2.

[232] Ein Vorn Reim ist / wan der Reim seine natürliche Hinterstelle verlesset / und sich allein zuvorn des Verses in jedem ersten Worte findet: Möchte aber keine sönderliche Lieblichkeit haben / weil der sonst unverenderliche natürliche Reimstand verlassen wird. Folget zur anzeige.


Vorn Reime


Glůk sich wandelt tausendmahl /

Tůck uns ofters heimlich sticht;

Noht besucht uns gar zu viel /

Tod schleicht auf dem Füssen nach /

Leben zeigt uns / daß wir stets

Schweben nur in steter Angst.*


Vorn Reime


Woselbst der Reim Langgekurtz wird:

Nimmermehr lesset mein Flehen ja nach /

Immermehr bleibestu zornig mein Schatz:

Nährerinn meiner Beliebnuß und Gier /

Wehrerinn meiner Gentessung und Lust /

Neige doch deine stoltz-starrende Sinne

Zeige doch endliches freundliches Hertze. etc.

Quelle:
Justus Georg Schottel: Teutsche Vers- oder Reimkunst. Lüneburg 1656, S. 232.
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