10. Der Schatz.

[139] Mündlich aus Wettin.


In den alten Zeiten war Vieles besser als heut, doch wer kein Geld hatte, der war auch damals schon übel dran. Davon konnte ein Bursch erzählen; der wäre der glücklichste im ganzen Dorfe gewesen, wenn er seines Nachbars Tochter hätte freien dürfen: doch der Nachbar war sehr reich und so übermüthig, daß er seine Tochter Niemand geben wollte, der nicht[139] viertausend Thaler mit in die Wirthschaft brächte. Und weil der Bursch die nicht hatte, saß er oft einsam und weinte, und seine Liebste half ihm weinen; und sie überlegten oft mit einander wie sie es anfangen sollten die viertausend Thaler zu bekommen, doch es wollte ihnen nichts einfallen. Da legte sich der Bursch einst traurig auf seines Herren Bortenne, und er ahnte nicht daß sein Glück so nahe war. Denn kaum hatte er eine Weile gelegen, so kam ein Bauer mit einer großen Mulde voll Goldgülden, grub ein Loch in die Tenne und schüttete das Gold hinein. Dann ging er wieder weg, und der Bursch sprang hinab, raffte einige Hände voll Gold zusammen, legte sich wieder in sein Versteck und dachte »Gott wirds vergeben. Er weiß daß ich es gut anwenden will. Ist's doch wahrhaftig besser daß ich damit Hochzeit halte als daß es hier in der Erde umkommt.« Da kam der Bauer schon wieder und brachte eine zweite Mulde mit Gold; und weil das Loch noch lange nicht voll war, ging er noch mehrere Male und kam mit immer schöneren Goldstücken zurück. Und jedesmal, wenn er weg war, brachte der Bursch Etwas von dem Schatze auf die Seite. Als nun das Loch fast bis zum Rande gefüllt war, deckte es der Bauer mit Erde zu und sprach einen mächtigen Zauber darüber, diesen Schatz solle nur ein Knabe von neun Jahren heben können, der am neunten Tage eines Monats früh um neun Uhr geboren sei, und der müsse auf einem schwarzen Bocke mit weißen Füßen und weißer Blässe auf die[140] Tenne geritten kommen, den Bock über dem Schatze schlachten und sich mit dem Blute besprengen.

Der Bauer ging weg, und der Bursch dachte dem Zauberspruche nicht weiter nach, sondern zählte sein Geld und verwunderte sich selbst, als es grade viertausend Thaler waren, keiner mehr und keiner weniger. Da sprang er denn zu seiner Geliebten und erzählte ihr wie glücklich er gewesen war, und daß sie nun bald seine Frau sein werde. Und er ging zu ihrem Vater, zählte die viertausend Thaler auf und bestellte die Fiedler zur Hochzeit, die schon drei Tage darauf gefeiert wurde. Das junge Paar lebte gar fröhlich; und als ein Jahr vorüber war, bekamen sie einen Sohn, der wurde grade an einem Neunten früh um neun geboren. Da fiel dem Vater der Zauberspruch des Bauern wieder ein, und er erzählte seiner Frau davon und sagte »Wenn unser Sohn neun Jahr alt ist, suchen wir einen schwarzen Bock mit weißen Füßen und weißer Blässe, heben den Schatz und sind die reichsten Leute im Dorfe.« Die Frau aber meinte, solch einen Bock würden sie wohl nicht finden. Doch was geschieht nicht Alles auf Erden. Als der Knabe neun Jahr alt war, schickten sie im Lande umher und fanden richtig einen solchen Bock, gewannen den großen Schatz, und nun saßen sie nie mehr und weinten über ihre Armuth.

Quelle:
Emil Sommer: Sagen, Märchen und Gebräuche aus Sachsen und Thüringen 1. Halle 1846, S. 139-141.
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