Neunzehntes Capitel.

[217] Aber daß auch den Spendern verfänglicher Orakel bei ihrem Metier nicht immer gut zu Muthe ist, sollte ich erfahren, während das elegante, leichte, von zwei prachtvollen Racepferden gezogene Wägelchen den jetzt vortrefflichen Landweg dahinrollte, der von Zehrendorf, an Trantowitz vorüber, nach Rossow führte. Der Nachmittag war wundervoll: an dem glänzenden Himmel standen große weiße Wolken, deren Schatten eine reizende Abwechslung in das vielleicht etwas monotone landschaftliche Bild brachten; über den Breiten junger, grüner, im sanften Hauche des Westwindes nickender Saat jubilirten die Lerchen, auf der hier und da von Torfgräben durchschnittenen großen Haide zwischen den Trantowitzer Buchen und den Tannen von Rossow flogen Kiebitze, und aus der Ferne rief ununterbrochen der Kukuk. Die ganze Szenerie hat sich bis in die kleinsten Einzelheiten meiner Erinnerung eingeprägt, vielleicht, weil das klare, lachende Bild in so grellem Gegensatze stand mit meinem Innern, in welchem es düster und verworren genug aussah. Die indiscrete Frage der Gouvernante hatte den Schleier gelüftet von einem[217] Geheimniß meines Herzens, an welchem ich diese ganze Zeit abgewendeten Antlitzes vorübergeschritten war. Gelüftet, nicht gehoben! Ich hatte nicht den Muth, oder nicht die Kraft – was meistens auf dasselbe hinauskommt – das Angefangene zu vollenden, und wie man in solchen Augenblicken der Verworrenheit, um sich nicht zu verlieren, das erste beste Ziel in's Auge faßt, klammerte ich mich jetzt an den Entschluß, mein Herz, und sollte es darüber brechen, auch nicht ein Wort in die Geschäfte, die ich übernommen, hineinreden zu lassen. In dieser Stimmung sah ich denn der bevorstehenden Conferenz mit einer Ruhe entgegen, über welche ich mich selbst gewundert haben müßte, hätte ich bedacht, wo und wie ich mit dem Fürsten das letzte Mal zusammengetroffen, unter welchen sonderbaren Verhältnissen ich ihm jedesmal begegnet war. Aber ich dachte kaum daran, oder doch höchstens, um mich ungeduldig in meinem Sitze herumzuwerfen, und bei mir zu sagen: Du bist hier in ein solches Labyrinth gerathen, daß es auf eine seltsame Begegnung mehr oder weniger gar nicht ankommt. Nur durch, nur fort, denn eine Umkehr giebt es nicht!

Die Tannen von Rossow – ein schöner Wald von hochstämmigen Bäumen – hatten uns aufgenommen; der Weg, welcher sandig geworden war und überdies aufwärts führte, nöthigte den Kutscher, langsam zu fahren; ich sprang aus dem Wagen und ging mit langen Schritten neben dem Fuhrwerk her, das ich bald hinter mir ließ. Die Bäume wurden immer gewaltiger, die Stille immer tiefer, das feierliche Halbdunkel immer dichter, bis ich plötzlich, zwischen den letzten Stämmen hervortretend, auf einem verhältnißmäßig kleinen, rings vom schönsten Hochwald umgebenen Hügel ein altergraues, hochgegiebeltes, mit Ecken und Vorsprüngen mancherlei Art verziertes, von Epheu hier und da dicht beranktes Schlößchen im Abendschein vor mir liegen sah. Es war das Jagdschloß Rossow, die zeitweilige Residenz des jungen, verbannten Fürsten.

Ein alter Diener mit schneeweißem Haar, der in dem gothischen Portale gesessen hatte, trat jetzt auf mich zu und führte mich, nachdem er höflich um mein Begehren gefragt und mir gesagt, daß Se. Durchlaucht mich schon lange erwartet habe, durch einen kleinen, düstern, mit alten Rüstungen und Gewaffen aller Art seltsam ausgeschmückten Flur, einige Stufen hinauf, vor eine kunstvoll mit eisernen Beschlägen[218] ornamentirte Spitzbogen-Thür, welche er mit höflicher Verbeugung und mit den geflüsterten Worten: Se. Durchlaucht habe befohlen, mich unangemeldet vorzulassen, öffnete. Ich trat einige Schritte in das Gemach und stand vor dem jungen Fürsten.

Er hatte sich von einem breiten Sopha erhoben, in welchem er in der Erwartung meines Kommens eingeschlafen sein mochte, wenigstens war der Ausdruck seines feinen, blassen, hübschen Gesichtes ein wenig verwirrt, und es dauerte einige Zeit, bis er sich der Situation bewußt zu werden schien.

»Ah! so!« sagte er endlich, »Herr – verzeihen Sie, mein Namengedächtniß ist so entsetzlich schlecht – Hartig? – Ah! verzeihen Sie – Hartwig, ganz recht! Nun, das ist liebenswürdig, daß Sie gekommen sind, sehr liebenswürdig! Bitte, Platz nehmen zu wollen. Sind Sie Raucher? Da stehen Cigarren, bedienen Sie sich! Sehr liebenswürdig in der That!«

Er hatte sich wieder in die Ecke des Sophas sinken lassen und die Augen halb geschlossen, als wolle er wieder einschlafen. Ich benutzte die Pause, einen flüchtigen Blick durch das Zimmer gleiten zu lassen.

Es war ein großes, nicht eben hohes, alterthümliches Gemach mit dunklen Eichen-Panelen, zwischen denen und der ebenfalls eichenen, in Felder eingeteilten Decke verbräunte Portraits von Männern und Frauen sich rings an den Wänden herumzogen, bis zu dem einzigen, breiten Bogenfenster, durch dessen kleine, bunte Scheiben ein gedämpftes Licht hereinfiel. Die sehr zahlreichen Möbel waren ebenfalls in einem alterthümlich-ehrwürdigen Geschmack, wenn gleich augenscheinlich aus verschiedenen Zeiten: geschnitzte, breitlehnige Stühle, mit Perlmutter und Elfenbein reich ausgelegte Schränke und Tische; auf dem Kaminsims zwischen wundervollen Kannen aus getriebenem Silber und Kelchen aus geschliffenem Glase eine große Uhr, an kunstreicher Incrustirung und phantastischen Verschnörkelungen ein Meisterstück des Rococo. Auf einer großen Decke aus Bärenfell vor dem Kamin lag ein schöner, langhaariger Wolfshund, der bei meinem Eintreten den Kopf nur ein wenig erhoben, und jetzt bereits wieder zwischen die Vorderpfoten gelegt hatte. Die Uhr auf dem Kaminsims tickte leise durch die Stille, vor dem Fenster sang eine Amsel; der Schritt des alten Dieners verhallte auf[219] dem steinernen Flur und der junge Fürst in der Sophaecke öffnete die großen müden Augen und sagte: »Wovon sprachen wir doch gleich?«

»Wir?« fragte ich erstaunt.

»Ja so!« sagte der Andere, »wir sprachen wohl noch gar nicht. Wohl möglich, verzeihen Sie; aber es wäre kein Wunder, wenn ich das Sprechen ganz verlernte; sitze ich doch nun schon zwei Monate in diesem abscheulichen Nest wie eine lichtscheue Eule! Ich sehe mir manchmal auf die Nägel, ob ich nicht schon Eulenfänge bekommen habe. Ach, was das langweilig ist! Nun wollen wir aber gleich an unser Geschäft gehen. Bitte, schieben Sie mir gütigst einmal den Cigarrenkasten herüber, und wenn es Ihnen nicht zu viel Umstände macht, drücken Sie doch auf das Glöckchen da, zu Ihrer Linken.«

Ich that, wie er gewünscht; der alte Diener trat herein mit einer Flasche und zwei Gläsern.

»Du kannst wieder gehen,« sagte der Fürst, »wir wollen uns selbst bedienen.«

Der Alte stellte das Präsentirbrett zwischen uns auf den Tisch und entfernte sich.

»Wollen Sie sich einschenken,« sagte der Fürst, »und mir auch, wenn ich bitten darf; danke! wir werden es zu dem trockenen Geschäft brauchen.«

Indessen hatte er es trotz dieser gründlichen Vorbereitung nicht eben eilig. Er besah sich seine Fingernägel so genau, als ob er die ersten Ansätze zu den Eulenfängen nun endlich entdeckt habe, unterdrückte dann ein leises Gähnen und schien abermals die Frage: wovon wir gesprochen hätten, auf den Lippen zu haben, besann sich aber doch noch glücklich auf seine eigentliche Absicht und sagte, einen großen Siegelring auf dem Finger hin und her schiebend: »Ich habe schon immer den Wunsch gehabt, Sie einmal bei mir zu sehen; Sie müssen wissen, daß ich mich ganz erstaunlich für Sie interessire.«

»In der That!« sagte ich.

»Ja wohl, ganz erstaunlich,« wiederholte der Fürst. »Ich habe Sie von dem ersten Mal, daß ich Ihnen begegnete, im Gedächtniß behalten, was mir, offen gestanden, selten arrivirt. Sie schienen mir, und Sie scheinen mir ein Original; ich interessire mich außerordentlich für Originale.«

Ich verbeugte mich ein wenig und sagte, die Pause benutzend: »Wenn es Ihnen gefällig wäre, Durchlaucht, von[220] mir zu hören, was ich aus bester Erfahrung über den Kreidebruch –«

»Es giebt nämlich sehr wenig Originale,« fuhr der junge Fürst fort, als hätte ich gar nicht gesprochen, »unglaublich wenig. Das weiß Keiner besser, als unser Einer, der von Jugend auf durch die Welt gehetzt wird. Ein ewiges Einerlei: dieselben stereotypen Gesichter, dieselben stereotypen Manieren, dieselben stereotypen Redensarten! Ich wüßte kaum zwei oder drei Personen zu nennen, die mir den bestimmten Eindruck gemacht, daß ich es mit wirklichen Menschen zu thun hatte. Die Eine sind, wie gesagt, Sie, der Zweite ist ein uralter, verhutzelter Derwisch, den ich, wenn ich mich recht erinnere, in Jerusalem traf, und der mir sagte, daß er, nachdem er hundert und vier Jahre gesucht, den Stein der Weisen gefunden, und daß das Ding nicht des Findens werth; und die Dritte wäre etwa die arme Konstanze von Zehren.«

Ich rückte unruhig in meinem Lehnsessel und begann abermals: »Der Kreidebruch, über welchen Durchlaucht –«

»Sie hat ja unsere erste Bekanntschaft vermittelt,« sagte der Fürst, der mich abermals nicht gehört haben mußte; »es ist ja wohl natürlich, daß sie mir eben jetzt, wo ich das Vergnügen habe, so angenehm mit Ihnen zu plaudern, wieder in Erinnerung kommt. Ein eigen geartetes, sonderbares Wesen, dessen Natur mir bis zu diesem Augenblicke in vieler Hinsicht ein vollkommenes Räthsel geblieben ist und wohl ewig bleiben wird. Eine Mischung scheinbar absoluter Widersprüche: stolz, ohne Achtung vor sich selbst; keck, ja tollkühn, und dabei von einer, wenn ich mich so ausdrücken darf, katzenartigen Feigheit; vornehm und niedrig, phantastisch und berechnend – mit einem Worte: ich habe nie begreifen können, wie dergleichen in einer und derselben Menschenseele zusammen Platz hat. Sie, der Sie sie ja auch gekannt haben, werden mir darin Recht geben, und vielleicht auch darin, daß, bevor man einen Mann, welcher das Glück, oder soll ich sagen das Unglück? hatte, mit einem so sonderbar gearteten Wesen in eine Liaison zu gerathen – die wohl kaum anders als dangereuse sein konnte – daß man, sage ich, sich erst lange besinnt, ehe man ihn für die Consequenzen solcher liaison dangereuse verantwortlich macht.«

Der junge Mann lag noch immer in seine Ecke zurückgelehnt, mit seinem Ringe spielend – ein Bild der Langeweile[221] und Gleichgültigkeit. Ich hatte in der peinlichsten Stimmung von der Welt dagesessen, den Zufall verwünschend, der den indolenten Mann gerade auf dies Thema hatte fallen lassen. Oder war es auch kein Zufall? Ich glaubte aus dem Ton, in welchem er zuletzt gesprochen, doch eine gewisse innere Erregung herausgehört zu haben; indessen konnte ich darüber zu keiner bestimmten Ansicht kommen, und ich war eben im Begriff, einen dritten, entscheidenden Versuch zu machen, das Gespräch auf meine Angelegenheit zu bringen, als der Fürst abermals in einem noch lebhafteren Tone begann:

»Es ist nicht meine Schuld, daß Alles so gekommen ist. Ich habe vielleicht Eines oder das Andere auf dem Gewissen, was ich lieber nicht darauf hätte, wenn ich hier so einsam sitze und vor langer Weile selbst nicht einmal mehr schlafen kann, aber in der Affaire bin ich wirklich nicht der am meisten schuldige Theil. Ich war noch sehr jung, als ich sie zuerst sah; sie war die bei Weitem ältere, wenn nicht den Jahren nach, so doch in Allem, was Lebenserfahrung und Weltklugheit betraf. Wo sie es her hatte, ich weiß es nicht – man weiß ja bei den Weibern meistens nicht, woher sie es haben – und sie besaß das Alles, wie gesagt, im höchsten Maße. Es war kein kleines Stück, mich über ein Verderben zu verblenden, das doch klar genug vor meinen Augen lag: der Zorn meines Vaters, des Fürsten, von dem ich ganz und gar abhange, die Gewißheit, die Hand einer edlen und liebenswürdigen Dame, die mir zugesagt war, zu verscherzen – es war kein kleines Stück, sage ich; und doch hat sie mich gelehrt, es fertig zu bringen. Dennoch – mein Wort als Edelmann! – ich würde sie nie verlassen haben, wenn – mir nicht über Fräulein von Zehren, ich meine über sie – mit einem Worte: ihre Verhältnisse eine Thatsache, an der sie allerdings vollkommen unschuldig, absolut unschuldig ist, zu Ohren kommen wäre – eine Thatsache, welche ich allerdings nicht näher bezeichnen kann, weil es nicht mein Geheimniß ist, die aber der Art war, daß von dem Momente, wo ich sie erfuhr, jeder Gedanke eines gleichviel ob legitimen oder illegitimen Verhältnisses für immer und ewig ganz unmöglich wurde. Es kommen gar wunderliche Dinge im Leben vor – Dinge, die einen im Anfang erschrecken als entsetzliche Gespenster, bis man nach und nach sich mehr an sie gewöhnt und mit ihnen umgehen lernt. Meinen Sie nicht?«[222]

Der Fürst schien diese letzte Frage schon wieder halb schlummernd gethan zu haben, aber – so oder so – ich konnte nicht mehr an diese Schlummerstimmung glauben; im Gegentheil: ich hatte jetzt ganz und gar die Empfindung, daß mein durchlauchtiger Wirth eine vorher wohl überlegte Rolle mit einer allerdings anerkennungswerthen Geschicklichkeit spielte. Es war wohl aus diesem Grunde, daß mich seine vertraulichen Mittheilungen nur stutzig machten, und ich mit einer Zurückhaltung, die mir sonst nicht eben eigen war, abzuwarten beschloß, wohin diese sonderbare Unterredung eigentlich ziele. Der Fürst mußte seiner seits einen andern Eindruck bei mir erwartet haben, denn er fragte mit halb geschlossenen Wimpern ganz nebenbei: »Sie interessirten sich einst sehr für die genannte Dame?«

»Ja.«

»Das kommt heraus, als ob Sie sich nicht mehr für sie interessirten?«

»Nicht, daß ich wüßte!« erwiederte ich.

»In der That!« sagte der Fürst, die schönen, müden Augen für einen Moment groß öffnend und mir starr in das Gesicht sehend; »in der That! Das wäre das genaue Gegentheil von dem, was mir Zehren berichtet hat.«

»Ich glaube nicht, daß Arthur – daß Herr von Zehren – über irgend etwas, das mich beträfe, auch nur mit einem Schein von Glaubwürdigkeit berichten könnte,« erwiederte ich.

»Wohl möglich,« erwiederte der Fürst, »wohl möglich; seine Glaubwürdigkeit ist mir keineswegs über jeden Zweifel erhaben; ich erlaube mir sogar manchmal, das Gegentheil von dem anzunehmen, was er mir zu berichten für gut findet. So bin ich zum Beispiel überzeugt, daß er sich entschieden geirrt hat, als er mir sagte, daß die liebenswürdige, junge Künstlerin, bei der ich das letzte Mal das Vergnügen hatte, Sie zu treffen, meine Aufwartung gern sehen würde; das Gegentheil schien der Fall zu sein?«

Der Fürst blickte mich an, als ob er eine Antwort erwarte; ich begnügte mich, mit den Achseln zu zucken.

»Ebensowenig bin ich sicher über den Verbleib einer gewissen, geringfügigen Summe, welche ich ihm, erinnere ich mich recht, an demselben Tage zu einem gewissen Zwecke übergab? Bitte! Sie brauchen nichts zu sagen; jetzt bin ich sicher; der gute Zehren ist doch manchmal sehr wenig delicat!«[223] – der Fürst machte eine verächtliche Handbewegung; – »sehr wenig delicat! Es ist wirklich die allerhöchste Zeit, daß er in rangirte Verhältnisse kommt; Menschen, wie er, gehen in einer verzweifelten Lage hoffnungslos zu Grunde. Nun, er hat ja wohl jetzt die allerbeste Aussicht, sich zu rangiren; ich wünsche ihm Glück dazu!«

Ich fühlte, wie mir bei diesen Worten des Fürsten, die doch nur eine Auslegung haben konnten, das Blut in Stirn und Wangen schoß; dennoch beherrschte ich mich, so gut es gehen wollte, und sagte nur: »ich glaube eben von Durchlaucht gehört zu haben, daß Sie geneigt sind, in gewissen Fällen das Gegentheil von dem anzunehmen, was Ihnen Arthur zu berichten für gut findet.«

»O, in der That,« sagte der Fürst, »das sollte mir gerade in diesem Falle leid thun; ich meine um seinethalben, wenn ich auch vielleicht der jungen Dame, die ich übrigens zu kennen nicht die Ehre habe, zu der Partie nicht gerade gratuliren möchte. Indessen diesmal glaube ich doch an die Sache, weil die Verhältnisse dafür zu sprechen scheinen. Ich habe wiederholt mit dem alten Manne zu thun gehabt; er ist ein entsetzlicher, wie soll ich sagen? – Roturier, und nach Art dieser Menschenrasse, auf angesehene Verbindungen und Auszeichnungen aller Art versessen. Hat er mir doch noch heute Morgen durch den Justizrath Heckepfennig andeuten lassen, daß er mir betreff Zehrendorfs gewisse günstigere Bedingungen stellen würde, wenn ich ihm durch den Fürsten, meinen Vater, den ›Geheimen‹ oder ›die dritte Klasse‹ – die vierte hat er sich schon irgend wie erbettelt – verschaffe. Für solche Leute ist es die höchste Seligkeit, wenn sie eine Tochter, noch dazu die einzige, in eine alte Familie hinein heirathen lassen können. Und eine alte Familie sind doch nun einmal die Zehrens; daran ist nicht zu drehen und zu deuteln. Wie die junge Dame über den Punkt denkt, weiß ich freilich nicht, vermuthlich aber nicht anders, als andere junge Mädchen ihres Standes. Wirklich, es wäre mir recht fatal, wenn Zehren mir hierüber wieder einmal etwas aufgebunden hätte; ich würde ihm das sobald nicht vergeben. Ich habe ihm auf das Conto hin seine Schulden bezahlt, und, was mir für den Augenblick wichtiger ist, er hat mir versprochen, seinen ganzen Einfluß bei seinem Schwiegervater in spe aufzubieten, daß der Verkauf von Zehrendorf wirklich zu Stande kommt.[224] Und auch Ihrethalben, Herr Hartig – Hartwig, verzeihen Sie! – wäre mir die Sache recht fatal! Ich hatte mir nämlich etwas ausgedacht, was Sie vielleicht zu hören interessiren wird, und was Ihnen mitzutheilen der hauptsächlichste Grund war, weshalb ich mir heute Nachmittag die Ehre einer Unterredung mit Ihnen erbeten hatte. Ich meinte nämlich, es würde Ihnen conveniren und vielleicht eine Zukunft für Sie sein, wenn ich Sie ersuchte, nachdem der Verkauf von Zehrendorf zu Stande gekommen ist, mir in der Verwaltung desselben und einiger anderen Güter hier herum behülflich zu sein. Der Fürst, mein Vater, verlangt durchaus, daß ich mich als Landwirth bethätige, bevor er mit mir seinen Frieden macht. Nun ist mir freilich an dem Zustandekommen dieses Friedens aus mehr als einem Grunde sehr viel gelegen; mit der Bethätigung als Landwirth ist die Sache aber weniger einfach und die Acquisition eines Mannes, von dem ich so viel Rühmliches gehört, der sich in so mancher schwierigen Situationen bereits bewährt hat, und den ich, was mir das Wichtigste ist, selbst als Gentleman, als vollkommenen Gentleman kennen gelernt habe – die Acquisition eines solchen Mannes, sage ich, würde mir von einer großen, von einer sehr großen Wichtigkeit sein.«

Der Fürst hatte zum ersten Male während unserer Unterredung mit einer Wärme gesprochen, die nicht ohne Einfluß auf mein empfängliches Herz blieb, und bei den letzten Worten hatte er sich gegen mich anmuthig verbeugt, und ein freundlich wohlwollendes Lächeln war über sein feines, blasses Gesicht gezogen. Es war ein großherziges, jedenfalls schönes Anerbieten, das er mir machte; ich fühlte das, und ich fühlte auch, daß ich unter anderen Verhältnissen unbedingt ja gesagt haben würde; aber so, aber so –

»Sie sind ein vorsichtiger Mann,« sagte der Fürst, nachdem er eine kleine Weile höflich auf meine Antwort gewartet hatte; »Sie denken: wird Carlo Prora auch halten, was er verspricht, oder wird er es halten können? Ich glaube, Sie darüber beruhigen zu dürfen. Dem Fürsten, meinem Vater, muß an einer Versöhnung mit seinem einzigen Sohne nicht weniger gelegen sein, als mir selbst; er würde mir auf die ersten Avancen hin, die ich ihm machte, mit ausgestreckten Händen entgegenkommen, und mich für die kleinsten Resultate, die ich ihm bieten könnte, mit fürstlicher Großmuth belohnen;[225] ich glaube, daß er mir sofort unsere sämmtlichen Güter in dieser Gegend übergeben würde. Das wäre für den Anfang ein Wirkungskreis, der, sollte ich meinen, selbst Ihrem Ehrgeiz – Sie sind ein wenig ehrgeizig, nicht wahr? – genügen dürfte. Was mich selbst betrifft, so sollen Sie mit mir zufrieden sein. Ich bin von Natur ein wenig indolent, und meine Erziehung hat nicht viel gethan, diesen Fehler auszurotten; ich würde Ihnen also vollkommen freie Hand lassen, oder wenigstens würden Sie mich stets geneigt finden, auf vernünftige Vorstellungen einzugehen. Ein harter Herr würde ich auf keinen Fall sein, und da Sie leider nicht in der Lage sind, wie soll ich es ausdrücken? – Sie wissen, was ich meine – warum sollten Sie mir Ihre Dienste nicht ebenso willig, oder, ich schmeichle mir, williger leihen, als dem schrecklichen Plebejer drüben, mit dessen Angelegenheiten es überdies, wie ich aus sehr guter Quelle weiß, gar nicht besonders stehen soll.«

Ich hatte, während der Fürst sprach, die Frage, mit welcher er schloß, schon vorweg genommen und dahin beantwortet, daß in der That nicht wohl abzusehen sei, weshalb ich in diesen neuen Verhältnissen nicht mindestens ebenso segensreich sollte wirken können, als in den alten. Und dennoch, dennoch wollte das Ja nicht über meine Lippen. Es wird dem Menschen so schwer, einem Glückestraum zu entsagen!

»Ich sehe, meine Proposition hat Sie doch etwas in Verlegenheit gesetzt,« sagte der Fürst, nicht ohne einige Empfindlichkeit. »Nun, ich will Sie nicht drängen; überlegen Sie sich die Sache; mein Wort haben Sie; ich will mich einige Tage gedulden; bin ich doch, wie es scheint, hier, um mich in der Geduld zu üben! Ich werde also in einigen Tagen vielleicht das Vergnügen haben.«

Er hatte sich aus der Sophaecke nach mir geneigt, um anzudeuten, daß die Unterredung zu Ende sei, als der schnelle Hufschlag eines Pferdes auf dem Platze vor dem Fenster ertönte.

»Wer kann das sein?« sagte der Fürst und berührte den Knopf der silbernen Glocke auf dem Tisch. In diesem Augenblicke trat aber auch schon der alte Diener herein, gefolgt von einem Reitknecht, der ein versiegeltes Schreiben in der Hand trug. Der alte Mann sah sehr blaß und der Reitknecht[226] sehr roth aus, aber sie hatten beide verstörte Mienen, so daß der Fürst mit einiger Ungeduld rief: »Nun, zum Teufel, was giebt's denn?«

»Einen Brief von Seiner Durchl– wollte sagen, von dem Herrn Kanzleirath Hensel;« sagte der Alte, dem Burschen den Brief aus der Hand nehmend und denselben, anstatt ihn auf dem silbernen Teller zu präsentiren, welchen er zu diesem Zwecke in der linken Hand trug, seinem Herrn ohne diese Vorsicht überreichend. Er mußte wohl schon von dem Boten den Inhalt des Briefes erfahren haben.

Der Fürst erbrach das große Siegel, und ich sah, daß, während er den Inhalt des Schreibens durchflog, es gar seltsam in seinem Gesicht zu zucken begann und seine Hände heftig und immer heftiger zitterten. Dann hob er die Augen und sagte mit einer Stimme, die sich offenbar Mühe gab, möglichst fest zu klingen:

»Seine Durchlaucht haben einen Schlaganfall gehabt; laß die Lady satteln, oder besser den Brownlock, der ist schneller; und Albert soll mitreiten; er kann den Essex nehmen. Nun, wird's!« Und er stampfte ungeduldig mit dem Fuß.

Der Reitknecht eilte hinaus, der alte Diener stürzte durch eine zweite Thür, die ich jetzt erst bemerkte, in ein Nebenzimmer, vermuthlich, um die Sachen seines Herrn zurecht zu machen.

Ich wollte mich, da der Fürst, der mit ungleichen Schritten das Gemach durchmaß, nicht zu bemerken schien, daß ich noch da war, still entfernen, als er plötzlich vor mir stehen blieb und, mit einem sonderbaren Lächeln zu mir aufblickend, sagte:

»Nun sehen Sie, wie schwer es unser Einem wird, ein ordentlicher Mensch zu werden. Da nehme ich eben einen Anlauf dazu, und sofort werde ich wieder nach einer andern Seite gerufen. Gehen Sie mit Gott und lassen Sie bald von sich hören. Noch einmal: Sie haben mein Wort; ich bedarf Ihrer jetzt vielleicht noch mehr, als zuvor. Leben Sie wohl!«

Er reichte mir die Hand, die ich mit Wärme drückte.

Fünf Minuten später, als ich durch den Tannenwald zurückging – ich hatte mir den Wagen, der noch für mich angespannt war, verbeten – hörte ich Hufschlag hinter mir. Es war der junge Fürst mit einem Reitknecht, welcher, so[227] gut es gehen wollte, seinem Herrn folgte. Als er im vollsten Rosseslauf an mir vorüberjagte, winkte er noch einmal freundlich mit der Hand, und fast im nächsten Augenblick schon waren die Reiter hinter den dicken Stämmen verschwunden, und der Hufschlag ihrer Rosse verhallte in dem dämmernden Walde.

Quelle:
Friedrich Spielhagen: Sämtliche Werke. Band 2, Leipzig 1874, S. 217-228.
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