Vierte Szene

[215] Ein andrer Teil derselben Straße, vor dem Hause des Brutus.

Portia und Lucius kommen.


PORTIA.

Ich bitt' dich, Knabe, lauf' in den Senat!

Halt' dich mit keiner Antwort auf und geh!

Was wartest du?

LUCIUS.

Zu hören, was ich soll.

PORTIA.

Ich möchte dort und wieder hier dich haben,

Eh' ich dir sagen kann, was du da sollst.

O Festigkeit, steh unverrückt mir bei,

Stell' einen Fels mir zwischen Herz und Zunge!

Ich habe Mannessinn, doch Weibeskraft.

Wie fällt doch ein Geheimnis Weibern schwer! –

Bist du noch hier?

LUCIUS.

Was sollt' ich, gnäd'ge Frau?

Nur hin zum Kapitol und weiter nichts,

Und so zu Euch und weiter nichts?

PORTIA.

Nein, ob dein Herr wohl aussieht, melde mir,

Denn er ging unpaß fort, und merk' dir recht,

Was Cäsar macht, wer mit Gesuch ihm naht!

Still, Knabe! Welch Geräusch?

LUCIUS.

Ich höre keins.

PORTIA.

Ich bitt' dich, horch genau:

Ich hörte wilden Lärm, als föchte man,

Und der Wind bringt vom Kapitol ihn her.

LUCIUS.

Gewißlich, gnäd'ge Frau, ich höre nichts.


Ein Wahrsager kommt.


PORTIA.

Komm näher, Mann! Wo führt dein Weg dich her?[215]

WAHRSAGER.

Von meinem Hause, liebe gnäd'ge Frau.

PORTIA.

Was ist die Uhr?

WAHRSAGER.

Die neunte Stund' etwa.

PORTIA.

Ist Cäsar schon aufs Kapitol gegangen?

WAHRSAGER.

Nein, gnäd'ge Frau; ich geh', mir Platz zu nehmen,

Wo er vorbeizieht auf das Kapitol.

PORTIA.

Du hast an Cäsarn ein Gesuch: nicht wahr?

WAHRSAGER.

Das hab' ich, gnäd'ge Frau. Geliebt es Cäsarn,

Aus Güte gegen Cäsar mich zu hören,

So bitt' ich ihn, es gut mit sich zu meinen.

PORTIA.

Wie? weißt du, daß man ihm ein Leid will antun?

WAHRSAGER.

Keins seh' ich klar vorher, viel, fürcht' ich, kann geschehn.

Doch guten Tag! Hier ist die Straße eng:

Die Schar, die Cäsarn auf der Ferse folgt,

Von Senatoren, Prätorn, Supplikanten,

Wird einen schwachen Mann beinah' erdrücken.

Ich will an einen freiern Platz und da

Den größen Cäsar sprechen, wenn er kommt.


Ab.


PORTIA.

Ich muß ins Haus. Ach, welch ein schwaches Ding

Das Herz des Weibes ist! O Brutus!

Der Himmel helfe deinem Unternehmen! –

Gewiß, der Knabe hört' es. – Brutus wirbt um etwas,

Das Cäsar weigert. – Oh, es wird mir schlimm!

Lauf', Lucius, empfiehl mich meinem Gatten,

Sag, ich sei fröhlich, komm zu mir zurück,

Und melde mir, was er dir aufgetragen!


Beide ab.[216]


Quelle:
William Shakespeare: Sämtliche Werke in vier Bänden. Band 4, Berlin: Aufbau, 1975, S. 215-217.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Julius Cäsar
Julius Caesar Wordsworth classics
Julius Caesar by Shakespeare, William ( AUTHOR ) Apr-01-2011 Paperback
Julius Cäsar
Julius Caesar [Zweisprachig]
Julius Cäsar: Zweisprachige Ausgabe

Buchempfehlung

Grabbe, Christian Dietrich

Scherz, Satire, Ironie und tiefere Bedeutung. Ein Lustspiel in drei Aufzügen

Scherz, Satire, Ironie und tiefere Bedeutung. Ein Lustspiel in drei Aufzügen

Der Teufel kommt auf die Erde weil die Hölle geputzt wird, er kauft junge Frauen, stiftet junge Männer zum Mord an und fällt auf eine mit Kondomen als Köder gefüllte Falle rein. Grabbes von ihm selbst als Gegenstück zu seinem nihilistischen Herzog von Gothland empfundenes Lustspiel widersetzt sich jeder konventionellen Schemeneinteilung. Es ist rüpelhafte Groteske, drastische Satire und komischer Scherz gleichermaßen.

58 Seiten, 4.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Große Erzählungen der Spätromantik

Große Erzählungen der Spätromantik

Im nach dem Wiener Kongress neugeordneten Europa entsteht seit 1815 große Literatur der Sehnsucht und der Melancholie. Die Schattenseiten der menschlichen Seele, Leidenschaft und die Hinwendung zum Religiösen sind die Themen der Spätromantik. Michael Holzinger hat elf große Erzählungen dieser Zeit zu diesem Leseband zusammengefasst.

430 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon