4. Szene.

[25] Brenner. Vorige.


BRENNER. Willkommen, Herzensdoktor!

DOKTOR FAUST. Willkommen? Zurück, Teufel! Denn im Kerker ist ja die irdische Hölle.

BRENNER. So bitter, Brüderchen?

DOKTOR FAUST. Nur die Lockung der Heimat kann dich wieder hieher rufen. Seit wann ist denn der Besuch des Unglücks Weltsitte?

BRENNER. Sachte, Tollkopf! Brenner ist immer der nämliche.

DOKTOR FAUST. Das ist er, das wird er sein; zu schwach zur Tugend, zu schwach zum Laster; Sphynx oder Centaur, Bacchant oder Hyäne, wie's das Marionettenschauspiel gibt. Willkommen, drolliges Ungeheuer!

BRENNER. Du bist lustig, Doktor.

DOKTOR FAUST. Sehr lustig! Siehst du's nicht, jeder Prinzipal von Verstand flickt ein Fastnachtsspiel an die Tragödie. Es ist um der Wirkung willen.

BRENNER. Doktor, Doktor! So empfängst du deine Freunde?

DOKTOR FAUST. Freunde? Buben, was denkt ihr? Wenn der allmächtige Geist in mir stürmte, wenn die Morgenröte mich nicht weiser, nicht befriedigter, nicht verklärter, nicht ruhiger überraschte! Wenn das Resultat all meines Forschens und Sinnens über Kraft und Natur und mein Selbst und dessen hohe Ahndungen mit dem Rauch meiner nächtlichen Lampe verlosch. Freilich, dann stürzt' ich mich fühllos in eure Reihen, zechte und schwelgte und strebte, die Molche meiner Seele zu stillen, denn die saugen ja nur Gift. Doch was[25] schwätze ich da! Dies alles ist ja für dich Unsinn. Was gibt's Neues in der Körperwelt?

BRENNER. Wenig und das nicht tröstlich.

DOKTOR FAUST. Laß hören!

BRENNER. Du bist peinlich angeklagt vom Senat beim Landesfürsten.

DOKTOR FAUST. Ich? Worüber? Das ist lustig. Die peinliche Anklage meiner Gläubiger liegt hier und ich werde sie heben oder untergehen. – Aber hab' ich meine Dirnen nicht bezahlt? Meine zerbrochenen Gläser und Fensterscheiben nicht bezahlt? Bezahlen ist ja die große Stufenleiter eurer Menschenmoralität.

BRENNER. Ja, davon handelt's nicht.

DOKTOR FAUST. Wovon denn? Was klagt man mich an?

BRENNER. Als einen Verleumder und Pasquillanten.

DOKTOR FAUST. Ha! Weil ich den Rektor einen Esel nannte? Wahr ist's, ich hätt' ihn auch einen Schafskopf nennen können, denn der Esel ist ein nützliches Tier und trägt seine Last; dieser Nikodemus nützt und trägt nichts, das ich wüßte, als die Geweihe seiner Hahnreischaft.

BRENNER. Als einen Unruhstifter und Aufwiegler.

DOKTOR FAUST. Aufwiegler, ich? Weil meine Seele glühenden ewigen Haß schwur dem Drucke der Willkür? Weil ich dem Volk predige, das Gesetz sei sein Regent, nicht die Verdauungswerkzeuge der Schreiber? Weil ich predige den Amtleuten und Schergen, daß sie um des Volks willen da sind, nicht das Volk um ihretwillen? O laß sie kommen diese Lotterbuben.

BRENNER. Faust, du hast mächtige Feinde.

DOKTOR FAUST. Die Wahrheit ist allmächtig.

BRENNER. Ja, dringe du damit zu den Thronen, um sie ist eine eherne Mauer, und Trug und Schmeichelei ihre unbesiegbare Wache.

DOKTOR FAUST. Ich will durchdringen; meine Stimme soll schallen von einem Grenzsteine des Landes zum andern.[26]

BRENNER. So läßt man dich im Kerker faulen. Hast du Gold? Bist du nicht verschuldet?

DOKTOR FAUST tiefsinnig. Ha!

BRENNER. Faust, lebe mit der wirklichen Welt, und kannst du's nicht, so erhebe dich zur höhern!

DOKTOR FAUST. Ha, daß ich könnte!

BRENNER. Du kannst und wolltest. Warum zittertest du zurück beim ersten Schritt?

DOKTOR FAUST. Wenn du wüßtest!

BRENNER. Taschenspielerkünste. Von den Geistern selbst veranstaltet, deinen Mut zu prüfen.

DOKTOR FAUST. Wie? Aufmerksam.

BRENNER. Faust, du bist der Menschheit entwachsen. Erhebe dich zu der Höhe deines Wesens! Wie? Du kriechst umher unter den Fröschen des Sumpfs, und dein kühner Genius ruft dich zum Adlerflug?

Sprich ein Wort, und du bist allmächtig wie ein Gott. Sprich ein Wort, und du zerschmetterst all diese giftigen Kröten und zertrittst lächelnd diese armseligen Ameisenhaufen.

DOKTOR FAUST. Bösewicht! Welchen Orkan erregst du in meinem zerrissenen Busen!

BRENNER. Hier erwartet dein: Kerker, Fesseln, der Schandpfahl, vielleicht das Blutgerüst oder die Flamme. Denn auch der Zauberei bist du schon verdächtig. Dort Macht, Hoheit und Glorie. Wähle!

DOKTOR FAUST. Und dazu könntest auch du klimmen, Brenner? Brenner?

BRENNER. Mein Pfad ist nicht der deine.

DOKTOR FAUST sinnend. Wahrheit, Wahrheit, die ich anbete, seit ich denke, warum zeigst du dich nicht?

BRENNER. Versuch's wenigstens! Der erste Schritt ist nicht entscheidend. Wage einen Blick ins Reich höherer Wesen, nach dem du strebtest. Blendet dich seine Majestät, so krieche zurück! Aber versinke und schweige auf ewig!

DOKTOR FAUST. Pause. Ich will! Gib mir zum zweitenmal die Bücher und geh![27]

BRENNER. Hier! Du wirst zum zweitenmal wanken.

DOKTOR FAUST. Bube, mach mich nicht wahnsinnig! – Laß die Flammen der Hölle über mich zusammenschlagen und sieh, ob ich wanke!

BRENNER. Heil dir dann, edler Doktor mit dem Strahlenhaupt! Triumphierend seh' ich dich wieder. Ab.


Quelle:
Soden, Julius von: Doktor Faust. Neustadt a.d. Aisch 1931, S. 25-28.
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