Drittes Kapitel.

[44] »Ich glaube an den einen allmächtigen und allgerechten Gott,« wiederholte Petronius nach einer Weile, als er sich mit Vinicius zusammen wieder in der Sänfte befand. »Wenn ihr Gott allmächtig ist, so herrscht er über Leben und Tod; und wenn er allgerecht ist, dann sendet er den Tod nach Verdienst. Warum trägt also Pomponia Trauer um Julia? Wenn sie um Julia trauert, so murrt sie damit gegen ihren Gott. Ich muß diese Schlußfolgerung unserem rotbärtigen Affen wiederholen, denn ich behaupte, in der Dialektik dem Sokrates gleich zu kommen. Was die Frauen betrifft, so stimme ich mit ihm überein, daß jede drei bis vier Seelen besitzt, aber keine einzige eine vernünftige Seele hat. Lassen wir Pomponia mit Seneca oder Cornutus darüber disputieren, was diese unter ihrem großen Logos verstehen ... Lassen wir sie einmal die Schatten des Xenophanes, Parmenides, Zenon und Platon heraufbeschwören, die sich dort in den kimmerischen Gefilden langweilen wie ein Zeisig im Käfig. Ich wollte mit ihr und Plautius von etwas anderem sprechen. Bei dem heiligen Leibe der ägyptischen Isis! Wenn ich ihnen gleich offen heraus gesagt hätte, weshalb wir gekommen[44] wären, so fürchte ich, so hätte ihre Tugendhaftigkeit einen Lärm gemacht wie ein eherner Schild, auf den man mit einer Keule schlägt. Und ich hatte nicht den Mut dazu! Glaube mir, Vinicius, ich hatte nicht den Mut! Pfaue sind schöne Vögel, aber sie schreien zu laut. Ich fürchtete das Geschrei. Aber deine Wahl muß ich loben. Die wahre rosenfingrige Eos ... Und weißt du, an wen sie mich erinnerte? An den Frühling! – nicht an den unseren hier in Italien, wo hier und da ein Apfelbaum Blüten treibt, die Olivenhaine grau bleiben wie immer, sondern an den Frühling, den ich einmal in Helvetien sah, jung, frisch, duftig-grün ... Bei der bleichen Selene – ich wundere mich nicht über dich, Marcus. Wisse jedoch, daß du eine Diana liebst und daß Aulus und Pomponia bereit sind, dich in Stücke zu zerreißen, wie die Hunde einst den Aktaion zerrissen.«

Vinicius hob den Kopf nicht empor und schwieg eine Zeitlang, dann begann er mit vor Erregung stockender Stimme: »Ich begehrte sie früher und begehre sie jetzt noch mehr. Als ich ihre Hände ergriff, glühte ein Feuer in mir auf. Ich muß sie besitzen. Wenn ich Zeus wäre, so würde ich sie mit einer Wolke umgeben, wie er Jo umgab, oder ich würde als Regen auf sie herabfallen, wie er auf Danae fiel. Ich möchte ihre Lippen küssen, bis sie Schmerz empfände. In meinen Armen möchte ich sie wimmern hören. Ich möchte Aulus und Pomponia erschlagen, dann sie rauben und auf meinen Armen in mein Haus tragen. Ich will heute nicht schlafen. Ich werde einen Sklaven peitschen lassen und seinem Stöhnen zuhören ...«

»Beruhige dich!« rief Petronius. »Deine Leidenschaft äußert sich wie bei einem Zimmermann in der Subura.«

»Es ist mir alles einerlei. Ich muß sie besitzen. Ich habe dich um Rat gefragt; aber wenn du kein Mittel findest, so werde ich es selbst finden. Aulus betrachtet Lygia als seine Tochter; warum sollte ich auf sie wie auf eine Sklavin blicken? Und wenn es keinen anderen Ausweg gibt, so soll[45] sie die Tür meines Hauses schmücken, sie mit Wolfsfett salben und als Gattin an meinem Herde sitzen.«

»Beruhige dich, rasender Abkömmling von Konsuln! Nicht deswegen führen wir Barbaren, an unsere Wagen gebunden, im Triumphe einher, um ihre Töchter heiraten zu können. Hüte dich vor dem Äußersten! Erschöpfe die geraden, anständigen Mittel und laß dir und mir Zeit zum Nachdenken. Auch mir erschien Chrysothemis als die Tochter Jupiters und doch heiratete ich sie nicht – ebenso wie auch Nero Akte nicht geheiratet hat, trotzdem sie für eine Tochter des Königs Attalos galt ... Beruhige dich! Bedenke, daß, wenn Lygia Aulus um deinetwillen zu verlassen wünscht, er kein Recht hat, sie zurück zu halten. Wisse aber auch, daß du nicht nur selbst glühst, sondern daß Eros auch in ihr die Flamme entfacht hat. Ich bemerkte es, und mir kannst du glauben. Habe Geduld. Für alles sind Mittel und Wege zu finden, aber heute habe ich schon zu viel gedacht, und das ermüdet mich. Dagegen verspreche ich dir, mich morgen deiner Liebe erinnern zu wollen, und Petronius müßte nicht Petronius sein, wenn er nicht ein Mittel fände.«

Wiederum schwiegen beide – endlich sagte Vinicius nach einer Weile ganz ruhig: »Ich danke dir, und möge Fortuna dir gnädig sein.«

»Gedulde dich.«

»Wohin läßt du uns tragen?«

»Zu Chrysothemis.«

»Du bist glücklich, da du diejenige besitzest, die du liebst.«

»Ich? Weißt du, was mich noch an Chrysothemis amüsiert? Daß sie mich mit einem meiner eigenen Freigelassenen, dem Lautenspieler Theokles, betrügt, und glaubt, ich wüßte das nicht. Einst liebte ich sie, und jetzt amüsieren mich ihre Lügen und ihre Dummheit. Begleite mich zu ihr. Sollte sie anfangen mit dir zu kokettieren und mit dem Finger Buchstaben auf den Tisch zu schreiben, wisse dann, daß ich nicht eifersüchtig bin.«[46]

Sie ließen sich also beide zu Chrysothemis tragen. Im Vorhofe aber legte Petronius die Hände auf Vinicius' Schulter und sagte: »Warte! Ich glaube ein Mittel entdeckt zu haben.«

»Mögen dich alle Götter dafür segnen.«

»So ist es! Ich glaube, der Plan kann nicht fehlschlagen.«

»Ich lausche deinen Worten – meine Athene!«

»Wohlan, in einigen Tagen wird die göttliche Lygia in deinem Hause die Frucht der Demeter genießen.«

»Du bist größer als der Caesar!« rief Vinicius voller Begeisterung.

Quelle:
Sienkiewicz, Henryk: Quo vadis? Zwei Bände, Leipzig [o.J.], Band 1, S. 44-47.
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