Kapitel XIX.

[195] Ein Zug Bewaffneter, die eine Dame

Von edlem Haus geleiten (ihre Worte

Verriethens mir, als ich dem Nachtrab folgte),

Ist in der Näh' und in dem Schloß gedenkt man

Zu übernachten.


Orra, ein Trauerspiel.


Die Reisenden hatten jetzt eben den Rand eines Waldes erreicht und waren im Begriff, sich in die Tiefe desselben zu begeben, was allerdings unter Umständen gefährlich war, weil zu jener Zeit sich eine Menge Geächteter, die Armuth und Tyrannei zur Verzweiflung gebracht hatten, in den Wäldern aufhielten. Cedric und Athelstane hatten jedoch keine große Furcht vor diesen Räubern, da sie außer Gurth und Wamba noch zehn Diener im Gefolge hatten. Außerdem verließen sie sich auf ihren eignen Muth, sowie auf ihre Nationalität und ihren Charakter. Die Geächteten waren nämlich meistens Landleute von sächsischer Abkunft und respectirten Person und Eigenthum ihrer eignen Landsleute.

Während sie so gutes Muthes ihres Weges zogen, wurden sie plötzlich durch ein wiederholtes Rufen um Hülfe aufgeschreckt, und als sie an den Ort kamen, woher es erschallte, erstaunten sie nicht wenig, eine Sänfte zu finden, die auf dem Boden stand, und neben der ein auf jüdische Art, aber reich gekleidetes Mädchen saß, während ein alter Mann, dessen gelbe Kappe ihn gleichfalls als Juden kenntlich machte, mit dem Ausdrucke tiefster Verzweiflung auf und nieder ging und unaufhörlich die Hände rang, wie einer, der ein schreckliches Unglück beklagt.[196]

Auf Athelstanes und Cedrics Fragen nach der Ursache seines Zustands konnte er eine Zeit lang bloß durch Verwünschungen der Kinder Israels antworten, die gekommen wären, sie mit der Schärfe des Schwertes an Rücken und Lenden zu schlagen, wobei er alle Erzväter des alten Testaments anrief. Als er sich endlich ein wenig von seinem Schrecken erholt hatte, begann Isaak von York, denn in der That war es unser alter Freund, zu erzählen, daß er zu Ashby eine Wache von sechs Mann gedungen habe, nebst Mauleseln, um die Sänfte eines kranken Mannes zu tragen. Diese Leute nun hätten unternommen, ihn bis Doncastle zu geleiten. Bis hieher wären sie glücklich gekommen; als aber jene von einem Holzschläger erfahren, daß eine große Bande Geächteter in der Waldung vor ihnen im Hinterhalt läge, hätten diese Miethlinge nicht nur die Flucht ergriffen, sondern auch die Thiere mit sich genommen, welche die Sänfte getragen, und so den Juden und seine Tochter ohne Mittel zur Vertheidigung oder zum Entkommen gelassen; denn sie müßten nun erwarten, daß jeden Augenblick die Räuber auf sie losbrechen würden. »Wolltet ihr es nicht erlauben, tapfere Herren,« setzte Isaak in dem Tone der tiefsten Unterwerfung hinzu, »daß ein armer Jude unter eurem Schutze reisen darf; ich schwöre es bei unsern Gesetzestafeln, nie soll eine Gunst mit mehr Dankbarkeit von einem Kinde Israels anerkannt worden sein.«

»Hund von einem Juden,« sagte Athelstane, dessen Gedächtniß von der Art war, daß es kleinliche Dinge, besonders Beleidigungen, lange behielt, »denkst Du denn nicht mehr daran, wie Du uns auf der Gallerie im Turnierplatz behandelt hast? Von uns hast Du keine Hilfe zu erwarten, und wenn die Geächteten Dich berauben, der Du alle Welt beraubst, so halte ich sie für die rechtlichsten, bravsten Leute von der Welt.«

Cedric war nicht dieser Meinung. »Wir werden besser thun,« sagte er, »zwei Leute von unserem Gefolge und zwei Pferde hier zu lassen, um sie zum nächsten Dorfe zu bringen. Unsere Stärke wird dadurch nicht vermindert, und mit Eurem guten Schwerte, Athelstane, und der Hilfe derer, die uns bleiben, wird es uns ein Leichtes sein, zwanzig von diesen Landläufern die Spitze zu bieten.«

Rowena, durch die Erwähnung bewaffneter Geächteter in ihrer[197] Nähe beunruhigt, unterstützte den Vorschlag ihres Vormundes. Da verließ Rebekka auf einmal ihre gebückte Stellung, ging durch das Gefolge auf den Zelter der sächsischen Dame zu, kniete nieder und küßte nach Art der Morgenländer, wenn sie sich an Vornehmere wenden, den Saum von Rowenas Gewande. Dann stand sie auf, schlug den Schleier zurück und bat sie im Namen des Gottes, den sie beide verehrten, und bei der Offenbarung des Gesetzes, woran sie beide glaubten, sie möchte sich ihrer erbarmen und erlauben, daß sie unter ihrem Schutze weiter reisen dürften. »Nicht für mich selbst,« sagte Rebekka, »flehe ich Euch um diese Gunst, auch nicht für diesen alten Mann, ich weiß, die Christen halten es nicht für eine große Sünde, unser Volk zu mißhandeln und zu berauben, ob dies nun in Städten, Wüsten oder im Felde geschieht, ist einerlei. Allein es ist jemand hier, der vielen und auch Euch theuer ist, und in dessen Namen flehe ich Euch an, laßt den armen Kranken sorgsam unter Eurem Schutze fortgebracht werden; denn sollte ihm ein Unfall begegnen, so würden Eure letzten Lebensstunden noch mit Reue darüber erfüllt werden, daß Ihr versagtet, worum ich flehte.«

Die edle und feierliche Art, mit der Rebekka ihre Bitte vortrug, gaben ihr bei der sächsischen Schönen doppeltes Gewicht.

»Der Mann ist alt und schwach,« sagte sie zu ihrem Vormund, »das Mädchen jung und schön, ihr Freund krank und in Lebensgefahr. Sind es gleich Juden, so können wir Christen sie doch nicht in dieser Noth lassen. Möge man doch,« fügte sie hinzu, »zwei von den Lastthieren abladen und das Gepäck auf zwei andere hinter den Dienern packen; die Maulthiere können dann die Sänfte tragen, und wir haben noch ledige Pferde für den alten Mann und seine Tochter.«

Cedric ließ es sich gern gefallen, und Athelstane fügte bloß die Bedingung hinzu, daß sie beim Nachtrabe bleiben sollten, wo Wamba, wie er meinte, sie mit seinem Schilde von geräuchertem Schweinefleisch schützen könnte.

»Ich habe meinen Schild auf dem Turnierplatz gelassen,« versetzte der Narr, »wie es auch wohl bessern Rittern ergangen ist, als ich bin.«

Athelstane wurde roth vor Zorn, denn das war eben auch sein[198] Schicksal bei dem Turniere gewesen. Rowena aber freute sich über den Scherz des Narren, und gleich, als wollte sie ihres Begleiters unziemliche Aeußerung wieder gut machen, bat sie Rebekka, neben ihr zu reiten.

»Nein,« sagte diese mit stolzer Demuth, »das möchte sich doch nicht schicken; meine Gesellschaft würde nicht ehrenvoll für meine Beschützerin gehalten werden.«

Das Gepäck wurde schnell aufgelegt, denn das bloße Wort Geächtete machte jeden thätig und flink, zumal da die Dämmerung die Bedeutung jenes Wortes noch verstärkte. Unter dem Gewühl gerieth Gurth vom Pferde. Sogleich bat er den Narren, ihn etwas lockerer zu binden, was Wamba auch that, so daß es Gurth nicht schwer ward, sich der Fesseln gänzlich zu entledigen. Hierauf schlüpfte er ins Dickicht und entkam glücklich von der Truppe.

Gurths Entfernung wurde erst bemerkt, als die Furcht vor einem Angriffe der Geächteten immer größer wurde, weshalb denn auch nicht viel darauf geachtet werden konnte.

Der Pfad, auf dem sich der Zug fortbewegte, war so schmal, daß zwei Personen nicht bequem neben einander reiten konnten, auch fing er an, sich in ein enges Thal zu verlieren, durch welches sich ein Bach hinzog, dessen Ufer zerrissen, sumpfig und mit kurzen Weidenbüschen bewachsen waren. Cedric und Athelstane, die sich an der Spitze des Zuges befanden, erkannten sehr wohl die Gefahr, hier angegriffen zu werden; da aber beide nicht viel von der Kriegskunst verstanden, so kannten sie keine bessere Art, dieser Gefahr zu entgehen, denn so viel als möglich zu eilen. Sie rückten daher ohne große Ordnung vor, und hatten mit einem Theile ihres Gefolges kaum den Bach überschritten, als sie auf einmal von vorn, in den Seiten und im Rücken mit einer Heftigkeit angegriffen wurden, der sie, unvorbereitet wie sie waren, keinen wirksamen Widerstand entgegensetzen konnten.

Beide sächsische Anführer wurden in demselben Augenblicke gefangen genommen, und jeder unter Umständen, welche seinen Charakter bezeichneten. Cedric schleuderte in dem Augenblicke, wo einer der Feinde sich ihm näherte, den noch übrigen Wurfspieß auf ihn, und nagelte den Mann gerade an einen Eichbaum, der hinter ihm stand. Nun sprengte er gegen einen zweiten, und indem er[199] das gezogene Schwert mit so unbedachtsamer Wuth schwang, daß er auf einen dicken Ast traf, der oben über ihm hing, wurde er durch die Heftigkeit seines eigenen Streichs entwaffnet. Zwei bis drei der Räuber zogen ihn vom Pferde. Athelstane hatte sich ergeben müssen, ehe er sich noch in eine vertheidigende Stellung hatte setzen können.

Das Gefolge, in dem Gepäck verwickelt und erschrocken über den Fall der Anführer, wurde eine leichte Beute der Angreifenden, und Lady Rowena nebst dem Juden und seiner Tochter hatten dasselbe Schicksal.

Von dem ganzen Zuge entkam niemand außer Wamba, der bei dieser Gelegenheit mehr Muth bewies als die andern, die sich für gescheidter hielten. Nachdem er sich eines Schwertes bemächtigt hatte, versuchte er sogar, seinem Herrn zu Hilfe zu kom men, da dies aber unmöglich war, sprang er vom Pferde und entschlüpfte in das Dickicht der Waldung.

Der tapfere Narr war kaum gerettet, als ihm der Zweifel kam, ob er nicht lieber wieder umkehren und die Gefangenschaft mit seiner Herrschaft theilen solle.[200]

»Ich habe,« sagte er zu sich selbst, »die Leute so viel von den Glück der Freiheit reden hören, nun habe ich sie und wünschte, es lehrte mich auch jemand, wie ich sie benutzen könnte.«

Kaum hatte er diese Worte laut vor sich gesprochen, als eine Stimme leise und vorsichtig rief: »Wamba!« und in diesem Augenblicke sprang ein Hund, den er sogleich für Packan erkannte, liebkosend auf ihn zu. »Gurth!« erwiderte Wamba eben so leise und vorsichtig, und der Schweinehirt stand vor ihm.

»Was ist denn das?« fragte er ängstlich, »was bedeutete das Schwertergeklirr?«

»Alle gefangen,« sagte Wamba.

»Wer denn gefangen?« fragte jener.

»Mein Herr, meine Lady, Athelstane und Hundebert und Oswald!«

»Um Gotteswillen, wie und von wem?«

»Mein Herr,« sagte der Narr, »war zu schnell zum Fechten, Athelstane zu langsam, und die andern fochten ganz und gar nicht. So sind sie von den grünen Langröcken mit den schwarzen Larven gefangen wor den. Alle liegen nun wie die Holzäpfel auf dem Boden, wie Du sie für Deine Schweine schüttelst. Ich würde dazu lachen, wenn ich es vor Weinen könnte,« setzte der ehrliche Narr hinzu, und Thränen rollten unfreiwillig über seine Wangen.

Gurth bekam plötzlich Muth. »Wamba,« sagte er, »Du hast eine Waffe, und Dein Herz ist stets stärker gewesen als Dein Kopf; wir sind zwar nur unser zwei, allein ein schneller Angriff von entschlossenen Männern kann viel bewirken – komm! folge mir?«

»Wohin? und wozu?« fragte der Narr.

»Cedric zu befreien!«

»Aber Du hast Dich ja seinem Dienste entzogen?« sagte Wamba.

»Das war nur, so lange er glücklich war! Folge mir!«

Als sich der Narr eben anschickte zu gehorchen, erschien plötzlich noch eine dritte Person, und befahl beiden Halt zu machen. Aus der Kleidung und den Waffen derselben schloß Wamba fast, er möchte zu den Geächteten gehören, welche seinen Herrn eben angegriffen hatten, allein außerdem, daß er keine Maske trug, machte die glänzende Koppel über seiner Schulter, woran das[201] reiche Jagdhorn hing, so wie der ruhige und gebietende Anstand ihn trotz der Dämmerung als den Landsassen Locksley kenntlich, der den Preis in dem Bogenschießen beim Turnier erhalten hatte.

»Was bedeutet das?« fragte er, »wer raubt und plündert hier und macht Gefangene?«

»Du kannst sie gleich an ihren grünen langen Röcken erkennen,« sagte Wamba; »sieh, ob es nicht Deiner Kinder Kleider sind, Deines und ihre sehen sich ähnlich, wie eine Erbsenschote der andern.«

»Das will ich gleich erfahren,« sagte Locksley, »aber ihr rührt euch nicht vom Platze, bis ich wieder komme; bei Gefahr eures Lebens. Gehorcht mir! Es soll euch und eure Herren nicht gereuen! Ich muß mich aber selbst ihnen so ähnlich machen als möglich.«

Während er so sprach, nahm er das Gehänge mit dem Horn ab, und die Feder von dem Hute herunter, und gab beides Wamba; dann zog er eine Larve aus der Tasche, befahl ihnen nochmals, still zu bleiben, und ging seine Nachforschung auszuführen.

»Sollen wir stehen bleiben, Gurth,« sagte Wamba, »oder sollen wir ihn hinters Licht führen? Er hat ja die ganze Diebskleidung so in Bereitschaft, daß er unmöglich ein ehrlicher Mann sein kann.«

»Wäre er auch der Teufel,« sagte Gurth, »wir können durch unser Warten nichts schlimmer machen. Gehört er wirklich zur Bande, so kann uns weder Fechten noch Flucht etwas helfen. Er hat ihnen gewiß schon ein Zeichen gegeben. Ueberdies habe ich die Erfahrung gemacht, daß solche Spitzbuben gerade nicht die schlimmsten Leute sind, mit denen man zu thun haben kann.«

Der Schütze kehrte in wenig Minuten zurück.

»Freund Gurth,« sagte er, »ich habe mich unter die Kerls gemischt, und weiß, wem sie angehören. Gegen die Gefangenen werden sie sich keine wirkliche Gewaltthat erlauben. Für drei wäre es nicht mehr als Wahnsinn, sie angreifen zu wollen, denn es sind keine schlechten Kriegsknechte und sie haben überall Schildwachen ausgestellt. Allein ich denke schon eine solche Macht zusammen zu bringen, daß ihnen alle ihre Vorsicht nichts helfen soll. Ihr seid beide Diener, aber wie ich glaube, treue Diener von Cedric, dem Sachsen, dem Freunde der Angelsachsen und ihrer Rechte. Nun es soll ihm an sächsischen Händen nicht fehlen, ihn aus dieser Noth zu retten. Folgt mir also, bis ich mehr Hilfe zusammenbringen kann.«[202]

Mit großen Schritten ging er nun durch den Wald hin, und der Narr und der Schweinehirt folgten ihm getrost nach. Es lag aber nicht in Wambas Natur, lange schweigend fortzuwandeln.

»Ich glaube,« sagte er, indem er das Gehänge und das Jagdhorn ansah, das er noch immer in der Hand trug, »daß ich den Pfeil abschießen sah, der dieses als Preis gewonnen hat, und das ist nicht so lange her als Weihnacht.«

»Und ich,« sagte Gurth, »ich wollte wetten, ich hätte die Stimme des wackern Pfeilschützen gehört, ders gewonnen hat, bei Nacht sowohl als beim Tage, und der Mond ist seitdem nicht drei Tage älter geworden.«

»Meine ehrlichen Freunde,« sagte der Landsasse, »wer oder was ich bin, thut hier nichts zur Sache; kann ich euren Herrn befreien, so habt ihr Ursache mich für den besten Freund zu halten, den ihr in eurem Leben gehabt habt; übrigens braucht ihr euch um meine sonstigen Verhältnisse nicht im geringsten zu bekümmern.«

»Unsere Köpfe stecken in des Löwen Rachen,« sagte Wamba ganz leise zu Gurth, »ziehen wir sie heraus, wie es gehen will.«

»Still,« sagte Gurth, »beleidige ihn nicht durch Deine Späße, ich denke es soll schon alles gut gehen.«

Quelle:
Scott, Walter: Ivanhoe. Berlin 1901, S. 195-203.
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