7.

[113] An L. von ***.


Juppiter illa piae secrevit littora genti,

Ut inquinavit aere tempus aureum;

Aere, dehinc ferro duravit secula, quorum

Piis secunda vate me datur fuga.

Horat.


Horch, draußen braust mit stürmendem Gefieder

Der kalte Nord, des Winters Kampfgenoß;

Die Wolke, die so lang den Schooß verschloß,

Senkt Nebelduft und Regen jetzt hernieder,

Und ach, schon starb das letzte Veilchen wieder,

Das, von dem Herbst so mild genährt, entsproß.

Doch leis' entblüht, wie von den Feen gerufen,

In der Erinnrung süßen Phantasien

Ein schön'rer Lenz, als je die Götter ihn,

Als je im Wahn die Dichter ihn erschufen;

Es siegt der Traum, die ird'schen Bilder fliehn.

So lieblich hat die Dämmrung nie gegaukelt,

So geistig nie auf Zephyrs Flügelpaar

Der zarte Duft der Blüthen sich geschaukelt,

Nie war die Luft, die Welle nie so klar;

Denn die Idee umwindet mild und leise

Mit ihrem Flor das Bild der Wirklichkeit,

Und schnell erlischt in ihrem Zauberkreise

Der kleinste Zug, der seinen Glanz entweiht.
[114]

So kann ich jetzt, Geliebte, dich umfangen,

So kann ich jetzt an deiner zarten Brust,

An deinem Blick, an deinen Lippen hangen

Im leisen Traum der unentweihten Lust.

Zwar war es süß, zur Seite dir zu weilen,

Dir sehnsuchtsvoll mit stummem Flehn zu nahn,

Gefühl und Lust und Schmerz mit dir zu theilen,

Den kleinsten Wunsch, eh ihn dein Mund gethan,

In deinem Blick schon spähend zu ereilen

Und dann noch Lohn für Freude zu empfahn.

Doch hat nicht oft der Laune flücht'ges Wogen,

Der Zufall nicht so oft dieß Glück getrübt?

Hat nicht so oft die Hoffnung uns betrogen,

Nicht oft das Herz ein nicht'ger Gram umzogen,

Dem sich so rasch die bange Lieb' ergiebt?

Wie eitler Schaum den Glanz der reinen Wellen,

Wie den Kristall ein trüber Hauch verhüllt,

So ließ sich oft der Schönheit klares Bild

Vom Wiederschein des Irdischen entstellen,

Und ach, anstatt mit Licht ihn zu erhellen,

Hat oft mit Nacht die Lust den Geist erfüllt.


Erinnrung ist die letzte, schöne Gabe,

Worin ein Strahl der ew'gen Flamme glänzt,

Erinnrung ist's, die mit dem Zauberstabe

Den Weg uns schmückt in's Leben und zum Grabe

Und Sterbliches mit geist'gem Schimmer kränzt.

Denn als der Geist dem reinern Licht entschwunden

Und Ew'ges sich mit Endlichem verbunden,

Da kam zum Trost für den verblichnen Tag,

Die holde Form mit Dämmerung umwunden,

Erinnrung uns mit ihrer Fackel nach.

Die Liebe, die in deinem Busen waltet,[115]

Das reine Glück, das Freundschaft dir gewährt,

Die Sehnsucht, die sich leis' in dir entfaltet,

Die Freude, die dir deinen Pfad verklärt,

Und jeder Wahn und alle sel'gen Träume,

Die je dein Herz mit flücht'gem Kuß gegrüßt,

Sie blühn empor aus einem ew'gen Keime,

Der in dem Schooß der heil'gen Vorwelt sprießt.


Denn sprich, wie kann dein Herz der Liebe schlagen,

Wenn ewig nicht die Lieb' in dir gelebt,

Wenn nicht schon einst in schönern Frühlingstagen

Dein reiner Geist um ihren Quell geschwebt?

Kann dies Gefühl, das mit dem Schicksal streitet,

Bei dessen Wink sich alle Kräft' erhöhn,

Das dich zur Schmach, das dich zur Tugend leitet,

Dir ew'gen Schmerz und ew'ges Glück bereitet,

Kann dies Gefühl aus eitlem Nichts entstehn?

O, wenn dein Geist, nur im Gefühl versunken,

Sich kühn empor vom Staub der Erd' erhebt,

Wenn dir im Blick kein ird'sches Feuer bebt,

Wenn keusch in ihm der ew'gen Sehnsucht Funken

Wie Mondenlicht am blauen Himmel schwebt;

Wenn dann den Kuß, um den der Freund dich flehte,

Die Seele nur und nicht die Lippe fühlt,

Und keine Scham, gehüllt in höh're Röthe,

Als Pfand der Schuld um deine Wange spielt;

Zeigt dir nicht dann, gleich einem Zauberspiegel,

Dein eig'nes Herz dich reiner und verklärt?

Fühlst du dich dann nicht höh'rer Wonne werth?

Regt sehnend dann die Seele nicht die Flügel

Und strebt zurück zu jenem heil'gen Heerd,

Von welchem einst, als alles Seyn entblühte,

Mit junger Kraft der ew'ge Funken sprühte,[116]

Der Licht und Gluth der todten Form gewährt?

Erinnrung war's, was da dein Herz erfüllte,

Ein heimisch Bild, um das der trübe Flor

Der langen Nacht sich gaukelnd halb enthüllte,

Hob deinen Geist mit Zauberkraft empor.

Das Band, womit der Körper dich umwunden,

War vor dem Strahl des ew'gen Lichts entschwunden,

Was du verlorst, war dir auf's Neue nah,

Nicht wie die Welt in ihren Maskenreigen,

Wie Sinnlichkeit und Leichtsinn dich dir zeigen,

Nein, wie du bist erschienest du dir da.


Fühlst du nicht oft des Glücks verstohlne Keime

Mit stillem Reiz in deiner Brust entblühn,

Wenn auch kein Bild für jene zarten Träume

Im bunten Reich der Außenwelt erschien?

Willst du nicht oft in friedlichem Verlangen

Die ganze Welt mit Freundesarm umfangen

Und Liebesband' um alle Wesen ziehn?

O glaub' es mir, das sind die Augenblicke,

In welchen klar das Göttliche sich zeigt,

Wo jeder Wunsch nach flatterhaftem Glücke,

Nur nicht der Ruf der ew'gen Sehnsucht schweigt,

Und wo das Herz, versöhnt mit dem Geschicke,

Dem Kerker zwischen Wieg' und Grab entfleucht.


Was strebt dein Geist empor zum Aetherpfade,

Wenn still und hehr die Wolken abwärts ziehn?

Was sieht dein Aug' am schäumenden Gestade

So sehnsuchtsvoll die leichten Wogen fliehn?

Wenn feierlich der Nacht verschwiegne Hallen

Der reine Mond mit irrem Licht erhellt,[117]

Wird da dein Herz von Sehnsucht nicht geschwellt,

In leisem Flug mit ihm hinwegzuwallen

Und aufzufliehn zur unbekannten Welt?

Die Wolke, die der West mit zarter Röthe

Und die der Ost mit goldnem Schimmer füllt,

Scheint deinem Geist die heil'ge Ruhestätte,

Die deines Daseyns Räthsel dir enthüllt,

Und jeder Pfad, der abwärts vom Getümmel

In's dunkle Reich der Ferne sich verliert,

Er ist für dich der Pfad zu jenem Himmel,

Zu dem versteckt der Ahnung Wink dich führt.


O sieh zurück auf jede deiner Wonnen,

Auf jeden Schmerz, der eisig dich umschlang,

Auf jeden Wunsch, der einst in Nichts zerronnen,

Auf jeden Wunsch, den einst dein Herz errang;

Wird nicht dein Blick wehmüthig sich verklären?

Verschönt dir nicht Erinnrung selbst das Leid?

Strebt nicht dein Geist mit sehnsuchtsvollen Zähren

Zu jenem Traum entschwundner Seligkeit,

In jenes Reich des Einst zurückzukehren,

Wenn auch das Jetzt dir schön're Freuden beut?

Wer schmückte so die scheidenden Gebilde

Und kränzte so mit Rosen selbst das Grab?

Wer sonderte mit mächt'gem Zauberstab

Vom Schmerz die Lust, vom Rauhen dir das Milde,

Vom Feindlichen das Freundliche dir ab?

Erinnrung ist's an jene lichten Stunden,

Wo nimmer noch sich Schmerz und Lust gekannt,

Und wo dein Herz, daß ihm ein Glück entschwunden,

Nur beim Genuß des neuen Glücks empfand.

Erinnrung ist's, was jeden deiner Blicke[118]

Zur fernen Zeit mit mächt'gem Zauber bannt;

Das Jetzt ist nur ein Traum vom einst'gen Glücke,

Und hinter dir liegt das gelobte Land.


Fort strebt der Mensch mit brennendem Verlangen,

Die Sehnsucht stirbt in seinem Busen nicht,

Und wenn auch Nacht und Wogen ihn umfangen,

Vor seinem Geist strahlt ihm ein rettend Licht.

Das Schöne will er liebevoll umschlingen,

Mit kühnem Muth das Höchste sich erringen,

Und will ein Gott durch eignes Streben seyn;

Und wenn er Sturm und Klippen überwunden

Und durch Entschluß den Widerstand gebunden,

Wenn er durch Kraft von Tausenden allein

Das Ziel, zu dem ein Jeder strebt, gefunden,

Stets scheint die Müh', der Sieg ihm noch zu klein.

Das Schönste scheint ein Schritt nur zu dem Schönen,

Das Höchste ihm zum Hohen nur der Pfad;

Durch neue Müh' nur und durch neue That

Kann er den Gott in seiner Brust versöhnen,

Auf dessen Wink er in die Schranken trat.

Sprich, warum bleibt er nicht im Heimathskreise,

Und sonnt sich froh im Strahl des Augenblicks,

Und sichert sich auf dem gewohnten Gleise

Vor jedem Sturm des feindlichen Geschicks?

Nein, er will fort, wohin die Bilder winken,

Die in die Brust Erinnrung ihm geprägt,

Er will den Hauch der reinern Lüfte trinken,

Will in den Schooß der ew'gen Schönheit sinken,

Die, als er ward, ihn liebevoll gehegt.

O Schmach, wenn ihm, der zum erhabnen Streite

Für seinen Heerd und seine Freiheit geht,[119]

Nicht kühner Muth als Kampfgenoß zur Seite,

Sieg oder Tod als Ziel vor Augen steht!

Bald wird sein Arm im feigen Kampf ermatten,

Er wird der Band', um nur zu ruhn, sich freun;

Statt eines Wesens wird er nur ein Schatten

Und nur ein Sklav statt eines Gottes seyn.

Quelle:
Ernst Schulze: Sämmtliche poetische Schriften, Band 4, Leipzig 1819–1820, S. 113-120.
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