3. Die Nixe im mansfelder See.

[91] Mündlich aus Wettin.


Nicht weit vom mansfelder süßen See liegt ein Dorf, doch wie es heißt weiß ich nicht. Da war alle Sonntage Musik und Tanz, und alle Burschen und Mädchen der Umgegend fanden sich dazu ein. Die Mädchen waren alle schön; aber eine war so schön, daß man sie sein Leben lang nicht mehr vergessen konnte, wenn man sie einmal gesehen hatte: doch wer sie war und woher sie kam wußte Niemand. Einem jungen Schäfer gefiel sie so wohl, daß er mit keiner andern mehr tanzen wollte, und als sie einst wegging, schlich er ihr nach und bat sie ihm zu erlauben daß er sie nach Hause begleite. »Ja« sagte sie, »das kannst du thun: du mußt mir aber versprechen nicht auf dem halben Wege umzukehren, sondern ganz mitzukommen.« Das versprach er gern, und sie faßte ihn bei der Hand und führte ihn nach einer Gegend hin, wo gar kein Dorf lag, so daß er bald ängstlich fragte ob sie auch den Weg kenne, sie müßten sich wohl verirrt haben. »Nein, nein« sagte sie: »komm nur mit und fürchte dich nicht; ich werde dir schon den rechten Weg zeigen.« Sie gingen immer weiter und kamen endlich an den See, wo das Mädchen von den Weiden, die am Ufer stehen, eine Gerte abbrach und damit dreimal auf das Wasser schlug. Und siehe da, das Wasser that sich auf, und[92] eine hübsche, breite Treppe wurde sichtbar, die zum Grunde des Sees führte. Der Schäfer blieb wohl einen Augenblick verwundert stehen: doch da ihn das Mädchen immer noch bei der Hand hielt und freundlich zu ihm sprach »Nun komm nur, komm!« so stieg er, von ihr geführt, die Stufen hinunter; und sie kamen in einem allerliebsten Dorfe an, wo die Mutter des Mädchens in einem kleinen, niedlichen Häuschen wohnte. »Ei« rief die Alte, als sie eintraten, ihrer Tochter entgegen, »du bringst dir wohl gar einen Schatz mit? Nun, wir wollen sehen wie es ihm bei uns gefällt. Die von dort oben können immer nicht viel arbeiten und wollen gleich wieder hinauf. Doch es kommt auf einen Versuch an.«

Den andern Tag ging die Alte in die Kirche (denn natürlich war auch eine Kirche im Dorfe); und ehe sie ging, schüttete sie einen Scheffel Rübsen in einen großen Haufen Asche und sagte zu dem Schäfer »Da suche die Körner heraus: wenn ich wieder komme, mußt du fertig sein.« Der Schäfer blieb traurig vor dem Aschenhaufen stehen und wagte gar nicht ihn anzurühren. Doch das schöne Mädchen sprang herbei und rief »Wart, ich will dir helfen«; und sie öffnete einen Taubenschlag, aus dem ein ganzer Schwarm Tauben flog, die über die Körner herfielen und sie in kurzer Zeit alle wieder in den Scheffel gelesen hatten. Die Alte kam zurück und erstaunte und freute sich über die wohlgelungne Arbeit. Als sie nun wieder ausging, gab sie dem Schäfer[93] ein Sieb und hieß ihn einen Teich damit ausschöpfen; doch mit Hilfe seiner Geliebten gelang ihm auch dies und auch die dritte Arbeit, welche ihm die Alte auferlegte, und welche darin bestand, daß er an einem Vormittage einen großen Wald fällen, das Holz klein hacken und in Wellen binden mußte. Da er diese Proben alle drei so glücklich bestanden hatte, erlaubte die Alte ihrer Tochter ihn zu heiraten; und sie hielten eine fröhliche Hochzeit, zu der viele Nixe und Nixen eingeladen wurden.

Zwei Jahre lebten sie glücklich und zufrieden mit einander, und sie hatten auch einen wunderniedlichen kleinen Sohn bekommen. Da wurde der Schäfer plötzlich von Sehnsucht nach seiner Heimat ergriffen, und er bat seine Frau, sie möchte ihm doch erlauben einmal seine Eltern und Geschwister zu besuchen. »Das darfst du wohl« sagte sie: »wenn du mir versprichst wieder mit herab zu kommen, will ich selbst mit gehen und dich in dein Dorf führen.« Sie nahm ihr Kind auf den Arm und ging mit dem Schäfer die Stufen hinauf; und sie besuchten seine Eltern und alle Bekannte und blieben drei Tage im Dorfe. Dann sprach die Frau »Nun müssen wir umkehren; sonst kannst du dich von diesem Leben nicht mehr trennen.« Er nahm wehmüthig Abschied und folgte ihr bis zum See; doch als sich das Wasser aufthat, graute es ihm, und er konnte sich nicht entschließen wieder hinunter zu gehen und bat seine Frau oben bei ihm zu bleiben. »Wir helfen meinen Eltern[94] den Acker bauen« sagte er; »und wenn wir auch nicht so gut leben wie dort unten, so sehen wir doch den blauen Himmel und die liebe Sonne über uns.« Doch sie schüttelte traurig mit dem Kopfe und erinnerte ihn an die Liebe und Treue, die er ihr gelobt hatte. »Und wenn du nicht mit kommst« sprach sie, »so müssen wir das Kind theilen; denn es gehört uns beiden. Sieh wie es lacht.« Damit hielt sie ihm das Kind hin, und es streckte die kleinen Arme freundlich nach ihm aus. Da weinte der Schäfer von Herzen und bat die Nixe den Knaben allein zu behalten. Er versprach sie täglich am See zu besuchen; doch mit hinab kommen könne er nicht, lieber wolle er selbst sterben. »Wenn du oben bleibst« sagte die Nixe, »so müssen wir uns auf ewig trennen, und ich darf von dem Kinde nicht mehr behalten als mir gehört.« Da küßte sie ihn noch zum Abschied, und sie theilte das Kind und hieß ihn wählen, welches Stück er wolle. Er nahm die untre Hälfte, und sie warf die obre in den See, wo alsbald ein munterer Fisch daraus wurde, der fröhlich fortruderte. Und als der Schäfer ihm noch nachsah, war die Nixe schon die Stufen hinab gestiegen, und das Wasser schlug über ihr zusammen. Da grub er die andre Hälfte des Kindes am Ufer ein, und an der Stelle wuchs eine Lilie, die neigte sich über das Wasser; und man sah oft wie der Fisch in der Dämmerung bei der Lilie auf und nieder schwamm.

Quelle:
Emil Sommer: Sagen, Märchen und Gebräuche aus Sachsen und Thüringen 1. Halle 1846, S. 91-95.
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