[350] Helsingör. Ein Zimmer im Schlosse.
Die Königin und Horatio treten auf.
KÖNIGIN.
– Ich will nicht mir ihr sprechen.
HORATIO.
Sie ist sehr dringend; wirklich, außer sich.
Ihr Zustand ist erbarmenswert.
KÖNIGIN.
Was will sie?
HORATIO.
Sie spricht von ihrem Vater; sagt, sie höre,
Die Welt sei schlimm, und ächzt und schlägt die Brust;
Ein Strohhalm ärgert sie; sie spricht verworren
Mit halbem Sinn nur: ihre Red' ist nichts,
Doch leitet ihre ungestalte Art
Die Hörenden auf Schlüsse; man errät,
Man stückt zusammen ihrer Worte Sinn,
Die sie mit Nicken gibt, mit Winken, Mienen,[350]
So daß man wahrlich denken muß, man könnte
Zwar nichts gewiß, jedoch viel Arges denken.
KÖNIGIN.
Man muß doch mit ihr sprechen: sie kann Argwohn
In Unheil brütende Gemüter streun.
Laßt sie nur vor!
Horatio ab.
Der kranken Seele, nach der Art der Sünden,
Scheint jeder Tand ein Unglück zu verkünden.
Von so betörter Furcht ist Schuld erfüllt,
Daß, sich verbergend, sie sich selbst enthüllt.
Horatio kommt mit Ophelia.
OPHELIA.
Wo ist die schöne Majestät von Dänmark?
KÖNIGIN.
Wie geht's, Ophelia?
OPHELIA singt.
Wie erkenn' ich dein Treu-lieb
Vor den andern nun?
An dem Muschelhut und Stab
Und den Sandelschuh'n.
KÖNIGIN.
Ach, süßes Fräulein, wozu soll dies Lied?
OPHELIA.
Was beliebt? Nein, bitte, hört!
Singt.
Er ist lange tot und hin,
Tot und hin, Fräulein!
Ihm zu Häupten ein Rasen grün,
Ihm zu Fuß ein Stein.
Oh!
KÖNIGIN.
Aber sagt, Ophelia –
OPHELIA.
Bitt' Euch, hört:
Singt.
Sein Leichenhemd weiß wie Schnee zu sehn –
Der König tritt auf.
KÖNIGIN. Ach, mein Gemahl, seht hier!
OPHELIA singt.
Geziert mit Blumensegen,
Das unbetränt zum Grab mußt' gehn
Von Liebesregen.
KÖNIG. Wie geht's Euch, holdes Fräulein?
OPHELIA. Gottes Lohn! recht gut! Sie sagen, die Eule war eines Bäckers Tochter. Ach, Herr! wir wissen wohl, was wir[351] sind, aber nicht, was wir werden können. Gott segne Euch die Mahlzeit!
KÖNIG. Anspielung auf ihren Vater.
OPHELIA. Bitte, laßt uns darüber nicht sprechen; aber wenn sie Euch fragen, was es bedeutet, so sagt nur:
Singt.
Auf morgen ist Sankt Valentins Tag,
Wohl an der Zeit noch früh,
Und ich, 'ne Maid, am Fensterschlag
Will sein Eu'r Valentin.
Er war bereit, tät an sein Kleid,
Tät auf die Kammertür,
Ließ ein die Maid, die als 'ne Maid
Ging nimmer mehr herfür.
KÖNIG. Holde Ophelia!
OPHELIA. Fürwahr, ohne Schwur, ich will ein Ende machen:
Singt.
Bei unsrer Frau und Sankt Kathrin!
O pfui! was soll das sein?
Ein junger Mann tut's, wenn er kann,
Beim Himmel, 's ist nicht fein.
Sie sprach: Eh' Ihr gescherzt mit mir,
Gelobt Ihr mich zu frein.
Er antwortet:
Ich bräch's auch nicht, beim Sonnenlicht!
Wärst du nicht kommen herein.
KÖNIG. Wie lang' ist sie schon so?
OPHELIA. Ich hoffe, alles wird gut gehn. Wir müssen geduldig sein: aber ich kann nicht umhin zu weinen, wenn ich denke, daß sie ihn in den kalten Boden gelegt haben. Mein Bruder soll davon wissen, und so dank' ich Euch für Euren guten Rat. Kommt, meine Kutsche! Gute Nacht, Damen! gute Nacht, süße Damen! gute Nacht! gute Nacht! Ab.
KÖNIG.
Folgt auf dem Fuß ihr doch: bewacht sie recht!
Horatio ab.
Oh, dies ist Gift des tiefen Grams: es quillt
Aus ihres Vaters Tod. Und seht nun an,
O Gertrud! Gertrud! wenn die Leiden kommen,[352]
So kommen sie wie einzle Späher nicht,
Nein, in Geschwadern. Ihr Vater umgebracht;
Fort Euer Sohn, er selbst der wüste Stifter
Gerechten eignen Banns; das Volk verschlämmt,
Schädlich und trüb im Wähnen und Vermuten
Vom Tod des redlichen Polonius;
Und töricht war's von uns, so unterm Husch
Ihn zu bestatten; dann dies arme Kind,
Getrennt von sich und ihrem edlen Urteil,
Ohn' welches wir nur Bilder sind, nur Tiere.
Zuletzt, was mehr als alles in sich schließt:
Ihr Bruder ist von Frankreich insgeheim
Zurückgekehrt, nährt sich mit seinem Staunen,
Hält sich in Wolken, und ermangelt nicht
Der Ohrenbläser, um ihn anzustecken
Mit gift'gen Reden von des Vaters Tod;
Wobei Verlegenheit, an Vorwand arm,
Sich nicht entblöden wird, uns zu verklagen
Von Ohr zu Ohr. O liebste Gertrud, dies
Gibt wie ein Traubenschuß an vielen Stellen
Mir überflüss'gen Tod.
Lärm hinter der Szene.
KÖNIGIN.
O weh! was für ein Lärm?
Ein Edelmann kommt.
KÖNIG.
Herbei! Wo sind die Schweizer? Laßt die Tür bewachen!
Was gibt es draußen?
EDELMANN.
Rettet Euch, mein Fürst:
Der Ozean, entwachsend seinem Saum,
Verschlingt die Nied'rung ungestümer nicht,
Als an der Spitze eines Meuterhaufens
Laertes Eure Diener übermannt.
Der Pöbel nennt ihn Herrn, und gleich als finge
Die Welt erst an, als wär' das Altertum
Vergessen, und Gewohnheit nicht bekannt,
Die Stützen und Bekräft'ger jedes Worts,
Schrein sie: »Erwählen wir! Laertes werde König!«
Und Mützen, Hände, Zungen tragen's jubelnd[353]
Bis an die Wolken: »König sei Laertes!
Laertes König!«
KÖNIGIN.
Sie schlagen lustig an auf falscher Fährte.
Verkehrt gespürt, ihr falschen Dänenhunde!
Lärm hinter der Szene.
KÖNIG.
Die Türen sind gesprengt.
Laertes kommt bewaffnet. Dänen hinter ihm.
LAERTES.
Wo ist denn dieser König? – Herrn, bleibt draußen!
DÄNEN.
Nein, laßt uns mit herein!
LAERTES.
Ich bitt', erlaubt mir!
DÄNEN.
Gut, wie Ihr wollt.
Sie ziehen sich hinter die Tür zurück.
LAERTES.
Dank euch! Besetzt die Tür! –
Du schnöder König, gib mir meinen Vater!
KÖNIGIN.
Guter Laertes, ruhig!
LAERTES.
Der Tropfe Bluts, der ruhig ist, erklärt
Für Bastard mich; schilt Hahnrei meinen Vater,
Brandmarkt die Metze meiner treuen Mutter
Hier zwischen ihre reinen keuschen Brau'n.
KÖNIG.
Was ist der Grund, Laertes, daß dein Aufstand
So riesenmäßig aussieht? – Laßt ihn, Gertrud,
Befürchtet nichts für unsere Person:
Denn solche Göttlichkeit schirmt einen König:
Verrat, der nur erblickt, was er gewollt,
Steht ab von seinem Willen. – Sag, Laertes,
Was bist du so entrüstet? – Gertrud, laßt ihn! –
Sprich, junger Mann!
LAERTES.
Wo ist mein Vater?
KÖNIG.
Tot.
KÖNIGIN.
Doch nicht durch ihn.
KÖNIG.
Laßt ihn nur satt sich fragen!
LAERTES.
Wie kam er um? Ich lasse mich nicht äffen.
Zur Hölle, Treu'! Zum ärgsten Teufel, Eide!
Gewissen, Frömmigkeit, zum tiefsten Schlund!
Ich trotze der Verdammnis; so weit kam's:
Ich schlage beide Welten in die Schanze,[354]
Mag kommen, was da kommt! Nur Rache will ich
Vollauf für meinen Vater.
KÖNIG.
Wer wird Euch hindern?
LAERTES.
Mein Wille, nicht der ganzen Welt Gebot:
Und meine Mittel will ich so verwalten,
Daß wenig weit soll reichen.
KÖNIG.
Hört, Laertes,
Wenn Ihr von Eures teuren Vaters Tod
Das Sichre wissen wollt: ist's Eurer Rache Schluß,
Als Sieger in dem Spiel, so Freund als Feind,
Gewinner und Verlierer fortzureißen?
LAERTES.
Nur seine Feinde.
KÖNIG.
Wollt Ihr sie denn kennen?
LAERTES.
Den Freunden will ich weit die Arme öffnen,
Und wie der Lebensopf'rer Pelikan
Mit meinem Blut sie tränken.
KÖNIG.
So! nun sprecht Ihr
Als guter Sohn und echter Edelmann.
Daß ich an Eures Vaters Tod schuldlos,
Und am empfindlichsten dadurch gekränkt,
Soll Eurem Urteil offen dar sich legen,
Wie Tageslicht dem Aug'.
DÄNEN hinter der Szene.
Laßt sie hinein!
LAERTES.
Was gibt's? was für ein Lärm?
Ophelia kommt, phantastisch mit Kräutern und Blumen geschmückt.
O Hitze, trockne
Mein Hirn auf! Tränen, siebenfach gesalzen,
Brennt meiner Augen Kraft und Tugend aus! –
Bei Gott! dein Wahnsinn soll bezahlt uns werden
Nach dem Gewicht, bis unsre Waagschal' sinkt.
O Maienrose! süßes Kind! Ophelia!
Geliebte Schwester! – Himmel, kann es sein,
Daß eines jungen Mädchens Witz so sterblich
Als eines alten Mannes Leben ist?
Natur ist fein im Lieben: wo sie fein ist,
Da sendet sie ein kostbar Pfand von sich
Dem, was sie liebet, nach.[355]
OPHELIA singt.
Sie trugen ihn auf der Bahre bloß,
Leider! ach leider!
Und manche Trän' fiel in Grabes Schoß –
Fahr' wohl, meine Taube!
LAERTES.
Hätt'st du Vernunft, und mahntest uns zur Rache,
Es könnte so nicht rühren.
OPHELIA. Ihr müßt singen: »'nunter, hinunter! und ruft Ihr ihn 'nunter.« Oh, wie das Rad dazu klingt! Es ist der falsche Verwalter, der seines Herrn Tochter stahl.
LAERTES. Dies Nichts ist mehr als Etwas.
OPHELIA. Das ist Vergißmeinnicht, das ist zum Andenken: ich bitte Euch, liebes Herz, gedenkt meiner! und da ist Rosmarin, das ist für die Treue.
LAERTES. Ein Sinnspruch im Wahnsinn: Treue und Andenken bezeichnet.
OPHELIA. Da ist Fenchel für Euch und Aglei – da ist Raute für Euch, und hier ist welche für mich. – Ihr könnt Eure Raute mit einem Abzeichen tragen. – Da ist Maßlieb –, ich wollte Euch ein paar Veilchen geben, aber sie welkten alle, da mein Vater starb. – Sie sagen, er nahm ein gutes Ende. –
Singt.
Dem traut lieb Fränzel ist all meine Lust –
LAERTES.
Schwermut und Trauer, Leid, die Hölle selbst
Macht sie zur Anmut und zur Artigkeit.
OPHELIA singt.
Und kommt er nicht mehr zurück?
Und kommt er nicht mehr zurück?
Er ist tot! o weh!
In dein Todesbett geh,
Er kommt ja nimmer zurück.
Sein Bart war so weiß wie Schnee,
Sein Haupt dem Flachse gleich:
Er ist hin, er ist hin,
Und kein Leid bringt Gewinn;
Gott helf' ihm ins Himmelreich!
Und allen Christenseelen, darum bet' ich. Gott sei mit Euch! Ab.
LAERTES.
Seht Ihr das? O Gott!
KÖNIG.
Laertes, ich muß Euren Gram besprechen;[356]
Versagt mir nicht mein Recht! Entfernt Euch nur,
Wählt die Verständigsten von Euren Freunden,
Und laßt sie richten zwischen Euch und mir:
Wenn sie zunächst uns, oder mittelbar,
Dabei betroffen finden, wollen wir
Reich, Krone, Leben, was nur unser heißt,
Euch zur Vergütung geben; doch wo nicht,
So seid zufrieden, uns Geduld zu leihn;
Wir wollen dann, vereint mit Eurer Seele,
Sie zu befried'gen trachten.
LAERTES.
Ja, so sei's!
Die Todesart, die heimliche Bestattung –
Kein Schwert, noch Wappen über seiner Gruft,
Kein hoher Brauch, noch förmliches Gepräng' –
Sie rufen laut vom Himmel bis zur Erde,
Daß ich's zur Frage ziehn muß.
KÖNIG.
Gut, das sollt Ihr,
Und wo die Schuld ist, mag das Strafbeil fallen.
Ich bitt' Euch, folget mir!
Alle ab.
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