Erste Szene

[477] Frankreich. Ein englischer Wachtplatz.


Fluellen und Gower treten auf.


GOWER. Ja, das ist recht; aber warum tragt Ihr heute Euer Lauch? Sankt Davids-Tag ist vorbei.

FLUELLEN. Bei allen Dingen sein Veranlassungen und Gründe, warum und weshalb. Ich will Euch als meinem Freunde sagen, Kapitän Gower: der schuftige, grindige, lumpige, lausige, prahlerische Hundsfott Pistol, den Ihr samt Euch selbst und der ganzen Welt für nichts Besseres kennt als einen Menschen, versteht Ihr mich, von gar keinen Verdiensten, der ist zu mir gekommen, und pringt mir gestern Prot und Salz, seht Ihr, und heißt mich mein Lauch essen; es war an einem Orte, wo ich keine Zwistigkeiten mit ihm nicht anfangen konnte; aber ich werde so dreist sein, es an meiner Mütze zu tragen, bis ich ihn einmal wieder sehe, und dann will ich ihm ein kleines Stück von meinen Wünschen sagen.


[477] Pistol tritt auf.


GOWER. Ei, da kommt er, aufgeblasen wie ein kalekutische Hahn.

FLUELLEN. Es tut nichts mit seinem Aufblasen und seinen kalekutischen Hähnen. – Gott grüß' Euch, Fähndrich Pistol! Ihr schäbiger, lausiger Schelm, Gott grüß' Euch.

PISTOL.

Ha, bist du Bedlam? Dürstest, schnöder Trojer,

Daß ich der Parca Todsgewebe falte?

Fort! Denn mir widert der Geruch des Lauchs.

FLUELLEN. Ich ersuche Euch von Herzen, schäbiger, lausiger Schelm, auf meine Bitten, meine Begehren und meine Ansuchungen, dies Lauch, seht Ihr, zu essen; weil Ihr es nicht mögt, seht Ihr, und Eure Neigungen und Eure Appetite und Eure Verdauungen damit nicht übereinstimmen tun, so wollte ich Euch bitten, davon zu essen.

PISTOL. Nicht um Cadwallader und seine Gemsen.

FLUELLEN. Da habt Ihr eine Gemse. Schlägt ihn. Wollt Ihr von der Güte sein, grindiger Schuft, und es aufessen?

PISTOL. Müßt sterben, schnöder Trojer.

FLUELLEN. Ihr sagt die Wahrheit, grindiger Schuft, wann es Gottes Wille ist. Ich will Euch bitten, unterdessen zu leben und Eure Kost zu verzehren. Kommt, da habt Ihr Prühe dazu! Schlägt ihn wieder. Ihr nanntet mich gestern Bergjunker, aber ich will Euch heute zum »Junker niedern Rangs« ma chen. Ich bitte Euch, frisch dran; könnt Ihr Lauch verspoten, so könnt Ihr auch Lauch essen.

GOWER. Genug, Kapitän! Ihr habt ihn ganz betäubt.

FLUELLEN. Ich sage, er soll mir ein Stück von meinem Lauch essen, oder ich will ihm den Kopf vier Tage lang priegeln. – Peißt an, ich bitte Euch: es ist gut für Eure frische Wunde und für Eure plutige Krone.

PISTOL. So muß ich beißen?

FLUELLEN. Ja, sicherlich und ohne Zweifel und dazu ohne Frage und ohne Zweideutigkeiten.

PISTOL.

Bei diesem Lauch! Ich will mich gräßlich rächen

Ich ess' und ess' und schwöre.

FLUELLEN. Eßt, ich bitte Euch. Wollt Ihr noch mehr Prühe[478] zu Eurem Lauch haben? Es ist nicht Lauch genug, um dabei zu schwören.

PISTOL. Halt' deinen Prügel ein: du siehst, ich esse.

FLUELLEN. Gut bekomme es Euch, grindiger Schuft, von ganzem Herzen! Nein, ich bitte Euch, werft nichts weg: die Schale ist gut für Eure zerschlagene Krone. Wenn Ihr Gelegenheit nehmt, in der Folge Lauch zu sehen, so bitte ich Euch, spottet darüber; weiter sage ich nichts.

PISTOL. Gut.

FLUELLEN. Ja, Lauche sein gut. Da hier ist ein Groschen, um Euren Kopf zu heilen.

PISTOL. Mir einen Groschen?

FLUELLEN. Ja, gewißlich und in Wahrheit, Ihr sollt ihn nehmen, oder ich habe noch ein Lauch in der Tasche, das Ihr aufessen sollt.

PISTOL. Ich nehm' ihn an als Handgeld meiner Rache.

FLUELLEN. Wenn ich Euch irgend was schuldig bin, so will ich es in Priegeln bezahlen: Ihr sollt ein Holzhändler werden und nichts als Priegel von mir kaufen. Gott geleit' Euch, und erhalte Euch, und heile Euren Kopf! Ab.

PISTOL. Dafür soll sich die ganze Höll' empören!

GOWER. Geht, geht! Ihr seid ein verstellter feiger Schelm. Wollt Ihr einen alten Gebrauch verspotten, der sich auf einen ehrenvollen Anlaß gründet und als eine denkwürdige Trophäe ehemaliger Tapferkeit getragen wird, und habt nicht das Herz, Eure Worte im geringsten durch Eure Taten zu bekräftigen? Ich habe Euch schon zwei- oder dreimal diesen wackern Mann necken und besticheln sehn. Ihr dachtet, weil er das Englische nicht nach seinem eigentümlichen Schnitte sprechen kann, so könne er auch keinen englischen Prügel handhaben. Ihr findet es anders: lernt daher für die Zukunft von einer wäl'schen Züchtigung eine gute englische Gesinnung. Gehabt Euch wohl! Ab.

PISTOL.

Wie? Spielt Fortuna nun mit mir das Nickel?

Kund ward mir, daß mein Dortchen im Spital

Am fränk'schen Übel starb;

Und da ist ganz mein Wiedersehn zerstört.

Alt werd' ich, und den müden Gliedern prügelt man[479]

Die Ehre aus. Gut, Kuppler, will ich werden,

Zum Beutelschneider hurt'ger Hand mich neigend.

Nach England stehl' ich mich und stehle dort

Und schwör', wenn ich bepflastert diese Narben,

Daß Galliens Kriege rühmlich sie erwarben.


Ab.


Quelle:
William Shakespeare: Sämtliche Werke in vier Bänden. Band 3, Berlin: Aufbau, 1975, S. 477-480.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
König Heinrich V.
Shakespeares dramatische Werke
King Henry V/ König Heinrich V. [Zweisprachig]
König Heinrich V.
King Henry V / König Heinrich V.: Englisch-deutsche Studienausgabe (Engl. / Dt.) Englischer Originaltext und deutsche Prosaübersetzung
König Heinrich V. / King Henry V (Gesamtausgabe, Band 22)

Buchempfehlung

Raabe, Wilhelm

Die Akten des Vogelsangs

Die Akten des Vogelsangs

Karls gealterte Jugendfreundin Helene, die zwischenzeitlich steinreich verwitwet ist, schreibt ihm vom Tod des gemeinsamen Jugendfreundes Velten. Sie treffen sich und erinnern sich - auf auf Veltens Sterbebett sitzend - lange vergangener Tage.

150 Seiten, 6.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Romantische Geschichten III. Sieben Erzählungen

Romantische Geschichten III. Sieben Erzählungen

Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Nach den erfolgreichen beiden ersten Bänden hat Michael Holzinger sieben weitere Meistererzählungen der Romantik zu einen dritten Band zusammengefasst.

456 Seiten, 16.80 Euro

Ansehen bei Amazon