Achter Auftritt.

[67] Vorige, Sivers.


SIVERS. Guten Morgen!

WAGNER steht auf und gibt ihm die Hand.

MAD. WAGNER für sich. Ist der dummdreiste Kerl doch wieder da! sie wendet ihm nebst den Kindern den Rücken zu.

WAGNER. Willkommen, lieber Herr Sivers! Acht Tage hab' ich Sie nicht gesehn.

SIVERS. Ich war wieder auf Wanderung, und habe Menschen gesucht –

MAD. WAGNER. Und Bären gefunden.

CHARLOTTE. Ha, ha, ha!

WILHELM. In jedem Hause gibt's Spiegel.

SIVERS. Wie beliebt! – Ja, Madam! auch Bären hab' ich gefunden; aber weit mehr Pfauen, Katzen, Füchse, Krokodille, Kamäleons – Gänse –

MAD. WAGNER. Eine feine Gesellschaft! – Sie haben sich doch ohne Zweifel wohl unterhalten?

SIVERS. Wie sich ein Mensch unterhalten kann, der Mitleid mit den Thoren, und Haß gegen den Boshaften hat.

WAGNER. Und Sie waren so unglücklich, nur Gegenstände des Mitleids und des Hasses zu treffen?

SIVERS. Beinahe? Aber, wie die Mode die Kleider ändert, so ändert sie auch die Namen der Tugenden und Laster. Bald werden wir gar keine Laster haben. Verschwendung heißt nun Freigebigkeit; Eigensinn, Standhaftigkeit; Geiz, Mäßigkeit; Verläumdung, Offenherzigkeit; Betrug, Geschicklichkeit; Plauderei, Gesprächigkeit! Wollust, Zärtlichkeit; Heuchelei, Frömmigkeit; Prahlerei, Tapferkeit – Kurz, ich habe fast lauter Menschen gefunden, die grade das Gegentheil von dem sind, was sie scheinen wollen.

WAGNER. Es gibt noch gute Menschen –

SIVERS. Schwache Menschen. – Und wirklich ist dies noch[67] die beste Gattung, die ich kenne. Menschen, die aus Schwachheit ihren Mitgeschöpfen nicht schaden.

MAD. WAGNER. Zu welcher Gattung gehören Sie, Herr Sivers?

WILHELM halb für sich. Das möcht' ich auch wissen.

CHARLOTTE. Ha, ha, ha!

SIVERS der nicht darauf zu hören scheint. Einen einzigen Handwerksmann traf ich, der meines Mitleids werth schien – schien – ob er's ist, das weiß der, der jede Falte des menschlichen Herzens kennt.

MAD. WAGNER. Ich bin sehr begierig, auf welche Art Sie Ihr Mitleid äußerten! – Es bestand doch wohl in Worten?

SIVERS. In Worten, und grade so viel Unterstützung, als ich entbehren konnte, und ihm nothwendig war.


Charlotte und Wilhelm spotten pantomimisch über Sivers.


WAGNER. Lassen Sie hören, guter Sivers!

SIVERS. Vor einer elenden Wohnung, in einem abgelegnen Gäßchen, hörte ich heftigen Wortwechsel; ich horte ein Weib mit zwei erwachsenen Kindern, den Mann, den Vater auf's grausamste behandeln; hörte von den Nachbarn, daß dieser Tischler ein ehrlicher, aber äußerst schwacher Mann sei, daß die Faulheit, Nachläßigkeit und Verschwendung seiner Familie ihn zum Bettler gemacht; daß das schändliche Weib ihm vor vier Tagen das Handwerkszeug verkauft, um mit ihren Kindern einer Hochzeit beizuwohnen.

WAGNER. Gott!

SIVERS. Und diese unnatürlichen Geschöpfe belegten den Mann mit Vorwürfen; quälten ihn um Brod, da sie ihm doch selbst die Mittel benommen, sie zu nähren.


Wagner setzt sich tiefsinnig nieder.


MAD. WAGNER für sich. Ich will sterben, wenn die ganze Geschichte nicht auf uns gemünzt ist! – Der abscheuliche Kerl!

CHARLOTTE theilnehmend. Und wie halfen Sie dem armen Manne?

SIVERS. Ich kaufte ihm Handwerkszeug, um sich zu nähren; lehrte ihn, welche Pflichten dem Hausvater obliegen; lehrte ihn, Herr seines bösen Weibes zu sein – Mad. Wagner Tabak präsentirend. Beliebt?

MAD. WAGNER. Ich danke! – Ich hab' es vermuthet, daß Ihre Wohlthat nicht mit großen Unkosten verknüpft war.

SIVERS. Ich bin nicht reich. Und wär ich es auch – nie würd' ich einem Menschen zum Müßiggange behülflich sein.


Quelle:
Friedrich Ludwig Schröder: Dramatische Werke. Berlin 1831, S. 67-68.
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