Dritte Szene

[332] Ein Zimmer im Schlosse.


Der König, Rosenkranz und Güldenstern treten auf.


KÖNIG.

Ich mag ihn nicht, auch steht's um uns nicht sicher,

Wenn freisein Wahnsinn schwärmt. Drum macht euch fertig:

Ich stelle schleunig eure Vollmacht aus,

Und er soll dann mit euch nach England hin.

Die Pflichten unsrer Würde dulden nicht

Gefahr so nah, als stündlich uns erwächst

Aus seinen Grillen.

GÜLDENSTERN.

Wir wollen uns bereiten.

Es ist gewissenhafte, heil'ge Furcht,

Die vielen vielen Seelen zu erhalten,

Die Eure Majestät belebt und nährt.

ROSENKRANZ.

Schon das besondre, einzle Leben muß

Mit aller Kraft und Rüstung des Gemüts

Vor Schaden sich bewahren; doch viel mehr

Der Geist, an dessen Heil das Leben vieler

Beruht und hängt. Der Majestät Verscheiden

Stirbt nicht allein; es zieht gleich einem Strudel

Das Nahe mit. Sie ist ein mächtig Rad,

Befestigt auf des höchsten Berges Gipfel,

An dessen Riesenspeichen tausend Dinge

Gekittet und gefugt sind: wenn es fällt,

So teilt die kleinste Zutat und Umgebung[332]

Den ungeheuren Sturz. Kein König seufzte je

Allein und ohn' ein allgemeines Weh.

KÖNIG.

Ich bitte, rüstet euch zur schnellen Reise:

Wir müssen diese Furcht in Fesseln legen,

Die auf zu freien Füßen jetzo geht.

ROSENKRANZ UND GÜLDENSTERN.

Wir wollen eilen.


Beide ab.


Polonius kommt.


POLONIUS.

Mein Fürst, er geht in seiner Mutter Zimmer.

Ich will mich hinter die Tapete stellen,

Den Hergang anzuhören; seid gewiß,

Sie schilt ihn tüchtig aus, und wie Ihr sagtet, –

Und weislich war's gesagt, – es schickt sich wohl,

Daß noch ein andrer Zeug' als eine Mutter,

Die von Natur parteiisch, ihr Gespräch

Im stillen anhört. Lebet wohl, mein Fürst:

Eh' Ihr zu Bett geht, sprech' ich vor bei Euch

Und meld' Euch, was ich weiß.

KÖNIG.

Dank, lieber Herr!


Polonius ab.


Oh, meine Tat ist faul, sie stinkt zum Himmel,

Sie trägt den ersten, ältesten der Flüche,

Mord eines Bruders! – Beten kann ich nicht,

Ist gleich die Neigung dringend wie der Wille:

Die stärkre Schuld besiegt den starken Vorsatz,

Und wie ein Mann, dem zwei Geschäft' obliegen,

Steh' ich in Zweifel, was ich erst soll tun,

Und lasse beides. Wie? wär' diese Hand

Auch um und um in Bruderblut getaucht:

Gibt es nicht Regen g'nug im milden Himmel,

Sie weiß wie Schnee zu waschen? Wozu dient

Die Gnad', als vor der Sünde Stirn zu treten?

Und hat Gebet nicht die zwiefache Kraft,

Dem Falle vorzubeugen, und Verzeihung

Gefallnen auszuwirken? Gut, ich will

Emporschaun: mein Verbrechen ist geschehn.

Doch oh, welch eine Wendung des Gebets

Ziemt meinem Fall? »Vergib mir meinen schnöden Mord?«[333]

Dies kann nicht sein; mir bleibt ja stets noch alles,

Was mich zum Mord getrieben: meine Krone,

Mein eigner Ehrgeiz, meine Königin.

Wird da verziehn, wo Missetat besteht?

In den verderbten Strömen dieser Welt

Kann die vergold'te Hand der Missetat

Das Recht wegstoßen, und ein schnöder Preis

Erkauft oft das Gesetz. Nicht so dort oben!

Da gilt kein Kunstgriff, da erscheint die Handlung

In ihrer wahren Art, und wir sind selbst

Genötigt, unsern Fehlern in die Zähne

Ein Zeugnis abzulegen. Nun? was bleibt?

Sehn, was die Reue kann: Was kann sie nicht?

Doch wenn man nicht bereuen kann, was kann sie?

O Jammerstand! O Busen, schwarz wie Tod!

O Seele, die, sich frei zu machen ringend,

Noch mehr verstrickt wird! – Engel, helft! versucht!

Beugt euch, ihr starren Knie'! Gestähltes Herz,

Sei weich wie Sehnen neugeborner Kinder!

Vielleicht wird alles gut.


Entfernt sich und kniet nieder.


Hamlet kommt.


HAMLET.

Jetzt könnt' ich's tun, bequem; er ist im Beten,

Jetzt will ich's tun – und so geht er gen Himmel,

Und so bin ich gerächt? Das hieß': ein Bube

Ermordet meinen Vater, und dafür

Send' ich, sein einz'ger Sohn, denselben Buben

Gen Himmel.

Ei, das wär' Sold und Löhnung, Rache nicht.

Er überfiel in Wüstheit meinen Vater,

Voll Speis', in seiner Sünden Maienblüte.

Wie seine Rechnung steht, weiß nur der Himmel,

Allein nach unsrer Denkart und Vermutung

Ergeht's ihm schlimm: und bin ich dann gerächt,

Wenn ich in seiner Heiligung ihn fasse,

Bereitet und geschickt zum Übergang?

Nein.

Hinein, du Schwert! sei schrecklicher gezückt![334]

Wann er berauscht ist, schlafend, in der Wut,

In seines Betts blutschänderischen Freuden,

Beim Doppeln, Fluchen oder anderm Tun,

Das keine Spur des Heiles an sich hat:

Dann stoß' ihn nieder, daß gen Himmel er

Die Fersen bäumen mag und seine Seele

So schwarz und so verdammt sei wie die Hölle,

Wohin er fährt. Die Mutter wartet mein:

Dies soll nur Frist den siechen Tagen sein.


Ab.


Der König steht auf und tritt vor.


KÖNIG.

Die Worte fliegen auf, der Sinn hat keine Schwingen:

Wort ohne Sinn kann nicht zum Himmel dringen.

Ab.


Quelle:
William Shakespeare: Sämtliche Werke in vier Bänden. Band 4, Berlin: Aufbau, 1975, S. 332-335.
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