Achtes Capitel.

[89] Paula, welche nach ihrem Erfolge auf der Kunstausstellung mit Einladungen überhäuft war, hatte an diesem Tage eine bei dem Banquier Salomon, dem Käufer des »Klosterbruder und Tempelherrn« angenommen. So blieb ich denn allein mit Frau von Zehren und den Söhnen. Aber Paula fehlte uns nicht; sie war uns gegenwärtig, Niemandem mehr, als der armen Mutter, welche der süßen Freude, die Werke ihrer Tochter zu sehen, beraubt war. Und doch hat sie alles von Dir, Mutter, sagte Benno; und Paula weiß das selber am besten. – Dann hat sie es von ihrem Großvater, antwortete Frau von Zehren; er war in der That ein großer Künstler; was ich geleistet haben würde, steht dahin. Mir war es leider nicht vergönnt, das Talent, welches ich etwa besaß, auszubilden; aber wie kann ich sagen, leider![89] Wenn es wahr ist, was Ihr sagt, daß Paula's Talent mein Talent ist, da ist ja auch jeder Erfolg, den sie hat, mein Erfolg, und so vollführe ich das Wunder, mit blinden Augen eine berühmte Malerin zu sein oder zu werden.

Ein mildes Lächeln umschwebte die seinen Lippen der noch immer schönen Frau, und so sah ich sie im Geiste, als ich eine Stunde darauf durch die dunklen Gassen nach meiner Wohnung schritt. Sie muß in ihrer Jugend schöner noch als Paula gewesen sein, sagte ich, obgleich Paula sich wunderbar verschönt hat. Wie köstlich kämpften heut Scham und Zorn in ihrem Gesicht, als dieser Laffe von einem Fürsten in dem Atelier umherfuhr und keine Ahnung davon hatte, wie impertinent er war, während er sich vielleicht einbildete, unendlich liebenswürdig zu sein.

Die Begegnung mit dem Fürsten, der mein glücklicher Nebenbuhler in meiner Liebe zu Konstanze gewesen, und mit Arthur, den ich lange Jahre hindurch für den begünstigten Liebhaber Paula's gehalten hatte, gab mir nachträglich noch viel zu denken, mehr, als für meine Arbeit, an die ich mich beim Nachhausekommen gesetzt hatte, dienlich war. Indem ich mir das sehr feine und hübsche, aber grausam verlebte Gesicht des jungen Fürsten, – seine jetzt starren, jetzt in unheimlichem Feuer aufflackernden Augen, das blitzschnelle Zucken der Stirn- und Wangen-Muskeln, sein geschmeidiges und dennoch hochmüthiges Benehmen vergegenwärtigte, fand ich es immer abscheulicher, daß Arthur hatte wagen können, einen solchen Mann bei Paula einzuführen. Was konnte im besseren Falle das Motiv sein? Die Befriedigung einer ganz gewöhnlichen Neugier. Und im schlimmeren Falle? Ich knirschte mit den Zähnen, sobald ich nur an die schaudervolle Möglichkeit dachte. Der einzige Trost dabei war, daß mir meine Furcht, Arthur könne sich Paula's Herz gewonnen haben, oder je gewinnen, endlich einmal in ihrer ganzen Thorheit klar wurde. Wahrlich! ein solcher Fant konnte einem Mädchen, wie Paula, nicht gefährlich werden, obgleich er schön war, der Fant, auffallend schön, das wahre Muster eines eleganten Herrn in tadellosen Glacés und Lackstiefeln, ein bischen leer vielleicht um den mit einem schwarzen Bärtchen verzierten Mund und ein wenig hohl um die großen dunklen Augen, die ihren Glanz fast gänzlich eingebüßt hatten. Möglich, daß er so für gewisse Frauen um so[90] gefährlicher war; aber was hatte Paula zu thun mit solchen Frauen?

Und dann irrten meine Gedanken von dem Fürsten, den ich so unerwartet wiedergesehen, zu der schönen Bellini, die Konstanze so sehr geglichen, und ich schob meinen Arbeitssessel hastig zurück, trat an das Fenster, das Paula's Güte jetzt mit dunklen Gardinen verhüllt hatte, und schaute, die heiße Stirn gegen die Scheiben drückend, in trübes Sinnen verloren, in den Hof hinaus, auf welchem eben über den frisch gefallenen Schnee eine Gestalt gerade auf das Gartenhaus zukam. Ich mußte an die Gestalt denken, die ich einst über die Wiese im Mondenschein nach Konstanzens Fenster hatte schleichen sehen. War es der Fürst? Was hatte er bei mir zu suchen? Die Gestalt näherte sich der Treppe, die vor dem Hause lag, und fing jetzt an, die Stufen hinauf zu steigen. Ich nahm die Lampe vom Tisch, um dem Besucher, wer er auch sein mochte, entgegen zu leuchten. Als ich die Stubenthür öffnete, trat Jener eben zur Hausthür hinein, und der Schein meiner Lampe fiel hell in Arthur von Zehren's Gesicht.

»Gott sei Dank, daß ich Dich endlich, ohne Hals und Beine zu brechen, gefunden habe!« rief Arthur; »wie kann ein vernünftiger Mensch sich so einquartieren! Du bist doch von jeher ein Original gewesen; aber das sieht ja ganz behaglich aus für einen Maschinisten, oder wie Dich der Kerl an der Hofthür sonst genannt haben mag;« – und Arthur, der jetzt in die Stube getreten war, warf sich in den Lehnsessel, welchen ich an den Kamin gerückt hatte, und streckte die behandschuhten Hände über das Kohlenfeuer.

Ich war in der Nähe des Kamins vor ihm stehen geblieben und fragte: »Was verschafft mir heute schon zum zweiten male das Vergnügen Dich zu sehen?«

»Das Vergnügen scheint nicht besonders groß zu sein, nach dem Ton zu urtheilen, in dem Du sprichst; und in der That wäre ich wohl schwerlich gekommen, wenn nicht der Fürst – wollte sagen, wenn nicht ich – ja was wollte ich doch sagen? ja so! ein Geschäft mit Dir abzuwickeln hätte. Du bist, während Du – nun Du weißt schon – während Du da warst, wiederholt so gütig gewesen, mir aus kleinen Verlegenheiten zu helfen. Ich habe Alles genau angeschrieben; wer so vielen Leuten schuldig ist, wie ich, muß in solchen Dingen exact sein, wegen der doppelten Kreide, die einer oder[91] der andere Gläubiger führen könnte. Das war nun bei Dir freilich nicht zu fürchten, aber ich habe es aus leidiger Gewohnheit doch notirt, und dies ist die Summe, ohne die Zinsen, die ich nicht ausrechnen kann, und deshalb lieber weglasse: Einhundertsechszig Thaler. Ich bin gerade bei Kasse, und mache mir ein Vergnügen daraus, Dir meine Schuld abzutragen.«

Und Arthur, der sich erhoben hatte, zählte eine Reihe von Tresorscheinen auf den Tisch.

»Willst Du selbst einmal nachzählen,« fuhr er fort; »ich komme eben von einem Diner, bei dem es famosen Champagner und zum Nachtisch ein allerliebstes kleines Jeu gab; da ist es denn wohl möglich, daß ich mich verzählt habe.«

Arthur blickte mich mit einem Lächeln an, das scherzhaft sein sollte, und schwankte dabei von den Fußspitzen auf die Hacken und von den Hacken auf die Fußspitzen; es war nur zu ersichtlich, daß er von einem Diner kam, bei welchem man des Champagners nicht geschont hatte.

»Was ich sagen wollte,« fuhr Arthur fort – »Deine Lampe brennt so dunkel, daß man Mühe hat, seine Gedanken zusammen zu finden – ich wollte sagen: es war wirklich in der allerbesten Absicht, daß er mich hierher geschickt hat. Er ist der nobelste Mensch, der existirt – ein Goldmensch. – Ganz echtes Gold, so lange er was hat. Brauchst Dich also nicht zu geniren, alter Junge! was ich sagen wollte, in welchem Verhältniß hast Du denn eigentlich zu dem Fürsten gestanden? Daß er Dir irgendwie verpflichtet sei, hat er mir selbst gesagt; aber das Wofür ist mir ein geheimnißvolles Räthsel geblieben, geheimnißvolles Räthsel!« wiederholte Arthur, der sich mittlerweile wieder in den Lehnstuhl vor dem Kamin geworfen hatte, und jetzt abwechselnd den rechten und den linken Stiefel gegen das Feuer ausstreckte.

»Du scheinst nicht in der Verfassung zu sein, Räthsel zu lösen,« sagte ich.

»Du meinst, weil ich ein wenig angetrunken bin? o, das thut ganz und gar nichts, im Gegentheil; ich würde mich sonst sicher nicht hierher gefunden haben, trotzdem ich heute Morgen gleich die Vorsicht gehabt hatte, mir von Paula's Portier Deine Adresse sagen zu lassen. War das nicht ein luminöser Einfall? aber man muß an dergleichen keinen Mangel haben, wenn man mit so hohen Personen intim sein will,[92] und für Dich interessirt er sich auch; – für Dich, ungeheuer interessirt er sich.«

Ich hatte das Geschwätz des mehr als halb Berauschten herzlich satt, und sagte jetzt: »ich weiß nicht, Arthur, ob Du im Stande bist, mich zu verstehen. Wenn dies der Fall ist, laß Dir gesagt sein, und wenn ich bitten darf, ein für allemal, daß ich glücklicherweise in der Lage bin, mich keinen Pfifferling darum zu kümmern, ob sich der Fürst Prora für mich interessirt oder nicht, und daß Du, so viel ich sehen kann, Dir im Speciellen einen großen Gefallen thust, wenn Du Dir die Interessen des Fürsten nach dieser Seite hin möglichst wenig angelegen sein läßt.«

»Danke,« sagte Arthur, »aber das konnte ich voraussehen. Ihr braucht Niemanden, Ihr Glücklichen; Ihr seid Euch selbst genug. Immer nüchtern, immer klug, immer bei Sinnen, und immer bei Geld, während unser Einer immer in des Teufels Küche sitzt. So war es von jeher und wird es auch wohl in alle Zukunft bleiben. Ich wollte manchmal, ich wäre der Junge von einem unserer Strandkarrer gewesen und hätte meine ausreichenden Prügel bekommen und müßte mir mein Brod mit meiner Hände Arbeit verdienen; anstatt dieses glänzenden Elends, in welchem ich jetzt einmal hungere, und das andere mal im Ueberfluß lebe. Es ist ein Elend, alter Junge, ein Elend; und das Beste ist, daß man sich eine Kugel durch den Kopf jagen kann, wann man will.«

Du lieber Himmel! ich kannte diese Declamation von so lange her! Es waren im Grunde dieselben, die Arthur gehalten, wenn er bei einem Schüler-Bacchanal zu viel von dem schlechten Punsch getrunken hatte, und auf seine unbezahlten Handschuh-Rechnungen und auf die kleinen Wechsel bei Moses in der Hafengasse zu sprechen kam. Dieselben Declamationen – und es war auch derselbe Arthur, derselbe leichtsinnige, egoistische, kaltherzige Genußmensch mit der sanften Stimme und den einschmeichelnden Manieren; und ich! – Nun! – ich war auch derselbe geblieben, derselbe gutmüthige Hans, den jedes Wort, das sich ungefähr so anhörte, als ob es von Herzen käme, zu rühren vermochte. Und ich hatte ihn ja geliebt in meinen jungen Jahren, als ich einen leinenen Kittel und er eine Sammet-Jacke trug; wir hatten so viel tolle Streiche mit einander ausgeführt und so viel Nachmittags-Sonnenschein[93] in Feld und Wald und auf dem Ruderboot auf dem Meere zusammen getrunken, und so etwas vergißt sich nicht, habe ich wenigstens niemals vergessen können.

»Arthur,« sagte ich, »muß es denn sein, daß Du immer in Noth und Sorge bist? Könnte das nicht anders sein, sobald Du nur wolltest. Ein Mensch wie Du, mit so viel Talenten, so viel Gewandtheit, so guten Manieren –«

»Und einem so guten Vater!« rief Arthur mit einem Lachen, das mir in die Seele schnitt; »denkst Du denn, man kann es zu etwas bringen mit einem solchen Vater, der mich jeden Augenblick compromittirt, der mich jeden Augenblick an den Pranger stellt oder mich wenigstens in der steten Furcht erhält, er werde es demnächst thun?«

»Du solltest nicht so von Deinem Vater sprechen, Arthur,« sagte ich. »Ich –«

»Das glaube ich,« erwiederte Arthur höhnisch. »Du hast ja auch keine Ursache dazu; wenn ich einen solchen Vater hätte, wie Du, wäre ich jetzt ein ganz anderer Kerl. Aber mein Vater! Da läuft er von Pontius zu Pilatus und erbettelt mir erst eine Art von Anstellung bei unserer Gesandtschaft in London, und acht Wochen später geht er wieder zu denselben Menschen und bettelt für sich selber, und die Folge davon ist, daß man den Sohn Jemandes, vor dem man sich hier zu Hause verleugnen lassen muß, in London bei unserer Gesandtschaft nicht haben will, und wenn ich in London nicht die Bekanntschaft des Fürsten Prora gemacht hätte, der sich meiner in der liebenswürdigsten Weise angenommen, so säße ich jetzt wieder auf dem Pflaster und wüßte nicht, wovon ich morgen früh meinen Kaffee bezahlen sollte.«

»Arthur,« sagte ich, »ich glaube, Du brauchst das Geld da nothwendiger als ich. Wie wäre es, wenn Du es dem Fürsten wieder hintrügest – denn von dem Fürsten kommt es doch, gestehe es nur! – und ihm, mit einer Empfehlung von mir, sagtest: er möge es Dir nur geben; ich brauche es nicht und wolle es nicht. Wir können ja dann unsere Rechnung ausgleichen, wenn Du wirklich einmal bei Kasse bist.«

»Du lieber Georg,« rief Arthur aufspringend und mir die Hand drückend, »Du bist doch ganz der Alte; ich hatte es Dir zugedacht; aber wenn Du es nicht brauchst,« – und Arthur raffte die Scheine, die er vorhin so sorgsam aufgezählt,[94] mit einem Griff zusammen und schob sie mit einer schnellen Bewegung in seine Brusttasche.

»Kann Dir der Fürst denn keine bestimmten Aussichten eröffnen?« fragte ich.

»Der Fürst,« erwiederte Arthur, »pah! erinnerst Du Dich noch des Spiels, das die jungen Mädchen bei uns in ihren Kränzchen immer spielten, Emilie Heckepfennig, Elise Kohl, und wie sie sonst hießen: des Spiels mit dem Mehlhaufen, auf den ein Ring gesteckt wird, und eine jede von den Mädchen schneidet der Reihe nach ein Stück davon ab, und noch ein Stück und ein Stückchen und dann wieder ein Stück und perdauz! da liegt mein Mehlhaufen, und irgend ein Stumpfnäschen wühlt in dem Mehl nach dem goldenen Ringlein – siehst Du, das ist das genaue Bild! jeden Tag schneidet irgend eine reizende Hand ein Stückchen von dem Mehlhaufen ab, welchen man den Fürsten Carlo von Prora-Wiek nennt, und es wird nicht so lange dauern, so purzelt der Mehlhaufen zusammen; er hängt so schon auf einer Seite, kann ich Dir sagen;« und Arthur knöpfte seinen Ueberrock zu und zog sich den rechten Handschuh, den er vorhin, um das Geld zu zählen, ausgezogen hatte, wieder an.

»Das würde mir leid thun, wenn ich, wie Du, ein Freund des jungen Menschen wäre.«

»Freund?« erwiederte Arthur, indem er sich über der Lampe eine Cigarre anzündete, »Freund? pah! ich bin sein Freund so wenig, als er meiner ist. Er braucht mich, weil – nun ja, er braucht mich, und ich brauche ihn; und wer den Andern zuerst nicht mehr braucht, giebt dem Andern einen freundschaftlichen Fußtritt; nur fürchte ich, daß ich ihn länger brauchen werde, als er mich, oder als seine Lunge vorhalten wird, die sicher schon mehr als halb verbraucht ist.«

Arthur hatte sich den Hut aufgesetzt und stand jetzt vor mir, und das Licht fiel hell auf sein hübsches, blasses, lächelndes Gesicht, und mir mochte bei dem Anblick wohl wehmüthig um's Herz werden, und Arthur mußte das bemerkt haben, denn er fing plötzlich an zu lachen und sagte: »was für ein jämmerliches Gesicht Du machst, als ob ich direct zum Galgen führe und nicht vielmehr in das Albert-Theater, die schöne Bellini zu sehen, die heute ihr erstes Debüt hat. Und hernach ein Souper bei Tavolini, wenn es sein kann, mit der[95] schönen Bellini. Du siehst, mein Leben hat auch seine Lichtseiten. Adieu, alter Rabe!«

Und Arthur nickte herablassend mit dem Kopfe und schlenderte zur Thür hinaus, die er hinter sich zu zumachen vergaß.

Ich schloß die Thür und schüttete neue Kohlen in das halb erloschene Feuer, schraubte die Lampe heller, setzte mich an meinen Arbeitstisch und sagte, indem ich meine Bücher aufschlug: »Es ist doch sonderbar, daß ein junger Fürst so sehr interessirt ist, ob er sich vor dem armen Schlossergesellen zu geniren habe, oder nicht. Pah! ich werde ein Narr sein, und mich durch solche Thoren aus meinem Wege drängen lassen.«

Aber wie ich auch weise zu sein und der Thorheit der Welt zu vergessen strebte, immer wieder zog es, wie mit magnetischer Kraft, meine Gedanken ab von den trockenen Formeln in das bunte Leben, in das ich eben, durch eine schnell geöffnete und ebenso schnell wieder geschlossene Thür gleichsam, einen Blick geworfen. Es hatte bunt genug darin ausgesehen: ein Tisch besetzt mit halb geleerten Flaschen und den Näschereien eines Desserts, und um den Tisch ein halbes Dutzend weingerötheter, lachlustiger Gesichter, meines darunter, und es glühte von Wein und Lust, heller noch als die andern, denn ich war soviel stärker als sie, so daß ich sie sammt und sonders hätte unter den Tisch trinken können, und ich stemmte die Ellenbogen auf und sang ihnen ein Zechlied, und sie klatschten in die Hände und schrien bravo und dacapo!

Ich strich mir mit der Hand über die Stirn. Was war das für ein toller Traum? Was hatte der einsame Arbeiter zu thun mit diesen Dingen, die nur für die reichen Müßiggänger erfunden waren? Hier war die Arbeit, der ich mich geweiht; es war eine eifersüchtige Geliebte, man konnte nicht ihr dienen und der schönen Bellini.

Ich sprang auf, und ich glaube, ich schlug mir mit der Faust vor die Stirn, ohne eine besondere Wirkung zu erzielen. Da stand sie noch, wie sie eben zur Thür hinausging und sich nach dem Bilde umdrehte – die schöne Bellini, die Konstanze so ähnlich sah, und Schauspielerin werden wollte und heute zum ersten Mal auftrat. Und in einer Loge dicht an der Bühne würde der junge Fürst sein mit seinen Zechgenossen und durch große Operngläser auf die schöne Bellini starren, während ich hier beim trüben Schein einer Lampe[96] saß, in einem nur halb erwärmten Zimmer, mit heißem Kopf und frierenden Fingern lange Zahlenreihen auf das Papier zu bringen, die heute durchaus nicht stimmen wollten.

Wie der böse Samen, der einmal in mein Gemüth gesäet war, sich nun weiter so herrlich entwickelt hat, weiß ich nicht; ich weiß nur, daß ich, wenige Minuten später, durch die dunklen, schneebedeckten Gassen eilte, und nach einiger Zeit athemlos an der Kasse des Albert-Theaters anlangte. Das Haus war ausverkauft, vollständig ausverkauft, nur in der unteren Prosceniumsloge rechter Hand sei noch ein Stehplatz.

»So geben Sie mir den.«

Der Mann sah mich verwundert an, er hatte jene Notiz im statistischen Sinne gegeben, und keineswegs, um mir, der ich offenbar in das Parterre oder auf die Gallerie gehörte, einen so vornehmen Platz zu offeriren. Er blickte mich scheu an, aber er hatte mir das Billet schon gezeigt, konnte es nun nicht mehr verleugnen, und so mußte denn auch der Logen-Schließer gute Miene zum bösen Spiel machen und den Mann aus dem Volk in die aristokratische Loge lassen.

Die Loge war bis auf den Platz, den ich einzunehmen hatte, gefüllt und dieser Platz befand sich in der tiefsten Ecke der Loge an der der Bühne zugekehrten Wand, so daß ich von der Bühne nur ein sehr kleines Stück, dafür aber bis in die tiefste Tiefe der ersten Coulisse und ebenso in die gegenüberliegenden Prosceniumslogen sehen konnte, außerdem, glaube ich, noch die Ausläufer von drei oder vier sich übereinander aufbauender Ränge.

Als ich diesen beneidenswerthen Platz einnahm, hatten sich ein paar frisirte Herrenköpfe unwillig nach dem Störenfried umgeblickt, und sich dann ihre Bemerkungen, die für mich nichts Schmeichelhaftes zu haben schienen, mitgetheilt. Da ich indessen nicht aussehen mochte wie Jemand, dem man ohne Weiteres die Thür weisen konnte, ließ man mich unbehelligt, und ich durfte mich ungestört jenem Genusse überlassen, welchen jedem sinnigen Gemüth der Blick in eine Prosceniumsloge gewährt, die vollkommen leer ist, und in eine Seitencoulisse, in welcher ein Dutzend geschminkter Herren und Damen in spanischer Tracht augenscheinlich nur auf den Wink des Regisseurs warten, um die mir zum größten Theil unsichtbare Bühne zu betreten. Und jetzt mußte dieser Wink erfolgt sein. Die Herren und Damen in spanischer Tracht[97] setzten sich in Bewegung und marschirten paarweise aus der Coulisse heraus; ein oder das andere Paar, die ganz im Vordergrunde blieben, sah ich noch auf bereit gehaltenen Stühlen Platz nehmen. Dann hörte man Getümmel auf der Bühne, wie von hereindringendem Volke, und jetzt ertönte im Chor:


Heil Preciosen, Preis der Schönen,

Windet Blumen ihr zum Kranz!


Während dieses Gesanges ertönten Tamburins und Castagnetten; auf der Bühne wurde applaudirt; alle riefen: Es lebe Preciosa! Preciosa lebe hoch! und, als wenn der Ruf ein Echo fände, so erscholl jetzt aus dem ganzen Hause vom Grunde bis unter das Dach ein einstimmiges donnerndes Bravo! bravo! bravo! und ich sah die Herren wüthend in die Hände klatschen und die Damen sich vorüber neigen, und das wollte kein Ende nehmen, und als es endlich so weit still geworden war, daß der eine von den beiden schwarzen Herren auf den Stühlen links im Vordergrunde, der, glaube ich, Don Fernando hieß, sagen konnte: bei Gott! ein herrlich Mädchen! und der Andere – Don Franzisco – ihm antwortete: ein bezaubernd schönes Kind! – da brach der Jubel und das Bravorufen und das Händeklatschen von neuem los, daß es war, als müsse das Haus darunter zusammenbrechen, kaum daß die alte Zigeunermutter Ruhe genug fand, zu fragen, ob es den Herrschaften gefällig sei, »ihrer Enkelin Preciosa eine Frage vorzutragen.«

Don Fernando wünscht: »ein freundlich Bild von des Kindes frommer Liebe in beglückter Eltern Armen.« Die wie von Leidenschaft vibrirende Stimme Don Alonzo's, den ich nicht sah, findet es bedenklich: »von der Elternlosen, von der Waise zu fordere, daß sie ein Glück besinge, welches der Himmel ihr entrissen.« Don Fernando bedauert, gerade auf so ein heikliges Thema verfallen zu sein; aber Don Francisco unterbricht ihn mit den Worten: »Still, sie faßt sich, sie beginnt!« dann eine kleine Pause und dann –

Ich hatte alle diese Vorbereitungen mit einer Spannung verfolgt, wie wohl kein Einziger in dem weiten Hause. Ich kannte das Stück recht gut, ich hatte es, glaube ich, ein halbes Dutzend Mal auf unserer kleinen Bühne in Uselin bewundert. So sah ich alles, was dort, mir unsichtbar, auf der Bühne vorging, und ich wußte auch, daß jetzt der Moment gekommen sei, wo die Preciosa zum ersten Male sprechen[98] würde. Es waren nur wenige Secunden, die zwischen den letzten Worten des guten Alten und den ersten Preciosa's verflossen; aber sie dünkten mich eine Ewigkeit. Eine wunderliche Ahnung sagte mir, daß sie es sein müsse, und das Herz in mir tobte wild bei dem Gedanken, daß sie es sein könne; und da schlug der erste Ton ihrer Stimme an mein Ohr, und mein Kopf sank gegen die Wand der Loge und ich sagte vor mich hin: Sie! wirklich sie!

Ja, sie war es. Das Ohr hat ein treues Gedächtniß, ein treueres, als vielleicht irgend ein anderer Sinn, und das Ohr hatte in meiner Leidenschaft für Konstanze von Zehren den Kuppler gespielt, wenn ich des Abends am offenen Fenster stand und hinauf lauschte, ob ich, da ich sie doch nicht mehr sehen sollte, nicht wenigstens ihre Stimme wurde hören können, und wäre es auch nur ein Wort zu der alten Dienerin, besser freilich eines ihrer Lieder, die sie mit ihrer tiefen, weichen Stimme so köstlich zu singen verstand. Ja, sie war es, Konstanze von Zehren, die Tochter des Stolzesten der Stolzen, die Cousine Paula's, Schauspielerin, hier, auf der Bühne eines Vorstadt-Theaters!

Sie hatten sich sonderbar geändert die Zeiten, sehr sonderbar. Eine Wehmuth erfaßte mich, daß ich hätte weinen mögen; ich wollte auch fort – es kam mir wie ein Verbrechen vor an dem Andenken meines unglücklichen Freundes, daß ich hier mit anhören sollte, was ihm zu hören so entsetzlich gewesen sein würde; aber ich konnte nicht fort; ich stand wie gebannt, den Kopf an die Wand gelehnt, wie versteinert, ohne mich zu regen, ohne kaum zu athmen; stand so, während Preciosa's Improvisation, und rührte mich kaum, als später der Vorhang fiel und der Beifallssturm, welcher sie empfangen, und wiederholt ihr Spiel unterbrochen hatte, stärker als je zu toben begann.

In meiner Loge entstand eine Bewegung. Eine junge Dame, die jedenfalls nicht täglich am Schmiedefeuer, möglicherweise nicht einmal am Küchenfeuer stand, und für deren Nerven der allerdings etwas hohe Temperaturgrad in der Loge nicht berechnet sein mochte, war ohnmächtig geworden, oder im Begriff ohnmächtig zu werden, und wurde von zwei älteren Damen hinaus begleitet, während mehrere junge Herren, die wohl zur Gesellschaft gehörten, pflichtschuldig assistirten. Dadurch waren ein halbes Dutzend Plätze leer[99] geworden, welche alsbald von den Zurückbleibenden eingenommen wurden. Und so geschah es, daß, als der Vorhang wieder in die Höhe ging, ich außer der linken Seitencoulisse auch noch ein Stück des Zigeunerlagers unter den spanischen Korkeichen und eine oder die andere der ehrenwerthen Zigeunerfamilien zu sehen bekam, die sich um den großen Kessel gelagert hatten, dessen Feuer sie mit flackernden Lichtern überstrahlte. Der Hauptmann und Viarda sind übereingekommen, nach Valencia zu ziehen. Man wartet nur auf Preciosa, die einsam im Walde umherstreift. Die Zigeuner entfernen sich nach allen Seiten; einen Augenblick bleibt die Bühne leer, und dann – dann sah ich sie, wie ich sie damals sah!

Wie ich sie damals sah, an jenem Herbstmorgen, unter den Buchen von Zehrendorf, durch deren leise wehende Zweige goldener Sonnenschein auf sie fiel: ein schlankes, tief brünettes Mädchen, in seltsam phantastischer Tracht von grünem Sammet mit goldenen Litzen, die geliebte Guitarre an der Seite. Ja, wie ich sie damals sah, als wäre die Flucht der Jahre spurlos dahingezogen über ihr schönes Haupt, und hätte keine einzige der rothen Rosen von ihren Wangen zu stehlen und von dem feurigen Glanz ihrer dunklen Augen keinen Strahl auszulöschen vermocht! Und wie damals erbebte mir das Herz in der Brust, und der Athem stockte mir, als sie jetzt von dem Felsen unter den hochragenden Bäumen herabzusteigen begann, – wie damals zu der Moosbank am Weiher, an der ich stand; – und auf einer Moosbank am Fuße der Felsen ließ sie sich jetzt nieder und ihre Stimme erhebend – ihre tiefe, weiche Stimme, von der mein Herz noch keinen Ton verlernt hatte! – sang sie:


Einsam bin ich, nicht alleine,

Denn es schwebt ja süß und mild,

Um mich her im Mondenscheine,

Dein geliebtes, theures Bild.


So, gerade so, hatte ich es von ihr gehört, in lauen Mondscheinnächten, zu mir herauftönend, aus dem dämmernden Park; und die Erinnerung jener seligen Tage überkam mich mit aller Macht. Die Kehle war mir wie zugeschnürt, dumpf pochte mein Herz in der Brust; heiße Thränen quollen mir aus den Augen und verschleierten mir die reizende Gestalt und Alles um mich her.

Erst der donnernde Beifall, mit welchem das Publikum[100] die schöne Sängerin am Schluß ihrer Romanze überschüttete, brachte mich wieder zu mir selber. Ich sah, daß sie sich verneigte und sich bereitete, dem Wunsch des Publikums zu folgen, ich sah den Musikdirector den Taktstock erheben; ich hörte die ersten Klänge der süßen Weise:


Einsam bin ich nicht alleine –


Mit einem male entsteht ein Lärm im Theater. Aller Augen richten sich auf die unterste Prosceniumsloge linker Hand, mir gerade gegenüber, in welche in diesem Augenblick mit großem Geräusch vielleicht ein halbes Dutzend junger Herren in eleganter Tracht und mit erhitzten Gesichtern, als kämen sie von einem Diner, eingetreten sind, und sich auf den ersten beiden Reihen der Fauteuils niedergelassen haben. In der Ecke links sitzt ein junger Mann, welcher der Vornehmste in der Gesellschaft zu sein scheint, da sich die andern Alle um ihn bemühen. Seine rechte mit gelbem Glacé-Handschuh bekleidete Hand hängt lässig über die Logenbrüstung. Das Gesicht ist in die Loge hinein zu einem seiner Begleiter hinter ihm gerichtet; das drohende Zischen des Publikums stört ihn nicht in seiner halblauten Conversation, und er läßt sich erst herab, den Kopf umzuwenden, als die Sängerin auf der Bühne plötzlich schweigt. In diesem Augenblick erkenne ich den Fürsten Prora, und ich sehe deutlich, daß, als sein Blick den der Sängerin trifft, er sich verfärbt. Sie ihrerseits hat ihn bereits erkannt, und das Blut ist ihr aus den Wangen gewichen und die Stimme hat ihr versagt. Sie hat sich schnell von ihrem Sitz erhoben und macht eine Bewegung, als wollte sie davon eilen, bleibt dann aber, wie in einer halben Ohnmacht, stehen und preßt die Hand auf das Herz. Das Publikum glaubt, sein Liebling – denn das ist das schöne Mädchen in den wenigen Augenblicken bereits geworden – fühle sich durch die rohe Störung, die von den feinen Herren ausgeht, zu beleidigt, um weiter singen zu können. Man zischt, man ruft: Stille! man donnert: Hinaus, hinaus die Aristokraten, hinaus die gelben Glacés! Der junge Fürst blickt mit einer Miene in den Lärm, als ginge ihn die Sache nicht im Entferntesten an; aber seine Begleiter glauben mehr thun zu müssen; sie lachen laut, verneigen sich ironisch und verhöhnen offen das Publikum, welches Miene macht, seine Drohungen auszuführen. Schon klettern einige Heißsporne über die Lehnen[101] der Bänke weg und stürzen auf die Loge zu, als plötzlich die Sängerin, die mit unverwandtem Blick immer auf derselben Stelle gestanden hat, einen Schrei ausstößt, die Guitarre fallen läßt und zur Erde gesunken wäre, wenn Don Fernando, in welchem ich jetzt ihren Begleiter von der Kunstausstellung her erkenne, aus der Coulisse herauseilend, sie nicht in seinen Armen aufgefangen hätte. In demselben Moment rauscht auch der Vorhang herab. Ich stürze zur Loge hinaus, ohne zu wissen, was ich will, wohin ich will, und komme erst wieder zu mir, als die eisige Luft des Winter-Abends in mein glühendes Gesicht haucht.

Quelle:
Friedrich Spielhagen: Sämtliche Werke. Band 2, Leipzig 1874, S. 89-102.
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