Zweite Szene

[97] Ebendaselbst. Ein Zimmer im Palaste des Herzogs von Lancaster.


Gaunt und die Herzogin von Gloster treten auf.


GAUNT.

Ach, mein so naher Teil an Glosters Blut

Treibt mehr mich an als Euer Schreien, mich

Zu rühren gegen seines Lebens Schlächter.

Doch weil Bestrafung in den Händen liegt,

Die das getan, was wir nicht strafen können,

Befehlen wir dem Himmel unsre Klage,

Der, wenn er reif die Stund' auf Erden sieht.

Aufs Haupt der Sünder heiße Rache regnet.

HERZOGIN VON GLOSTER.

So ist die Brüderschaft kein schärfrer Sporn?

Und schürt die Lieb' in deinem alten Blut

Kein lebend Feuer? Eduards sieben Söhne,

Wovon du selber einer bist, sie waren

Wie sieben Flaschen seines heil'gen Bluts,

Wie sieben Zweig' aus einer Wurzel sprossend.

Ein Teil ist nun natürlich eingetrocknet,

Ein Teil der Zweige vom Geschick gefällt;

Doch Thomas, mein Gemahl, mein Heil, mein Gloster,

Von Eduards heil'gem Blute eine Flasche,

Ein blüh'nder Zweig der königlichen Wurzel,

Ist eingeschlagen und der Trank verschüttet,

Ist umgehau'n und all sein Laub verwelkt,

Durch Neides Hand und Mordes blut'ge Axt.

Ach, Gaunt! sein Blut war deins; das Bett, der Schoß.

Der Lebensgeist, die Form, die dich gestaltet,

Macht' ihn zum Mann; und lebst du schon und atmest,

Du bist in ihm erschlagen: du stimmst ein

In vollem Maß zu deines Vaters Tod,

Da du den armen Bruder sterben siehst,

Der Abdruck war von deines Vaters Leben.

Nenn's nicht Geduld, es ist Verzweiflung, Gaunt;

Indem du so den Bruder läßt erschlagen,

Zeigst du den offnen Pfad zu deinem Leben

Und lehrst den finstern Mord, dich auch zu schlachten.[97]

Was wir an Niedern rühmen als Geduld,

Ist blasse Feigheit in der edlen Brust.

Was red' ich viel? Du schirmst dein eignes Leben

Am besten, rächst du meines Glosters Tod.

GAUNT.

Der Streit ist Gottes, denn sein Stellvertreter,

Sein Bot', in seinem Angesicht gesalbt,

Hat seinen Tod verursacht; wenn mit Unrecht,

Mag Gott es rächen: ich erhebe nie

Den Arm im Zorne gegen seinen Diener.

HERZOGIN VON GLOSTER.

Wo soll ich, ach! denn meine Klage führen?

GAUNT.

Beim Himmel, der die Witwen schützt und schirmt.

HERZOGIN VON GLOSTER.

Nun gut, das will ich. Alter Gaunt, leb wohl!

Du gehst nach Coventry, den grimmen Mowbray

Mit Vetter Hereford fechten da zu sehn.

Oh, Glosters Unrecht sitz' auf Herefords Speer,

Auf daß er dring' in Schlächter Mowbrays Brust!

Und schlägt dem Unglück fehl das erste Rennen,

So schwer sei Mowbrays Sünd' in seinem Busen,

Daß sie des schäum'gen Rosses Rücken bricht

Und wirft den Reiter häuptlings in die Schranken,

Auf Gnad' und Ungnad' meinem Vetter Hereford!

Leb wohl, Gaunt! Deines weiland Bruders Weib

Verzehrt in Grams Gesellschaft ihren Leib.

GAUNT.

Schwester, leb wohl! Nach Coventry muß ich:

Heil bleibe bei dir und begleite mich!

HERZOGIN VON GLOSTER.

Ein Wort noch! – Gram springt, wo er fällt, zurück,

Durch sein Gewicht, nicht durch die hohle Leerheit.

Ich nehme Abschied, eh' ich noch begann;

Leid endet nicht, wann es scheint abgetan.

Empfiehl mich meinem Bruder, Edmund York.

Sieh, dies ist alles: – doch warum so eilen?

Ist dies schon alles, mußt du doch noch weilen;

Mir fällt wohl mehr noch ein. Heiß' ihn – o was?

Zu mir nach Plashy unverzüglich gehn.

Ach, und was wird der alte York da sehn[98]

Als leere Wohnungen und nackte Mauern

Samt öden Hallen, unbetretnen Steinen?

Was zum Willkommen hören als mein Weinen?

Darum empfiehl mich: laß ihn dort das Leid

Nicht suchen, denn es wohnt ja weit und breit.

Trostlos will ich von hinnen und verscheiden:

Mein weinend Auge sagt das letzte Scheiden.


Ab.


Quelle:
William Shakespeare: Sämtliche Werke in vier Bänden. Band 3, Berlin: Aufbau, 1975, S. 97-99.
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