Der Erste Lehrsatz.

[10] Alle zufälige Letteren in Teutscher Sprache seynd kurtz / Oder: alle zufällige Endungen der Teutschen Wörtter seyn kurtz / Das ist: erforderen einen kurtzen Laut im außreden.

[10] Omnes terminationes casuum, generum, temrum, modorum, etc. in lingua Germanica corripiuntur.

Was aber zufällige Letteren seyn / davon ist in der Sprach Kunst pag. 203. etwas vermeldet; Nemlich /welche in den Zahlendungen (casibus obliquis) abwandelungen (declinationibus) ånderungen (motionibus) Ergrösserungen (comparationibus) und Zeitwandelungen (conjunctionibus) gebrauchet werden /und dadurch man dieselbe alle unterscheiden kan /und sind folgende; e / er / es / em / en / et / est / ester /ete / etet / ere / erer / eren / este / estes / end / ende /ender / endes. So offt nun ein Teutsches Wort auff diese Endungs-Letteren außgehet / wie deren dann fast unzehlig viel Tausend seyn werden / als denn ist allezeit unfehlbarlich solche Endung kurtz / welches durchgehend algemein und wol zu märcken ist. Als:

∪ ∪ ∪ ∪

Groß / gröste / grosser / grosses / grossem /

∪ ∪∪ ∪∪ ∪∪

grossen / grosserer / grösseres / grössester /

∪ ∪ ∪ ∪ ∪

Lieb / lieber / liebe / lieben / liebest / liebet /

∪∪ ∪ ∪ ∪∪ ∪∪ ∪

liebete / liebetest / liebetet / liebeten / geliebet etc.


Und also in allen unzahlbahr anderen.

∪ ∪ ∪

Die welche reines Hertzens sind

∪ ∪ ∪

Sich Gottes reichen Hülff' und Gaben

zu rühmen. Opitz. Ps. 64.


I.


Was wil man doch mit Worten

∪ ∪

Die Munder zehlen viel /

∪ ∪

Die Gott an allen Orten

Verrichtet sonder ziel;

∪ ∪

Kompt lasset uns ihn preisen

Lob Ehr und Danck erweisen /

[11]

Denn seine Güt' und Treu

Ist alle Morgen neu. Rist. 5. 7.


NB. Anmärckung.


Die zufälligen endungen in Teutscher Sprache můssen sich allezeit / wie bekand / von einem e anheben. Nun aber geschiehet es offt / auch ohn abbruch des wollautes / daß gedachtes e / im falle es in seiner endungsform noch einen oder mehr Buchstaben bey sich hat / außgelassen / vnd also zwo Silben in eine gezogen werden / als: Liebst / fůr: liebest: Schöns /fůr: schönes: Häusren fůr Häuseren / seligs / fůr: Seliges / etc. Dabey denn zumärcken / daß alsdenn solche gebrochne endung jhre kurtze Wortzeit verliere / und sich nach dem Laute der Silben / an die es gegeworffen / zu richten habe. als:


So wündsch' ich mir zu guter letzt

∪ –

Ein seeligs Stůndlein wol zu sterben:

Daß mich für alles Creutz ergetzt

Und krönet mich zum Himmels Erben. etc.

– ∪ – ∪

O lieblichs / seeligs Stündelein /

Wie trag ich doch so groß Verlangen

Nach dir allein / bey Gott zu seyn. etc.


Rist. 5. 10.


Gottes Wort bleibt ewig stehn

Wenn auch alles wird vergehn.

für: bleibet / stehen / gehen.


Also setzet man: Schöns / hört / liebt / strebt /[12] gibst / nihmst / etc. für: Schönes / höret / liebet / strebet /giebest / nihmest / etc.

Quelle:
Justus Georg Schottel: Teutsche Vers- oder Reimkunst. Lüneburg 1656, S. 10-13.
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