6. Szene.

[10] Fausts Vater. Vorige.


FAUSTS VATER in Doktor Fausts Arme stürzend. Mein Sohn, mein Sohn!

DOKTOR FAUST äußerst erschüttert. Vater! Stumme Szene, in der sich Brenner entfernt.

FAUSTS VATER. Gottlob, meine Augen sehen dich noch einmal!

DOKTOR FAUST. Setzt euch, Vater, eure Knie zittern.

FAUSTS VATER. Es ist mein letzter Gang, der nächste zum Grabe. Ich dachte dich nicht wiederzusehen.

DOKTOR FAUST. Wieso Vater?

FAUSTS VATER. Die Sage kam in unser Dorf, du seist tot.

DOKTOR FAUST. Ist's möglich!

FAUSTS VATER. Öffentlich hingerichtet!

DOKTOR FAUST. Die verleumderischen Schurken!

FAUSTS VATER. Der Schmerz riß deine schwache Mutter ans Grab. Mir gab er Stärke. Ich wollte meine morschen Knochen hinschleppen an deinen Rabenstein, Buße zu tun für unsere Liebe zu dir und an deinem zerschmetterten Gebein meinen letzten Odem aushauchen.

DOKTOR FAUST. Schrecklich! Schrecklich!

FAUSTS VATER. Hans, Hans, wie hast du deinen Eltern gelohnt!

DOKTOR FAUST zu seinen Füßen. O, vergebt mir!

FAUSTS VATER. Ja, denn dein Auge ist naß.

DOKTOR FAUST. Vater, es sind auch meine letzten Tränen.

FAUSTS VATER. Hast du die letzten 50 Taler erhalten?[10]

DOKTOR FAUST. Ja!

FAUSTS VATER. Ach, meine arme Schecke! Die Mutter hatte sie aufgezogen, ihre Milch nährte uns und deine Liese. Wir heulten alle, als man sie wegführte.

DOKTOR FAUST sich vor die Stirne schlagend. Bösewicht!

FAUSTS VATER. Daß ich den närrischen Grillen deiner Mutter nachgab! Aus dem Schoßkinde sollt' und mußt' ein Doktor werden! Hans, warum ließ ich dich von mir?

DOKTOR FAUST. Gott vergeb's euch!

FAUSTS VATER. Wenn unsre Nachbarssöhne heimziehen vom Pfluge, so jubeln ihre Eltern. Wir zittern, so oft ein Bote aus der Stadt kommt.

DOKTOR FAUST. Weh mir!

FAUSTS VATER. Bald ist's eine Dirne, die uns ihren Bankert vors Fenster zu legen droht, bald ein Weinwirt, der dich festmachen lassen will, bald schreibt ein Herr Professor: Euer Sohn schwärmt Tage und Nächte und ist ersoffen in aller Liederlichkeit.

DOKTOR FAUST. Vater, es soll anders werden!

FAUSTS VATER. Da kommen denn abends die Nachbarn, um uns zu demütigen für unsern Wohlstand, und jeder weiß eine andere Geschichte, uns das Herz abzunagen. »Er sitzt auf dem Turm«, sagte der eine. »Man sieht ihn nie in der Kirche«, der andere. »Er will von Gott und seinem Wort nichts wissen«, der dritte.

DOKTOR FAUST. Ha!

FAUSTS VATER. »Jauner und Teufelsbanner seine täglichen Gesellschafter«, der vierte.

DOKTOR FAUST. O wahr!

FAUSTS VATER. »Er selbst hat sich dem Teufel ergeben«, der fünfte.

DOKTOR FAUST. Nein! Nein!

FAUSTS VATER. Und da ringt denn die Mutter ihre Hände, der Vater rauft seine grauen Haare aus; unser alter, treuer Fix springt auf den Tisch und leckt unsre Tränen ab und Liese, deine Liese –[11]

DOKTOR FAUST. Sie liebt mich?

FAUSTS VATER. Bleich und abgehärmt welkt sie hin. Gottlob, sie wird's nicht lange mehr treiben.

DOKTOR FAUST. Sie liebt mich noch?

FAUSTS VATER. Wollte Gott, nein! Sie ist unser Augapfel, sie wartet und pflegt deine kranke Mutter.

DOKTOR FAUST. Bösewicht, unmenschlicher Bösewicht!

FAUSTS VATER. Hans, kehre um, weil's noch Zeit ist! – Zehn Jahr dient' ich dem Landesfürsten, versuchte manches in der Welt, zog dann heim, heiratete deine Mutter und baute mein Gütchen. Fleiß bringt Segen. Meine Saaten wurden die schönsten im Flur, meine Ställe voll Vieh. Ein Junge fehlte mir, dem ich das all' übergäbe, der mir einst dafür die Augen zudrückte. Da wallfahrtete ich mit deiner Mutter zum Wunderbild – und sieh' da, ich ward erhört und du geboren.

DOKTOR FAUST. Fluch! Fluch dem unseligen Gedanken, der euch diese Wallfahrt eingab! Ich habe euer Glück ermordet.

FAUSTS VATER. Hab' ich dir je geflucht?

DOKTOR FAUST. Aus Barmherzigkeit flucht mir! –

FAUSTS VATER. Komm mit mir! Unserer Hände Arbeit wird uns nähren. Mutter, Mutter lebt noch, Liese lebt noch! Komm mit mir!


Quelle:
Soden, Julius von: Doktor Faust. Neustadt a.d. Aisch 1931, S. 10-12.
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