Eine neue Freundin

[125] Gut ging es dem armen Kasperle wirklich nicht auf Burg Himmelhoch. Erst sollte es mit dem Herzog Kaffee trinken, da versank es wieder mit seiner großen Nase in der Kaffeetasse, was der Herzog sehr, sehr unschicklich fand. Dann mußte Kasperle mit dem Herzog spazierenfahren und wie ein kleiner Diener hinten auf der Kutsche sitzen. Kasperle fand das sehr lustig, und allemal, wenn jemand vorbeikam, lachte es und schnitt Gesichter. Die Leute lachten, oder sie erschraken furchtbar und liefen davon. Erst wußte der Herzog gar nicht, was das bedeuten sollte, bis ihm Kasperle einfiel, er drehte sich um, und just da machte Kasperle ein Gesicht wie die Prinzessin Gundolfine, worüber ein paar Kinder am Wege laut schrien.

Das war doch zu toll! Der Herzog nahm seinen Stock und schlug Kasperle auf den Rücken. Potz Wetter, tat das weh!

Und nicht einmal heulen durfte Kasperle, der Herzog drohte, es würde noch mehr Schläge bekommen, wenn es nicht sofort ruhig sei. Dazu befahl der Herzog: »Schneller fahren!« Und der Wagen sauste dahin, daß Kasperle Mühe hatte, nicht 'runterzufallen; ganz verdutzt war es, als sie wieder vor dem Schlosse anhielten.

Am Abend mußte Kasperle dann dem Herzog etwas vorkaspern. Weil es aber vor lauter Angst beim Abendessen nicht recht gegessen hatte, fing plötzlich sein Magen erschrecklich an zu knurren. Der Herzog, der eben noch[125] gelacht hatte, zog gleich wieder ein bitterböses Gesicht und sagte, das sei sehr, sehr unschicklich. Magenknurren sei bei Hofe verboten.

»Aber im Waldhaus nicht.« Das wollte Kasperle eigentlich ganz, ganz leise sagen, aber seine Stimme rutschte ihm aus, und so hörte es der Herzog. Da bekam Kasperle nichts mehr zu essen, wurde ins Bett geschickt und eingegeschlossen. Müde und hungrig weinte es sich in den Schlaf. Ach, es war doch schwer, eines grilligen Herzogs Diener zu sein!

Als Kasperle aufwachte, dämmerte draußen gerade der Morgen, und hinter der kleinen Stadt glühte der Himmel im Frührot. Kasperle schaute zum Fenster hinaus, es sah auch hinüber nach Schloß Lindeneck und das traurige Marlenchen fiel ihm ein. Und weil Kasperle ein gutherziger kleiner Kerl war, dachte es sich gleich aus, wie es das Marlenchen unterhalten wollte. Und damit es recht schöne Gesichter schneiden und Purzelbäume schlagen konnte, fing es an, sich zu üben, und gerade wie es mittendrin war, kam Veit ins Turmstübchen.

Der lachte vergnügt. »O Kasperle«, sagte er, »was bist du für ein sonderbarer Kauz! Nun komm nur her und frühstücke erst einmal! Der Haushofmeister läßt dir sagen, du sollst dich vorher ordentlich satt essen, damit du nachher beim Herzog nicht wieder wie ein kleiner Vielfraß zulangst. Du sollst nämlich mit dem Herzog frühstücken.«

Angenehm war diese Aussicht gerade nicht. Kasperle seufzte schwer, aber dann befolgte es den guten Rat des Haushofmeisters. Es aß sich so plumpsatt, daß es sich kaum noch rühren konnte. So wohl gerüstet ging es zum Frühstück mit dem Herzog.[126]

»Mach eine schöne Verbeugung!« hatte ihm Veit geraten. Das wollte Kasperle auch tun. Es verbeugte sich tief, weil es aber so vollgegessen war, Platzten ihm unversehens seine Hosenknöpflein, und das fand der Herzog nun wieder sehr, sehr unschicklich.

Kasperle mußte das Zimmer verlassen, und die Hausverwalterin Babette nähte ihm erst die Knöpflein wieder an. Das war eine gutmütige Frau, die ihren Spaß an Kasperle hatte. Sie versprach ihm auch, sie wolle ihm so bald wie möglich einen neuen Kittel nähen, einen von himmelblauer Seide.

»Lieber grün«, bettelte Kasperle.

»Meinetwegen auch grün, aber warum denn gerade grün?«

Doch das sagte Kasperle nicht. Es dachte bei sich: Wenn ich ein grünes Wämslein anhabe und durch den Wald laufe, sieht man mich nicht. Ein ganz kleines bißchen dachte der Schelm nämlich doch ans Ausreißen. Wer weiß, der Herzog sagte doch einmal etwas vom Teufel!

Jetzt aber mußte Kasperle zum Herzog zurückgehen. Der war eigentlich nicht böse, nur seit er seinen Ring verloren hatte, war er noch verbitterter als früher geworden. Unrecht tun wollte er ja niemand, aber weil ihm nie jemand seine üblen Launen vorgehalten hatte, dachte er, diese seien gar nicht schlimm. In der Nacht hatte er an Kasperle gedacht, und der kleine Kerl hatte ihm sehr leid getan. Er sann nach; Kasperle war doch wohl noch nie an einem Hofe gewesen, wie konnte es daher wissen, wie man sich da benehmen mußte! Morgen bin ich recht gut gegen es, hatte sich der Herzog vorgenommen, darum hatte er Kasperle auch zum Frühstück eingeladen.[127]

Wenn aber Hosenknöpflein abplatzen, ist es peinlich. Kasperle kam ganz scheu mit den angenähten Knöpflein wieder herein, und zu seiner Verwunderung sagte der Herzog freundlich: »Nun komm nur und frühstücke!«

Und weil der Herzog recht freundlich sein wollte, legte er Kasperle selbst vor: Brötchen mit Schinken darauf, ein großes Stück Kuchen dazu, und er ermahnte: »Nun iß nur, du bekommst noch mehr!«

Ja, wie kann aber ein Kasperle essen, wenn es so plumpsatt ist, daß ihm die Knöpflein abspringen!

Kasperle kaute und kaute, würgte, schluckte, – es ging nicht mehr.

»Iß doch, trink doch!« mahnte der Herzog. »Du bekommst noch mehr.«

Da seufzte Kasperle so tief, als säße es unten im Turmverlies. Und weil es sich gar nicht zu helfen wußte und das Schinkenbrot durchaus nicht mehr in seinen Magen hineinwollte, fing es an, bitterlich zu weinen. Dicke, dicke Tränen kullerten in seine Schokoladentasse hinein, und der Herzog fühlte tiefes Mitleid mit dem kleinen Kerl. Zum erstenmal brummte er ihn nicht an, sondern sagte freundlich: »Geh in den Park, Kasperle, springe herum, damit du zum Mittagessen wieder Hunger hast.«

Kasperle war heilfroh, daß es ins Freie durfte. Es schoß die Treppe hinab wie eine Kugel, und kaum war es im Park, da rannte es, so schnell es konnte, an das Bächlein bei der uralten großen Ulme.

Und wirklich saß das traurige Marlenchen dort, es drehte die Kieselsteine im Wasser um und suchte den verlorenen Ring.

»Da bin ich!« Plitsch, platsch, schoß Kasperle in den[128] Bach hinein, und Marlenchen sank vor Schreck wieder totenblaß ins Gras.

Und Kasperle hatte doch gedacht, die Kleine würde über seinen Purzelbaum lachen! Ach, hier war alles anders als im Waldhaus! Kasperle legte sich neben das blasse Marlenchen ins Gras und fing wieder bitterlich zu weinen an.

»Warum weinst du denn?« fragte da auf einmal ein feines Stimmchen.

»Weil ich – alles verkehrt mache.« Kasperle schluchzte erbärmlich, und da vergaß das traurige Marlenchen sein eigenes bitteres Herzeleid. Es richtete sich auf, fuhr mit dem Zeigefingerlein sachte über Kasperles Gesicht und fragte: »Warum bist du denn hier?«

»Weil ich's versprochen habe.« Und Kasperle fing an, dem kleinen Mädchen vom Waldhaus zu erzählen, von Michele und von Rosemarie.

»Du bist gut, weil du der schönen Rosemarie und deinem Michele geholfen hast«, sagte Marlenchen da. Es legte seine kleine, weiße Hand in Kasperles derbe, braune Patsche, und so saßen die beiden unglücklichen Kameraden an dem Bächlein, und Kasperle mußte immer mehr und mehr vom Waldhaus erzählen. Ein paarmal huschte es wohl wie ein heller Schein über Marlenchens trauriges Gesicht, aber es lachte noch nicht.

Kasperle merkte es zum erstenmal: einen wirklich traurigen Menschen bringt auch ein Kasperle nicht so leicht zum Lachen.

Ein wenig froher sah Marlenchen aber doch aus, als in der Ferne des Haushofmeisters Pfeife ertönte und Kasperle Abschied nahm. Sie sagten beide nur: »Morgen«,[129] schüttelten sich die Hände, und wieder ging ein ganz feiner, heller Schein über das Gesicht des traurigen Marlenchens; so wie manchmal an ganz grauen Tagen die Sonne ein wenig hinter den Wolken schimmert, war es.

Dies machte Kasperle sehr froh. Es hopste und sprang dem Schlosse zu, lief mit Gepolter hinein, und der Haushofmeister hielt es noch zur rechten Zeit am Hosenzipfel fest. »Du«, sagte der, »jetzt schling nicht so bei Tisch, es sind noch Gäste da. Wirst du nicht satt, bekommst du nachher noch etwas von mir. Also fein artig und brav sein!«

Das nahm sich Kasperle zu Herzen. Es aß wenig, saß auch ganz still und bescheiden am Tischende. Alles ging gut, nur – ein Kasperle ist eben ein Kasperle. Da saß am Tisch ein fremder Graf, der hatte eine ganz seltsame Gewohnheit. Jedesmal, wenn er einen Bissen schluckte, kniff er die Augen zu und nickte mit dem Kopf. Ein Weilchen sah sich Kasperle das mit an. Aber weil es nun eben ein echtes Kasperle war, verzog es unwillkürlich sein Gesicht, nickte, kniff die Augen zu, und es sah so pudelnärrisch aus, daß ein Hofjunker, der ohnehin lieber lachte als ernst war, plötzlich leise vor sich hin kicherte.

Wenn aber jemand lachte, dann war es um Kasperles gute Vorsätze geschehen. Es kniff die Augen wieder zusammen, nickte wieder, und zwei junge Hofdamen kicherten vor sich hin. Ein Kammerherr lachte, der alte, dicke Oberstallmeister aber, der so etwas wie das Kasperle noch nicht gesehen hatte, lachte unversehens laut auf. Es dröhnte nur so, und da lachte es da und lachte dort, nur ein paar Herren und Damen und der Herzog saßen steif und ernsthaft da. Über ein Kasperle kann nur lachen, wer sich im Herzen einen Rest des alten Kinderfrohsinns bewahrt[130] hat. Menschen mit reinen, guten Herzen lachen leicht; die Hochmütigen, Stolzen, Harten haben in ihrem Leben das reine, frohe Lachen verlernt.

Der Herzog August Erasmus hätte wohl mitgelacht, ja es zuckte einmal um seinen Mund, aber er war so schrecklich stolz auf seinen Herzogstitel, da hielt er das Lachen nicht für würdevoll. Er sah Kasperle streng an, und das erschrak über den bösen Blick und tauchte vor Schreck die Nase in seinen Kompotteller. Es spritzte hoch auf.

Der Herzog rümpfte die Nase. Nein, dieses Kasperle betrug sich zu gewöhnlich. Er winkte Veit. »Bring es hinaus!« sagte er streng.

Da mußte Kasperle aufstehen, und es dachte: Nun werde ich wieder eingesperrt. Sein Gesicht wurde ganz traurig, und der Herzog sah dieses traurige Kasperlegesicht, und es war, als rede jemand zu ihm: Kasperle kann doch nichts anderes sein als eben ein kleiner Schelm, der immer kaspern muß.

Weil der Herzog aber immer meinte, alles, was er tue, sei recht und gut, rief er Kasperle nicht zurück, und Veit sagte draußen: »Nun geh geschwind in deinen Turm, ich bringe dir nachher noch allerlei Gutes.«

Da stieg Kasperle in seinen Turm hinauf, kletterte wieder auf das Fensterbrett und schaute dahin, wo Schloß Lindeneck aus den Baumwipfeln hervorsah. Es dachte an das traurige Marlenchen, und auf einmal stieg ein ganz bitterer Groll gegen den Herzog in des Kasperles Herz empor. Der trug doch die Schuld an des Marlenchens Trauer; der Herzog und die Prinzessin Gundolfine, die beiden waren es.

Kasperle sprang vom Fensterbrett herab, zerrte zwei[131] Stühle heran, nahm einen Stock, der in der Ecke lehnte, und bums, bums, schlug es auf die Stühle ein. »Warte du, warte du!« schrie es aus Leibeskräften.

»Ja, warte du!« sagte jemand und hielt Kasperle fest. »Aber Kasperle, was machst du denn?« Der alte Haushofmeister sah ganz verdutzt dem kleinen Burschen in das bitterböse Gesicht.

»Ich hau' den Herzog da und die Prinzessin Gundolfine.« Kasperle riß sich los und schlug unverdrossen auf die Stühle ein. »Klapp, du, klapp, du!«

»Jemine!« Sein guter, alter Freund sah Kasperle entsetzt an. »Aber Kasperle«, rief er, »du bist doch ein abscheulicher Strick! Wenn das unser Herzog hört, dann wird es dir ganz schlecht gehen. In das allerfinsterste Loch wirst du gesteckt.«

Erschrocken ließ Kasperle den Stock sinken, und da es in das ehrlich betrübte Gesicht des Haushofmeisters sah, kam es flink, schmiegte sich an ihn und bettelte: »Sei wieder gut!«

Ja, wieder gut, das war der alte Mann dem Unnützling schon; er seufzte aber doch recht sehr, als er wieder das Turmgemach verließ. Wie sollte das enden. Irgendeine Dummheit stellte das Kasperle doch wieder an.

Er ahnte aber nicht, daß Kasperle schon dabei war. Das dachte sich: Im Turm ist's langweilig allein, ich hole mir etwas zum Spielen. Und flugs entwischte es durch den geheimen Gang, geriet auf eine Hintertreppe und kam in den Park hinaus, ohne daß es jemand sah. Draußen raffte es sich Blumen zusammen, steckte sich Kieselsteine in sein Mützlein und fand zu seinem großen Vergnügen auch einige dicke Fröschlein, die es in die weiten Taschen seines[132] Kasperlegewandes steckte. Dann lief es wieder zurück, irrte erst eine Weile im Schloß herum und mußte sich ein paarmal verstecken, ehe es seinen Turm wieder fand.

Dort stellte es erst die Blumen in ein Glas, zählte die Steine und war gerade dabei, die Frösche aus den Hosensäcklein herauszuholen, als Veit erschien. »Flink, flink, Kasperle!« rief er. »Du sollst zum Herzog kommen. Er sitzt mit seinen Gästen noch beim Kaffee; du sollst ihnen etwas vorkaspern. Nachher gibt es auch Kuchen.«

Da ließ Kasperle alle seine Schätze im Stich, lief mit und wurde vom Herzog viel gnädiger empfangen, als es gedacht hatte. »Mache einmal dein Räubergesicht«, sagte der, »und auch das Teufelsgesicht!«

Und Kasperle schnitt flugs ein Gesicht nach dem andern, es drehte und wand sich, stellte sich auch einmal auf den Kopf, steckte diesen durch die Beine durch und grinste die Gäste so an, daß die laut lachten.

Der Herzog hielt eine Tasse Kaffee zierlich in der Hand und wollte gerade ein wenig von der Schlagsahne naschen, die obenauf schwamm, als ein dicker Frosch aus Kasperles Tasche herausplumpste, und plitsch, platsch, sprang der in die Höhe, mitten in des Herzogs Tasse hinein!

»Was ist das?« rief eine alte Gräfin, die neben dem Herzog saß, als der seine Tasse fallen ließ. Doch da saß ihr der Frosch auf dem Schoß. Sie schrie gellend auf, und ein paar noch junge Damen kreischten entsetzt: »Frösche, Frösche!«

»Wo denn?« Ein etwas kurzsichtiger Kammerherr bückte sich, und plitsch, sprang ihm ein Fröschlein mitten ins Gesicht.[133]

Gab das ein Geschrei! »Frösche, Frösche!« quietschten die Damen immerzu, sie hielten sich ihre Kleider fest zusammen und sprangen auf die Stühle. Die Hofherren wollten die Frösche fangen, doch die waren schneller als sie und hopsten hierhin und dahin. Der Herzog aber lehnte schreckensbleich in seinem Sessel; vor Fröschen hatte er einen Abscheu. Er stöhnte: »Wo kommen sie her?«

Kasperle stand ganz verdattert da. Daß die Frösche aus seinen Hosensäcklein gefallen waren, hatte nur Veit gesehen, und der schwieg still. Die andern Diener aber meinten: »Sie sind sicher aus dem Garten hereingesprungen.«

»Gewiß ist es ein Zeichen, daß es entweder schlechtes oder gutes Wetter gibt«, flüsterte die alte Gräfin zitternd.

Der Herzog erhob sich bebend. »Ich muß mich in mein Bett legen«, stammelte er, »ich bin zu sehr erschrocken.«

Und alle umdrängten den Herzog und bedauerten ihn,[134] Kasperle aber schlich sich fort; niemand beobachtete es. Nur Veit zog es ein wenig an den Ohren und sagte: »Du Schelm!« Dann ließ er es los, und Kasperle rannte in den Park, rannte dahin, wo das Bächlein floß, und fand dort wirklich das traurige Marlenchen. Vergnügt erzählte es, was ihm alles passiert war, und wieder huschte etwas wie ein ganz matter, zarter Sonnenschein über das blasse Gesicht der Kleinen.

»Du lernst noch lachen«, schrie Kasperle vergnügt und schlug vor Freude einen riesengroßen Purzelbaum.

Doch das gefiel Marlenchen weniger, es bat sanft: »Erzähle vom Waldhaus, bitte, bitte!«

Wie gern erzählte Kasperle davon! Es kauerte sich am Bachrand nieder wie ein kleiner Türke und sagte: »Wo soll ich anfangen?«

»Beim großen, alten Schrank, in dem du so schrecklich lange geschlafen hast«, bat das traurige Marlenchen.

Kasperle schwätzte vergnügt drauflos. Auf der hohen Ulme, unter der die Kinder saßen, wohnten Elstern; die ärgerten sich, denn so flink und lustig wie Kasperle verstanden selbst sie das Schwatzen nicht. Sie erhoben ihre Stimmen und krächzten dazwischen. »Seid still!« schrie Kasperle hinauf, und als die Elstern sich darum gar nicht kümmerten, sondern immer lauter ihre Stimmen erhoben, da kletterte Kasperle flugs ein Stück die Ulme hinauf und schnitt sein Räubergesicht.

Die Elstern fielen kreischend vor Schreck in ihre Nester zurück, und auf einmal waren sie muckstill. Und wieder flog ein heller Schein über der kleinen Marlene Gesicht. »Ich kann die Elstern nicht leiden«, sagte sie, »sie haben so rauhe Stimmen. Gut, daß sie mal still sein müssen!«[135]

»Ja«, rief Kasperle, »seid nur ganz still, ich will –«

Ach, da tönte vom Schlosse her ein schrilles Pfeifen, und nun mußte auch das arme Kasperle still sein. Es nahm betrübt Abschied, sie sagten beide wieder: »Morgen«, schüttelten sich die Hände, und dann rannte Kasperle ins Schloß. Es sollte mit dem Herzog spazierenfahren.

»Aber keine Gesichter schneiden!« Der Herzog drohte streng mit dem Finger, und weil Kasperle ohnehin ein schlechtes Gewissen wegen der Froschgeschichte hatte, saß es wirklich muckstill auf seinem Sitz.

Es war an diesem Abend überhaupt ungeheuer artig, denn der Herzog redete noch immerzu von den Fröschen und wie die wohl in sein Gartenzimmer gekommen seien. Da hatte Kasperle Angst, es könnte darum gefragt werden, deshalb schwieg es und saß still mit gesenkten Augen am Tisch.

Es lernt noch, sich anständig zu benehmen, dachte der Herzog, ich werde es erziehen.

Am nächsten Morgen rannte Kasperle wie üblich in den Park und traf dort die kleine Marlene. Es mußte nochmals vom Waldhaus erzählen, mußte aber wieder vorher die Elstern zum Schweigen bringen. Und wieder saß Marlene da, die Hände still gefaltet, sie lauschte Kasperles Erzählung, und ein frohes Leuchten lag jetzt auf ihrem blassen Gesicht.

An diesem Tage überhörten beide beinahe des Haushofmeisters Pfeifen. Das wurde schriller und schriller, und zuletzt hörte es Kasperle doch, und es rannte mit solcher Eile in das Schloß, daß es im Eifer über den großen Lieblingshund des Herzogs hinweg einen Purzelbaum schlug. Dies gefiel Hektor sehr. Er schnappte vergnügt nach Kasperles[136] Höslein, das wehrte sich, packte Hektor am Schwanz, und beide kugelten und kegelten durch die große Halle. Es gab einen argen Lärm. Hektor bellte, Kasperle schrie, der Herzog kam angerannt und rief: »Er frißt es, er frißt es!«

Er dachte, der Hund wolle das Kasperle fressen, aber da stand das auf einmal putzmunter auf seinen Beinen und grinste den Herzog an.

O der Schelm! Der Herzog merkte schließlich, daß die Geschichte nicht so schlimm gewesen war, und er schalt über den Lärm und erklärte, dafür müsse Kasperle heute zur Strafe daheimbleiben, es dürfe nicht mit spazierenfahren.

O weh, das dumme, dumme Kasperle! Es lachte vor Vergnügen hell auf, und der Herzog wurde bitterböse. Auch noch darüber lachen, wenn es nicht mit ihm, dem Herzog, spazierenfahren durfte, das ging doch über die Hutschnur!

»Die Schlüssel!« rief er, und der Haushofmeister mußte ihm die Schlüssel bringen, die alle Türen des Schlosses aufschlossen. »Bringt Kasperle!« gebot der Herzog streng, und der Haushofmeister dachte: O weh, nun geht's dem armen Kasperle ganz schlecht, jetzt wird es gar in einen Keller gesperrt!

Und wirklich sperrte es der Herzog nun eigenhändig in ein kleines, finsteres Kellerloch. Kasperle konnte weinen und schreien, soviel es wollte, schwipp, schwapp, war es drin, rissel, rassel, drehte sich der Schlüssel im Schloß, es war gefangen.

An diesem Nachmittag wartete das traurige Marlenchen lange, lange auf seinen kleinen Freund, er kam nicht. Da erlosch der matte Freudenschein wieder auf dem blassen[137] Gesicht und Marlenchen ging traurig heim. Traurig saß es im Schloßhof von Lindeneck am Brunnen, der ganz von Rosen umblüht war, und dachte an das Kasperle. Warum war es nur nicht gekommen?

Das arme Kasperle saß unterdessen im dunklen Keller und konnte wirklich nicht hinaus. Es versuchte es, sich durch das winzige Fenster zu zwängen, es ging nicht. Es wollte die Türe öffnen, sie gab nicht nach. Es heulte und schrie aber niemand hörte es.

Da dachte das kleine Kasperle bitterböse an allerlei Schabernack, den es dem Herzog spielen wollte, und dabei rannte es immer im Keller auf und ab, und plötzlich stieß es wieder einmal an die Wand. Ganz hohl klang das. Hei, dachte es, hier ist eine geheime Türe, hier kann ich vielleicht doch 'raus.

Eine Türe war freilich da, aber hinaus ins Freie gelangte Kasperle nicht; nur in einen andern Keller geriet es, in dem drei Fäßlein köstlichen Weines lagerten. Des Herzogs Lieblingswein war es. Nun wußte Kasperle,[138] wenn man an einem Faß den Hahnen aufdreht, dann läuft alles heraus, was drin ist. Es drehte an jedem Faß den Hahnen auf, an dem ersten, dem zweiten, dem dritten. Das rieselte und rauschte, das duftete köstlich; Kasperle hielt auch den Mund unter, schluckte und trank, aber da meinte es plötzlich draußen ein Geräusch zu hören, und flugs rannte es in seinen Keller zurück, zog die Türe zu, und bums, fiel es, so kurz es war, auf den Boden nieder und schlief ein. Es schlief und schlief und träumte von dem traurigen Marlenchen; es war aber kein trauriges, sondern ein sehr vergnügtes Marlenchen. Das sang und tanzte und lachte immerzu; nein, war das lustig!

Und dabei saß Marlenchen unter dem Rosenbusch und weinte, es hatte Sehnsucht nach seinem neuen kleinen Freund.[139]

Quelle:
Herold Verlag, Stuttgart, 1983, S. 125-140.
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