Zwölfter Auftritt.

[82] Wagner, Sophie.


WAGNER. Sophie! du liebst, wie die Sachen stehn! – du hast deine Mutter gehört.

SOPHIE. Ach!

WAGNER. Hast du Abneigung gegen den Kanzleirath?

SOPHIE. Mein Vater!

WAGNER. Das Schicksal deiner Familie ist in deinen Händen. – Du kannst uns Brod geben.

SOPHIE. O, daß Sie wahr redeten! daß ich es könnte![82]

WAGNER. Du kannst nicht? – Du willst nicht. Nimm den Mann, und uns ist geholfen.

SOPHIE. Auf wie lange?

WAGNER. Ich weiß, was du sagen willst – spar deine Vorwürfe! Freilich hat meine Weichherzigkeit uns zu Bettlern gemacht – aber ich bin gewitzigt, und will von nun an Mann und Vater sein, wenn du mein Kind, meine Tochter sein willst.

SOPHIE. Gott im Himmel!

WAGNER. Sophie! – dein Vater bittet dich um Brod.

SOPHIE. Sie zerreißen mir das Herz! – Ich kann ihn nicht heirathen.

WAGNER. Gut. Geht auf und ab – nach einer Pause. Weil er dir nicht gefällt?

SOPHIE. Was für ein verworfnes Geschöpf wär' ich, wenn das mich abhalten könnte, meinen Vater zu retten.

WAGNER erstaunt. Was könntest du sonst für Ursache haben?

SOPHIE. O, mein Vater! ich fürchte, Sie schmerzlich zu betrüben.

WAGNER. Sophie! hättest du deine Pflicht vergessen?

SOPHIE. Ach!

WAGNER. Deine Pflicht vergessen?

SOPHIE wirft sich ihm zu Füßen.

WAGNER. Steh auf – die Mutter könnte kommen.

SOPHIE. Verzeihung mein Vater!

WAGNER. Hast du deinen guten Namen der Schande Preis gegeben – so mag ich kein Brod von dir.

SOPHIE. Nein, mein Vater, nein. Nur gegen Sie hab' ich gefehlt. Ich bin nach den Gesetzen verbunden.

WAGNER. Ohne mein Wissen? – Bin ich denn ein Tyrann? – Mein Gott! wenn der gütigste Vater dies erlebt, was kann der harte, der strenge Vater erwarten? – Wie heißt dein Mann? wo ist er? wer ist er?

SOPHIE. Der französische Hauptmann, der im lezten Kriege –

WAGNER. Was? mit dem? –

SOPHIE schmerzhaft. O, Mutter! Mutter!

WAGNER. Recht so, gib der Mutter die Schuld deines Vergehens.

SOPHIE. Sie selbst nöthigte ihn in unser Haus. Sie begünstigte ihn, uns zu allen Zeiten zu sehn, um ihn mit Charlotten zu verheirathen. Er unterhielt ihren Vorsatz; stellte sich zärtlich gegen meine Schwester und liebte mich.

WAGNER. Warum blieb mir das verschwiegen?

SOPHIE. Wollte meine Mutter nicht durchaus Charlotten zuerst versorgen?

WAGNER. Gut. Aber warum hast du dich nicht mir – mir entdeckt?

SOPHIE. Weil – Gott!

WAGNER. Ich verstehe – Bitter. Weil ich unter der Ruthe stand.

SOPHIE. Wir wurden heimlich von einem Feldprediger getraut.[83] Bald hernach siegte unsre Armee, und er mußte der seinigen folgen. Ach! seit dieser Zeit hab' ich nichts von ihm gehört.

WAGNER. Wenn er noch lebt – o so beuge ihn Gott, wie mich!

SOPHIE. Barmherziger Himmel! muß auch ich Ihnen Kummer machen?

WAGNER. O! du hast mir das Herz zerrissen! – dennoch vergeh' ich dir.

SOPHIE. Gütiger Vater!

WAGNER. Schwacher Vater! – Kannst du die Gültigkeit deiner Ehe beweisen?

SOPHIE. Vollkommen. Durch des Priesters und meines Mannes Hand – durch lebende Zeugen.

WAGNER. Wer sind die?

SOPHIE. Unsre Nachbarn; der arme Weber und seine Frau.

WAGNER. Die? – Undankbares Volk! ist das der Lohn meiner Wohlthaten, daß ihr meinem Kinde zu seinem Verderben behülflich war't?

SOPHIE. Auch ihnen Vergebung, mein Vater!

WAGNER. Wie übel werd' ich von allen Seiten behandelt! – Nach einer Pause. Dein Mann muß todt sein.

SOPHIE. Gott weiß es!

WAGNER. Er ist todt. So grausam kann kein Mann ein Mädchen verlassen, das er liebte; das er nach den Gesetzen ehelichte; dem er vor Gottes Angesichte schwur, an ihm zu hangen.

SOPHIE. Ach! Bosheit ist Ihnen fremd!

WAGNER. Nein, nein, allmählig wird sie mir bekannt. Aber bis zu solchem Grade kann ich sie mir nicht denken. – Ich schreibe noch heute – dann, liebe Sophie! hindert dich ja nichts, den Kanzleirath zu heirathen, und deine Eltern vom Untergange zu retten.

SOPHIE. Soll er denn erfahren? –

WAGNER. Warum nicht? du bist Witwe! kann das seine Gesinnungen ändern?

SOPHIE. O. Sie wissen noch nicht alles –

WAGNER. Nun?

SOPHIE. Wird dieser Mann auch Vater meines Kindes sein wollen?

WAGNER heftig. Deines Kindes? – Du hast ein Kind? und auch das verschwiegst du mir? – Wie? wodurch hast du es vor dem Hunger geschützt? – Wie nährtest, wie kleidetest, wie erzogst du das Kind? – Wo ist es? ich will es sehn.

SOPHIE. Ach! wie oft wollte mein Herz von Wehmuth und Zärtlichkeit brechen, wenn es sich an Ihren Busen schmiegte – wenn Sie es an Ihr Herz drückten. – Noch heute –

WAGNER. Wie? das Bettelkind – das vermeinte Kind des Webers –

SOPHIE. Ist mein Kind; ist Ihr Blut.

WAGNER sie von sich stoßend. Fort von mir, unnatürliches, grausames Geschöpf! – Du konntest dein Kind darben, leiden sehn, ohne dich mir zu vertrauen? – Bist du Mutter? hast du mütterliches Gefühl? – Wie oft riß die unglückliche Kreatur mit Heißhunger ein Stück Brod aus meiner Hand? Wie oft beneidete es[84] den Hund um seinen Bissen! und du schwiegst? verläugnetest die Menschheit! – Das vergeb ich dir nie – nie! Fort, aus meinen Augen und meinem Herzen! du veränderst meine Natur – meine Sanftmuth in Wuth – mein Wohlwollen in Menschenhaß. – Sein Kind zu hassen!

SOPHIE. Hassen? – O, mein Vater! ich lieb' es so sehr, daß mein ewiges Wohl von seinem Leben abhängt.

WAGNER. Worte! – die That spricht gegen dich. – Muß ich dies von meinem liebsten Kinde erleben!

SOPHIE. Hören Sie mich, mein Vater! hören Sie mich! O daß meine Rechtfertigung Sie nicht noch heftiger betrüben möge!

WAGNER. Du kannst dich rechtfertigen? du?

SOPHIE. Was bin ich in diesem Hause? Ihr Kind? hab' ich je Mutter-, Bruder- und Schwesterliebe empfunden? Bin ich nicht eine Magd, der man aus Mitleid notdürftigen Unterhalt und Obdach gibt? – Was eine Magd für ihr Kind thun kann, hab' ich gethan. Ich hab' es durch meiner Hände Arbeit in schlaflosen Nächten bis jezt erhalten. Wodurch konnt' ich es anständiger versorgen? Oder sollte ich ein Geheimniß entdecken, das Sie, guter, lieber – Gott! daß ich es sagen muß! – allzuschwacher Vater! meiner Stiefmutter in demselben Augenblicke wieder vertraut und mich und mein Kind doppelt unglücklich gemacht hätten!

WAGNER außer sich. Wahr! wahr! Verflucht sei meine Schwachheit! Verflucht sei mein weibisches Herz! es hat mich und die Meinen elend gemacht.

SOPHIE. O, Verzeihung, mein Vater! für –

WAGNER. Weib! spotte nicht! – Wer bedarf Verzeihung, als ich? – Hier – hier – Er wirft sich ihr zu Füßen. Verzeih! vergib! –

SOPHIE. Fassen Sie Sich! – um Gottes willen! fassen Sie Sich!

WAGNER springt auf, geht heftig herum, die Hände ringend; dann küßt er Sophien und will fort.

SOPHIE ihn haltend. Wohin? ich lasse Sie nicht in dieser Heftigkeit –

WAGNER. Dein Kind will ich holen; will's mit meinem Blute nähren, wenn mir andre Nahrung fehlt. Er reißt sich los und geht ab.

SOPHIE ihm nachstürzend. Mein Vater! um aller Barmherzigkeit willen! –

Quelle:
Friedrich Ludwig Schröder: Dramatische Werke. Berlin 1831, S. 82-85.
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