11. Szene.

[14] Brenner. Doktor Faust.


DOKTOR FAUST. Was seh' ich, Brenner?

BRENNER. Deinen Brenner.[14]

DOKTOR FAUST. Bist du es selbst? Nur Schatten suchen je das Unglück auf.

BRENNER. Erkenne deine Freunde!

DOKTOR FAUST. Ich kenne eure Worte. Hier hoff' ich sie zu vergessen. In diesen Mauern allein gilt Wahrheit.

BRENNER. Faust, was ist dir? Deine Augen rollen furchtbar. Woher die Wildheit deines Bluts? Woher diese Verzweiflung?

DOKTOR FAUST. Ha, du wüßtest nicht?

BRENNER. Daß deine Gläubiger dich fest machen lassen? Nichts natürlicher, nichts gerechter; bezahle sie!

DOKTOR FAUST. Du höhnst mich?

BRENNER. Das wäre schurkisch.

DOKTOR FAUST. Hättest du ihn gesehen, ihn, wie er seine grauen Haare in Tränen badete.

BRENNER. Ich habe –

DOKTOR FAUST. Gehört seine letzten zermalmenden Worte!

BRENNER. Ich habe sie gehört.

DOKTOR FAUST. Ich bat um seinen Fluch, und er versagte ihn. Brenner! Mein Vater ist elend, unaussprechlich elend. Hörst du wohl? Er schüttelt ihn. Mein Vater!

BRENNER. Du bist außer dir!

DOKTOR FAUST. Mein Vater, sag' ich dir!

BRENNER. Rette ihn!

DOKTOR FAUST. Bist du ein Teufel? Bedenk's, ich steh' in meiner letzten Stunde.

BRENNER. Was ist mit dir vorgegangen? Cato drückte sich den Dolch in den Busen, aber er starb fürs Vaterland. Curtius stürzte sich in den Abgrund, aber für seine Mitbürger. Und so wollte Faust in seiner Laufbahn stille stehen? Schwelgerischer Wollüstling, Räuber fremden Eigentums, der die Larve der Ehrlichkeit dem Gutmütigen ablog, Verführer keuscher Jungfrauen, Spötter der Tugend, treuloser Freund.

DOKTOR FAUST. O halt' ein![15]

BRENNER. Verräterischer, undankbarer, meuchelmörderischer Sohn!

DOKTOR FAUST. Halt' ein, Satan!

BRENNER. Und endlich ein kleinmütiger Selbstmörder!

DOKTOR FAUST. Halt' ein, oder zittre!

BRENNER. Der Rabenstein sein Monument und der Abscheu seiner Zeitgenossen sein Nachruhm! Hier hast du einen Strick; geh' und hänge dich!

DOKTOR FAUST. Halt' ein, Bösewicht –

BRENNER. Die Natur hat dich ausgesteuert mit ihren reichsten Gaben. Wo ist er hin, dieser Durst nach großen Taten, dieses Streben nach einer Sonnenlaufbahn? Wohin diese Gierde alles zu wissen, alles zu erschöpfen, zu messen das Unermeßliche, zu erforschen das Unendliche? Mit kühnem Flug zu schreiten über den Gestirnen, mit Riesenschritten zu erklimmen das Allerhöchste, zu gebieten über die weite Natur, vom Monarchen bis zum Wurme, zu ergründen die Tiefen der Schöpfung?

DOKTOR FAUST. Beim Himmel, er ist da!

BRENNER. Ein Schuldturm zu Ingolstadt hat diese Riesenkraft gelähmt und die goldnen Schwingen des hohen Genius abgeschnitten.

DOKTOR FAUST. Wahrlich, nein! – Sprich, was soll, was kann ich tun?

BRENNER. Alles, wenn du nur willst. Wofür hast du denn die Magie studiert? Hinab in das Reich der Geister! Der Kühnheit öffnen sich seine eisernen Tore. Ein Wort, und die Natur ist zu deinen Füßen!

DOKTOR FAUST. Brenner, du hast meinen schlafenden Genius geweckt. Hinauf mit dem Vorhange! Ich wage alles!

BRENNER. Bis jetzt hast du dein Dasein gemordet; beginn' eine neue Laufbahn! Du hast schwere Schulden gegen die Natur auf dich geladen; tilge sie! Du hast oft und gewaltsam ihre weise Ordnung gestört – vergüt' es! Habe Mut, dich hinaufzuschwingen aus diesem erbärmlichen Dunstkreis; er ist nur für gewöhnliche Menschen. Dir hat die Natur das Siegel der[16] Größe auf die Stirne gedrückt. Löse es, oder versinke rettungslos und unbemerkt im Schlamm gemeiner Seelen.

DOKTOR FAUST. Nicht weiter. Ich will!

BRENNER. All deine Bücher sind schales Geschwätz, Märchen für Ammen und Kinder. Lies dieses! Es enthält die Geheimnisse der Geisterwelt. Hast du Mut, so bist du ihr Beherrscher. Zagst du, so bist du verloren. Ab.


Quelle:
Soden, Julius von: Doktor Faust. Neustadt a.d. Aisch 1931, S. 14-17.
Lizenz:
Kategorien: