Zweiundzwanzigstes Capitel

[173] Es waren seit diesem Abend einige Tage verflossen.

Bemperlein war mit Julius nach Grünwald abgereist und hatte von dort aus schon an Melitta und an Oswald geschrieben, der Ersteren, um zu melden, daß sein Zögling in der sehr[173] liebenswürdigen Familie eines Beamten, der zwei Söhne fast in demselben Alter, wie Julius habe, glücklich untergebracht sei; an Oswald, daß er eine höchst interessante Unterredung mit dem Professor Berger gehabt habe, deren Inhalt er seinem neuen Freunde mittheilen wolle, wenn er in nächster Woche nach Berkow zurückkäme, um definitiv Abschied zu nehmen. Nur so viel wolle er sagen, daß er in seinem Entschlusse fester als je sei und kaum die Zeit erwarten könne, sich Hals über Kopf in seine neuen Studien zu stürzen.

Den Tag nach Herrn Bemperlein's Abreise war der Geometer von Grünwald in Grenwitz angekommen, aber nur ein paar Stunden geblieben, um mit dem Baron und der Baronin zu conferiren, und dann nach dem zweiten Gute, das vermessen werden sollte, gefahren, wo er für's Erste sein Wigwam aufschlagen müßte, wie er zu Oswald sagte. Oswald hatte in dem Geometer einen sehr lebhaften, witzigen und, wie es schien, sehr belesenen und vielfach gebildeten, noch jungen Mann kennen gelernt, und er freute sich, diese Bekanntschaft fortsetzen zu können, da Herr Timm in kurzer Zeit nach Grenwitz kommen mußte, um die Karten und Pläne zu zeichnen. Schon waren von der stets weit vorausschauenden Baronin zwei Zimmer in demselben Flügel des Schlosses, in welchem Oswald wohnte, für ihn bestimmt und schicklich eingerichtet.

Auf den Sonntag waren die Herrschaften von Grenwitz nebst Herrn Doctor Stein zu Herrn von Barnewitz, dem Vetter Melitta's eingeladen. Oswald hatte große Lust gehabt, diese Einladung rundweg auszuschlagen, und hatte sich nur auf Melitta's Zureden bewegen lassen, von der Partie zu sein.

Was soll ich dort? hatte er zu Melitta gesagt, man ladet mich nur ein, entweder, weil es an Tänzern fehlt, oder, um dem alten Baron eine Höflichkeit zu erweisen, in keinem Fall um meiner selbst willen. Ich werde in der Gesellschaft wie ein Mohikaner unter den Irokesen, wie ein Spion im Lager angesehen werden. Ich kenne den Adel. Der Adelige ist nur höflich und liebenswürdig gegen den Bürgerlichen, so lange er mit ihm allein ist; sind mehrere Adelige bei einander, so fließen sie zusammen[174] wie Quecksilber und kehren gegen den Bürgerlichen den esprit de corps heraus. Ich sage Dir, Melitta, ich kenne die Adeligen und hasse die Adeligen.

Aber Du liebst doch mich, Oswald, und ich gehöre doch auch zu der verfehmten Klasse.

Leider, sagte Oswald, und es ist das der einzige Fehler, Du Holde, den ich an Dir habe entdecken können. Aber dann bist Du so engelgut und lieb, und da gehst Du durch diesen Schwefelpfuhl, ohne auch nur den Saum Deines Gewandes zu beflecken. Und so sehr Du auch im Vergleich mit diesen eiteln, dummen Pfauen gewinnen mußt, so fürchte ich doch, daß von dem feurigen Haß, den ich gegen die ganze Sippschaft habe, unversehens auch ein Funken auf Dich spritzen könnte. Jetzt bist Du mir eine Königin, eine Chatelaine, die aus ihrem Schloß sich weggestohlen hat, den Herzallerliebsten flüchtig zu umarmen, und ich vergesse Deinen Rang, Deine Hoheit hier in dieser traulichen Waldeinsamkeit, Du bist mir nur das geliebte, angebetete Weib, die Krone der Schöpfung, bist, was Du mir auch im Gewande der Bettlerin sein würdest – dort aber im kerzenhellen Saale, umgeben von Deinen Granden, von Allen gehuldigt und gefeiert, kann ich meine Augen vor dem Glanze nicht verschließen, und werde schmerzlich daran erinnert werden, daß ich aus meiner Niedrigkeit nicht hätte wagen sollen, sie zu solcher Höhe zu erheben.

Sieh, Oswald, sagte Melitta, und ihre Augen ruhten fest in den seinen; ist das nun gut von Dir? Spottest Du nicht meiner, indem Du so sprichst? Höre ich es nicht in dem herben Ton Deiner Stimme, sehe ich es nicht an dem unruhigen Blitzen Deiner Augen, das so seltsam mit ihrem sonstigen tiefen, klaren Licht contrastirt, daß Du recht wohl fühlst, wie Du kraft Deines Geistes, kraft Deiner stolzen männlichen Schönheit und Stärke unter uns Andern einherschreitest, wie der geborene Herrscher? – Ich habe mich Dir ergeben mit Leib und Seele, Du bist mein Herr und Gebieter, ich würde mich selbst Deiner tollsten Laune willig fügen, ich würde von Dir das Bitterste ertragen, von Deiner Hand würde mir der Tod nicht grausig[175] sein – aber weshalb auch nur einen Tropfen Wermuth in den Kelch der Liebe mischen, aus dem ich mit so vollen, durstigen Zügen schlürfe. Oswald, spotte meiner nicht!

Ich spotte Deiner nicht, Melitta; ich bin von Deiner Liebe überzeugt, trotz dem, daß ich sie wenig genug verdiene; ich weiß, daß Deine Liebe demüthig ist, wie es die Liebe ist, die Alles duldet und Alles glaubt, und nimmer aufhören wird – aber sieh, Du Theure, das ist ja eben der Fluch dieser verruchten Institutionen, daß sie Haß und Zwietracht und Mißtrauen säen in die Herzen der Menschen, selbst in solche Herzen, die von Gott für einander geschaffen scheinen. Und dieser giftige Samen wuchert auf und überwuchert der Liebe rothe Rosen. Ich schelte Dich nicht, daß dem so ist, ich schelte überhaupt keinen Einzelnen, der ja, ohne es vielleicht zu wissen, unter dieser naturwidrigen Trennung ebenso leidet wie ich. Aber daß dem so ist, davon sei überzeugt. Nie wird der Katholik in dem Protestanten, der Adelige in dem Bürgerlichen, nie der Christ in dem Juden und umgekehrt wahrhaft seines Gleichen sehen – seinen Bruder! Nathan's frommer Wunsch, daß es dem Menschen doch endlich genügen möge, ein Mensch zu sein, ist noch lange nicht erfüllt. Wer weiß, ob er in Jahrhunderten erfüllt sein, ob er sich auch nur jemals erfüllen wird.

Und bis dahin, sagte Melitta in ihrem gewöhnlichen schalkischen Ton, Oswald das Haar aus der Stirn streichend, bis dahin, Du träumerischer Träumer und unverbesserlicher Weltverbesserer, wollen wir die kurzen Augenblicke genießen, und deshalb mußt Du morgen nach Barnewitz kommen. Bitte, bitte, lieber Oswald, ich will auch nur mit Dir sprechen, nur mit Dir tanzen – ich muß in diese eine Gesellschaft gehen, um das Recht zu gewinnen, zehn andere auszuschlagen, in denen ich – mich weniger frei fühlen würde, wie gerade in dieser. Und ohne Dich habe ich nicht den geringsten Genuß davon, im Gegentheil, ich werde traurig sein, wie ein Vögelchen, das man der Freiheit beraubt und in ein enges Bauer gesteckt hat. Wenn Du aber da bist, liebes Herz, so will ich fröhlich sein, und tanzen und – singen – nein, singen nicht, aber[176] hübsch will ich sein – sehr hübsch, und Alles Dir zu Ehren; soll ich weiß gehen? mit einer Camelie im Haar, oder einer Rose? Du hast mir noch gar nicht gesagt, wie Du mich am liebsten siehst? Gott, welch' hölzerner Ritter Du bist.

Am nächsten Tage, es war ein Sonntag, Nachmittags um fünf Uhr, hielt der Staatswagen vor dem Portale des Schlosses in Grenwitz. Die schwerfälligen Braunen hatten das beste Geschirr mit den neusilbernen Beschlägen aufgelegt bekommen; der schweigsame Kutscher hatte sich seine Galalivrée angezogen, der Baron den schwarzen Frack, in dessen Knopfloch das Band des Ordens, den er bei irgend einer geheimnißvollen Gelegenheit von irgend einem der deutschen Duodezfürsten bekommen hatte, und die Baronin selbst ausnahmsweise eine Toilette gemacht, die sie denn doch nur fünf Jahre älter erscheinen ließ, als sie wirklich war. Nachdem der nöthige Ballast von Mänteln und Shawls für die Rückfahrt eingenommen war, und die Baronin noch einmal vom Wagen aus Mademoiselle Marguerite, die, wie es Oswald schien, viel lieber mitgefahren wäre, feierlich mit der Würde einer Castellanin belehnt und ein kurzes Examen von zehn Minuten angestellt hatte, um zu prüfen, ob die hübsche kleine Französin auch noch alle die Verhaltungsmaßregeln für gewisse, genau stipulierte Fälle ordentlich im Kopfe habe – setzte sich das Fuhrwerk mit demjenigen Tempo in Bewegung, welches dieser feierlichen Gelegenheit, dem Temperament der Braunen und den Grundsätzen des schweigsamen Kutschers entsprach. Als sie unter der Brücke wegfuhren, brachte Bruno, der Malten und ein paar Bauernknaben, die im Garten Unkraut gäteten, hier postirt hatte, den Davonziehenden ein solennes dreimaliges Hurrah, ein Einfall, der selbst die Lippen der Baronin zu einem Lächeln zu bewegen vermochte. Ueberhaupt war diese Dame, wahrscheinlich, um sich auf die Gesellschaft vorzubereiten, heute in der besten und mittheilsamsten Stimmung. Sie fand das Wetter herrlich, nur ein wenig zu warm, den Weg vortrefflich, nur ein wenig zu staubig; sie freute sich schon auf die Abendkühle beim Heimwege, nur fürchtete sie, daß sich bis zu der Zeit ein Gewitter zusammengezogen haben würde, da ihr eine Wolke[177] am westlichen Horizont ein sehr verdächtiges Aussehen zu haben schien. Darauf wurde die Frage erörtert, ob Fräulein Marguerite, wenn wirklich ein Gewitter ausbrechen sollte – ein Fall, für den sie keine Instructionen hatte – wohl die Fenster in den Gesellschaftsräumen im obern Stock schließen lassen und überhaupt ihre Schuldigkeit thun würde. Da es nicht möglich war, eine Stimmenmehrheit zu erzielen, indem die Baronin die aufgeworfene Frage entschieden verneinte, Oswald sie eben so entschieden bejahte, und der alte Baron sich keine bestimmte Ansicht zu bilden vermochte, so gab man die Debatte über diesen Punkt auf und ging zur Erörterung des nicht weniger wichtigen Problems über, ob sich der Graf Grieben von seinem akuten Rheumatismus wohl so weit erholt haben würde, um an dem heutigen Zauberfest in Barnewitz Theil zu nehmen, oder nicht. Von dem Rheumatismus des Grafen Grieben kam man dann auf die Gicht des Barons von Trantow und von dieser ganz allmälig in jenen Familienklatsch, von welchem Oswald behauptete, daß er unter dem hohen und höchsten Adel eben so im Schwunge sei, wie bei Gevatter Schneider und Handschuhmacher, nur daß man dort über von Hinz und von Kunz und hier schlechtweg über Hinz und Kunz spräche. Oswald hatte sonst die Gewohnheit, sobald das Gespräch auf das beliebte Thema kam, nicht länger aufzumerken, und er hatte es in dieser wichtigen Kunst, zu hören und doch nicht zu hören, während der kurzen Zeit seines Aufenthalts in Grenwitz schon zu einer bedeutenden Fertigkeit gebracht; heute aber, da er die Persönlichkeit, von denen er schon so oft vernommen hatte, selber sehen sollte, war die Sache nicht mehr ganz so uninteressant für ihn, wie sonst, um so weniger, als Melitta's Namen zu wiederholten Malen genannt wurde. Er erfuhr bei dieser Gelegenheit, daß Herr von Barnewitz und Melitta Geschwisterkinder wären, Melitta's Vater, der Bruder des alten Herrn von Barnewitz, welcher Herrn Bemperlein die Pfarre zugedacht hatte, Officier in schwedischen Diensten gewesen, als solcher die Feldzüge gegen Napoleon mitgemacht und bald nach der Vermählung Melitta's mit Herrn von Berkow gestorben sei.[178]

Uebrigens weißt Du, Grenwitz, sagte die Baronin, Melitta wird heute nicht da sein.

Oswald horchte hoch auf.

Woher weißt Du das, liebe Anna-Maria? entgegnete der Baron.

Ich habe mir von dem Bedienten die Einladungsliste geben lassen, wie ich das immer thue, um zu wissen, wen man denn finden wird, und sie sorgfältig durchgelesen. Frau von Berkow war nicht darauf verzeichnet.

Das wird ein Versehen gewesen sein.

Ich glaube nicht; Du weißt, Melitta und ihre Cousine sind gerade nicht die größten Freundinnen; es wäre nicht das erste Mal, daß man Melitta übergangen hätte; aber dafür wird eine andere merkwürdige Persönlichkeit zu finden sein; rathe einmal, Grenwitz.

Der Fürst von P., sagte der alte Baron halb erschrocken, und bedauerte schon heimlich, nicht den Orden selbst und bloß das Ordensband angelegt zu haben, doch nicht der Fürst von P.?

Nein! Rathen Sie einmal, Herr Doctor.

Der Mann aus dem Monde?

Eine beinahe nicht weniger merkwürdige Person: der Baron Oldenburg; sein Name stand, wie es sich gehört, auf der Liste gleich nach unserem Namen.

Die Oldenburgs sind ein alter Adel? fragte Oswald, der den Sinn jener Reihenfolge schon vermuthete.

Die Oldenburgs sind nach den Grenwitzen's der älteste Adel hier im Lande, sagte die Baronin mit einem unendlichen Selbstgefühl. Die Grenwitzen's können ihren Stammbaum bis in den Anfang des zwölften Jahrhunderts verfolgen, die Oldenburg's sind erst aus dem Ende des dreizehnten Jahrhunderts, wo Adalbert, der Stammvater des Geschlechts, von dem Kaiser zum Reichsbaron erhoben wurde.

Woher der Name Oldenburg? fragte Oswald.

Den Oldenburgs fehlt bloß die Legitimität, um heut zu Tage so gut souverän zu sein, wie viele Andere, die ursprünglich auch nur reichsfrei waren, wie wir.[179]

Und was macht den Baron, abgesehen von seiner erlauchten Abstammung, zu einer so merkwürdigen Persönlichkeit? fragte Oswald.

Die Baronin kam durch diese Frage einigermaßen in Verlegenheit. Das, was in ihren Augen vor allem merkwürdig am Baron erschien, nämlich seine souveräne Verachtung gegen Rang und Stand, sein sarkastisches, höhnisches Wesen seinen Standesgenossen gegenüber, deren Verehrung vor seinem altehrwürdigen Adel dadurch manchmal auf eine harte Probe gestellt wurde – dieser merkwürdige, ja in ihren Augen geradezu unnatürliche Zug eignete sich nicht zum Gegen stand der Unterhaltung mit einem Bürgerlichen. Sie begnügte sich also mit der vieldeutigen Antwort:

Der Baron hat über die meisten Dinge die sonderbarsten Ansichten von der Welt, so daß man manchmal wirklich für seinen Verstand bange wird.

In diesem Augenblicke kam ein Reiter im Galopp aus einem Seitenwege heraus und parirte sein Pferd vor dem vorbeifahrenden Wagen. Es war ein junger Mann mit hübschem, braunem Gesicht, dem ein blonder Schnurrbart sehr gut stand.

Ah, gnädige Frau, Herr Baron – freue mich unendlich, rief er, den Hut ziehend und an den Wagenschlag heranreitend – habe in einer Ewigkeit nicht das Vergnügen gehabt –

Das kommt daher, mon cher, sagte die Barnnin mit holdestem Lächeln, weil Sie sich seit einer Ewigkeit nicht bei uns auf Grenwitz sehen ließen.

Ah, sehr gütig, gnä-ge Fra', sehr gütig; gnä-ge Fra' hatten noch nicht die Gnade, mich mit dem Herrn bekannt zu machen – Baron Felix? nicht wahr? fuhr der Dandy fort, den Hut gegen Oswald lüftend.

Herr Doctor Stein, sagte die Baronin, der Erzieher meines Sohnes – Herr von Cloten –

Ah, ah, in der That, sagte Herr von Cloten, freue mich außerordentlich – ja, ja, was ich sagen wollte, gnä-ge Fra', wohin geht es, wenn man fragen darf?

Nach Barnewitz –[180]

Ah, wollte ebenfalls dorthin – ruhig, Robin, ruhig!

Aber Herr von Cloten, es ist große Gesellschaft, sagte die Baronin, auf des Junkers Stulpenstiefel und Jagdrock anspielend.

Unmöglich, gnä-ge Fra'; Barnewitz sagte mir gestern, als ich ihn zufällig traf, ich möchte zu einer Partie Boston hinüberkommen, aber von einer Gesellschaft hat er mir kein Wort gesagt.

Es ist ein Scherz von Barnewitz; verlassen Sie sich darauf.

Ah, ja, sehr wahrscheinlich; Barnewitz hat immer so tolle Einfälle; ruhig, Robin! – Teufelskerl, der Barnewitz – sich schon gefreut, mich in Stulpenstiefeln in Salon treten zu sehen – Freude verderben – Beschwöre Sie, gnä-ge Fra', meine Herren, erzählen Sie Niemand, daß Sie mich gesehen haben. In einer Viertelstunde in Barnewitz.

Damit warf der junge Mann sein Pferd herum und sprengte in voller Carrière in der Richtung fort, aus der er gekommen war.

Bald darauf fuhr der Wagen über einen etwas holperigen Steindamm, der quer über den Gutshof von Barnewitz bis zu dem kiesbestreuten Platze vor dem Herrenhause führte.

Ein Diener trat an den Wagen, den Schlag herunterzulassen; in der Thür erschien die Gestalt eines breitschulterigen, bärtigen Mannes, der schön zu nen nen gewesen wäre, wenn nicht Wohlleben und Indolenz die Harmonie der regelmäßigen Züge wesentlich beeinträchtigt hätte. Es war Melitta's Vetter, Herr von Barnewitz.

Sie sind die Allerersten, wie Sie sehen, sagte er, die Gäste in einen dreifenstrigen Saal rechts vom Flur führend, wo sie von Frau von Barnewitz, einer hübschen Blondine, begrüßt wurden.

Sie wissen, daß ich die Pünktlichkeit über Alles liebe, erwiderte die Baronin, den ihr angebotenen Platz auf dem Sopha einnehmend.

Vortreffliche Eigenschaft das, antwortete Herr von Barnewitz, ganz mein Grundsatz – stets gewesen – im Leben und[181] auf der Jagd die Hauptsache – Schnepfe aufgestoßen – Baff – liegt – pünktlich – Hahaha.

Wie ist es? sagte die Baronin zur Frau von Barnewitz gewendet, werden wir heute eine zahlreiche Gesellschaft haben?

Nun vierzig bis fünfzig höchstens.

Das heißt, so ziemlich unser ganzer Cirkel.

So ziemlich, ja.

Und – wir sprachen schon unterwegs darüber – wird Ihre liebe Cousine erscheinen?

Da müssen Sie meinen Mann fragen, der die Einladungen besorgt hat.

Ha, ha, ha lachte Herr von Barnewitz. Köstlicher Spaß, meine Herrschaften, muß Ihnen erzählen, bevor die Andern kommen. Sie wissen, daß wir mit Melitta durch Italien reisten, und daß sich uns dort der Baron Oldenburg anschloß. Wir lebten sehr vergnügt zusammen – denn Oldenburg kann sehr liebenswürdig sein, wenn er will. Auf einmal war das gute Einvernehmen zum Teufel – entschuldigen, gnädige Frau – der Eine ging hier hin, der Andere dort hin. Melitta und Oldenburg sagten sich nur noch Malicen, und eines schönen Morgens war Oldenburg fort – verschwunden – Billet zurückgelassen: er fände die Luft in Sicilien zu drückend als angehender Schwindsüchtiger, und wollte einen kleinen Abstecher nach Aegypten machen. Seit der Zeit sind drei Jahre verflossen; jetzt ist Oldenburg wieder hier; ist aber nur bei mir gewesen, um mir, wie er sagte, oder meiner Frau, wie ich sage –

Aber Karl –

Nun, liebe Hortense, unter Freunden muß ein Scherz erlaubt sein; also um uns Beiden seine Aufwartung zu machen. Als ich ihn neulich vorläufig einlade, sagt er: ja, wenn Deine Cousine nicht kommt; als ich vor ein paar Tagen Melitta begegne und sie frage, antwortet sie: ja, wenn Dein Freund Oldenburg nicht kommt. Natürlich versicherte ich Beiden, daß sie ganz ruhig sein könnten, sie würden dem Gegenstande ihrer Abneigung nicht begegnen. Um die Sache noch glaublicher zu machen, schicke ich zwei Kerls aus mit zwei verschiedenen Listen,[182] auf deren einer Melitta und der anderen Oldenburg stand. Und nun kommen sie alle Beide, – ist das nicht ein Hauptspaß? – Entschuldigen Sie, meine Herrschaften, ich höre so eben einen Wagen vorfahren.

Allmälig füllte sich der Saal und die daran stoßende Flucht hoher, schöner Zimmer, die auf der Hinterseite des Hauses wieder in einem Saal endigte, aus dem zwei Flügelthüren ein paar Stufen hinab in den Garten führten.

Oswald hatte sich, nachdem er einigen Herren und Damen vorgestellt war, die seine Verbeugung mit kühler Höflichkeit erwiderten, in eine der Fensternischen des Saales gestellt, von wo aus er die Ankommenden draußen und die Gesellschaft drinnen zugleich beobachten konnte. Es wurde ihm trüb und trüber zu Sinn. Er fing an bitter zu bereuen, daß er sich von Melitta hatte bereden lassen, dieser Gesellschaft beizuwohnen, als ein junger Mann mit einnehmenden hübschen Zügen und blauen, freundlichen Augen sich zu ihm gesellte.

Ich habe das Vergnügen, mit Herrn Doctor Stein zu sprechen? Oswald verbeugte sich.

Mein Name ist von Langen. Ich höre, daß Sie während der letzten Jahre in Berlin studirten. Haben Sie dort vielleicht die Bekanntschaft eines Herrn P. gemacht? Er war Philolog und von der Schule her mein sehr intimer Freund; es interessirt mich, zu erfahren, was aus ihm geworden ist.

Zufällig kannte Oswald den Betreffenden, und konnte so Herrn von Langen die gewünschte Auskunft geben. Die aufrichtige Theilnahme, die dieser junge Mann für einen Menschen an den Tag legte, der, wie Oswald wußte, außer vortrefflichen Anlagen und einem rastlosen Fleiß keine anderen Empfehlungen auf Erden hatte, machte auf Oswald einen sehr angenehmen Eindruck. Es sah es daher, trotz seiner innern Unruhe, nicht ungern, daß Herr von Langen große Lust zu haben schien, das angefangene Gespräch fortzusetzen; auch that es ihm wohl, in dieser Menge unbekannter Menschen einen zu haben, der seine Bekanntschaft gesucht hatte.

Wie wär's, Herr von Langen, sagte er nach einigem Hinund[183] Herreden, wenn Sie mir für die Auskunft, die ich Ihnen über einen Abwesenden geben konnte, Auskunft über einige Anwesende gäben. Wer ist zum Beispiel der alte Herr dort im blauen Frack mit den weißen Haaren und dem rothen Gesicht, der so entsetzlich schreit, als ob er sich Jemand, der auf der anderen Seite eines tosenden Wildbaches steht, verständlich machen wollte?

Das ist Graf Grieben, einer unserer reichsten Edelleute. Sie kennen doch die hübsche Anecdote, die ihm vor einigen Jahren mit dem König passirt ist?

Nein, wollen Sie sie mir erzählen?

Der König besucht auf einer Reise die nahe Hafenstadt. An der Landungsbrücke, wo sich die Spitzen der Behörden, der Adel und so weiter zu seinem Empfange eingefunden haben, hält des Grafen mit sechs herrlichen Braunen bespannte Equipage, auf jedem der Sattelpferde ein Jockey in der gräflichen Livrée. Der König bewundert die schönen Thiere. Alles eigene Zucht, Majestät, schreit der Graf mit einer kühnen Handbewegung. Die Jockey's auch? antwortete der witzige Monarch.

Nicht übel, sagte Oswald, und wer ist die große starke Dame mit den männlich-kühnen Zügen, die eben mit den drei schönen Mädchen in den Saal tritt?

Eine Baronin von Nadelitz mit ihren Töchtern. Sie ist eine Katharina von Rußland im Kleinen. Ursprünglich hütete sie die Gänse des Barons, ihres nachherigen Gemahls. Sie soll so wunderbarer schön gewesen sein, daß sich jeder Mann in sie verlieben mußte, und dabei so guten Herzens, daß nicht leicht Jemand, ohne gehört zu werden, von ihr ging. So soll die Ehe nicht die glücklichste gewesen sein.

Die Töchter sind auf alle Fälle sehr hübsch, sagte Oswald. Der Baron ist also todt?

Ja; seitdem hat sie, wie man zu sagen pflegt, die Hosen angezogen, das heißt diesmal in des Wortes ernstester Bedeutung. Ich selbst habe sie in Stulpenstiefeln und Inexpressibeln mit ihrem Inspector auf einem Felde gehen sehen, auf dem man bei jedem Schritt bis über die Knöchel einsank.[184]

Wer sind die beiden hübschen Mädchen, die jetzt Arm in Arm durch den Saal kommen?

Emilie von Breesen und Lisbeth von Meyen; sie sind erst letzte Ostern eingesegnet, und tragen, so viel ich weiß, heute zum ersten Mal lange Kleider. Soll ich Sie vorstellen?

Oswald antwortete nicht; denn in diesem Augenblick ging die Thür auf und von Herrn von Barnewitz begleitet, dessen Gesicht in der Erwartung der von ihm so fein eingefädelten Ueberraschung vor Freude glänzte, trat ein Mann in den Saal, dessen Erscheinung offenbar einige Sensation erregte. Die laute Stimme des Grafen Grieben verstummte, einzelne Herren steckten die Köpfe zusammen, und in dem Kreise der Damen um Frau von Barnewitz auf dem Sopha wurde es verhältnißmäßig still. Der Ankömmling war ein Mann von hohem, aber allzu schlanken Wuchs, dessen äußerst nachlässige Haltung das Mißverhältniß zwischen Höhe und Breite nur noch mehr hervortreten ließ. Auf dem langen Leibe saß ein kleiner Kopf, dessen wohlgerundeter Schädel mit einem kurzen, starken, schwarzen Haar bedeckt war. Ein Bart von derselben Beschaffenheit zog sich um Kinn und Wangen und Mund, so daß nur die obere Hälfte seines Gesichts dem Physiognomen zur ungehinderten Beobachtung blieb. Aber auf dieser Hälfte stand schon des Räthselhaften genug. Die Stirn war eher hoch als breit, aber von außerordentlich zarten und zugleich kühnen Linien umschrieben. Ein Paar wie mit dem Pinsel gezeichnete Brauen zogen sich in einer leichten Krümmung über einem Paar grauer Augen hin, deren Ausdruck in diesem Momente wenigstens, wo sie rasch über die Versammlung flogen, mindestens nicht angenehm war, eben so wenig wie das Lächeln, das wie Wetterleuchten an der feinen, geraden Nase mit den beweglichen Flügeln hinzuckte, und des Mannes ganze Antwort auf das lustige Geschwätz zu sein schien, mit dem Herr von Barnewitz ihn überschüttete, während er ihn von der Thür bis zu dem Platze der Dame vom Hause auf dem Sopha begleitete. Frau von Barnewitz erhob sich, den Ankömmling zu begrüßen, der ihr die Hand küßte und nach einer leichten Verbeugung gegen die anderen Damen sich[185] auf einen leeren Stuhl neben ihr sinken ließ und alsbald, ohne die Uebrigen weiter zu beachten, eine lebhafte Unterhaltung mit ihr begann.

Oswald hatte den Ankömmling mit dem Auge des Indianers, der den Spuren seines Todfeindes nachspürt, beobachtet, denn er hatte auf den ersten Blick jenen Reiter wieder erkannt, der ihm und Bemperlein im Walde begegnete. Es war der Baron Oldenburg.

Nun geben Sie Acht, sagte Herr von Barnewitz, auf Oswald zutretend und sich vergnügt die Hände reibend.

Ich bin ganz Auge, sagte Oswald mit einem nicht eben sehr natürlichen Lächeln.

Worauf sollen Sie Acht geben? fragte Herr von Langen, während Barnewitz sich zu einer andern Gruppe wandte.

Herr von Barnewitz hatte die Güte gehabt, mich auf Baron Oldenburg, der eben eintrat, als auf einen höchst interessanten Mann aufmerksam zu machen.

Ah, das ist Oldenburg? sagte Herr von Langen, ich kannte ihn noch nicht.

Da fuhr ein Wagen vor und Oswald erkannte in der Dame, die ausstieg, Melitta. Es war ein Glück für ihn, daß Herr von Langen in diesem Augenblicke die Sopharegion lorgnettirte, denn er hätte unmöglich seine Aufregung verbergen können. Die paar Minuten, die Melitta in dem Toilettenzimmer zubrachte, erschienen ihm wie eine Ewigkeit. Endlich trat sie durch die offene Thür herein, und Oswald schien plötzlich der ganze Saal mit Licht und Rosen angefüllt. Melitta trug ein weißes Kleid, das Busen und Schultern züchtig verhüllte, und den schlanken, schönen Hals mit einer feinen Krause umschloß. In weichen Wellen fiel ihr dunkles Haar auf die runden Schultern. Eine dunkelrothe Camelie, das war ihr ganzer Schmuck. Aber welches Schmuckes bedarf Schönheit und Anmuth – und Melitta's Erscheinung war so schön und anmuthig, daß ihr Eintreten eine noch größere Sensation erregte, als Oldenburgs. Die älteren Herrn unterbrachen ihr Gespräch, sie mit Herzlichkeit zu begrüßen; einige jüngere[186] Herren eilten ihr entgegen, um womöglich den zweiten Walzer, die erste Polka – nur einen Tanz, gleichviel welchen, zu erbetteln, und sie lächelte Alt und Jung freundlich zu, beantwortete hier eine Frage, verwies dort einen Stürmischen zur Geduld – während sie quer durch den Saal nach dem Sopha ging, sich den anderen Damen anzuschließen. Baron Oldenburg war, als Frau von Barnewitz aufstand, ihrer Cousine entgegenzugehen, ruhig, und ohne sich nach dem Gegenstand der allgemeinen Sensation umzusehen, den einen Arm über die Stuhllehne gelegt, sitzen geblieben. Da mußte Melitta's Name, von einer der Damen am Sopha ausgesprochen, sein Ohr getroffen haben; denn er sprang in die Höhe, wandte sich um – und stand Melitta, die von ihrer Cousine an der Hand geführt wurde, Angesicht gegen Angesicht gegenüber. Oswald war wie von einer magnetischen Kraft aus der Fensternische bis nahe an die Stelle gezogen worden, so daß ihm kein Wort, kein Blick entging. Er sah, daß Melitta erblaßte und ihre dunkeln Augen wie im Zorn aufflammten, als Oldenburg sich tief vor ihr verbeugte.

Ah, gnädige Frau, sagte er mit einem eigenthümlichen Lächeln, als wir uns zuletzt sahen, schien uns die Sonne Siciliens, und jetzt –

Scheint der Mond – wollen Sie sagen, entgegnete Melitta, und um ihre Züge spielte ein höhnisch-bitterer Zug, den Oswald noch nicht an ihr gesehen hatte, – umgekehrt, lieber Baron, als wir uns zuletzt sahen, schien der Mond, wissen Sie wohl noch, in dem Garten der Villa Serra di Falco bei Palermo? – und, da wir uns wiedersehen, scheint die Sonne, mir wenigstens.

Der Sinn dieser letzten Worte mußte wohl Jedem verborgen bleiben, nur nicht dem, für welchen sie gesprochen waren. Melitta hatte, indem sie sich halb umwandte, Oswald bemerkt, und ihm so freundlich zugelächelt, daß Herr von Barnewitz, der neben ihm stand, sich an der Ueberraschungsscene, die er so mühsam arrangirt hatte, zu weiden, ihn fragte: Kennen Sie meine Cousine schon?[187]

Ja, sagte Oswald, von ihm weg auf Melitta zutretend, und sie ehrfurchtsvoll begrüßend.

Ah! Herr Doctor, rief Melitta mit vortrefflich gespielter Ueberraschung, das ist ja köstlich, daß ich Sie hier finde. Denken Sie, Bemperlein hat schon geschrieben, Julius befindet sich sehr wohl – aber setzen Sie sich doch zu mir, daß ich Ihnen in aller Muße erzählen kann – Julius befindet sich vortrefflich – und ist in den fünf Tagen, wie Bemperlein schreibt, ein vollkommener Dandy geworden. Er hat schon einen großen Kinderball mitgemacht und mit der schönsten Dame, das heißt derjenigen, die ihm am besten gefiel, den Cotillon getanzt, den Cotillon – merken Sie wohl! trotz des heftigen Widerspruchs von einem halben Dutzend junger Herren.

Der Unglückliche, sagte Oswald, er wird sich dadurch eben so viele Duelle zugezogen haben.

Möglich, aber Sie wissen, Julius ist tapfer wie ein Löwe, und wird für die Dame seines Herzens Alles wagen. – Ah, Herr von Cloten! Sind Sie es wirklich? Ich hörte ja, Sie und Robin hätten sich auf der letzten Fuchsjagd die Hälse gebrochen!

Quelle idée, gnä'ge Fra'! Jedenfalls wieder Erfindung von Barnewitz. Teufelskerl, der Barnewitz! Befinde mich vortrefflich. Ah! ja – wollte gnä'ge Fra' um einen Tanz bitten, wo möglich Cotillon. Muß noch einen Versuch machen, ob gnä'ge Fra' nicht bewegen kann, mir den Brownlock zu verkaufen.

Non, mon cher, zu diesem liebenswürdigen Zweck bekommen Sie keinen Tanz, am wenigsten den Cotillon. Wenn Sie mir aber den Brownlock in Frieden lassen wollen, so sollen Sie den ersten Contretanz haben. Zum Cotillon bleibe ich so wahrscheinlich nicht hier. Sind Sie zufrieden.

Ah! gnä'ge Fra' – zufrieden! quelle idée! glück lich – selig.

Mein Gott, Herr von Cloten, beruhigen Sie sich nur. Haben Sie schon ein vis-à-vis?

Nein, gnä'ge Fra – gleich suchen![188]

Hier, bitten Sie den Doctor Stein – erlauben die Herren daß ich Sie –

Ah, hatte schon das Vergnügen, sagte der Dandy, Oswald, der einen Schritt von ihm entfernt gestanden hatte, scheinbar zum ersten Male bemerkend.

Desto besser, sagte Melitta, die Herren sind also einig?

Von Cloten und Oswald verbeugten sich gegen einander, und dann vor Melitta, die sie mit einer graziösen Handbewegung verabschiedete, um mit den zunächst sitzenden Damen ein leichtes Geplauder über die neuesten Moden anzufangen.

Oswald war wieder zu Herrn von Langen getreten, der ihm zu der Bekanntschaft mit Melitta gratulirte: Ich bewundere Sie, sagte der junge Mann, daß Sie so ungenirt mit ihr sprechen können; ich hätte nicht den Muth dazu.

Sie scherzen.

Auf Ehre, nein. Die Frau hat etwas in ihrem Blick und in ihrer Stimme, was einem um das Heil seiner Seele bange machen möchte. Ich weiß, es geht mir nicht allein so.

Vielleicht bin ich um das Heil meiner Seele weniger bekümmert, sagte Oswald.

Unterdessen hatte Oldenburg, während er sich unbefangen mit einigen Herren zu unterhalten schien, in einem hohen Spiegel die Gruppe um Melitta genau beobachtet.

Sieh da, Cloten! wie geht's, mon brave! sagte er, sich schnell zu dem Angerufenen umwendend, als dieser in seine Nähe kam.

Baron Oldenburg! Auf Ehre, hätte Sie kaum erkannt mit dem horribeln Bart.

Horribel, mon cher! Machen Sie mich nicht unglücklich; ich pflege ihn nun schon drei Jahre und habe ihn mich wenigstens eine Million kosten lassen.

Ah, Spaß, sagte der Dandy, seinen blonden Schnurrbart streichend.

Upon my word and honour, sagte Oldenburg; die Sache ist einfach die: Ich lernte in Cairo eine englische Familie kennen, mit der ich noch mehrmals auf dem Nil zusammentraf;[189] ich war so glücklich, ihr einige nicht unwesentliche Dienste leisten zu können. Die Familie bestand aus Vater, Mutter und einer einzigen Tochter – aber welcher Tochter! mon cher, ich sage Ihnen –

Ah, ich verstehe! sagte Herr von Cloten; reines Vollblut. Diese englischen Misses jottvoll – schön – sah mal eine in Baden-Baden, werde mein Lebtag nicht vergessen.

Gerade so sah meine Mary auch aus, sagte Oswald.

Nicht möglich!

Verlassen Sie sich drauf. Alle englischen Misses gleichen sich wie eine Lilie der andern. Eh bien! Das Mädchen verliebt sich in den Retter ihres Lebens. Der Vater ist mir geneigt, die Mutter günstig. Ich war zwar kein Millionär, wie Mr. Brown, dafür war er aber auch nur ein in Ruhestand getretener Eisenhändler; und ich ein alter, deutscher, weiland reichsfreier Baron. Genug, wir werden Handels einig. Da sagt Mary eines Abends – es ist mir, als wäre es heute – wir saßen im Mondschein auf der Terrasse des Tempels von Philä und blickten träumend über den stillen Fluß und leerten Tropfen um Tropfen den diamantgeränderten Becher der Liebe. Da sagte sie, ihre weichen Arme um mich schlingend, – o Gott, wie deutlich ich noch immer diese Stimme höre! – Adalbert, sagte sie. – Was, Holde, sagte ich. – Adalbert, pray dearest love, cut off your horrible beard – it's so vulgar.

Ah, ja, jottvoll, jottvoll – diese englischen Misses; aber was heißt's denn eigentlich?

Es heißt: Adalbert, mein Junge, laß Dir den Bart scheren, Du siehst schauderhaft gemein darin aus.

Verdammt.

Das sagte auch ich. Sie bat, sie beschwor mich; endlich lag sie sogar vor mir auf den Knieen. Ich blieb fest, wie der Koloß Memnons. Da sprang sie empor, und sich bewaffnend mit dem ganzen Stolze Englands, die Hand zum sternengeschmückten Himmel erhebend, rief sie: Sir, either you cut off your beard, or I must cut your acquaintance.

Then, cut my acquaintance! sagte ich.[190]

Famos, sagte von Cloten; was sagte sie?

Mein lieber Herr, sagte sie, Sie scheren sich entweder den Bart, oder Sie scheren sich zum Teufel.

Verdammt; und Sie?

Ich sagte: Fräulein, ich habe geschworen, daß ich das Weib verachten und mit dem Manne auf Leben und Tod kämpfen will, der mir mit Worten oder in Wirklichkeit an meinem Bart zupft.

Merkwürdig; das Alles sagten Sie in den drei Worten?

Ja, die englische Sprache, wissen Sie, ist wunderbar kurz. Apropos, wer ist denn der junge Mann, mit dem Sie vorhin sprachen, er steht jetzt dort an der Thür zum andern Zimmer mit dem alten Grenwitz.

Ja, rathen Sie einmal.

Wie kann ich das rathen? Ich vermuthe, daß es Felix von Grenwitz, sein Neffe, ist.

So dachte auch ich. Und nun denken Sie, cher Baron, der Mensch ist ein Bürgerlicher, heißt Stein, Doctor Stein, glaube ich, und ist, nun rathen Sie einmal!

Nach dem Entsetzen, das sich in Ihren Zügen malt, zu schließen, vermuthe ich, daß der junge Mann der Scharfrichter von Bergen ist.

Scharfrichter! Quelle idée! Welch' sonderbare Einfälle Frau von Berkow und Sie immer haben. Nein – Hauslehrer bei Grenwitz – ist das nicht wunderbar?

Ich kann nicht besonders Wunderbares in der Sache finden. Es muß auch Hauslehrer geben, wie es Arbeiter in den Arsenikgruben geben muß, obgleich ich für mein Theil weder das Eine noch das Andere sein möchte.

Aber der Mensch sieht beinahe genteel aus?

Beinahe genteel? Lieber Freund, er sieht nicht nur beinahe genteel aus, sondern ausnehmend genteel, genteeler, als irgend einer der Herren hier im Saale, Sie selbst und mich nicht ausgeschlossen.

Ah, Baron, Sie sind heute wieder einmal in einer jottvollen Laune.[191]

Meinen Sie? freut mich. Das verhindert mich indessen nicht, den Mann ausnehmend genteel aussehend zu finden. Ja, was in Ihren Augen wohl noch mehr ist, er hat nicht nur das Characteristische, welches die geborenen Vornehmen auf der ganzen Erde auszeichnet, sondern den speciellen Typus des Adels dieser Gegend.

O, in der That, ich denke Typus ist eine Krankheit.

Typhus, mon cher! Typus ist, wenn mehrere Leute dieselben Nasen, Stiefel, Augen und Handschuhe haben. Nun sehen Sie selbst, ob nicht Alles und noch mehr bei dem Doctor Stein stimmt; zum Beispiel im Vergleich mit Ihnen, der Sie doch gewiß alles Specifische des Adels in der höchsten Potenz in und an sich entwickelten. Er ist schlank und gut gewachsen, wie Sie, nur einen halben Kopf höher und ein paar Zoll breiter in den Schultern, er hat dasselbe hellbraune gelockte Haar, nur daß Sie sich Ihre Haare entschieden brennen lassen, und die seinen, wie mir scheint, natürlich gelockt sind; er hat blaue Augen, wie Sie, und Sie werden selbst zugeben, daß diese Augen groß und ausdrucksvoll sind.

Ah, ja – ich gebe zu, daß er ein verdammt hübscher Kerl ist, sagte der ärgerliche Dandy, einen scheelen Blick auf den Gegenstand seiner unfreiwilligen Bewunderung werfend.

Nun, und was sein Auftreten anbelangt, fuhr Oldenburg fort, so gäbe ich meinestheils eines meiner Güter darum, wenn ich mich mit diesem Anstande, dieser Grazie bewegen könnte.

Das ist stark, weshalb?

Weil die Weibsen in einen schmalen Fuß, ein wohlgeformtes Bein und so weiter vernarrt sind. Solche hübsche Puppen, wie der Doctor, sind geborene Alexander; sie fliegen von einer Eroberung zur andern, und sterben auch meistens jung zu Babylon.

Gott, Baron, welch' liebenswürdiger Mensch Sie sein würden, wenn Sie nur nicht so schauderhaft gelehrt wären!

Meinen Sie? Möglich! Es ist ein Erbfehler; meine selige Mutter hat während ihrer Schwangerschaft außer dem Rennkalender des betreffenden Jahres auch noch einen oder den[192] anderen Roman gelesen. So erklären sich die paar menschlichen Züge in meiner Natur.

Wollt Ihr Herren meine neuen Pistolen mit einschießen helfen? fragte Herr von Barnewitz, der eben herantrat.

Ich denke, es soll getanzt werden, antwortete Cloten.

Später. Du kommst doch mit, Oldenburg?

Versteht sich! Du kennst ja meinen Wahlspruch: aux armes, citoyens!

Quelle:
Friedrich Spielhagen: Sämtliche Werke. Band 1, Leipzig 1874, S. 173-193.
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