Erste Szene

[729] Ein Zimmer im Palaste des Herzogs.


Der Herzog, Curio und Herren vom Hofe.

Musikanten im Hintergrunde.


HERZOG.

Wenn die Musik der Liebe Nahrung ist,

Spielt weiter! Gebt mir volles Maß! daß so

Die übersatte Lust erkrank' und sterbe. –

Die Weise noch einmal! – Sie starb so hin;

Oh, sie beschlich mein Ohr, dem Weste gleich,

Der auf ein Veilchenbette lieblich haucht,

Und Düfte stiehlt und gibt. – Genug! nicht mehr!

Es ist mir nun so süß nicht, wie vorher.

O Geist der Lieb', wie bist du reg' und frisch!

Nimmt schon dein Umfang alles in sich auf,

Gleich wie die See, nichts kommt in ihn hinein,

Wie stark, wie überschwenglich es auch sei,

Das nicht herabgesetzt im Preise fiele

In einem Wink! So voll von Phantasien

Ist Liebe, daß nur sie phantastisch ist.

CURIO.

Wollt Ihr nicht jagen, gnäd'ger Herr?

HERZOG.

Was, Curio?

CURIO.

Den Hirsch.

HERZOG.

Das tu' ich ja, den edelsten, der mein.

Oh, da zuerst mein Aug' Olivien sah,

Schien mir die Luft durch ihren Hauch gereinigt;

Den Augenblick werd' ich zu einem Hirsch,

Und die Begierden, wie ergrimmte Hunde,

Verfolgen mich seitdem.


Valentin kommt.


Nun wohl, was sagt sie?[729]

VALENTIN.

Verzeiht, mein Fürst, ich ward nicht vorgelassen,

Ihr Mädchen gab mir dies zur Antwort nur:

Der Himmel selbst, bis sieben Jahr verglüht,

Soll ihr Gesicht nicht ohne Hülle schaun;

Sie will wie eine Nonn' im Schleier gehn

Und einmal Tags ihr Zimmer rings benetzen

Mit augenschmerzendem gesalznem Naß:

All dies, um eines Bruders tote Liebe

Zu balsamieren, die sie frisch und dauernd

In traurigem Gedächtnis halten will.

HERZOG.

Oh, sie mit diesem zartgebauten Herzen,

Die schon dem Bruder so viel Liebe zahlt,

Wie wird sie lieben, wenn der goldne Pfeil

Die ganze Schar von Neigungen erlegt,

So in ihr lebt! wenn jene hohen Thronen,

Ihr Haupt und Herz, die holden Trefflichkeiten,

Erfüllt sind und bewohnt von einem Herrn!

Eilt mir voran auf zarte Blumenmatten!

Süß träumt die Liebe, wenn sie Laubenschatten.


Alle ab.


Quelle:
William Shakespeare: Sämtliche Werke in vier Bänden. Band 1, Berlin: Aufbau, 1975, S. 729-730.
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