Dreißigstes Capitel.

[321] Es wird manchmal verzweifelt dunkel in dieser Welt! – aber wer darf sagen: nun kann es nicht dunkler werden!

Als ich nach Hause kam, gab es da ein Rennen und Laufen: es war so schnell gekommen! vor einer Stunde hatte die Frau heftig geschellt, und ich nicht zu finden! Die Frau war darüber ganz außer sich gerathen, glücklicherweise sei die nöthige Hülfe schnell zur Hand gewesen; nur der Herr Doctor –

»Er folgt mir auf dem Fuße,« sagte ich, und eilte in das Gemach, aus dem mir ein herzzerreißendes Wimmern entgegenschallte.

»Muth, liebster Freund, Muth,« sagte der Doctor ein paar Stunden später; »es ist ein wenig vor der Zeit, und[321] – indessen es hat schon schlimmere Fälle gegeben; ich denke – aber bleiben Sie ein paar Minuten hier und schöpfen Sie ein wenig Athem; Sie sind furchtbar aufgeregt; Sie halten es nicht aus.«

»Muß sie es doch aushalten!« rief ich, die Hände ringend.

»Freilich!« sagte der Doctor, »kommen Sie.«

Es war ein schöner Tag geworden nach der eisigen Nacht und dem grauen Regenmorgen; die Märzsonne war glorreich durch die Wolken gebrochen und schien blendend herab aus dem hellblauen Himmel; von allen Dächern tropfte es, aus allen Rinnen sprudelte es, und in dem schwarzen Geäst der Bäume in dem Garten, auf welches die Fenster des Zimmers gingen, flatterten und zwitscherten die Vögel und verkündeten, daß nun der Winter zu Ende und der Frühling wieder da sei.

Ach, ich hatte kein Ohr für diese Botschaft; ich glaubte nicht an den goldenen Sonnenschein, nicht an den blauen Himmel, nicht an die rinnenden Frühlingswasser – ich harrte einer anderen Verkündigung – in heißen Gebeten und brünstigen Gelübden, wie sie nur aus dem Herzen eines Mannes in solcher Stunde steigen können – und sie ward mir, diese Verkündigung – als die Sonne zur Rüste ging – in einem kleinen feinen Stimmchen, das mich durchschauerte, wie den harrenden Gläubigen das Säuseln des Windes, in welchem sich der Herr nahte.

Ja, nun war es Frühling! ich sah die Frühlingssonne in dem glückseligen Lächeln der armen Dulderin; ich sah den köstlichsten Frühlingshimmel in ihren blauen Augen, die jetzt in einem milden, schimmernden Glanz, wie ich es nie gesehen, zu mir empor lächelten, und sich dann liebevoll auf unser Kind senkten.

»Es ist nun doch ein Mädchen,« flüsterte sie, »und Du wirst sie schrecklich verziehen und viel lieber haben als mich; aber ich will nicht eifersüchtig sein, ich verspreche es Dir!«

Und am nächsten Tage schien wieder die Sonne, und der Himmel war blau und die Vögel jubilirten. –

»Wenn das Wetter anhält, können wir bald nach Zehrendorf;« sagte sie; »es ist gut, daß Du mit dem Fürsten noch nicht definitiv abgeschlossen hast; er ist ja sehr, sehr liebenswürdig gegen uns gewesen; aber besser ist besser, und ich denke, Du überlegst die Sache noch einmal mit dem Vater. Warum[322] der Vater nur nicht kommt? Du hast doch recht dringend geschrieben –«

»Gewiß, er ist jedenfalls verreist; aber Du sollst ja nicht so viel sprechen –«

»Ich fühle mich ganz kräftig; ich wollte nur, ich könnte der Kleinen von meiner Kraft abgeben! Lieber Himmel, so ein Riese von Vater und so ein kleines Kindchen! Aber es hat Deine Augen, Georg!«

»Ich hoffe, es hat Deine Augen.«

»Weshalb?«

»Weil es dann die schönsten hätte, die es haben kann.«

»Schmeichler! aber um auf Zehrendorf zurückzukommen: wir werden es schon der Kleinen wegen behalten müssen, der die Landluft durchaus nothwendig ist, wie der Doctor sagt. Ach, ich sehe uns schon unter der großen Buche sitzen, – die ich gerettet habe, weil Sie Ihren Namen eingekritzelt hatten, für eine Andere mein Herr! – und nun mit seiner Frau und seinem Kind ganz prosaisch-hausväterlich an derselben Stelle, wo man romantisch geschwärmt hat – ist das nicht sehr komisch?«

»Ja, ja, es ist sehr komisch; aber jetzt mußt Du auf alle Fälle schweigen.«

»Zu Befehl, mein Gebieter!«

Und dabei lachten ihre blauen Augen so übermüthig und sie war so voller Lebenslust und Lebensfreude, und so heiter und voller drolliger Einfälle – es schnitt mir in's Herz, wenn ich sie so sah und hörte und – unter dem Vorwand dringender Geschäfte – sie verlassen mußte, um ihren Vater zu begraben, der in der Furcht vor der Schande eines schmählichen Bankrotts zum Selbstmörder geworden war. Aber dann war auch dieser Tag wieder der schönste, goldigste Frühlingstag: von den Dächern tropfte es nur noch hier und da, denn die helle Sonne und die warme Luft hatten die Nässe hinweggetrocknet; an dem Himmel, dessen Blau dadurch noch tiefer erschien, standen große, weiße Wolken, und die Vögel in den knospenden Bäumen dachten jetzt ernstlich daran, ihre junge Wirthschaft einzurichten, – wer hätte da, trotz alledem, nicht hoffnungsvoll in die Zukunft sehen sollen, die Alles wohl besser machen würde! wer sich der winterlichen Sorgen nicht entschlagen, wenn er sah, wie Alles trieb und keimte und blühte, aber:
[323]

Es fiel ein Reif in der Frühlingsnacht,

Er fiel auf die zarten Blaublümelein –


Und diese schwermüthigen Verse des Volksliedes sollen euch sagen, was ihr mir anders, oder ausführlicher zu sagen gern erlaßt! Sie bedürfen keines Commentars, diese Verse, so wenig, wie zwei frische Gräber, ein größeres und ein sehr kleines Grab, die man nahe, ganz nahe neben einander aufgeworfen, und die Kränze, mit denen die Hand der Liebe die Hügel bedeckt hat.

Quelle:
Friedrich Spielhagen: Sämtliche Werke. Band 2, Leipzig 1874, S. 321-324.
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