Elfter Auftritt.

[56] Die Vorigen. Dikson.


DIKSON erregt und zitternd die Mitte nehmend, sprechend. Gottlob, da seid ihr ja. Ich bitte euch um alles in der Welt verlaßt mich nicht!

JENNY erschrocken. Was giebt es denn? Sollten etwa die Pächter –

DIKSON. Sie haben mich beauftragt, bis zu einer gewissen Summe zu gehen, dann gingen sie wieder. Ich begleitete sie bis an die Ecke des Waldes, etwa zweihundert Schritte von hier. Auf dem Rückwege steht plötzlich ein kleiner, dicker, schmaler, magerer, riesengroßer Zwerg vor mir, der mir dies Papier übergab und dann plötzlich in die Erde hineinfuhr, denn ich konnte nicht sehen, wo er geblieben war.

JENNY. Ach, du meine Güte!

DIKSON zu Jenny. Da ist das Papier – lies! Er reicht es ihr.

JENNY abwehrend. Lies es nur selbst!

DIKSON. Hol die Laterne! Es ist schon zu dunkel!

Jenny eilt nach rechts in das Haus ab.


GEORG inzwischen für sich. Sonderbar! Der Mann ist ganz verwirrt und vermag es nicht, sich zu fassen! Was mag das Papier enthalten?

Jenny kehrt mit einer brennenden Laterne zurück, die sie hochhält, damit Dickson lesen kann.


DIKSON mit zitternder Stimme lesend. »Du hast mir Gehorsam zugeschworen, die Stunde ist gekommen, ich bedarf deiner!« Zu Jenny. Hörst du, sie bedarf meiner!

JENNY. Sie bedarf deiner?

GEORG für sich. Seiner? O arme Frau?

DIKSON weiter lesend. »Begieb dich heute Abend an die Pforte des alten Schlosses und fordre Einlaß im Namen Julius von Avenel. Die weiße Dame!«

JENNY stellt die Laterne rechts vorn auf den Boden, entsetzt die Hände zusammenschlagend. Die weiße Dame!?

DIKSON in die Knie sinkend. Witwe!

[56] Nr. 7. Finale Terzett.

Ein Gewitter ist im Anzuge; leiser Donner.


JENNY UND DIKSON für sich.

O Gott, o Gott! was muß ich Arme / Armer hören?

Ach, ihm drohet, ihm droht Gefahr!

Ach, vor Angst sträubt sich mein Haar!

Welch Geheimnis, welch Geheimnis!

Ein böser Geist ist's wohl gar!

GEORG für sich.

Fürwahr, fürwahr, dies muß die Neugier mehren,

Ja, die Sache ist sonderbar!

Welch Geheimnis, welch Geheimnis!

Ja, die Sache ist sonderbar!

JENNY UND DIKSON für sich.

Welch Geheimnis! weh mir!

Ein böser Geist ist's wohl gar!

GEORG für sich.

Ja, die Sache ist sonderbar!

JENNY für sich.

Ach, es droht ihm Gefahr!

Ja, ihm droht Gefahr!

DIKSON für sich.

Ach, es sträubt sich mein Haar!

Ja, mir droht Gefahr!

GEORG für sich.

Ich kann es nicht verstehen,

Doch möcht' ich sie wohl sehen,

Die dies Briefchen hat verfaßt!

DIKSON für sich.

Ich kann es nicht verstehen,

Vor Angst möcht ich vergehen,

Welch Zittern mich erfaßt!

GEORG für sich.

Er will es nicht gestehen,

Daß Angst und Furcht ihn faßt,

Doch sein Gesicht erblaßt!

JENNY für sich.

Ich kann es nicht verstehen,

Ich will es nur gestehen,

Daß Angst und Furcht mich faßt!

DIKSON für sich.

Vor Angst möcht ich vergehen,

Welch Zittern mich erfaßt![57]

Ich kann es nicht verstehen,

Welch Zittern mich erfaßt!

GEORG für sich.

Er will es nicht gestehen,

Er bebt, ja, und erblaßt!

Ha, seht, wie sein Gesicht erblaßt!

DIKSON zu Jenny.

Diese Nacht bleibt mir zu wählen!

JENNY.

Nein, nein, du gehest nicht!

DIKSON auf das Blatt zeigend.

Muß ich nicht gehorchen den Befehlen?

JENNY.

Nein, nein, zu bleiben ist hier Pflicht!

DIKSON.

Soll ihrem Zorn ich widerstreben?

JENNY.

Du gehest nicht, nein!

DIKSON.

Welch Los wird dann das unsre sein!

JENNY.

Du gehest nicht, nein! zu bleiben ist hier Pflicht!

DIKSON.

Sie trübt durch Kummer unser Leben,

Zerstört die Ernte und den Wein!

GEORG für sich.

Welch sonderbar Geheimnis!

DIKSON.

Und bei Nacht, glaubet mir, erscheinen alle Geister,

Die ihr treulich dienen; ja, ja, bei Nacht,

Mit Ketten schwer beladen,

Nahen sie mit Geräusch meinem Bett,

Ziehen mich bald am Ohr, bald am Fuß,

Zwicken mich in die Waden!

JENNY.

Ach, du gehest nicht!

Zu bleiben ist hier Pflicht!

Nein, nein, nein, nein, du gehest nicht!


Für sich.


Er will es nicht gestehen,

Ach, ihm drohet Gefahr.

Diese Nacht bringt ihm Gefahr!

DIKSON.

Nein, nein, die Schritte hemme nicht!


Für sich.


Vor Angst möcht ich vergehen.

Ach, es sträubt sich mein Haar,

Diese Nacht bringet mir Gefahr!

GEORG für sich.

Doch was ist das?

Wer giebt mir hier wohl Licht?

[58]

Ha, fürwahr! nein, ich versteh es nicht!

Nein, ich kann nicht verstehen,

Ja, das ist sonderbar!

Weshalb fürchten sie Gefahr?

Ich kann es nicht verstehen,

Doch möcht' ich sie wohl sehen,

Die dies Briefchen hat verfaßt!

DIKSON.

Ja, ja, bei Nacht, glaubt mir, erscheinen

Die Geister alle, die ihr dienen!

Bei Nacht, mit Ketten schwer beladen;

Ziehen mich bald am Ohr, bald am Fuß,

Zwicken mich in die Waden!

JENNY für sich.

Ich kann es nicht verstehen,

Doch will ich nur gestehen,

Daß Angst und Furcht mich faßt! –

DIKSON für sich.

Vor Angst möcht' ich vergehen,

Welch Zittern mich erfaßt! –

GEORG für sich.

Er will es nicht gestehen,

Daß Angst und Furcht ihn faßt!

JENNY.

Zu dir, Schutzpatronin, vor allem

Soll heut mein Gebet erschallen.

O blicke gnädig nieder,

O sieh meine Angst und Qualen,

Zeige heut milden Sinn.

Ach, sicher droht ihm Gefahr!

Ja, ihm droht, ja, ihm droht Gefahr!

DIKSON.

O laß, Schutzpatronin, doch vor allem

Den Blick auf mich Armen heut fallen.

O blicke gnädig nieder,

Ach, sieh meine Angst und Qualen,

Gieb mich dem Geiste nicht hin.

Ach, welche Angst, schon sträubt sich mein Haar!

Sicher drohet mir Gefahr!

Ach, vor Angst sträubt sich das Haar!

[59] GEORG.

O laß deiner Augen Strahlen

Voll Huld auf den Flehenden fallen,

Du, der Geister Herrscherin!

Gnädig blick her auf der Armen Qualen,

Zeige heut milden Sinn.

Ja, ja, die Sache ist sonderbar!

Ja, der Fall ist sehr sonderbar!

Er tritt in die Mitte zwischen Jenny und Dikson.


Auf, Freunde, hört, trocknet die Thränen,

Länger sollt ihr trostlos nicht sein.

Mit dem Schicksal euch zu versöhnen,

Stell ich mich heut statt seiner ein.

DIKSON UND JENNY mit freudigem Schreck.

O Gott! das Leben wagtet Ihr?

GEORG.

Wer sieht je die Gefahr mich scheuen,

Kann Hilfe ich dem Freunde verleihn?


Nach und nach verfinstert sich der Himmel immer mehr; es wird Halbnacht.


DIKSON.

Fürchtet Ihr nicht den Zorn der Geister?

GEORG.

Ich fürchte nichts, ich bin Soldat.


Mehrmaliges Blitzen und Donnern.


DIKSON.

Sie töten Euch.

GEORG.

Ich bleibe Meister.

DIKSON.

Das Leben gilt's.

GEORG.

Frisch auf zur That!


Zu Dikson.


Nun kommt, mich zu geleiten;

Ja, ich will's, nichts hält mich zurück!

DIKSON mit Entschlossenheit.

Wohlan, wohlan! ich will Euch begleiten

Bis zum Thor, bis zum Thor!


Beiseite.


Dann kehr' ich um im Augenblick!


Er eilt nach rechts ins Haus.


JENNY.

Wo bleibt nun die Taufe? Ach, unsre Taufe?

GEORG.

Morgen früh werde sie ohne Säumen vollzogen dann.

DIKSON kommt mit Mantel, Degen und Bündel Georgs zurück und tritt Jenny zur Rechten.[60]

Ei, ei, wenn der Böse Euch holte, würde nichts aus der Taufe;

Denn uns fehlte ja der Gevattermann.

DIKSON.

Deine Huld, Schutzpatron, laß mich verdienen,

Komm, komm, von Geistern uns zu befrei'n.

O lasse nicht die Zeit verrinnen;

Ja, dir will ich im Gebet mich weihn,

Wirst du nur mir Schutz verleihn!

JENNY.

Deine Huld, weiße Dame, zu verdienen,

Magst du Geist oder Kobold nun sein;

In jenem Schloß, auf jenen Zinnen

Woll' diesem Held doch Schutz verleihn.

GEORG.

Deine Huld, weiße Dame, zu verdienen,

Magst du Geist oder Kobold nun sein;

In jenem Schloß, auf jenen Zinnen

Wirst, Holde, dem Jünglinge heut' Schutz verleihn.


Blitz, Donner, Regen mit Hagelschauer.


GEORG.

Nun kommt!

JENNY.

Ach, höret Ihr?

DIKSON.

Was hör' ich?

GEORG.

Nun kommt!

JENNY.

Ach, höret Ihr?

DIKSON.

Was hör' ich?

JENNY.

Donner rollt, Hagel wütet!

DIKSON.

Die Blitze durchkreuzen die Luft,

Ja, der Himmel selbst grollt,

Ach, die Hölle tobt schon genug.

JENNY.

Gegen uns ist entfesselt alles Unheil der Welt, wie ich nun seh'!

GEORG.

Der Hölle Macht soll mich nicht schrecken, ich gab mein Wort!

DIKSON UND JENNY erschrecken.

Alles Unheil drohet uns, wie ich nun seh'!

GEORG.

Ich gab mein Wort, ich geh' an jenen Ort!


Fortwährend Blitz, schwacher Donner.


[61] DIKSON.

Deine Huld, Schutzpatron, laß mich verdienen,

Komm, von Geistern uns zu befrei'n.

O lasse nicht die Zeit verrinnen;

Ja, dir will ich im Gebet mich weihn.

JENNY.

Deine Huld, weiße Dame, zu verdienen,

Magst du Geist oder Kobold nun sein;

In jenem Schloß, auf jenen Zinnen

Woll' diesem Held doch Schutz verleihn.

GEORG.

Deine Huld, schönste Dame, zu verdienen,

Magst du Geist oder Kobold nun sein;

In jenem Schloß, auf jenen Zinnen

Wirst, Holde, dem Jünglinge heut' Schutz verleihn.


Blitz und Donner.


DIKSON UND JENNY.

Ach, höret doch, der Donner rollt!

GEORG.

Folgt mir, vergebens widerstrebt Ihr! Auf, folget mir! nun folgt!

DIKSON UND JENNY.

Näher kommt uns das Wetter!


Es wird noch dunkler.


GEORG.

Auf, folget, folgt mir!


Blitz und Donner werden stärker.


DIKSON.

Zu dir, Schutzpatron, doch vor allem!

O lasse nicht die Zeit verrinnen!

Ja, dir will ich im Gebet mich weihn,

Wirst du nur mir Schutz verleihn!

O sieh meine Angst und Qualen!

Zu dir soll mein Flehen, Schutzpatron, heut erschallen,

Zeige heut milden Sinn,

O gieb mich nicht dem Geiste hin!

JENNY.

Zu dir, Schutzpatronin vor allem!

In jenem Schloß, auf jenen Zinnen

Woll' diesem Held doch Schutz verleihn.

O sieh meine Angst und Qualen!

Zu dir soll mein Flehen, Schutzpatronin erschallen,

Zeige heut' uns milden Sinn![62]

GEORG.

Zu dir, ach, erhöre mein Flehen!

In jenem Schloß, auf jenen Zinnen

Wirst, Holde, dem Jünglinge heut' Schutz verleihn!

O sieh auf der Armen Qualen!

In jenem Schlosse, in jenen Helden seh' ich dich,

Nimm mich heut zum Ritter hin!


Heftiger Blitz und Donnerschlag.


Dikson läßt vor Schreck Georgs Sachen fallen und hebt sie, Jenny und Georg den Rücken zuwendend, wieder auf.

Georg benützt diesen Moment, um Jenny einen Kuß zu rauben.

Blitz und Donner.

Georg tritt an Jenny vorüber zu Dikson, ihn zum Gehen ermunternd.

Dikson hilft Georg mit Mantel und Degen bekleiden, nimmt dann die Laterne rechts vorn auf und geht den Bergpfad nach links oben voran.

Georg umarmt Jenny nochmals zärtlich.

Dikson wendet sich und leuchtet zurück.

Einschlag unter stärkstem Blitz und Donner.

Georg eilt Dikson nach.

Jenny wendet sich ängstlich nachschauend nach dem Hause rechts.

Nr. 8. Zwischenaktsmusik.
[63]

Quelle:
Boieldieu, François-Adrien: Die weiße Dame, Leipzig [1892], S. 56-64.
Lizenz:

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