Kapitel V.

[44] Hat nicht ein Jude Augen? hat nicht ein Jude Hände Gliedmaßen, Werkzeuge, Sinne, Neigungen, Leidenschaften? mit derselben Speise genährt, mit denselben Waffen verletzt, denselben Krankheiten unterworfen, mit denselben Mitteln geheilt, gewärmt und gekältet von eben dem Winter und Sommer als ein Christ?


Der Kaufmann von Venedig.

(Grote'sche Shakespeare-Ausgabe Bd. IV, S. 305.)


Oswald kehrte zurück und flüsterte seinem Herrn ins Ohr: »Es ist ein Jude, der sich Isaak von York nennt; ist es passend, daß ich ihn in die Halle führe?«

»Laß Gurth Dein Amt versehen, Oswald,« sagte Wamba mit seinem gewöhnlichen Vorwitz; »der Schweinehirt wird den Juden passend einführen.«

»Heilige Maria!« sagte der Abt, sich bekreuzigend, »ein ungläubiger Jude in diese Gesellschaft!«

»Soll ein Hund von einem Juden,« wiederholte der Templer, »sich einem Vertheidiger des heiligen Grabes nähern?«

»Meiner Treu,« sagte Wamba, »es scheint, die Templer lieben die Erbschaft der Juden mehr als ihre Gesellschaft.«

»Still, meine würdigen Gäste,« sagte Cedric, »meine Gastfreundschaft darf nicht nach Eurem Mißfallen beschränkt werden. Wenn der Himmel mit der ganzen Nation der hartnäckigen Ungläubigen mehr Jahre, als ein Laie zählen kann, Langmuth übte, so können wir wohl die Gegenwart eines Juden auf wenige Stunden ertragen. Aber ich zwinge niemand, mit ihm zu reden oder zu[45] speisen. – Laßt ihn Tisch und Speise abgesondert haben, wenn nicht vielleicht,« sagte er lächelnd, »die mit den Turbanen ihn in ihre Gesellschaft aufnehmen wollen.«

»Herr Frankelin,« antwortete der Templer, »meine Saracenensklaven sind wahre Moslemim und verschmähen den Umgang mit einem Juden eben so sehr wie nur ein Christ.«

»Nun in Wahrheit,« sagte Wamba, »ich sehe nicht ein, warum ein Verehrer Mahrunds und Termagants einen so großen Vorzug vor dem einst auserwählten Volke Gottes haben sollte.«

»Er soll bei Dir sitzen, Wamba,« sagte Cedric; »der Narr und der Spitzbube passen gut zusammen.«

»Der Narr,« antwortete Wamba, indem er die Reste eines Schweineschinkens emporhielt, »wird dafür sorgen, ein Bollwerk gegen den Spitzbuben zu errichten.«

»Still, da kommt er,« sagte Cedric.

Mit wenig Ceremoniell eingeführt, furchtsam und zögernd und mit mancher demüthigen Verbeugung vorwärts schreitend, näherte sich ein großer, hagerer, alter Mann, der durch die Gewohnheit, gebückt zu gehen, viel von seiner wirklichen Höhe verloren hatte, dem untern Ende des Tisches. Seine Züge, scharf und regelmäßig, mit einer Adlernase und durchdringenden dunklen Augen, seine hohe und gefurchte Stirn, sowie sein langes graues Haupt- und Barthaar hätten für schön gelten können, wären sie nicht die Zeichen einer seinem Stamme eigenthümlichen Physiognomie gewesen, der in jenen finstern Zeiten von dem leichtgläubigen und vorurtheilsvollen Pöbel ebenso verabscheut, als von dem habsüchtigen Adel verfolgt wurde, und der, vielleicht infolge eben jenes Hasses und jener Verfolgung, einen Nationalcharakter angenommen hatte, in welchem wenigstens viel Abstoßendes lag.

Des Juden Kleidung, die sehr von dem Wetter gelitten hatte, bestand aus einem einfachen röthlichen Mantel mit vielen Falten, unter dem er eine Tunica von dunkler Purpurfarbe trug. An den Füßen hatte er große, mit Pelz besetzte Stiefel und um den Leib einen Gürtel, in dem ein kleines Messer neben einer Kapsel mit Schreibmaterialien, aber keine sonstige Waffe steckte. Eine hohe viereckige, gelbe Mütze von eigenthümlicher Form, die seine Nation tragen mußte, damit man sie von den Christen unterscheiden konnte,[46] bedeckte sein Haupt. Er nahm dieselbe mit tiefer Demuth an der Thüre der Halle ab.

Der Empfang dieses Mannes in der Halle Cedrics des Sachsen war von der Art, daß sie auch den ärgsten Feind des Stammes Israel hätte befriedigen müssen. Cedric selbst beantwortete die wiederholten tiefen Verbeugungen des Juden mit einem kalten Nicken und deutete ihm an, sich an das untere Ende des Tisches zu setzen, wo sich jedoch niemand erbot, ihm Platz zu machen. Im Gegentheil, als er an der Reihe vorüberging und jedem der dort Sitzenden einen furchtsam bittenden Blick zuwarf, machten die sächsischen Diener ihre Schultern so breit als möglich und fuhren fort, ihr Abendessen mit großer Beharrlichkeit zu verschlingen, indem sie den Bedürfnissen des neuen Gastes nicht die geringste Aufmerksamkeit zollten. Die Begleiter des Abtes bekreuzten sich unter Blicken frommen Abscheus, und selbst die heidnischen Saracenen drehten, als Isaak sich ihnen näherte, unwillig ihre Schnurrbärte in die Höhe und legten die Hände an die Dolche, als wären sie bereit, sich durch das verzweifeltste Mittel von der befürchteten Verunreinigung zu befreien.

Wahrscheinlich würde derselbe Grund, welcher Cedric veranlaßte, diesem Sohne eines verstoßenen Volkes seine Halle zu öffnen, ihn auch bestimmt haben, seinen Dienern zu befehlen, Isaak mehr Höflichkeit zu erweisen; doch der Abt verwickelte ihn in diesem Augenblicke in eine höchst interessante Unterredung über die Zucht und den Charakter seiner Lieblingshunde, die er auch bei Gegenständen von größerer Wichtigkeit, als der war, daß ein Jude ohne Abendessen zu Bette gehen sollte, nicht würde unterbrochen haben. Während Isaak so von den Anwesenden ausgestoßen dastand wie sein Volk unter den Nationen und sich vergebens nach einem Willkommen oder Ruheplatz umsah, empfand der Pilger, der am Kamin saß, Mitleid mit ihm, überließ ihm seinen Sitz und sagte kurz: »Alter Mann, meine Kleider sind getrocknet, mein Hunger ist gestillt, Du aber bist naß und hungrig.« Mit diesen Worten schürte er die verglimmenden Feuerbrände an, die auf dem ungeheuren Herde zerstreut lagen, nahm von dem größern Tisch ein Gericht Suppe und gesottenes Ziegenfleisch, stellte es auf den kleinern Tisch, an dem er selber gespeist hatte, und schritt, ohne den Dank des Juden abzuwarten,[47] auf die andere Seite der Halle; es blieb ungewiß, ob er dies that, um den nähern Umgang mit dem Gegenstande seines Wohlwollens zu vermeiden, oder in der Absicht, sich dem obern Ende des Tisches zu nähern.

Hätte es in jenen Tagen Maler gegeben, die fähig waren einen solchen Gegenstand auszuführen, so würde der Jude, als er seine abgemagerte Gestalt niederbeugte und seine erstarrten und zitternden Hände über das Feuer ausbreitete, ihnen kein übles Sinnbild des Winters geliefert haben. Als die Kälte aus ihm gewichen war, wandte er sich begierig zu der dampfenden Schüssel, die vor ihm stand, und aß hastig und mit einem Behagen, das offenbar auf langes Fasten schließen ließ.

Inzwischen setzten der Abt und Cedric ihre Unterhaltung über die Jagd fort, Lady Rowena schien sich mit einer ihrer Dienerinnen zu unterhalten, und der stolze Templer, dessen Augen von dem Juden zu der sächsischen Schönen wanderten, war mit Gedanken beschäftigt, die ihn sehr zu interessiren schienen.

»Es wundert mich, würdiger Cedric,« sagte der Abt im Verlaufe ihrer Unterredung, »daß Ihr, so groß auch Eure Vorliebe für Eure männliche Sprache ist, wenigstens hinsichtlich der Jagdausdrücke der normännischen nicht Eure Gunst schenkt. Gewiß ist keine Sprache so reich an verschiedenen Benennungen, wie sie die Jagdfreuden fordern, gewiß liefert keine dem erfahrnen Waidmann so treffliche Mittel, sich über seine joviale Kunst auszudrücken.«

»Guter Pater Aymer,« sagte der Sachse, »wißt, ich kümmere mich nicht um jene überseeischen Verfeinerungen, ohne die ich mich ebenso gut im Walde belustigen kann. Ich kann mein Horn blasen, ohne es recheate oder morte zu nennen, ich kann meine Hunde zur Jagd hetzen, das Thier abbälgen und zerlegen, ohne das neumodische Kauderwelsch curée, arbor, nombles und all das Geschwätz des fabelhaften Ritters Tristan anzuwenden.«

»Die französische Sprache,« sagte der Templer, indem er seine Stimme zu dem absprechenden und gebieterischen Tone erhob, den er bei allen Gelegenheiten anwendete, »ist nicht nur die einzig[48] natürliche Sprache der Jagd, sondern auch die der Liebe und des Krieges, in welcher die Damen gewonnen und die Feinde herausgefordert werden sollten.«

»Thut mir in einem Becher Wein Bescheid, Herr Templer,« sagte Cedric, »und füllet noch einen für den Abt, während ich einige dreißig Jahre zurückblicke, um Euch eine andere Geschichte zu erzählen. In der Jugend Cedrics des Sachsen bedurfte eine angelsächsische Rede keiner Verzierung eines französischen Troubadours, wenn man sie einer Schönen ins Ohr flüsterte, und das Schlachtfeld von Northallerton konnte sagen, ob der sächsische Schlachtruf nicht ebensoweit innerhalb des schottischen Heeres gehört wurde, als das cri de guerre des kühnsten normännischen Barons. Dem Andenken der Tapfern, die dort fochten! Thut mir Bescheid, meine Gäste!« Er that einen tiefen Zug und fuhr mit noch größerer Wärme fort: »Eála! Das war ein Tag des Schildespaltens, als hundert Banner vorwärts geneigt wurden über die Köpfe der Tapfern, und das Blut umherfloß wie Wasser, und man den Tod für besser achtete als die Flucht. Ein sächsischer Barde nannte diese Schlacht: sveorda blaeddaeg, ein Fest der Schwerter – eine Versammlung der Adler zur Beute. Unter der Streitaxt erdröhnte Schild und Helm, der Schlachtruf war freudiger als das Jauchzen bei einer Hochzeit. Aber unsere Barden sind nicht mehr,« sagte er, »unsere Thaten sind von denen eines andern Geschlechts verdunkelt, unsere Sprache, unser Name selbst eilen dem Untergange entgegen, und niemand trauert um sie als ein alter einsamer Mann. Mundschenk! Kerl, fülle die Becher. Den Starken in den Waffen, Herr Templer, möge ihr Name und ihre Sprache sein, welche sie wolle, die jetzt hervorragen in Palästina unter den Streitern des Kreuzes!«

»Es ziemt sich nicht für einen, der dieses Zeichen trägt, darauf zu antworten,« sagte Brian de Bois-Guilbert, »doch wem, außer den geschwornen Paladinen des heiligen Grabes, kann die Palme unter den Streitern zuerkannt werden?«

»Den Hospitalitern,« sagte der Abt, »ich habe einen Bruder in jenem Orden.«

»Ich will ihren Ruhm nicht schmälern,« sagte der Templer, »dennoch aber –«

»Ich denke, Freund Cedric,« fiel Wamba ein, »wäre Richard[49] Löwenherz weise genug gewesen, von einem Narren Rath anzunehmen, er wäre mit seinen fröhlichen Engländern zu Hause geblieben und hätte die Wiedereroberung des heiligen Grabes denselben Rittern überlassen, die am meisten dazu beigetragen haben, daß es verloren ging.«

»Waren denn unter dem englischen Heere gar keine,« sagte Lady Rowena, »deren Namen würdig gewesen wären, neben den Rittern des Tempels oder des heiligen Johannes genannt zu werden?«

»Bitte um Verzeihung, Fräulein,« entgegnete de Bois-Guilbert, »der englische Monarch brachte allerdings ein Heer tapferer Krieger nach Palästina, doch standen sie immer noch denen nach, deren Brust unaufhörlich das feste Bollwerk des heiligen Landes gewesen ist.«

»Keinem standen sie nach,« sagte der Pilger, der nahe genug gestanden, um alles zu hören, und schon lange aufmerksam auf die Unterredung gehorcht hatte. Alle wendeten sich nach der Stelle, woher diese unerwartete Behauptung kam. »Ich sage,« wiederholte der Pilger in festem und ernstem Tone, »die englische Ritterschaft stand keiner nach, welche je das Schwert zur Vertheidigung des heiligen Landes gezogen! Ich sage weiter, denn ich weiß es, daß König Richard selbst und fünf seiner Ritter nach Eroberung von St. Jean d'Acre ein Turnier gehalten gegen jeden, der sich mit ihnen messen wollte. Ich sage, daß an diesem Tage jeder Ritter drei Gänge machte und drei niederwarf, und füge hinzu, sieben dieser Besiegten waren Tempelritter, und Sir Brian de Bois-Guilbert weiß sehr wohl, daß ich die Wahrheit rede.«

Es ist unmöglich, die Wuth und den Ingrimm zu beschreiben, der das dunkelbraune Gesicht des Templers in diesem Augenblick noch dunkler machte. Schon faßten die Finger seiner rechten Hand zitternd nach dem Griff des Schwertes, doch bedachte er wohl, daß in dieser Umgebung eine Gewaltthat nicht gestattet sei. Cedric, der gerade und aufrichtig und fast immer nur von einem Gegenstande in Anspruch genommen war, bemerkte in der freudigen Aufwallung, in die ihn die Verkündigung des Ruhms seiner Landsleute versetzte, die Verwirrung und den Zorn seines Gastes nicht. »Ich wollte Dir dieses goldene Armband schenken, Pilger,« sagte[50] er, »wenn Du im Stande wärest, mir die Namen der Ritter zu nennen, die den Ruhm des fröhlichen England so tapfer aufrecht erhalten haben.«

»Das thue ich mit Vergnügen,« entgegnete der Pilger, »und zwar ohne Belohnung, denn für den Augenblick verbietet mir ein Gelübde, Gold anzurühren.«

»Ich will,« sagte Wamba, »das Armband statt Deiner tragen, wenn es Dir recht ist, Freund Pilger.«

»Der erste an Ehre wie in den Waffen, an Ruhm wie an Rang,« sagte der Pilger, »war der tapfere Richard, König von England.«

»Dafür verzeihe ich ihm seine Abkunft von dem tyrannischen Herzog Wilhelm,« sagte Cedric.

»Der Graf von Leicester war der zweite,« fuhr der Pilger fort, »Sir Thomas Multon von Gisland der dritte.«

»Der wenigstens ist ein Sachse!« sagte Cedric frohlockend.

»Sir Fulke Doilly der vierte,« fuhr der Pilger fort.

»Auch ein Sachse, wenigstens von mütterlicher Seite,« sagte Cedric wieder, der mit großer Theilnahme zugehört hatte und seinen Haß gegen die Normannen bei dem allgemeinen Triumph des Königs von England und seiner Insulaner vergaß. »Und wer war der fünfte?« sagte er.

»Der fünfte war Sir Edwin Turneham.«

»Ein echter Sachse, bei der Seele des Hengist!« rief Cedric frohlockend. – »Und der sechste?« fuhr er mit Lebhaftigkeit fort, »wie nennt Ihr den sechsten?«

»Der sechste?« sagte der Pilger nach einer Pause, während welcher er sich zu besinnen schien, »war ein junger Ritter von geringerem Ruhm und niedrigerem Rang, der in diese ehrenvolle Gesellschaft aufgenommen wurde, weniger um sie bei ihrem Unternehmen zu unterstützen, als um ihre Zahl vollständig zu machen, seines Namens entsinne ich mich nicht.«

»Herr Pilger,« sagte Sir Brian de Bois-Guilbert verächtlich, »diese angenommene Vergeßlichkeit kommt, nachdem Ihr Euch an so vieles erinnert habt, zu spät, um Eurem Zwecke zu entsprechen.[51] Ich selber will den Namen des Ritters nennen, dessen Lanze durch Zufall und den Fehler meines Pferdes mich zu Fall brachte, es war der Ritter Ivanhoe, auch war keiner unter den Sachsen, der im Vergleich mit seinen Jahren größeren Waffenruhm besaß. Doch dies verkünde ich laut: wäre er in England und wagte er, bei dem in dieser Woche stattfindenden Turnier die Forderung von St. Jean d'Acre zu wiederholen, so würde ich, beritten und bewaffnet, wie ich jetzt bin, ihm jeden Vortheil der Waffen zugestehen und den Ausgang dennoch ruhig abwarten.«

»Eure Forderung wäre leicht zu beantworten,« versetzte der Pilger, »wenn Euer Gegner nur nicht fern wäre. Wie die Sache jetzt steht, so erfüllt diese friedliche Halle nicht mit Prahlereien wegen des Ausganges eines Kampfes, der, wie Ihr wohl wißt, nicht stattfinden kann. Wenn Ivanhoe je aus Palästina zurückkehrt, so will ich Bürge sein, daß er sich stellt.«

»Ein trefflicher Bürge!« sagte der Tempelritter, »und welches Pfand bietet Ihr?«

»Diese Reliquie,« sagte der Pilger, indem er eine kleine elfenbeinerne Schachtel aus dem Busen zog und sich bekreuzte, »es ist ein Theil des wahren Kreuzes, vom Kloster des Berges Carmel mitgebracht.«

Der Prior von Jorvaulx bekreuzte sich und sprach ein Vaterunser, in welches alle bis auf den Juden, die Muhamedaner und den Templer andächtig einstimmten. Der letztere, ohne an sein Barett zu rühren oder die geringste Ehrfurcht vor der Heiligkeit der Reliquie zu bezeigen, nahm eine goldene Kette vom Halse, warf sie auf den Tisch und sagte: »Laßt Prior Aymer mein Pfand und das dieses namenlosen Landstreichers in Empfang nehmen, zum Zeichen, daß wenn der Ritter Ivanhoe ins Bereich der vier Seen von Britannien kommt, er der Forderung Brian de Bois-Guilberts unterliegt, und wenn er derselben nicht entspricht, so will ich ihn an jedem Hofe von Europa für einen Feigling erklären.«

»Es wird nicht nöthig sein,« sagte Lady Rowena, das Schweigen brechend, »meine Stimme soll gehört werden, wenn sich in dieser Halle keine andere für den abwesenden Ivanhoe erhebt. Ich versichere, daß er sich jeder ehrenvollen Forderung bereitwillig stellen wird. Könnte meine schwache Bürgschaft dem unschätzbaren[52] Pfande dieses frommen Pilgers noch größeres Gewicht verschaffen, so würde ich Namen und Ruf verpfänden, daß Ivanhoe diesem stolzen Ritter sich stellen wird, wie er es wünscht.«

Eine Menge streitender Gefühle schien Cedrics Brust zu erfüllen und ihn während dieser Verhandlung verstummen zu machen. Befriedigter Stolz, Zorn, Verlegenheit jagten abwechselnd über seine breite und offene Stirn, gleich den Schatten der Wolken, die über ein Erntefeld dahinziehn, während seine Diener, auf die der Name des sechsten Ritters eine fast elektrische Wirkung hervorzubringen schien, erwartungsvoll an den Blicken ihres Herrn hingen. Der Ton von Rowenas Stimme schien ihn aus seinem Schweigen zu wecken.

»Lady,« sagte Cedric, »das ziemt sich nicht; wäre noch ein weiteres Pfand nöthig, so würde ich selber meine Ehre für Ivanhoes Ehre verpfänden. Aber die Bürgschaft ist vollständig, selbst nach den phantastischen Bräuchen der normännischen Ritterschaft. Ist es nicht so, Pater Aymer?«

»Es ist so,« versetzte der Prior, »und die geheiligte Reliquie und die kostbare Kette will ich in der Schatzkammer unseres Klosters niederlegen bis zur Entscheidung dieser kriegerischen Forderung.«

Nach diesen Worten bekreuzte er sich wiederholt, machte viele Kniebeugungen, murmelte Gebete und übergab dann die Reliquie dem Bruder Ambrosius, seinem dienenden Mönche, während er selber die goldene Kette mit weniger Ceremonie, aber vielleicht mit nicht geringerer innerer Zufriedenheit aufnahm und in eine mit parfümirtem Leder gefütterte Tasche steckte, die sich unter seinem Arm öffnete. »Und nun, Sir Cedric,« sagte er, »meine Ohren läuten die Vesper in folge der Stärke Eures guten Weines; erlaubt uns, noch einen Becher auf das Wohlsein der Lady Rowena zu leeren, und gestattet uns dann, zur Ruhe zu gehen.«

»Bei dem Kreuze von Bromholme,« sagte der Sachse, »Ihr thut Eurem Rufe wenig Ehre, Herr Prior! Das Gerücht sagt, Ihr seid ein munterer Mönch, der die Mette läuten hört, ehe er den Humpen verläßt, und ich, alt wie ich bin, fürchtete, mich von Euch beschämt zu sehen. Aber, meiner Treu, ein Sachsenknabe von zwölf Jahren zu meiner Zeit würde nicht so früh seinen Becher verlassen haben.«[53]

Der Prior hatte jedoch seine eigenen Gründe, bei dem Princip der Mäßigkeit, welches er sich gesetzt, zu bleiben. Er war nicht nur ein Friedensstifter von Profession, sondern haßte auch alle Fehden und Zänkereien. Dies geschah nicht ausschließlich aus Liebe zu seinem Nächsten oder zu sich selber, sondern aus einer Mischung von beidem. Augenblicklich hatte er eine instinktmäßige Furcht vor dem heftigen Charakter des Sachsen und davor, daß der anmaßende und rücksichtslose Geist, von dem sein Gefährte schon so manche Proben gegeben, endlich eine unangenehme Explosion hervorbringen möchte. Er gab daher bescheiden zu, daß kein anderes Volk sich mit den abgehärteten Sachsen in den edlen Becherkampf einlassen könne, erwähnte auch flüchtig seinen heiligen Charakter und beharrte schließlich auf seinem Vorsatz, sich zur Ruhe zu begeben.

Demgemäß wurde der Schlaftrunk herumgereicht, und die Gäste standen, mit tiefen Verbeugungen gegen ihren Wirth und Lady Rowena, auf und zerstreuten sich in der Halle, während die Häupter der Familie sich durch besondere Thüren mit ihren Dienern entfernten.

»Ungläubiger Hund,« sagte der Templer zu dem Juden Isaak, als er in dem Gedränge an ihm vorbeikam, »ist es Deine Absicht, nach dem Turnier zu gehen?«

»Es ist meine Absicht,« erwiderte Isaak mit demüthiger Verbeugung, »mit Eurer Ehrwürden Erlaubniß, gestrenger Herr.«

»Ja,« sagte der Ritter, »um an den Eingeweiden unserer Edlen mit Wucher zu nagen und Weiber und Kinder mit Tand und Spielwerk zu betrügen; ich stehe dafür, Du hast einen reichen Vorrath von Geld in Deiner jüdischen Tasche.«

»Nicht einen Seckel, nicht einen Silberpfennig, nicht einen halben, so wahr mir der Gott Abrahams helfe!« sagte der Jude und schlug die Hände zusammen; »ich gehe nur, um den Beistand einiger Brüder meines Stammes zu suchen, daß sie mir helfen, die Steuer zu zahlen, die das Taxationsgericht mir aufgelegt hat. Vater Jakob stehe mir bei! Ich bin ein verarmter unglücklicher Mann. Selbst den Rockolor, den ich trage, habe ich mir geborgt, von Ruben von Tadcaster.«[54]

Der Tempelherr lächelte mürrisch und erwiderte: »Falschherziger Lügner!« Dann ging er verächtlich weiter und sprach mit seinen muhamedanischen Sklaven in einer Sprache, welche die Umstehenden nicht verstanden. Der arme Israelit schien von der Anrede des kriegerischen Mönchs so erschüttert, daß der Templer bereits bis ans Ende der Halle gegangen war, ehe er den Kopf aus der demüthigen Stellung erhob, die er angenommen hatte. Und als er endlich aufsah, geschah es mit der Miene eines Menschen, zu dessen Füßen der Blitz eingeschlagen und in dessen Ohren der Donner noch nachtönt.

Der Templer und der Prior wurden bald darauf von dem Haushofmeister und dem Mundschenk, jeder von zwei Fackelträgern und zwei Dienern, die Erfrischungen trugen, begleitet, in ihre Schlafgemächer geführt, während Diener niedrigeren Ranges ihrem Gefolge und den anderen Gästen ihre verschiedenen Ruhebetten anwiesen.

Quelle:
Scott, Walter: Ivanhoe. Berlin 1901, S. 44-55.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Ivanhoe
Ivanhoe (Wordsworth Collection)
Ivanhoe: Roman (Fischer Klassik)
Ivanhoe, ein historischer Roman. Für die reifere Jugend frei bearb. von Alber Geyer. Illustriert von W. Zweigle
Ivanhoe

Buchempfehlung

Schnitzler, Arthur

Traumnovelle

Traumnovelle

Die vordergründig glückliche Ehe von Albertine und Fridolin verbirgt die ungestillten erotischen Begierden der beiden Partner, die sich in nächtlichen Eskapaden entladen. Schnitzlers Ergriffenheit von der Triebnatur des Menschen begleitet ihn seit seiner frühen Bekanntschaft mit Sigmund Freud, dessen Lehre er in seinem Werk literarisch spiegelt. Die Traumnovelle wurde 1999 unter dem Titel »Eyes Wide Shut« von Stanley Kubrick verfilmt.

64 Seiten, 4.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Biedermeier. Neun Erzählungen

Geschichten aus dem Biedermeier. Neun Erzählungen

Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Dass das gelungen ist, zeigt Michael Holzingers Auswahl von neun Meistererzählungen aus der sogenannten Biedermeierzeit.

434 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon