Bologna

[256] Neun Tage war ich in Venedig herumgelaufen. Die Nacht war ich angekommen, die Nacht fuhr ich mit der Corriere wieder ab. Die Gesellschaft war ziemlich zahlreich, und wir waren wie im trojanischen Pferde zusammengeschichtet. Das Wetter war nicht sehr günstig; wir fuhren also von Venedig nach Padua von acht Uhr des Abends bis den andern Mittag. Der Weg an der Brenta herauf soll sehr angenehm sein, aber das Wasser hatte bekanntlich die Straßen durch ganz Oberitalien so fürchterlich zugerichtet, daß es ein trauriger Anblick war; und ich grämte mich nicht sehr, daß ich auf meiner Fahrt und wegen des stürmischen Wetters wenig davon sehen konnte. So wie wir in Padua ankamen, ward das Wetter leidlich. Die Unterredung im Schiffe war bunt und kraus wie die Gesellschaft, aber es wurde durchaus nichts gesprochen, was Bezug auf Politik gehabt hätte. Die einzige Bemerkung nehme ich aus, welche ein alter, ziemlich ernsthafter Mann machte: es wäre nun zu hoffen, daß wir in dreißig oder vierzig Jahren zu Fuße nach Venedig würden gehen können. Er deutete bloß kurz an, die alte Regierung habe ein Interesse gehabt, die Stadt als Insel zu erhalten, und habe sich die Räumung der Lagunen viel Geld kosten lassen; die neue Regierung werde ein entgegengesetztes Interesse haben und brauchte dann nicht viel Kosten darauf zu wenden, die Straße von Mestre nach Venedig festzumachen. Ich lasse die Hypothese dahingestellt sein.

Als ich in Padua meine Mahlzeit genommen hatte, nahm ich meinen Tornister und machte vor meinem Abzuge dem heiligen Antonius einen Besuch. Sogleich war ein Cicerone da, der mich führte, und meinte, ich könne ganz füglich, so betornistert wie ich wäre,[256] überall herumlaufen. Das nahm ich sehr gerne an und wandelte in diesem etwas grotesken Aufzuge mit aller Devotion, die man dem alten Volksglauben schuldig ist, in der gothischen Kathedrale herum. In der Kirche drängten sich mit Gewalt noch zwei andere Ciceronen mit zu mir und ließen sich mit Gewalt nicht abweisen; sie waren weit besser als ich gekleidet und zeigten mir alle ihre Wunder mit vieler Salbung; und ich hatte die Ehre, drei zu bezahlen. Sodann ging ich, das Monument des Livius aufzusuchen, von welchem alle meine drei Führer nichts wußten. Er muß in seiner Vaterstadt jetzt so außerordentlich berühmt nicht sein, denn drei stattlich gekleidete Männer, die ich nach der Reihe anredete, konnten mir weder vom Livius noch von seinem Monumente erzählen; und doch sprachen zwei davon geläufig genug französisch. Endlich wies mich ein alter Graukopf nach dem Stadthause, wo es sich befinde. Ich wandelte in dem ungeheuren Saale des Stadthauses neugierig herum und redete einen Mann mit einem ziemlich literarischen Antlitz lateinisch an. Er antwortete mir italienisch, er habe zwar ehemals etwas Latein gelernt, aber es nun wieder ziemlich vergessen; und das meinige sei ihm zu alt, das könne er gar nicht verstehen. Er wies mich hierauf an einen andern, der mit einem Buche in einer Ecke saß. Dieser stand auf und zeigte mir mit vieler Humanität den alten Stein über dem Eingange der Expedition. Du kennst ihn unstreitig mit seiner Inschrift, welche weiter nichts sagt, als daß die Paduaner ihrem Mitbürger Livius hier dieses Andenken errichtet haben. Das neue, prächtige Monument, das der ehemalige venetianische Senat und das paduanische Volk ihm gesetzt haben, sah ich nicht, weil es zu entfernt war und ich diesen Abend nach Battaglia patrouillieren wollte. Als ich ging, sagte mir der Paduaner sehr[257] artig: »Gratias tibi habemus pro tua in nostrum popularem observantia. Eris nobis cum multis aliis testimonio, quantopere noster Livius apud exteros merito colatur. Valeas nostrumque civem ames ac nobis faveas!« Der Mann sagte dieses mit einer Herzlichkeit und mit einer gewissen klassischen Wichtigkeit, die ihm sehr wohl anstand.

Vom Livius weg ging ich mit dem Livius im Kopfe gerades Weges durch seine alte trojanische Vaterstadt in das klassische Land hinein, das ehemals so große Männer gab. Du weißt, daß ich sehr wenig Literator bin, weißt aber auch, daß ich von der Schule aus noch viel Vergnügen habe, dann und wann einen alten Knaster in seiner eigenen Sprache zu lesen. Livius war immer einer meiner Lieblinge, ob ich gleich Thukydides noch lieber habe. Ich wiederhole also wahrscheinlich zum tausendsten Male die Klage, daß wir ihn nicht mehr ganz besitzen, und finde den übereilten, etwas rodomontadischen Lärm, den man vor einiger Zeit hier und da über seine Wiederfindung gemacht hat, sehr verzeihlich. Ein Gedanke knüpfte sich an den andern; und da fand ich denn in meinem Sinn, daß wir wohl schwerlich den ganzen Livius wieder haben werden. Freilich ist das zu bedauern, denn gerade die wichtigsten Epochen der römischen Geschichte für öffentliches Recht und Menschenkunde, und wo sich unstreitig das Genie und die Freimütigkeit des Livius in ihrem ganzen Glanze gezeigt haben, der Sklavenkrieg und die Triumvirate, sind verloren, aber was kann Klage helfen? Den Verlust erkläre ich mir so. Ich glaube durchaus nicht, daß er aus Zufall oder Vernachlässigung gekommen sei. Livius war ein freimütiger, kühner, entschlossener Mann, ein warmer Patriot und Verehrer der Freiheit wie alle seine Mitbürger, die es bei den letzten Unruhen in Rom unter dem Triumvirate[258] tätig genug gezeigt hatten; er war ein erklärter Feind der Despotie. August selbst, dem die römische Schmeichelei schändlicherweise einen so schönen Namen gab, nannte ihn mit einer feinen Tyrannenmäßigung nur einen Pompejaner. Die Familie der Cäsaren war nun Meister; man kennt die Folgen der erbaulichen Subjekte derselben, die schon schlimm genug waren, wenn sie auch nur halb so schlecht waren, als sie in der Geschichte stehen. Du findest doch wohl begreiflich, daß die Cäsaren nicht absichtlich ein Werk, wie die Geschichte des Livius war, zu Lichte werden gefördert haben. Es wird mir sogar aus einigen Stellen des Tacitus sehr wahrscheinlich, daß man alles getan hat, sie zu unterdrücken, wenigstens die Stellen, wo der aristokratisch römische Geist und die Tyrannei der cäsarischen Familie insbesondere mit sehr grellen Farben gezeichnet sein mußte. Dieses waren vorzüglich der Sklavenkrieg und das Ende der Bürgerkriege. Es war überhaupt ein weitläuftiges Werk, und nicht jeder war imstande, sich dasselbe abschreiben zu lassen. Alle fanden es also wahrscheinlich genug ihrer Sicherheit und ihrem Interesse gemäß, die Stellen nicht bei sich zu haben, die ihnen von dem Argwohn und der Grausamkeit ihrer Herrscher leicht die blutigste Ahndung zuziehen konnten. Auf diese Weise ist das Schätzbarste von Livius im eigentlichen Sinne nicht sowohl verloren gegangen, als vernichtet worden: und als man anfing, ihn ins Arabische zu übersetzen, war er vermutlich schon so verstümmelt, wie wir ihn jetzt haben. So stelle ich mir die Sache vor. Und gesetzt, die wichtigsten Bruchstücke fänden sich noch irgendwo in einem seltenen Exemplar unter einem Aschenhaufen des Vulkans, so kannst Du, aus der Analogie der neuen Herrscher mit den alten, ziemlich sicher darauf rechnen, daß wir die Schätze doch[259] nicht erhalten werden; zumal bei dem erneuerten und vergrößerten Argwohn, der seit einigen Jahrzehnten zwischen den Machthabern statthat. Wenn ich mich irre, soll es mir lieb sein, denn ich wollte drei Fußreisen von der Elbe an den Liris machen, um dort von dem Livius den Spartakus zu lesen, den ich für einen der größten und besten römischen Feldherren zu halten in Gefahr bin.

Unter diesen Überlegungen, deren Konsequenz ich Dir überlasse, wandelte ich die Straße nach Rovigo fort. Diese Seite von Venedig ist nicht halb so schön als die andere von Treviso nach Mestre; die Überschwemmungen mit dem neuen Regenwasser hatten die Wege traurig zerrüttet, und ich zog sehr schwer durch den fetten Boden Italiens weiter. Überall war der Segen des Himmels mit Verschwendung über die Gegend ausgeschüttet, und überall war in den Hütten die jämmerlichste Armut. Vermutlich war dies noch mit eine Folge des Krieges. Nicht weit von Montselice kehrte ich zu Mittage an der Straße in einem Wirtshause ein, das nicht die schlimmste Miene hatte, und fand nichts, durchaus nichts als etwas Wein. Ich wartete eine halbe Stunde und wollte viel zahlen, wenn man mir aus den benachbarten Häusern nur etwas Brot schaffen könnte. Aber das war unmöglich; man gab mir aus Gutmütigkeit noch einige Bissen schlechte Polenta, und ich mußte damit und mit meinem Schluck Weins weitergehen.

Vor Rovigo setzte ich über die Etsch und trat in das Zisalpinische. Der kaiserliche Offizier jenseits des Flusses, der meinen Paß mit aller Schwerfälligkeit der alten Bocksbeutelei sehr lange revidierte, machte mir bange, daß ich diesseits bei dem französischen Kommandanten wohl Schwierigkeiten finden würde. Als ich zu diesem kam, war alles gerade das Gegenteil. Er[260] war ein freundlicher, jovialischer Mann, der mir den Paß, nach einem flüchtigen Blick auf mich und auf den Paß, ohne ihn zu unterschreiben, zurückgab. Ich machte ihm darüber meine Bemerkung, daß er nicht unterschriebe. »Vous n'en avez pas besoin«; sagte er. »Vous venez de l'autre côté?« – »Je viens de Vienne et je m'en vais par Ferrare à Ancone.« – »N'importe,« versetzte er; »allez toujours. Bon voyage!« Die Höflichkeit des Franzosen, die ich gegen die Nichthöflichkeit des Präsidenten in Wien und des Polizeiherrn in Venedig hielt, tat mir sehr wohl. Rovigo war die erste eigentlich italienische Stadt für mich, denn Triest und Venedig und die übrigen Örter hatten alle noch so etwas Nordisches in ihrer Erscheinung, daß es mir kaum einfiel, ich sei schon in Italien. Weder hier noch in Lagoscuro noch in Ferrara fragte man mich weiter nach Pässen, ob ich gleich überall starke französische Besatzungen fand. Vor meinem Fenster in Rovigo stand auf dem Platze der große Freiheitsbaum mit der Mütze auf der Spitze, und gegenüber in dem großen Kaffeehause war ein starkes Gewimmel von Italienern und Franzosen, die sich der jovialen Laune der Ungebundenheit überließen. Aber alles war sehr anständig und ohne Lärm.

Ich muß Dir bekennen, daß mir dieses heitere, kühne Wesen gegen die stille, bange Furchtsamkeit in Wien und Venedig sehr wohl gefiel, und daß ich selber etwas freier zu atmen anfing, so wenig ich auch eben diese Freiheit für mich behalten und sie überhaupt den Menschenkindern wünschen möchte. Das Wasser hatte hier außerordentlichen Schaden getan, wie Du gewiß schon aus öffentlichen Blättern wirst gehört haben; vorzüglich hatte der sogenannte canale bianco seine Dämme durchbrochen und links und rechts große Verwüstungen angerichtet. Es arbeiteten oft mehrere[261] hundert Mann an den Dämmen und werden Jahre arbeiten müssen, ehe sie alles wieder in den Stand setzen. Hier sah man empörende Erscheinungen der Armut in einem ziemlich gesegneten Landstriche; und ich schreibe dieses auch mit dem Unheil zu, das die Flüsse und großen Kanäle hier sehr oft anrichten müssen. Da eine Straße ganz abscheulich war, ließ ich mich bis Ponte di Lagoscuro auf den Po hinauf rudern und zahlte fünf Ruderknechten für eine Strecke von drei Stunden die kleine Summe von zehn Liren. Der Po ist hier ein großes, schönes, majestätisches Wasser, und die heitere, helle Abendsonne vergoldete seine Wellen und links und rechts die Ufer in weiter, weiter Ferne. Es war, als ob ein Ozean herabrollte, und die Griechen haben ihn mit vollem Recht Eridanus, den Gabenbringer oder den Wogenwälzer, genannt, nachdem Du nun die Erklärung machen willst. Eridamus und Rhodanus scheinen mir ganz die nämlichen Namen zu sein; und die beiden Flüsse haben unstreitig große Ähnlichkeit miteinander.

Wenn man an einem hellen, kalten Abend zu Anfang des Februars einige Stunden auf dem Wasser gefahren ist, so ist ein gutes, warmes Zimmer, eine Suppe und ein frisch gebratener Kapaun ein sehr angenehmer Willkommen. Diesen fand ich in Ponte di Lagoscuro und wandelte den Morgen darauf in dem fürchterlichsten Regen auf einem ziemlich guten Wege die kleine Strecke nach Ferrara. Hier blieb ich und schlenderte den Nachmittag in der Stadt herum. Die architektonische Anlage des Orts ist sehr gut, die Straßen sind lang und breit und hell. Es fehlt der ganzen Stadt nur eine Kleinigkeit, nämlich Menschen. Französische Soldaten sah man überall genug, aber Einwohner desto weniger. Die öffentlichen Gebäude und Gärten und Plätze sind nicht ohne Schönheit. Mehrere Stunden[262] war ich in der Kathedrale und dem Universitätsgebäude. Am Eingange sind hier, wie in Wien an der Bibliothek, sehr viele alte lateinische Inschriften eingemauert, die meistens Leichensteine sind und für mich wenig Interesse haben. Die Bibliothek aber ist ziemlich ansehnlich, und man wiederholte mir mit Nachdruck einigemal, daß durchaus kein Fürst etwas dazu gegeben habe, sondern daß alles durch die Beiträge des Publikums und von Privatleuten nur seit ungefähr fünfzig Jahren angeschafft worden sei. Auf der Bibliothek findet sich jetzt auch das Grab und das Monument Ariosts, das sonst bei den Benediktinern stand: das sagt die neue lateinische Inschrift. Man zeigte mir mehrere Originalbriefe von Tasso, eine Originalhandschrift von Ariost und sein metallenes, sehr schön gearbeitetes Tintenfaß, an dem noch eine Feder war. Ohne eben die Authentizität sehr kritisch zu untersuchen, würde ich zu Oden und Dithyramben begeistert worden sein, wenn ich etwas inspirationsfähiger wäre. So viel muß ich sagen, die Bibliothek beschämt an Ordnung die meisten, die ich gesehen habe.

Im Gasthofe fütterte man mich den Abend sehr gut mit Suppe, Rindfleisch, Wurst, Fritters, Kapaun, Obst, Weintrauben und Käse von Parma. Du siehst daraus, daß ich gewöhnlich nicht faste wie an meinem Geburtstage zu Udine, und daß die Leipziger Aubergisten vielleicht sich noch hier ein kleines Exempel von den oberitalienischen nehmen könnten. Das Wetter war fürchterlich. Ich hatte gelesen von den großen, gefährlichen Morästen zwischen Ferrara und Bologna, und die Erzählungen bestätigten es und sagten weislich noch mehr, so daß ich nicht ungern mit einem Vetturino handelte, der sich mir nach Handwerksweise sehr höflich aufdrang. Der Wagen war gut, die Pferde[263] waren schlecht, und der Weg war noch schlechter. Schon in Padua konnte ich eine kleine Ahnung davon haben; denn eine Menge Kabrioletiers wollten mich nach Verona und Mantua bringen; da ich aber sagte, daß ich nach Bologna wollte, verlor kein einziger ein Wort weiter, als daß sie alle etwas von Teufelsweg durch die Zähne murmelten. Meine Kutschengefährten waren ein zisalpinischer Kriegskommissar und eine Dame von Cento, die ihren Mann in der Revolution verloren hatte. Wir zahlten gut und fuhren schlecht und wären noch schlechter gefahren, wenn wir nicht zuweilen eine der schlechten Strecken zu Fuße gegangen wären. Einige Stunden von Ferrara aus ging es leidlich, dann sank aber der Wagen ein bis an die Achse. Der Vetturino wollte Ochsenvorspannung nehmen; die billigen Bauern forderten aber für zwei Stunden nicht mehr als achtundzwanzig Liren für zwei Ochsen, ungefähr sechs Gulden Reichsgeld. Der arme Teufel von Fuhrmann jammerte mich, und ich riet ihm selbst, gar kein Gebot auf die unverschämte Forderung zu tun. Die Gäule arbeiteten mit der furchtbarsten Anstrengung absatzweise eine halbe Stunde weiter; dann ging es nicht mehr. Wir stiegen aus und arbeiteten uns zu Fuße durch, und es ward mit dem leeren Wagen immer schlimmer. Erst fiel ein Pferd, und, als sich dieses wieder erhoben hatte, das andere, und einige hundert Schritte weiter fielen alle beide und wälzten sich ermattet in dem schlammigen, tonigen Boden. Da hatten wir denn in Italien das ganze deutsche salzmannische menschliche Elend in concreto. Die Pferde halfen sich endlich wieder auf; aber der Wagen saß fest. Nun stelle Dir die ganz bekotete Personalität Deines Freundes vor, wie ich mit der ganzen Kraft meines physischen Wesens meine Schulter unter die Hinterachse des Wagens setzte und heben und[264] schieben half, daß die Dame und der Kriegskommissar und der Vetturino erstaunten. Es ging, und nach drei Versuchen machte ich den Fuhrmann wieder flott. Aber ans Einsetzen war nicht zu denken. Nun hatte ich das Amt, die Dame und den Kommisar durch die engen, schweren Passagen zu bugsieren, und tat es mit solchem Nachdruck und so geschicktem Gleichgewicht auf den schmalen Stegen und Verschlägen und an den Gräben, daß ich ihnen von meiner Kraft und Gewandtheit eine gar große Meinung gab. Schon hatten wir uns, als wir zu Fuße voraus über den italienischen Rhein, einen ziemlich ansehnlichen Fluß, gesetzt hatten, in einem ganz artigen Wirtshause zu Malabergo einquartiert und uns in die Pantoffeln des Wirts geworfen, als unser Fuhrmann ankam und uns durchaus noch acht italienische Meilen weiter bringen wollte. Ich hatte nichts dagegen, und die andern wurden überstimmt. Von hier aus sollte nun der Weg besser sein. Wir schroteten uns also wieder in den Wagen und ließen uns weiterziehen. Jetzt trat eine andere Furcht ein, der Dame und dem Kriegskommissar – drollig genug an Italienern! – ward bange vor Gespenstern. Der Kriegskommissar schien überhaupt mit seinem Mute nicht viel zur Befreiung seines Vaterlandes beigetragen zu haben. Mir ward zwar auch etwas unheimlich, nicht aber vor Geistern, sondern vor Straßenräubern, für welche diese Straße zwischen tiefen, breiten Kanälen ordentlich geeignet schien; indessen sammle ich in dergleichen Fällen als ein guter Prädestinatianer meinen Mut und gehe getrost vorwärts. Gegen Mitternacht kamen wir endlich glücklich auf unsere Station, einem isolierten, ziemlich großen und guten Gasthof, an, der, wenn ich nicht irre, Althee hieß, und von dem ich Dir weiter nichts zu sagen weiß, als daß man mir einen Wein gab, der dem Champagner[265] ähnlich war und also meinen Beifall hatte. Bei diesem Weine und der guten Mahlzeit vergaß der Kommissär alle Mühseligkeiten des Tages und des Abends und schien ganz eigentlich in seinem rechten Elemente zu sein; das ist ihm nun freilich nicht übelzunehmen, denn ich befand mich nach einer solchen Fahrt dabei auch ganz behaglich.

Den andern Mittag langten wir hier in der alten päpstlichen Stadt Bologna an, wo man zuerst wieder nach meinem Passe fragte. Mit mir Fremden nahm man es nicht so strenge als mit meinem Kameraden, der aus der Gegend von Parma war, und der ein förmliches Kandidatenexamen aushalten mußte. Auf der Polizei, wo ich den Paß signieren lassen mußte, war man ebenso artig und höflich als an dem Grenzflusse. Hier in Bologna fand ich überall eine exemplarische Unreinlichkeit, die an Schweinerei grenzt; und wenn man der häuslichen Nettigkeit der Italiener überhaupt kein großes Lob geben kann, so haben die Leute in Bologna den größten Schmutz aufzuweisen. Außer dem Stolz auf ihr altes Felsine behaupten die Bologneser noch, daß ihre Stadt so groß sei wie Rom. Daran tun sie nun freilich etwas zuviel; wenn man aber auf den Turm steigt und sich rings umher umschaut, so wird man den Raum doch groß genug finden, um in eine solche Versuchung zu geraten, zumal wenn man etwas patriotisch ist. Der Hauptplatz mit der daranstoßenden Kathedrale und dem Gemeindehause rechts und den großen, schönen Kaufmannshallen links macht keine üble Wirkung. Der Neptun mitten auf demselben, von Jean de Bologna, hat als Statue wohl seine Verdienste; nur schade, daß der arme Gott hier so wenig von seinem Element hat, daß er wohl kaum den Nachbarn auf hundert Schritte in die Runde zu trinken geben kann. Der Eingang des Gemeindehauses ist von[266] Franzosen besetzt, und die Bürgerwache steht gar demütig in einem sehr spießbürgerlichen Aufzuge daneben. Über dem Portal hängt ein nicht unfeines Bild der Freiheit mit der Umschrift in großen Buchstaben: »Republica Italiana«; welches erst vor einigen Wochen hingesetzt war, da man die Zisalpiner in diese Nomenklatur metamorphosiert hatte.

Vor dem Nationaltheater wurde ich gewarnt, weil man daselbst durchaus immer die niedrigsten Hanswurstiaden gebe und zum Intermezzo Hunde nach Katzenmusik tanzen lasse. Hätte ich mehr Zeit gehabt, so hätte ich doch wohl die Schnurrpfeifereien mit angesehen. Dafür ging ich aber auf das kleine Theater Da Ruffi und fand es für eine so kleine Unternehmung allerliebst. Ich kann nicht begreifen, wie die Leute bei einem so geringen Eintrittsgelde und dem kleinen Raum des Schauspielhauses den Aufwand bestreiten können. Man gab ein Stück aus der alten französischen Geschichte, den »Sklaven aus Syrien«, wo natürlich viel über Freiheit und Patriotismus deklamiert wurde; aber schon wieder mit vieler Beziehung auf Fürstenwürde und Fürstenrechte, welches man vielleicht voriges Jahr noch nicht hätte tun dürfen. Die Donna und der Held waren gut. Der Dialekt war für mich deutlich und angenehm; die meisten Schauspieler waren, wie man sagte, Römer, und nur ein Einziger zischte venetianisch. Nach dem Stück gab man das beliebte Spiel Tombola, wovon ich vorher gar keinen Begriff hatte und auch jetzt noch keinen sehr deutlichen bekommen habe, da es mir an jeder Art Spielgeist fehlt. Es ist eine Art Lotterie aus dem Stegreif, die für das Publikum auf dem Theater nach dem Stücke mit allgemeiner Teilnahme enthusiastisch gespielt wird. Die Anstalten waren sehr feierlich; es waren Munizipalbeamten mir Wache auf dem Theater, die Lose wurden vorher ausgerufen,[267] alle gezeigt und einem Knaben in den Sack geworfen. Ob man gleich nur um einige Scudi spielte, hätte man doch glauben sollen, es ginge um die Schätze Golkondas, so ein Feuereifer belebte alle Teilnehmer. Mir hätte das Spiel herzlich lange Weile gemacht, wie alle dergleichen Hazardspiele, wenn nicht die Physiognomien der Spielenden einiges Vergnügen bewährt hätten. Mein Cicerone war ein gewaltig gelehrter Kerl und sprach und räsonnierte von Schulen und Meistern und Gemälden so strömend, als ob er die Dialektik studiert hätte und Professor der Ästhetik wäre; und er konnte es gar nicht zusamenreimen, daß ich nicht wenigstens vierzehn Tage hierbleiben wollte, die Reichtümer der Kunst zu bewundern. Er hielt mich halb für einen Barbaren und halb für einen armen Teufel; und ich überlasse Dirs, inwieweit er in beiden Recht hat. Ich ging trotz seinen Demonstrationen den andern Morgen zum Tore hinaus.

Quelle:
Johann Gottfried Seume: Prosaschriften. Köln 1962, S. 256-268.
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