Vierte Szene

[243] Zimmer in Angelos Hause.


Angelo tritt auf.


ANGELO.

Bet' ich und denk' ich, geht Gedank' und Beten

Verschiednen Weg. Gott hat mein hohles Wort,

Indes mein Dichten, nicht die Zunge hörend,

An Isabellen ankert. Gott im Munde –


Als prägten nur die Lippen seinen Namen;

Im Herzen wohnt die giftig schwell'nde Sünde

Des bösen Trachtens. – Der Staat, mein Studium einst,

Ist wie ein gutes Buch, zu oft gelesen,

Schal und verhaßt: ja selbst mein Tugendruhm,

Der sonst – o hör' es niemand! – all mein Stolz,

Ich gäb' ihn für ein Federchen mit Freuden,

Das müßig spielt im Wind. O Rang! O Würde!

Wie oft durch äußre Schal' und Form erzwingst du

Ehrfurcht von Toren; lockst die Bessern selbst

Durch falschen Schein! – Blut, du behältst dein Recht;

Schreibt »guter Engel!« auf des Teufels Hörner,

So sind sie nicht sein Zeichen mehr.


Ein Diener kommt.


Was gibt's?

DIENER.

Eine Nonn' ist draußen, Isabella heißt sie,

Die Zutritt wünscht.

ANGELO.

Führt sie zu mir herein!


Diener geht.[243]


O Himmel!

Wie sich mein Blut im Sturm zum Herzen drängt,

Dort alle Kraft und Regsamkeit erstickend,

Und allen meinen andern Gliedern raubend

Den nöt'gen Geist! –


So zum Ohnmächt'gen drängt die tör'ge Menge,

Bereit zu helfen, und entzieht die Luft,

Die ihn beleben sollte: eben so

Der Volksdrang, zeigt sich ein geliebter König,

Läuft vom Gewerb' und schwärmt in läst'gem Eifer

Um seine Gegenwart, wo ungezogne Liebe

Beleid'gung scheinen muß.


Isabella tritt auf.


Nun, schöne Jungfrau?

ISABELLA.

Ich kam, zu hören, was Euch wohl gefällig.

ANGELO.

Viel mehr gefiele mir, wenn du es wüßtest,

Als daß du mich drum fragst. – Dein Bruder kann nicht leben! –

ISABELLA.

Das war's? – Gott schütz' Euch, Herr!


Will gehn.


ANGELO.

Zwar könnt' er wohl noch leben, und vielleicht

So lang' als Ihr und ich; doch muß er sterben.

ISABELLA.

Durch Euer Urteil?

ANGELO.

Ja.

ISABELLA.

Ich bitt' Euch: Wann? – Damit in seiner Frist –


Lang oder kurz – er sich bereiten mag,

Daß er nicht Schaden nehm' an seiner Seele! –

ANGELO.

Ha! Pfui dem schnöden Fehl! Mit gleichem Recht

Verzieh' ich dem, der aus der Welt entwandt

Ein schon geformtes Wesen, als willfahrt' ich

Unreiner Lust, des Himmels Bild zu prägen

Mit unerlaubtem Stempel. Ganz so leicht,

Ein echt geschaffnes Leben falsch vernichten,

Als Saat zu streuen wider das Gebot,

Ein falsches zu erzeugen.

ISABELLA.

So steht's im Himmel fest, doch nicht auf Erden.

ANGELO.

Ah, meinst du? Dann bist du mir schnell gefangen!

Was wählst du jetzt? Daß höchst gerechtem Spruch[244]

Dein Bruder fällt; wo nicht, ihn zu erlösen,

Du selbst den Leib so süßer Schmach dahingäbst,

Als sie, die er entehrt?

ISABELLA.

Herr, glaubt es mir,

Eh' geb' ich meinen Leib hin als die Seele.

ANGELO.

Nicht sprech' ich von der Seel'. Erzwungne Sünden,

Sie werden nur gezählt, nicht angerechnet.

ISABELLA.

Wie meint Ihr, Herr? –

ANGELO.

Nun, nicht verbürg' ich das; denn ich darf sprechen

Auch gegen meine Worte. Doch erwäge:

Ich, jetzt der Mund des anerkannten Rechts,

Fälle das Todesurteil deinem Bruder:

Wär' etwa nicht Erbarmung in der Sünde,

Die ihn befreite?

ISABELLA.

So begeht sie denn,

Ich nehm' auf meine Seele die Gefahr.

Durchaus nicht Sünde wär' es, nur Erbarmung! –

ANGELO.

Begingt Ihr sie und nähmt auf Euch die Tat,

Gleich schwer dann wögen Sünde wie Erbarmung.

ISABELLA.

Wenn ich sein Leben bitt', ist Sünde das,

Die laß mich tragen! Gott! Gewährt Ihr es,

Ist Sünde das, – dann sei's mein Frühgebet,

Daß sie zu meinem Unrecht sei gezählt

Und Ihr sie nicht vertretet.

ANGELO.

Nein doch, hört mich: –


Dein Sinn erfaßt mich nicht, sprichst du's in Einfalt?

Stellst du dich listig so? Das ist nicht gut! –

ISABELLA.

Sei ich einfältig dann und gut in nichts,

Als daß ich fromm erkenn', ich sei nicht besser.

ANGELO.

So strebt die Weisheit nur nach hellstem Glanz,

Setzt sie sich selbst herab, wie schwarze Masken

Verdeckte Schönheit zehnmal mehr erheben,

Als Reiz, zur Schau getragen. Doch merkt auf;

Daß Ihr mich ganz begreift, red' ich bestimmter: –


Eu'r Bruder kann nicht leben.

ISABELLA.

Wohl! –

ANGELO.

Und sein Vergehn ist so, daß offenbar

Nach dem Gesetz ihn diese Strafe trifft.[245]

ISABELLA.

Wahr! –

ANGELO.

Nehmt an, kein Mittel gäb's, ihn zu erretten –


(Zwar nicht verbürg' ich dieses, noch ein andres,

Und setze nur den Fall) – Ihr, seine Schwester,

Würdet begehrt von einem Mächtigen,

Des hoher Rang und Einfluß auf den Richter

Den Bruder könnt' erlösen aus den Fesseln

Allbindender Gesetze; und es gäbe

Den einz'gen Ausweg nur, ihn zu befrein,

Daß Ihr den Reichtum Eurer Schönheit schenktet

Dem Mächtigen, – wo nicht, – stürb' Euer Bruder: –


Was tätet Ihr? –

ISABELLA.

So viel für meinen Bruder als für mich;

Das heißt: wär' über mich der Tod verhängt,

Der Geißel Striemen trüg' ich als Rubinen,

Und zög' mich aus zum Tode, wie zum Schlaf,

Den ich mir längst ersehnt, eh' ich den Leib

Der Schmach hingäbe.

ANGELO.

Dann müßt' Euer Bruder sterben.

ISABELLA.

Und besser wär's gewiß.

Viel lieber mag ein Bruder einmal sterben,

Als daß die Schwester, um ihn frei zu kaufen,

Auf ewig sterben sollte.

ANGELO.

Wär't Ihr dann nicht so grausam, als der Spruch,

Auf den Ihr so geschmäht? –

ISABELLA.

Die Schand' im Loskauf und ein frei Verzeihr

Sind nicht Geschwister: des Gesetzes Gnade

War nie verwandt mit schmählichem Erkauf!

ANGELO.

Noch eben schien das Recht Euch ein Tyrann,

Und Eures Bruders Fehltritt dünkt' Euch mehr

Ein Scherz als ein Verbrechen.

ISABELLA.

O gnäd'ger Herr, verzeiht! Oft ist der Fall,

Zu haben, was man wünscht, spricht man nicht, wie man's meint.

So mocht' ich das Verhaßte wohl entschuld'gen

Zum Vorteil dessen, der mir teuer ist.

ANGELO.

Schwach sind wir alle.

ISABELLA.

Sonst möcht' er immer sterben,[246]

Wenn kein Vasall als er allein der Schwachheit –


Oh, wir sind alle der Versuchung Erben! –

ANGELO.

Nun, auch das Weib ist schwach! –

ISABELLA.

Ja, wie der Spiegel, drin sie sich beschaut,

So leicht zerbricht, als er Gestalten prägt.

Das Weib! Hilf Gott! Der Mann entweiht ihr Edles,

Wenn er's mißbraucht. Nennt mich denn zehnmal schwach,

Denn wir sind sanft, wie unsre Bildung ist,

Nachgiebig falschem Eindruck.

ANGELO.

Ja, so ist's:

Und auf Eu'r eignes Zeugnis Eurer Schwäche

(Denn auch wir Männer, mein' ich, sind nicht stärker,

Als daß uns Fehler schütteln) dreist nun sprech' ich:

Ich halte dich beim Wort: sei, was du bist,

Ein Weib; willst mehr du sein, so bist du keins;

Und bist du eins (wie all dein äußrer Reiz

So holde Bürgschaft gibt), so zeig' es jetzt,

Und kleide dich in die bestimmte Farbe!

ISABELLA.

Ich hab' nur eine Zunge: teurer Herr,

Ich fleh' Euch an, sprecht Eure vor'ge Sprache!

ANGELO.

Ich sag' es frei und klar, ich liebe dich.

ISABELLA.

Mein Bruder liebte Julien, und Ihr sagt,

Er müsse dafür sterben.

ANGELO.

Liebst du mich, Isabella, soll er nicht.

ISABELLA.

Ich weiß es, Eurer Würde ward dies Vorrecht,

Sie scheint ein wenig schlimmer, als sie ist,

Und prüft uns andre.

ANGELO.

Glaub', auf meine Ehre,

Mein Wort spricht meinen Vorsatz.

ISABELLA.

O kleine Ehre, so viel ihr zu glauben!

Und Gott verhaßter Vorsatz! Schein, o Schein! –


Ich werde dich verkünden, sieh dich vor:

Gleich unterzeichne mir des Bruders Gnade,

Sonst ruf ich's aller Welt mit lautem Schrei,

Was für ein Mann du bist.

ANGELO.

Wer glaubt dir's, Isabella?

Mein unbefleckter Ruf, des Lebens Strenge,

Mein Zeugnis gegen dich, mein Rang im Staat[247]

Wird dein Beschuld'gen überbieten,

Daß du ersticken wirst am eignen Wort,

Und nach Verleumdung schmecken. Ich begann;

Und nun, entzügelt, nehmt den Lauf, ihr Sinne:

Ergib dich meiner glühenden Begier,

Weg sprödes Weigern, zögerndes Erröten,

Das abweist, was es wünscht; kauf' deinen Bruder,

Indem du meinem Willen dich ergibst;

Sonst muß er nicht allein des Todes sterben,

Ja, deine Härte soll den Tod ihm dehnen

Durch lange Martern. Antwort gib mir morgen;

Denn, bei der Leidenschaft, die mich beherrscht,

Ich werd' ihm ein Tyrann! Und dir sei klar,

Sprich, was du kannst; mein Falsch besiegt dein Wahr.


Geht ab.


ISABELLA.

Wem sollt' ich's klagen? Wem ich dies erzählte,

Wer glaubte mir's? O gleisnerischer Mund,

Der mit der einen und derselben Zunge

Verdammnis spricht und Billigung zugleich!

Der das Gesetz nach Willkür schweigen heißt,

Und krümmt nach seinen Lüsten Recht und Unrecht,

Sich ihm zu schmiegen! Hin zum Bruder eil' ich,

Und fiel er auch durch allzu heißes Blut,

Doch lebt in ihm so großer Geist der Ehre,

Daß, hätt' er zwanzig Häupter hinzustrecken

Auf zwanzig blut'ge Blöck', er böte sie,

Eh' seine Schwester ihren Leib entheiligt

In so abscheulicher Entweihung.

Ja, Claudio, stirb: ich bleibe keusch und rein;

Mehr als ein Bruder muß mir Keuschheit sein.

Ich sag' ihm noch, was Angelo beschieden,

Dann geh' er durch den Tod zum ew'gen Frieden.


Geht ab.[248]


Quelle:
William Shakespeare: Sämtliche Werke in vier Bänden. Band 2, Berlin: Aufbau, 1975, S. 243-249.
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