17.

[36] Der Jüngling.


Sieh, es erscheint der Liebe Gestirn, und freundliche Weste

Wiegen mit duftigem Hauch leise das Dunkel einher.

Hörst du den Nachtigallengesang? Komm, Liebchen und schlüpfe

Leise die Stiegen herab in des Erwartenden Arm.


Das Mädchen.


Ach, wohl seh' ich der Liebe Gestirn, wohl schmieget dein Wort sich

Süß wie der Nachtigall Lied in die verlangende Brust:

Doch mich bindet des Vaters Gebot und die Sorge der Mutter

Und in Träumen allein darfst du, Geliebter mir nahn.


Der Jüngling.


Wie, du liebst und fürchtest zugleich? Du fühlest der Sehnsucht

Schmeichelnden Hauch, und doch willst du entsagen der Lust?

Lieb' ist ohne Gesetz! der irdisch geborenen Psyche

Hat nicht Amor umsonst himmlische Flügel geschenkt.


Das Mädchen.


Furcht ist Schwester der Lieb', und Entsagung würzet das Glück erst,

Heimliche Sehnsucht schweigt vor den Geboten der Scheu.

Psyche flattert empor aus der Hand des Gottes, doch schmiegt sich

Um den entfliehenden Fuß leise die Fessel der Scham.


[37] Der Jüngling.


Siehe die Gassen sind leer, und der Schlaf umstrickt die Gemächer;

Kein schlauspähender Blick lauschet den Wandelnden nach;

Sterne nur leuchten herab auf den Pfad, und die freundliche Nacht leiht

Heimlicher Liebe zum Zelt mild den umhüllenden Flor.


Das Mädchen.


Doch still wacht in dem Busen der That nieschlummernder Rächer;

Schweiget der Ruf, so schweigt nimmer das eigene Herz.

Zart ist der Sitte Gefühl, wie das leichthinwelkende Sinnkraut,

Jeglichem rauheren Hauch schließt es den züchtigen Schooß.


Der Jüngling.


Glühend blühet die Jugend empor in unendlicher Sehnsucht;

Soll kein freundlicher Thau kühlen den schmachtenden Halm?

Wurde Gefühl dem Herzen allein, daß früher es welke,

Wurde zu Kämpfen allein unserem Busen die Kraft?


Das Mädchen.


Glühn mag immer das klopfende Herz, die innere Reinheit

Kühlet wie duftiger Thau leise die flammende Brust;

Ist dir Genuß und Liebe denn Eins? Still bauet uns diese

Friedliche Hütten, doch wild schmettert sie jener dahin.


[38] Der Jüngling.


Ach, kein tobend Gelüst durchflammt hochlodernd die Brust mir;

Nur den gelindesten Druck deiner entfalteten Hand,

Nur der Umarmung leisesten Traum und des seidnen Gewandes

Wehn zu fühlen begehrt schüchtern das sehnende Herz.


Das Mädchen.


Vieles verspricht der bethörende Mund, doch Weniges hält er;

Glühender Wahnsinn tilgt rasch den erzwungenen Schwur;

Durch die Gewölke der Nacht schwingt hoch Verlangen die Fackel,

Und ein vergifteter Hauch weilet im Säuseln des Wests.


Der Jüngling.


Denkst du des Abends noch? Du wandeltest still durch die Dämmrung,

Schüchtern folgt' ich von fern deiner geheiligten Spur,

Nahete rascher mich dann, das Herz voll kühner Entschließung,

Grüßte dich freundlich, und schnell starb mir im Munde das Wort.


Das Mädchen.


Ach, wohl denk' ich daran! Zurück oft schaut' ich und pflückte,

Dein zu harren, mich selbst täuschend, mir Blumen zum Strauß,

Eilte dann schnell, wie du nahetest, fort als folgte der Tod mir,

Und doch hüpfte mein Herz, da du mich endlich erreicht.


[39] Der Jüngling.


Schüchtern bot ich den Arm dir dar, und lieblich erröthend

Reichtest du deine Hand leise dem Bittenden hin.

Zitternde Gluth durchflammte mein Herz bei der süßen Berührung,

Und kein höheres Ziel hatte mein feurigster Wunsch.


Das Mädchen.


Einsam wallten wir jetzt durch des Hains labyrinthische Dämmrung.

Wenn dein Auge mich traf, senkte das meinige sich;

Still dann lauscht' ich wieder empor, und du wandtest den Blick fort,

Jeglicher suchte das Wort, Jeglicher scheute das Wort.


Der Jüngling.


Ach, da klopfte mein Herz voll unaussprechlicher Sehnsucht,

Und ich zittert' herab, beugte die Kniee vor dir,

Und du sankst an den Busen mir hin, noch ehe mein Flehn dich

Mahnt', und ein glühender Kuß – – Holde gedenkst du daran?


Das Mädchen.


Schmeichler, zauberisch schlüpft das liebliche Gift in die Brust mir,

Und der Erinnerung Bild lockt mich mit mächtigem Reiz.

Schweig, ich komme ja schon! Seyd treu, ihr Schatten des Nachtgrauns,

Und du, raube mir nicht, was du dir selber ja raubst.

Quelle:
Ernst Schulze: Sämmtliche poetische Schriften, Band 4, Leipzig 1819–1820, S. 36-40.
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