Zweite Szene

[713] Ebendaselbst.


Orlando und Oliver treten auf.


ORLANDO. Ist es möglich, daß Ihr auf so geringe Bekanntschaft Neigung zu ihr gefaßt? Kaum saht Ihr sie, so liebt Ihr; kaum liebtet Ihr, so warbt Ihr; kaum habt Ihr geworben, so sagt sie auch ja? Und Ihr beharrt darauf, sie zu besitzen?

OLIVER. Macht Euch weder aus der Übereilung davon ein Bedenken, aus ihrer Armut, der geringen Bekanntschaft, meinem schnellen Werben, noch aus ihrem raschen Einwilligen: sondern sagt mit mir, ich liebe Aliena; sagt mit ihr, daß sie mich liebt; willigt mit beiden ein, daß wir einander besitzen mögen. Es soll zu Eurem Besten sein, denn meines Vaters Haus und alle Einkünfte des alten Herrn Roland will ich Euch abtreten, und hier als Schäfer leben und sterben.

ORLANDO. Ihr habt meine Einwilligung. Laßt Eure Hochzeit morgen sein, ich will den Herzog dazu einladen und sein ganzes frohes Gefolge. Geht und bereitet Aliena vor, denn seht Ihr, hier kommt meine Rosalinde.

Rosalinde kommt.


ROSALINDE. Gott behüt' Euch, Bruder!

OLIVER. Und Euch, schöne Schwester!

ROSALINDE. O mein lieber Orlando, wie bekümmert es mich, dich dein Herz in einer Binde tragen zu sehn.

ORLANDO. Meinen Arm.

ROSALINDE. Ich dachte, dein Herz wäre von den Klauen eines Löwen verwundet worden.[713]

ORLANDO. Verwundet ist es, aber von den Augen eines Fräuleins.

ROSALINDE. Hat Euch Euer Bruder erzählt, wie ich mich stellte, als fiel ich in Ohnmacht, da er mir Euer Tuch zeigte?

ORLANDO. Ja, und größere Wunder als das.

ROSALINDE. Oh, ich weiß, wo Ihr hinaus wollt. – Ja, es ist wahr, niemals ging noch etwas so schnell zu, außer etwa ein Gefecht zwischen zwei Widdern, und Cäsars thrasonisches Geprahle: »Ich kam, sah und siegte.« Denn Euer Bruder und meine Schwester trafen sich nicht so bald, so sahen sie; sahen nicht so bald, so liebten sie; liebten nicht so bald, so seufzten sie; seufzten nicht so bald, so fragten sie einander nach der Ursache; wußten nicht so bald die Ursache, so suchten sie das Hülfsmittel; und vermittelst dieser Stufen haben sie eine Treppe zum Ehestande gebaut, die sie unaufhaltsam hinaufsteigen, oder unenthaltsam vor dem Ehestande sein werden. Sie sind in der rechten Liebeswut, sie wollen zusammen, man brächte sie nicht mit Keulen auseinander.

ORLANDO. Sie sollen morgen verheiratet werden, und ich will den Herzog zur Vermählung laden. Aber ach! welch bittres Ding ist es, Glückseligkeit nur durch andrer Augen zu erblicken! Um desto mehr werde ich morgen auf dem Gipfel der Schwermut sein, je glücklicher ich meinen Bruder schätzen werde, indem er hat, was er wünscht.

ROSALINDE. Wie nun? morgen kann ich Euch nicht statt Rosalindens dienen?

ORLANDO. Ich kann nicht länger von Gedanken leben.

ROSALINDE. So will ich Euch denn nicht länger mit eitlem Geschwätz ermüden. Wißt also von mir (denn jetzt rede ich nicht ohne Bedeutung), daß ich weiß, Ihr seid ein Edelmann von guten Gaben. Ich sage dies nicht, damit Ihr eine gute Meinung von meiner Wissenschaft fassen sollt, insofern ich sage: ich weiß, daß Ihr es seid; noch strebe ich nach einer größern Achtung, als die Euch einigermaßen Glauben ablocken kann, zu Eurem eignen Besten, nicht zu meinem Ruhm. Glaubt denn, wenn's Euch beliebt, daß ich wunderbare[714] Dinge vermag: seit meinem dritten Jahre hatte ich Verkehr mit einem Zauberer von der tiefsten Einsicht in seiner Kunst, ohne doch verdammlich zu sein. Wenn Euch Rosalinde so sehr am Herzen liegt, als Euer Benehmen laut bezeugt, so sollt Ihr sie heiraten, wann Euer Bruder Aliena heiratet. Ich weiß, in welche bedrängte Lage sie gebracht ist, und es ist mir nicht unmöglich, wenn Ihr nichts dagegen habt, sie Euch morgen vor die Augen zu stellen, leibhaftig und ohne Gefährde.

ORLANDO. Sprichst du in nüchternem Ernst?

ROSALINDE. Das tu' ich bei meinem Leben, das ich sehr wert halte, sage ich gleich, daß ich Zauberei verstehe. Also werft Euch in Euren besten Staat, ladet Eure Freunde; denn wollt Ihr morgen verheiratet werden, so sollt Ihr's, und mit Rosalinden, wenn Ihr wollt.


Silvius und Phöbe treten auf.


Seht, da kommen Verliebte, die eine in mich und der andere in sie.

PHÖBE.

Es war von Euch sehr unhold, junger Mann,

Den Brief zu zeigen, den ich an Euch schrieb.

ROSALINDE.

Ich frage nichts danach, es ist mein Streben,

Verachtungsvoll und unhold Euch zu scheinen.

Es geht Euch da ein treuer Schäfer nach:

Ihn blickt nur an, ihn liebt, er huldigt Euch.

PHÖBE.

Sag, guter Schäfer, diesem jungen Mann,

Was lieben heißt.

SILVIUS.

Es heißt, aus Seufzern ganz bestehn und Tränen,

Wie ich für Phöbe.

PHÖBE.

Und ich für Ganymed.

ORLANDO.

Und ich für Rosalinde.

ROSALINDE.

Und ich für keine Frau.

SILVIUS.

Es heißt, aus Treue ganz bestehn und Eifer,

Wie ich für Phöbe.

PHÖBE.

Und ich für Ganymed.

ORLANDO.

Und ich für Rosalinde.

ROSALINDE.

Und ich für keine Frau.

SILVIUS.

Es heißt, aus nichts bestehn als Phantasie,[715]

Aus nichts als Leidenschaft, aus nichts als Wünschen,

Ganz Anbetung, Ergebung und Gehorsam,

Ganz Demut, ganz Geduld und Ungeduld,

Ganz Reinheit, ganz Bewährung, ganz Gehorsam.

Und so bin ich für Phöbe.

PHÖBE.

Und so bin ich für Ganymed.

ORLANDO.

Und so bin ich für Rosalinde.

ROSALINDE.

Und so bin ich für keine Frau.

PHÖBE zu Rosalinden.

Wenn dem so ist, was schmäht Ihr meine Liebe?

SILVIUS zu Phöbe.

Wenn dem so ist, was schmäht Ihr meine Liebe?

ORLANDO.

Wenn dem so ist, was schmäht Ihr meine Liebe?

ROSALINDE.

Wem sagt Ihr das: »Was schmäht Ihr meine Liebe?«

ORLANDO. Der, die nicht hier ist, und die mich nicht hört.

ROSALINDE. Ich bitte Euch, nichts mehr davon: es ist, als wenn die Wölfe gegen den Mond heulen. – Zu Silvius. Ich will Euch helfen, wenn ich kann. – Zu Phöbe. Ich wollte Euch lieben, wenn ich könnte. – Morgen kommen wir alle zusammen. – Zu Phöbe. Ich will Euch heiraten, wenn ich je ein Weib heirate, und ich heirate morgen. – Zu Orlando. Ich will Euch Genüge leisten, wenn ich je irgend wem Genüge leistete, und Ihr sollt morgen verheiratet werden. – Zu Silvius. Ich will Euch zufrieden stellen, wenn das, was Euch gefällt, Euch zufrieden stellt, und ihr sollt morgen heiraten. – Zu Orlando. So wahr Ihr Rosalinde liebt, stellt Euch ein, – Zu Silvius. so wahr Ihr Phöbe liebt, stellt Euch ein, – und so wahr ich kein Weib liebe, werde ich mich einstellen. Damit gehabt euch wohl, ich habe Euch meine Befehle zurückgelassen.

SILVIUS. Ich bleibe nicht aus, wenn ich das Leben behalte.

PHÖBE. Ich auch nicht.

ORLANDO. Ich auch nicht.


Alle ab.[716]


Quelle:
William Shakespeare: Sämtliche Werke in vier Bänden. Band 1, Berlin: Aufbau, 1975, S. 713-717.
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