist 5 / 6 / 8. und 9. Zeile Sechssilbig-Langkurtz / als:
1.
Das Leben wird durch Gott entsetzet
Daß wir nicht kommen in den Tod:
Wir werden lebendig ergetzet
Von jhm in schwerer Hungersnoth.
Unsre Seel und Sinnen
Stelten jhr Beginnen
Und jhr Thun GOtt ein:
Er wil bey uns schweben /
Er ist unsrem Leben
Schutz und Schild allein. etc.
Im folgenden ist die 1 / 2 / 4 und 5. Zeil Sechssilbig Langkurtz / als:
Sein wir zuverdencken
Wan wir uns nicht krencken?
Bringt dan Kummer etwas ein?
Nein / die Zeit verrauchet /
Wer sie jung nicht Brauchet
Wird die Schuld jhm selber seyn.
Herr Tscherning.
VI. Bestehen die Langkurtzen oder Trogaischen in Sieben Silbigen Versen / also daß jeder Vers oder jede Reimzeile drey Glieder oder Reimmaassen in sich helt / aber eine Silbe zuletzt als die Siebende ůberbleibe / welche sich auch allezeit muß reimen /[112] und muß die Reimung Steigend seyn. Und heissen diese Reime /
SiebenSilbig-Langkurtze
– ∪ – ∪ – ∪ –
als
Lauter Sünd und Eitelkeit
Wachsen jtzund mit der zeit
Wurtzelfest und unvermerckt /
Als mit Tugend sich besterckt:
Tugend wird ein blosser Schein /
Dero Thun heist böse seyn.*
VII. Bestehen die Langkurtzen oder Trogaischen in Achtsilbigen Versen / also daß jeder Vers oder jede Reimzeile vier Glieder oder vier Reimmassen in sich helt / und sich damit endiget: Die Reimung aber ist hierin allezeit fallend. Und heissen diese Reime
AchtSilbig-Langkurtze.
– ∪ – ∪ – ∪ – ∪
Höchster Gott ins Himmels Throne
Meiner gnädig doch verschone!
Richte meine Sündenzeiten
Nur nach den Barmhertzigkeiten /
Ach mein Gott doch nicht abwende /
Nicht entzeuch die Gnadenhände /
Leib vnd Seel verschmacht mir Armen
Ohn des Herren stets-erbarmen:[113]
Gott! mich leit auff rechter Strassen
Gott! wolst nimmer mich verlassen.*
NB. Anmerckung. II.
Es künnen aber diese Achtsilbig-Langkurtze auch also wol und mit einer sonderlichen neuen Art geordnet und gemachet werden daß alsbald nach dem ersten Gliede der Abschnitt (nemlich auff der dritten Silbe) sich finde / und hergegen nach dem dritten Gliede annoch eine Silbe (nemlich die achte und letzte) ůberig uñ allein bleibe / welche sich dan allezeit reimen muß / die Reimung auch muß Steigend werden. als
– ∪ – | – ∪ – ∪ –
Schmeicheley | ist der Falschheit Tück /
Treues Herr | hasset Schmeichel-stück.
Item:
Ach mein Gott | gib du mir daß ich
Wer ich sey | recht erkenne mich.
VIII. Bestehen die Langkurtzen oder Trogaischen in Neunsilbigen Versen / also daß jeder Vers oder jede Reimzeile vier Glieder oder Reimmaassen in sich helt / zu hinten aber noch eine / als die Neunde Silb an sich nimt / welche Silbe sich muß allezeit reimen /und ist die Reimung Steigend: Und heissen diese Reime
[114]
Neunsilbig-Langkurtze.
– ∪ – ∪ – ∪ – ∪ –
als:
Alles was die Eitelkeit erwirbt /
Wie die Blum' und Rosenblat verdirbt.*
Item:
Lieber Mensche habe doch gedult
Was wir leiden / leiden wir auß schuld.*
Folgendes ist Herrn Buchneri / darin die beyden letzten Zeilen Neunsilbig-Langkurtz seyn.
Wann wir nun gescharret in die Erden /
Ohne Geist zu leichtem Staube werden /
Was hilfft aller pracht und grosser schein /
Wird es nicht ein Schatte worden seyn / etc.
NB. Anmerckung.
Es kůnnen auch diese Neunsilbig-Langkurtze gar wol und schiklich auff eine neue Art also gemacht und geordnet werden / daß die letzte oder Neundte Silbe zum Abschnitte gebrauchet / und an stat der dritten Silbe / alsbald nach dem ersten Gliede gesetzet werde: Die Reimung aber bleibet alsdenn Fallend. als:
– ∪ – | – ∪ – ∪ – ∪
Tugend ist | die stets wil lieben
Tugend ist | drin ich mich wil üben.*
[115]
Item:
Lieber Mensch | hie in diesem Leben
Soltu nur | nach dem Himmel streben.
IX. Bestehen die Langkurtzen oder Trogaischen in Zehnsilbigen Versen / also daß jeder Vers oder jede Reimzeile entweder ohne abschnitt / sich in einer feinen Folge habe fůnff Glieder oder Reimmaassen / und sich also mit dem letzten Gliede die Reimung Fallend ende / und heissen diese Reime
Zehnsilbig-Langkurtze ohne Abschnitt.
als:
– ∪ – ∪ – ∪ – ∪ – ∪
Nun O Herre wollest endlich kommen
Dieser Pein uns lassen seyn entnommen.*
Im folgenden sind allemahl in jedem Reimschlusse die beyden ersten Verse zehnsilbig-Langkurtz ohn Abschnitt / die beyden Letzten aber Neunsilbig-Langkurtz ohn abschnitt / ist auß dem Cæsio genommen.
als:
Nahe dich du güldnes Licht der Freuden /
Wiltu denn so bald von mir abscheiden?
Und mich lassen ohne Sonn und Licht
Weil die trauren-volle Nacht anbricht.
Siehe wie so schön die Sternen lachen /
Und du wilt dich schon von hinnen machẽ?
Schöne / du mein Früh- und Abendstern
Nahe dich und bleib nicht so fern.
[116]
Wenn gleich alle Sterne' am Himmel schienen /
Könten sie mir dennoch wenig dienen /
Du alleine bist mein bestes Licht /
Bey dem keine Sonne mir gebricht.
Oder aber es werden diese Zehnsilbig-Langkurtze mit dem Abschnitte also geordnet / daß derselbe sich nach dem anderen Gliede an stat der fůnften Silbe finden lasse: Und die ůbrige Silbe sich zu hinten / an stat der zehnden anhengen / und sich allezeit Steigend reimen můsse: Diese Reime heissen
Zehnsilbig-Langkurtze mit dem Abschnitte.
als.
– ∪ – ∪ – | – ∪ – ∪ –
Nun O Herre komm | laß ein ende seyn
Schauest du denn nicht | wie uns trückt die Pein?
Wie der grimme Krieg | jmmer mehr beschwert
Und uns numehr hat | Marck und Bein verzehrt.*
Item:
1.
Weil die Nacht vorbey / und ich nun gesund
Wieder auß der Ruh' auffgestanden hin
Such' ich recht hervor meines Hertzens grund /
Fewre bey mir auf Hertze / Muht und Sinn:
[117]
2.
Alles nur darüm / daß ich jnniglich
Nur dich / meinen Gott / preise / rühm' und danck
Aldieweil du ja so gar gnädiglich
Wol bewahret hast mich mein lebenlang. etc.*
X. Bestehen die Langkurtzen oder Trogaischen in Eilffsilbigen Versen / also daß jeder Vers oder Reimzeile in sich habe fůnf Glieder oder Reimmaassen /doch daß nach dem anderen Gliede der Abschnitt sich allemahl finde: Die Reimung aber ist allezeit Fallend /und heissen diese Reime:
Eilffsilbig-Langkurtze.
als:
– ∪ – ∪ – | – ∪ – ∪ – ∪
Weil der böse Krieg | Teutschland überzogen
Drüm ist alles Recht | lengst hinauß geflogen.*
Im folgenden sind allemahl die ersten beyden Zeilen Eilffsilbig-Langkurtz / als:
1.
1. Nun mein liebster Gott / Gott von ewigkeiten /
Eh die Welt gegründt / eh noch Stund' und Zeiten
Hastu schon zuvor gesehn
Wie es mit mir würde gehn.
[118]
2. Hast in Mutterleib mich so lang versencket.
Wunderbarlich mich speiset und getrencket /
Bis mir Adren / Fleisch / Gebein /
Recht durch dich formiret seyn.
3. Mich gebracht ans Licht / gnädig mir gegeben /
Sinn / Verstand / und Hertz / Augen / Ohren / Leben /
Mich bewahrt von jugend her
In gefahr und in Beschwer.
4. Noht und Ungelůck oft mich angesprenget /
Teuffel / Fleisch und Blut oft mich angestrenget /
Dennoch hastu zugewant /
Gott / mir deine Helfers Hand.
5. Ey was wil ich dan mich noch lange quelen /
Gott / der gnädig gibt hůlfe meiner Seelen /
Wird mir geben wie ich wol
Diesen Leib versorgen soll.*
XI. Bestehen die Langkurtzen oder Trogaischen in Zwölfsilbigen Versen / also daß jeder Vers oder jede Reimzeile in sich habe fůnf Glieder / aber nach dem driten Gliede muß der Abschnit folgen / und die ůbrige Silbe sich zu hinten / an stat der zwölfften anhengen /[119] und sich allezeit Steigend reimen. Und heissen diese Reime:
Zwölfsilbig-Langkurtze.
als:
– ∪ – ∪ – ∪ – | – ∪ – ∪ –
Meine Sůnden grosse Last | drückt und reuet mich /
Drüm mein lieber frommer Gott | hilff mir gnädiglich;
Laß nur auß Barmhertzigkeit | deine Helfers-Hand
Wan Anfechtung mich ümringt mir sein zugewant.
Im folgenden ist die andere und dritte Reimzeile Zwölfsilbig-Langkurtz / als:
Alles sey dir Gott allein /
Alles was du jmmer thust sey auff Gott gericht /
Bistu erst von Gott' entfernt / alles dir gebricht /
Ohne Gott sol nichts seyn / etc.*
Im folgenden ist die erste und dritte Reimzeile Zwölffsilbig-Langkurtz / als:
Es komt durch Erfahrenheit / und ist grosse Kunst /
Sich in allen recht besinnens
Es ist auch ein Tugendstůck' und ein Himmelsgunst /
Stets sich wol vergnügen können. etc*
XII. Bestehen die Langkurtzen oder Trogaischen in Dreyzehnsilbigen Versen / also[120] daß jeder Vers oder jede Reimzeile in sich habe sechs Glieder oder Reimmaassen; aber nach dem dritten Gliede muß der Abschnitt sich finden: Die Reimung ist allezeit Fallend /und heissen diese Reime.
Dreyzehnsilbig-Langkurtze.
als:
– ∪ – ∪ – ∪ – | – ∪ – ∪ – ∪
Diese lose böse Welt | GOtt und Recht nicht achtet
Nur nach eiteler Gierde Lust | so verzweiffelt trachtet*
Im folgenden seynd allemahl in jedem Reim Schlusse die ersten beyden Zeilen Dreyzehnsilbig-Langkurtz als:
Sol ich Armer schweigen nun / oder soll ichs sagen /
Ach mein Seufftzen-volles Hertz zwinget mich zu klagen /
Ach wo ist mein Seelen-artz / ach wo ist er hin /
Sein Verzug alleine mir raubet Muht und Sinn.
Meine Zunge todtenblaß kaum sich (mehr erreget /
Ja der gantz geschwächte Puls nährlich nährlich schleget /
Meinem Hertzen ist sein Hertz fast benommen gar.
Alle Kraft ist auch hinweg / ich bin in gefahr:
Marck und Bein ist sterbekranck / weil ich gantz verblasset
Schwach und Lagerhaftig bin / und der Welt verhasset.[121]
Weil kein Aug' in meinem Aug' und kein Hertze mehr
Selbst in meinem Hertzen ist / das mich krencket sehr.
Eile / weile nicht mein Heil / kom mich zu verbinden /
Und gedencke nicht der Schuld / laß mich Gnade finden /
Laß mich sein dein liebes Kind / hilff mir auß der Noht /
Ich verbleibe dir getreu / Gott / biß in den Tod.
Herr Cæsius.
XIII. Bestehen auch die Langkurtzen oder Trogaischen in Funfzehn- und Vierzehnsilbigen Versen /also erstlich / daß beydes der Steigende und Fallende Vers in sich funfzehn Silben habe: alsdenn ist der Abschnitt nach dem dritten Gliede / oder auff der siebenden Silbe / nemlich in den Fallenden: die Steigenden aber haben keinen Abschnitt / sonderen an dessen stat ein gantzes Glied oder Langkurtze Reimmaas / daß dieselben also unanstössig und eilig dahin lauffen und davõ eilen. Und nennet man diese Reime
Funfzehnsilbig-Langkurtze ohn Abschnitt /
in den Steigenden / als:
– ∪ – ∪ – ∪ – ∪ – ∪ – ∪ – ∪
[122]
Wer der Tugend sich ergiebet und auf Gottes Hülfe traut /
Hat auf Diamanten Gründen und auff Felsen fest gebaut.*
Wie auch folgende aus Herrn Clajo genommen:
Als der rechten Sonnenwagen durchgebrochen durch die Nacht /
Und der grosse Tag der Pfingsten war der lieben Schaar gebracht /
Lesset sich mit sausen hören eines grossen Sturmes Braus /
Salem zittert / es erschuttert üm und an der Jünger Haus /
Das bekante Zimmer glentzet / Flammen blitzen / Fewer hitzt /
Feuer wärmet jhre Hertzen / Feuer auf der Zungen sitzt etc.
Funfzehnsilbig-Langkurtze mit dem Abschnitte
ist den Fallenden / als
– ∪ – ∪ – ∪ – | – ∪ – ∪ – ∪ – ∪
Und hergegen wer sich nur | wil auff Eitelkeiten gründen /
Dessen Hofnung muß dahin | wie ein Dampf und Rauch verschwinden.*
Item
Das geschlange Teufelsheer stürtzt sich in die Schwefelflüsse /
Lecket den vergiften Schwantz / beist die bockgefüsten Füße.[123]
Weil die Teuffel nun erlegt in das schwartze Gras gebissen /
Wird der Abzug außgeblasen / Michael leßt Salven schiessen / etc.
H. Clajus
Es ist aber hie zu mercken / daß auch die Steigenden können den Abschnitt nach dem dritten Gliede /oder auf derselben Silben haben / und alsdan seynd sie von vierzehn Silben / und haben eine Silb geringer / heißen
Vierzehnsilbig-Langkurtz /
– ∪ – ∪ – ∪ – | – ∪ – ∪ – ∪ –
GOtt ist unsres Lebens Heil | unsre feste Zuversicht
Unser Trost und unser Schutz | unser Stern und unser Liecht.*
XIV. Bestehen endlich die Langkurtzen oder Trogaischen in Sechs- und Siebenzehn-Silbigen Versen /also daß jeder Vers oder jede Reimzeile můsse in sich halten achte Gliede oder Reimmaaßen / welche ohne Abschnitt auff einander daher folgen / und heißen die Reime
Sechzehnsilbig-Langkurtze / als:
– ∪ – ∪ – ∪ –∪ – ∪ – ∪ – ∪ – ∪
Wenn die jungen Leute wüsten / Alte bey den Kräfften blieben /[124]
Bitter' Armuht und der Mangel bliebe von uns abgetrieben.*
Wann aber ůber solche achte Glieder oder Reimmaaßen annoch eine Silb zuhinten ůber bleibet / alsdan heißen solche Reime
SiebenzehnSilbig-Langkurtze / als:
– ∪ – ∪ – ∪ – ∪ – ∪ – ∪ – ∪ – ∪ –
Tugend / Fried / Gerechtigkeit die werden entlich wieder kommen doch /
Wol erquicken fromme Leute / gantz zerbrechen Kriegs- und Unrechts Joch.*
Diese Sechs- und Siebenzehn Silbige Langkurtze / wie auch die Sechs- und Siebenzehnsilbigen Kurtzlange im folgenden Capittel / haben wegen jhrer gar zu weitlauffenden gedehnten auslänge / und wegen gar zu weiter Zurückweichung des Reimes / nicht eine gleiche Lieblichkeit und Wollaut mit den anderen vorgehenden etwas kürtzeren Trogaischen und Jambischen Reimarten: Wie sie denn auch der ungebundenen Rede fast ähnlich scheinen Wiewol sie doch nach Gelegenheit der Materi nicht unfüglich möchten etwa zugebrauchen seyn. Herr Büchner redet auch mit mehren alhie von und sagt unter anderen / daß gleich wie die Schönheit des Menschen zuforderst eine rechtmessige Länge und grösse erfodert / also wil selbige gleicher massen auch ein Vers haben; und wie wir die jenigen / so gar ungeheurer länge seyn / mehr mit Verwunderung / als lust anschauen / und sie fast für eine Ebentheuer und Mißgeburt halten / also haben auch derogleichen beschaffene gar zu lange Verse wenig anmuhts.[125]
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