Erinnerung.

[1] Teutschliebender Leser / die Wortschreibung / oder ortographia ist in diesem Büchlein / nach anweisung der unfehlbaren Einsilbigen Gründen unserer Muttersprache / beobachtet worden. Es ist sonsten mehr als bekant / daß man in Wortschreibung Teutscher Sprache / nicht allerdings einig / noch zur zeit / ist: Etzliche belieben den beliebten / Gesetzlosen / und nach eines jeden Einfällen geordneten Gebrauch; andere halten die aussprechliche Zusammensetzung der Silben für einen Grund / wornach die Schreibung / oder Beysammenfügung der Buchstaben zuordnen; Hinwieder andere / so wol auf die gantz-ungemeine Eigenschaft der Teutschen Sprache / als auf hochverstendige Achthabung der alten Griechen und Römer jhr absehen nehmend / halten fůr eine untriegliche Anleitung und Richtschnur / die grundfeste / richtige /durchgehende / Einsilbige Theilung aller Teutschen Wörter und Silben; Weil das gantze Kunstgeben der Teutschen Sprache auff Einsilbigen Stammen / Seulen und Stutzen beruhet. Dan alle Stammwörter sind Einsilbig / alle Haubtendungen der abgeleiteten sind Einsilbig / alle andere Endungen / was der Sprache nur jrgends zu- oder abgehen mag; sind Einsilbig; daß also eine wundersame Einsilbigkeit die gantze Sprache gründet / stammet / ordnet / pflantzet leitet / lehret und bereichet. Solche Einsilbige Wörter nun / und grundmessige ein silbige theilung derselben / müssen ja billich nicht zertheilet / verworren / verstümmelt /und unter sich zerstammet und zergliedert werden; Den eben aus dieser Unachtsamkeit enstehet die ungewisse / so mannigfaltige schreibung und theilung der Teutschen Wörter. Weil dan viel hochgelahrte / die numehr dem Vermögen und Gründen Teutscher Sprache / klüglich nachsinnen / diesen letzteren Schluß für richtig halten / als dem endlich die durchgehende Kraft und algemeine Beliebung verbleiben möchte /ist auch davon alhie nicht abgeschritten worden

Es wird gebeten / mit widrigem Urtheile / uns hierin zu frühezeitig nicht zu übereilen / sonderen vielmehr erst zuvernehmen / was vor grundmeßiger behaubtung dieser Richtigkeit / (welche durchgehend /lieblich / und eine Uhrsache sein kan / alle dem zweifelhaften Wesen und ungewisser Deuteley abzuhelfen) gelahrte Teutschliebende Männer in kurtzen öffentlich hervor geben und beweisen werden.

Quelle:
Justus Georg Schottel: Teutsche Vers- oder Reimkunst. Lüneburg 1656, S. 1.
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