Zweite Szene

[637] Eine andere Gegend der Insel.


Stephano und Trinculo kommen. Caliban folgt mit einer Flasche.


STEPHANO. Sagt mir da nicht von! Wenn das Faß leer ist, wollen wir Wasser trinken. Vorher keinen Tropfen! Also haltet Euch frisch und stecht sie an. Diener-Ungeheuer, tu' mir Bescheid!

TRINCULO. Diener-Ungeheuer? Ein tolles Stück von Insel! Sie sagen, es wären nur fünfe auf dieser Insel: wir sind drei davon; wenn die andern beiden so gehirnt sind wie wir, so wackelt der Staat.[637]

STEPHANO. Trink, Diener-Ungeheuer, wenn ich dir's heiße. Die Augen stecken dir fast ganz im Kopfe drinnen.

TRINCULO. Wo sollten sie sonst stecken? Er wäre wahrlich ein prächtiges Ungeheuer, wenn sie ihm im Schweife steckten.

STEPHANO. Mein Kerl-Ungeheuer hat seine Zunge in Sekt ersäuft. Was mich betrifft, mich kann das Meer nicht ersäufen. Ich schwamm, eh' ich wieder ans Land kommen konnte, fünfunddreißig Meilen, ab und zu: beim Element! – Du sollst mein Lieutenant sein, Ungeheuer, oder mein Fähndrich.

TRINCULO. Euer Lieutenant, wenn's Euch beliebt: er kann die Fahne nicht halten.

STEPHANO. Wir werden nicht laufen, Musje Ungeheuer.

TRINCULO. Gehn auch nicht; Ihr werdet liegen wie Hunde und den Mund nicht auftun.

STEPHANO. Mondkalb, sprich einmal in deinem Leben, wenn du ein gutes Mondkalb bist.

CALIBAN. Wie geht's deiner Gnaden? Laß mich deine Schuh' lecken. Ihm will ich nicht dienen, er ist nicht herzhaft.

TRINCULO. Du lügst, unwissendes Ungeheuer. Ich bin imstande, einem Bettelvogt die Spitze zu bieten. Ei, du liederlicher Fisch du, war jemals einer eine Memme, der so viel Sekt getrunken hat als ich heute? Willst du eine ungeheure Lüge sagen, da du nur halb ein Fisch und halb ein Ungeheuer bist?

CALIBAN. Sieh, wie er mich zum besten hat: willst du das zugeben, mein Fürst?

TRINCULO. Fürst, sagt er? – Daß ein Ungeheuer solch ein Einfaltspinsel sein kann!

CALIBAN. Sieh, sieh! schon wieder! Bitte, beiß' ihn tot!

STEPHANO. Trinculo, kein loses Maul! Wenn Ihr aufrührisch werdet, soll der nächste Baum – das arme Ungeheuer ist mein Untertan, und ihm soll nicht unwürdig begegnet werden.

CALIBAN. Ich danke meinem gnädigen Herrn. Willst du geruhn, nochmals auf mein Gesuch zu hören, das ich dir vorbrachte?

STEPHANO. Ei freilich will ich: knie' und wiederhol' es! Ich will stehn, und das soll Trinculo auch.


Ariel kommt, unsichtbar.[638]


CALIBAN. Wie ich dir vorher sagte, ich bin einem Tyrannen untertan, (einem Zauberer,) der mich durch seine List um die Insel betrogen hat.

ARIEL. Du lügst.

CALIBAN.

Du lügst, du possenhafter Affe, du!

Daß dich mein tapfrer Herr verderben möchte!

Ich lüge nicht.

STEPHANO. Trinculo, wenn Ihr ihn in seiner Erzählung noch irgend stört, bei dieser Faust! ich schlag' Euch ein paar Zähne ein.

TRINCULO. Nun, ich sagte ja nichts.

STEPHANO. St also, und nichts weiter! – Fahre fort!

CALIBAN.

Durch Zauberei gewann er diese Insel,

Gewann von mir sie. Wenn nun deine Hoheit

Ihn strafen will – ich weiß, du hast das Herz,

Doch dies Ding hier hat keins –

STEPHANO. Das ist gewiß.

CALIBAN. So sollst du Herr drauf sein, ich will dir dienen.

STEPHANO. Aber wie kommen wir damit zustande? Kannst du mir zu dem Handel Anweisung geben?

CALIBAN.

Ja, ja, mein Fürst! Ich liefr' ihn dir im Schlaf,

Wo du ihm seinen Kopf durchnageln kannst.

ARIEL.

Du lügst, du kannst nicht.

CALIBAN.

Der scheckige Hanswurst! Du lump'ger Narr! –


Ich bitte deine Hoheit, gib ihm Schläge,

Und nimm ihm seine Flasche; ist die fort,

So mag er Lake trinken, denn ich zeig' ihm

Die frischen Quellen nicht.

STEPHANO. Trinculo, stürze dich in keine weitere Gefahr: Unterbrich das Ungeheuer noch mit einem Worte, und, bei dieser Faust, ich gebe meiner Barmherzigkeit den Abschied und mache einen Stockfisch aus dir.

TRINCULO. Wie? Was hab' ich getan? Ich habe nichts getan, ich will weiter weggehn.

STEPHANO. Sagtest du nicht, er löge?

ARIEL. Du lügst.

STEPHANO. Lüg' ich? Da hast du was. Schlägt ihn. Wenn du das gern hast, straf mich ein andermal Lügen.[639]

TRINCULO. Ich strafte Euch nicht Lügen. – Seid Ihr um Euern Verstand gekommen, und ums Gehör auch? Zum Henker Eure Flasche! So weit kann Sekt und Trinken einen bringen. – Daß die Pestilenz Euer Ungeheuer, und hol' der Teufel Eure Finger!

CALIBAN. Ha ha ha!

STEPHANO. Nun weiter in der Erzählung. – Ich bitte dich, steh beiseite.

CALIBAN.

Schlag' ihn nur tüchtig! Nach 'nem kleinen Weilchen

Schlag' ich ihn auch.

STEPHANO.

Weiter weg! – Komm, fahre fort!

CALIBAN.

Nun, wie ich sagte, 's ist bei ihm die Sitte,

Des Nachmittags zu ruhn; du kannst ihn würgen,

Hast du erst seine Bücher: mit 'nem Klotz

Den Schädel ihm zerschlagen, oder ihn

Mit einem Pfahl ausweiden, oder auch

Mit deinem Messer ihm die Kehl' abschneiden.

Denk' dran, dich erst der Bücher zu bemeistern,

Denn ohne sie ist er nur so ein Dummkopf,

Wie ich bin, und es steht kein einz'ger Geist

Ihm zu Gebot. Sie hassen alle ihn

So eingefleischt wie ich. Verbrenn' ihm nur

Die Bücher! Er hat schön Gerät (so nennt er's).

Sein Haus, wenn er eins kriegt, damit zu putzen.

Und was vor allem zu betrachten, ist

Die Schönheit seiner Tochter; nennt er selbst

Sie ohnegleichen doch. Ich sah noch nie ein Weib

Als meine Mutter Sycorax und sie:

Doch sie ist so weit über Sycorax,

Wie 's Größte übers Kleinste.

STEPHANO.

Ist es so 'ne schmucke Dirne?

CALIBAN.

Ja, Herr, sie wird wohl anstehn deinem Bett,

Das schwör' ich dir, und wackre Brut dir bringen.

STEPHANO. Ungeheuer, ich will den Mann umbringen; seine Tochter und ich, wir wollen König und Königin sein (es lebe unsre Hoheit!), und Trinculo und du, ihr sollt Vizekönige werden. – Gefällt dir der Handel, Trinculo?

TRINCULO. Vortrefflich![640]

STEPHANO. Gib mir deine Hand! Es tut mir leid, daß ich dich schlug: aber hüte dich dein Lebelang vor losen Reden!

CALIBAN.

In einer halben Stund' ist er im Schlaf:

Willst du ihn dann vertilgen?

STEPHANO.

Ja, auf meine Ehre!

ARIEL beiseit.

Dies meld' ich meinem Herrn.

CALIBAN.

Du machst mich lustig, ich bin voller Freude:

So laßt uns jubeln! Wollt Ihr' s Liedlein trallern,

Das Ihr mich erst gelehrt?

STEPHANO. Auf dein Begehren, Ungeheuer, will ich mich dazu verstehn, mich zu allem verstehn. Wohlan, Trinculo, laß uns singen!

Neckt sie und zeckt sie, und zeckt sie und neckt sie!

Gedanken sind frei!

CALIBAN. Das ist die Weise nicht.


Ariel spielt die Melodie mit Trommel und Pfeife.


STEPHANO. Was bedeutet das?

TRINCULO. Es ist die Weise unsers Liedes, vom Herrn Niemand aufgespielt.

STEPHANO. Wo du ein Mensch bist, zeige dich in deiner wahren Gestalt; bist du ein Teufel, so tu', was du willst!

TRINCULO. O vergib mir meine Sünden!

STEPHANO. Wer da stirbt, zahlt alle Schulden. Ich trotze dir. – Gott sei uns gnädig!

CALIBAN. Bist du in Angst?

STEPHANO. Nein, Ungeheuer, das nicht.

CALIBAN.

Sei nicht in Angst! Die Insel ist voll Lärm,

Voll Tön' und süßer Lieder, die ergötzen

Und niemand Schaden tun. Mir klimpern manchmal

Viel tausend helle Instrument' ums Ohr,

Und manchmal Stimmen, die mich, wenn ich auch

Nach langem Schlaf erst eben aufgewacht,

Zum Schlafen wieder bringen: dann im Traume

War mir, als täten sich die Wolken auf

Und zeigten Schätze, die auf mich herab

Sich schütten wollten, daß ich beim Erwachen

Aufs neu' zu träumen heulte.[641]

STEPHANO. Dies wird mir ein tüchtiges Königreich werden, wo ich meine Musik umsonst habe.

CALIBAN. Wenn Prospero vertilgt ist.

STEPHANO. Das soll bald geschehn: ich habe die Geschichte noch im Kopf.

TRINCULO. Der Klang ist im Abzuge. Laßt uns ihm folgen und dann unser Geschäft verrichten!

STEPHANO. Geh voran, Ungeheuer, wir wollen folgen. – Ich wollte, ich könnte diesen Trommelschläger sehn; er hält sich gut.

TRINCULO. Willst kommen? Ich folge, Stephano.


Alle ab.


Quelle:
William Shakespeare: Sämtliche Werke in vier Bänden. Band 2, Berlin: Aufbau, 1975, S. 637-642.
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