Achtundsechzigstes Kapitel.

[293] Um den Caesar nicht zu beleidigen, hatte Petronius nach Lygias Befreiung ihn mit den übrigen Augustianern nach dem Palatin begleitet. Er wollte hören, wovon man dort sprechen werde, und zugleich erfahren, ob Tigellinus irgend einen anderen Anschlag gegen das Mädchen plane. Sie und Ursus standen zwar jetzt unter dem Schutze des römischen Volkes, und niemand konnte Hand an sie legen, ohne einen Aufruhr zu veranlassen; allein Petronius kannte den Haß, den der allmächtige Präfekt gegen ihn hegte, und fürchtete, dieser werde, da er ihm nicht direkt schaden konnte, versuchen, an seinem Neffen auf irgend eine Weise Rache zu nehmen.

Nero war in sehr gereizter Stimmung, weil die Vorstellung ganz anders geendet hatte, als geplant war. Anfangs beachtete er Petronius gar nicht; dieser verlor jedoch seine Kaltblütigkeit nicht und trat zu ihm mit der ganzen Freiheit eines »arbiter elegantiae.«

»Weißt du, Gottheit,« sagte er, »was mir soeben einfällt? Schreibe ein Gedicht auf das Mädchen, das auf Befehl des Herrschers der Welt von den Hörnern eines wilden Stieres gelöst und dem Geliebten übergeben wurde. Die Griechen haben gefühlvolle Herzen, und ich bin überzeugt, ein solches Gedicht wird sie bezaubern.«

Dieser Gedanke gefiel Nero trotz all seines Ärgers, und zwar in doppelter Hinsicht: zunächst als Vorwurf für eine Dichtung und dann weil er sich darin selbst als Herrscher der Welt rühmen konnte. Er sah daher Petronius einige Zeit an und entgegnete: »Jawohl! Du kannst recht haben! Aber schickt es sich für mich, meine eigene Güte zu verherrlichen?«[293]

»Du brauchst dich ja nicht zu nennen. Jedermann in Rom wird auch so wissen, worum es sich handelt, und aus Rom verbreiten sich Nachrichten über die ganze Welt.«

»Und bist du sicher, daß das Gedicht in Achaja gefallen wird?«

»Beim Pollux, ja!« erwiderte Petronius.

Zufriedengestellt entfernte er sich, denn jetzt war er überzeugt, daß Nero, dessen ganzes Streben dahin ging, die Wirklichkeit in Poesie umzusetzen, sich nicht werde das Thema verderben wollen, und so waren Tigellinus die Hände gebunden. Allein dies änderte an seiner Absicht nichts, Vinicius aus Rom zu entfernen, sobald Lygias Zustand nicht mehr gefährlich war. Sobald er ihn daher am nächsten Tage sah, sprach er zu ihm: »Bringe Lygia nach Sizilien. Nach dem, was vorgefallen ist, droht dir von seiten des Caesars nichts, aber Tigellinus ist imstande, sogar zu Gift seine Zuflucht zu nehmen, wenn nicht aus Haß gegen euch, so doch aus Feindschaft gegen mich.«

Vinicius lächelte und entgegnete: »Sie befand sich auf den Hörnern des wilden Stiers, und doch hat Christus sie gerettet.«

»So ehre ihn mit einer Hekatombe,« antwortete Petronius mit einiger Ungeduld, »aber verlange nicht von ihm, daß er sie zum zweitenmal rettet ... Erinnerst du dich, wie Aiolos Odysseus empfing, als dieser zurückkehrte und ihn ein zweites Mal um einen Schlauch voll günstiger Winde bat? Die Götter lieben es nicht, Wohltaten zu wiederholen.«

»Sobald sie genesen ist,« versetzte Vinicius, »bringe ich sie zu Pomponia Graecina.«

»Und du wirst um so besser daran tun, als Pomponia krank ist. Antistius, ein Verwandter von Aulus, hat es mir mitgeteilt. Hier wird sich inzwischen soviel ereignen, daß die Leute euch vergessen, und bei den jetzigen Zeiten sind die am glücklichsten, die in Vergessenheit geraten. Möge[294] Fortuna euch Sonnenschein im Winter und Schatten im Sommer gewähren!«

Sodann überließ er Vinicius seinen Glücke und suchte Theokles auf, um sich nach Lygias Befinden zu erkundigen.

Sie war bereits außer Gefahr. Im Kerker hätte sie allerdings, abgezehrt vom Gefängnisfieber, wie sie war, der verdorbenen Luft und den Entbehrungen erliegen müssen; hier aber erfreute sie sich der sorgfältigsten Pflege und war nicht nur von Reichtum, sondern auch von Pracht umgeben. Auf Anordnung des Arztes fing man bereits nach zwei Tagen an, sie in den an die Villa anstoßenden Garten zu tragen, wo sie stundenlang verweilte. Vinicius schmückte ihre Sänfte mit Anemonen und namentlich mit Irisblumen, um sie an das Atrium in Aulus' Hause zu erinnern. Im Schatten der Bäume sprachen sie oft, sich an der Hand haltend, von den Leiden und Schmerzen der Vergangenheit. Lygia sagte ihm, Christus habe ihn absichtlich durch Qualen hindurchgeführt, um seine Seele umzugestalten und zu sich zu erheben, und er fühlte, sie habe recht, und es sei in ihm nichts von dem früheren Patrizier zurückgeblieben, der kein anderes Gesetz kannte, als den eigenen Wunsch. Allein in diesen Erinnerungen lag nichts Bitteres. Beiden war es, als seien Jahre über ihrem Haupte dahingerauscht und als liege jene furchtbare Vergangenheit weit, weit hinter ihnen. Ein innerer Friede beseelte sie, wie sie ihn noch nie kennen gelernt hatten. Ein neues Leben voll namenloser Glückseligkeit tat sich vor ihnen auf. In Rom mochte der Caesar rasen und die ganze Welt mit Schrecken erfüllen, sie, die im Schutze einer weit höheren Macht standen, fürchteten weder seine Tücke noch seinen Wahnwitz, als habe er für sie aufgehört, Herr über Leben und Tod zu sein. Eines Abends hörten sie aus den entfernt liegenden Vivarien das Gebrüll der Löwen und anderen wilden Tiere herübertönen. Einst hatten diese Stimmen Vinicius mit Entsetzen erfüllt, da er sie für schlechte Vorzeichen hielt; jetzt blickten sie sich nur lächelnd an und[295] erhoben dann beide die Blicke zum abendrotgeschmückten Himmel. Zuweilen entschlummerte Lygia, da sie noch sehr schwach war und nicht allein gehen konnte, inmitten der tiefen Stille; dann wachte er über sie, betrachtete ihr schlummerndes Antlitz und mußte unwillkürlich denken, wie verschieden sie doch jetzt von der Lygia sei, die er bei Aulus kennen gelernt habe. In der Tat hatten Kerkerhaft und Krankheit sie eines Teils ihrer Lieblichkeit beraubt. Damals, als er sie bei Aulus erblickte, und später, als er sie aus Mirjams Hause entführen wollte, war sie so wunderbar schön gewesen, wie eine Bildsäule oder eine Blume, jetzt war ihr Antlitz hager, ihre Hände abgezehrt, der Körper von der Krankheit geschwächt, die Lippen blaß, und selbst die Augen schienen nicht mehr so blau zu sein wie ehedem. Die goldlockige Eunike, welche ihr Blumen und reiche Decken zum Einhüllen ihrer Füße brachte, erschien neben ihr wie die kyprische Göttin. Petronius bemühte sich mit seinem feingeschulten Auge vergebens, die früheren Reize an ihr zu entdecken, und dachte achselzuckend bei sich, dieser Schatten aus den elysischen Gefilden sei so vieler Anstrengungen, so vieler Leiden und Qualen, die Vinicius beinahe das Leben gekostet hätten, gar nicht wert. Allein Vinicius, der jetzt ihre Seele liebte, liebte sie nur um so inniger, und so oft er über sie wachte, wenn sie eingeschlummert war, hatte er das Empfinden, als wache er über die ganze Welt.

Quelle:
Sienkiewicz, Henryk: Quo vadis? Zwei Bände, Leipzig [o.J.], Band 2, S. 293-296.
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