21.

[49] Tauche hervor aus dem dichten Gewölk, bleichschimmerndes Mondlicht,

Leite des Liebenden Schritt durch die chaotische Nacht,

Und ihr Blumen der himmlischen Flur, hülfreiche Gestirne,

Sendet den traulichen Strahl auf den unendlichen Weg.

Ueber die Weiten enteilt mit geflügeltem Fuße die Hoffnung:

Aber Verlangen erneut stets den gewandelten Pfad.

Still durch's dichte Gebüsch hin dräng' ich mich, suche des Harzwalds

Oedesten Steig, und scheu beb' ich vor jeglichem West.

Lieb' ist ein Blümchen der Flur, süßduftend im heiteren Mayglanz:

Aber dem lindesten Hauch weicht es und fürchtet Verrath.

Käm' auch ein Freund entgegen mir itzt, er würde zum Feind mir;

Hebt sich die Sonne, so flieht jeglicher andere Schein.

Süß ist traulicher Freunde Gespräch und süß die Umarmung,

Aber vergütet sie mir, was mir im Zögern entfloh?

Kennt sie den Zauber der hoffenden Brust, wenn stets die Erwartung

An dem entblüheten Glück keimende Knospen noch beut?

Ruhiges Glück ist wahrlich ein Glück, doch Schmerz und Entsagung,

Hoffnung, Sehnen und Lust flechten den bunteren Kranz.

Ach, wohl harret sie meiner vielleicht; vom umdufteten Altan

Schaut sie spähend hinaus in die entfaltete Nacht;[50]

Sehnsucht ziehet den magischen Kreis um die Reizende, pfeilschnell

Flattern die Bilder herbei, welche die Zauberin ruft.

Sieh, das erzitternde Blatt und der leicht hinschlüpfende Vogel,

Was nur säuselt und rauscht bringet ihr Kunde von mir.

Jetzt im hüpfenden Strahl und im Schattengebild des Gesträuchs jetzt,

Jetzt im alternden Stamm hofft und erkennt sie mich,

Und sie enteilt mit klopfender Brust, ein lispelnder Gruß schon

Schwellt ihr die Lippe, doch rasch schwindet der eitele Traum.

Zürnend entsagt sie dem täuschenden Wahn und schwört, dem Betrug nicht

Ferner zu trauen, und doch täuscht sie der andre Moment.

Oder es wand um die Harrende wohl nach langer Erwartung

Leise der schüchterne Schlaf seinen ambrosischen Arm;

Liebend rang er mit ihr, und mit säuselnden Fittigen buhlt' er

Süß um die Wimpern, und goß lauliche Düfte herab,

Schlang um den Busen der Reizenden sich, und flüsterte zart wie

Wellengeriesel und West luftige Lieder ihr zu;

Und sie erlag, wie die Blume den Schooß in der schweigenden Nacht schließt;

In sein Feengefild führt er die liebliche Braut.

Sieh, er versammelt den gaukelnden Kreis fantastischer Träume;

Um die Gebieterin her reihen die Fröhlichen sich;

Diese bekränzen mit Rosen die Brust, und wiegen sich freundlich

Im labyrinthischen Kelch, leise, wie Grillen der Flur;

Jen' umflattern das Haupt und die Wang' auf den Schwingen des Westhauchs,

Und im seidnen Gewand hascht sich ein lüsterner Schwarm.[51]

Jetzt, verschlungen zum magischen Reihn in friedlicher Zwietracht,

Trennen und ordnen sie sich, wie es die Laune gebeut;

Durch die erglänzende Luft webt jeglicher Tanz ein Gemäld' hin,

Rasch wie Gedanken und Licht wechselt ein jeglicher Tanz.

Ländliche Fluren des friedlichen Glücks und flötende Hirten,

Heerden mit Glockengeläut, Grotten in traulicher Nacht,

Lieb' um Lieb' und Küsse der Lust und Küsse der Sehnsucht,

Gaukelnder Scherz und der zart dämmernde Thau des Gefühls,

Alles erweckt vor dem schmachtenden Blick rings süße Verwirrung,

Heimliche Sehnsucht gießt Alles in's ahnende Herz.

Träum', ihr war't stets Liebenden hold, und süßes Vergessen

Gebt ihr Klagenden gern, oder verbotenes Glück,

Malt mein Bild ihr, malet den Flug unstäten Verlangens,

Bringet ihr Kund' und, ach, bringet ihr Küsse von mir,

Daß sich im seligen Taumel die Brust hoch hebe, die Sehnsucht

Auszuathmen, der Mund wölbe zum glühenden Kuß,

Und wenn dann nicht eitele Luft nur die schwellenden Lippen

Anhaucht, wecket sie auf, froh des erfülleten Traums.

Quelle:
Ernst Schulze: Sämmtliche poetische Schriften, Band 4, Leipzig 1819–1820, S. 49-52.
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