Neuntes Kapitel.

[189] Ein wenig Lieb' ist karg und leer,

Ein wenig Lieb' ist keine;

Viel Lieb' ist eben auch nicht mehr;

Lieb' ist die völlig Eine,

Lieb' ist nicht wenig und nicht viel,

Deine Lieb' ist ohne Maß und Ziel.

St. Schütz


»Leb' wohl, mein süßes Kind! Gott behüte Dich, arme Maid!« hatte Dagobert bei seinem Abschiede zu Esther gesprochen, und dieses einfache herzliche Lebewohl war der Verlaßenen fest im Gedächtniß geblieben. An jedem Tage wiederholte sie wohl tausendmal die Worte ihres Beschützers, wie ein frommes Gebet, denn sie schienen ihr einen unfehlbaren Segen zu enthalten. Die gute Crescenz, die – ein seltnes Beispiel in ihrer finstern Zeit – Dankbarkeit höher achtete, denn Vorurtheil, bemühte sich, an Esther aus Kräften zu vergelten, was sie von[189] deren Vater empfangen, und war treu in der Sorgfalt, die sie dem scheidenden Junker Dagobert gelobt hatte. Auf diese Weise konnte es denn geschehen, daß Esther auf dem Schellenhofe einige Tage verlebte, so ruhig, als sie nur, den Umständen nach, seyn konnten. In einem versteckten Giebelstübchen hausend, von niemand bemerkt. Allen im Hause fremd, – die gutmüthige Pflegerin ausgenommen – hatte sie völlige Muße, ihres treuen Freundes zu denken, und ihres armen Vaters, den sie nicht sehen zu wollen dem Junker, welcher für ihre eigne Freiheit zitterte, hatte versprechen müssen. Sobald jedoch die Dämmrung heranschlich, durfte sie auch von den Gegenständen ihrer Liebe sprechen, denn Frau Crescenz nahm alsdann Platz an ihrer Seite im traulichen Kämmerlein, und geschwatzt wurde von der Vergangenheit und gebaut auf die Zukunft. Wollte nun auch Estehr's Vertrauen auf diese letztere wanken, so war die fromme Hauswirthin bereit, mit unzähligen Trost- und Denksprüchen dieses Vertrauen zu befestigen, erinnerte die Zagende an die Unschuld ihres Vaters, die denn doch gewiß, wie Alles, an den Tag kommen müßte, an den Freund, den ihr die Vorsicht zugesandt, und an die unendliche Gnade Gottes, die auch an ihr sich wunderthätig erweisen werde. – »Glaube mir;« sprach die wackre Alte dann: »was auch Deine Rabbiner sagen mögen, – Ihr habt keinen andern Gott, denn wir. Er ist der Einzige der alle Mensch mit gleicher Liebe umfaßt. Es ist freilich ein Unglück, daß Du noch in den Irrthümern Deiner Glaubensbrüder verstrickt liegst, allein[190] der Herr wird Euch schon davon befreien, wann es zu Euerm wahren Heil seyn wird. Ich denke, Euerm Beschützer, der sich ja ohnehin der heiligen Kirche zu weihen hat, wird das fromme Werk Eurer Bekehrung vorbehalten seyn, und einen bessern Täufer findet Ihr niemals. Bis dahin tröste Dich jedoch mit dem Beispiele andrer Unglücklichen, die aus ihren tiefen Nöthen zum Herrn emporschreien und seufzen, je nachdem sie ihr Elend offenkundig machen dürfen, oder geheim halten müssen. Geld und Gut macht nicht glücklich, die liebe Gesundheit des Leibes sogar nicht, aber die weit bessre Gesundheit der Seele und des Gewissens, die Zufriedenheit in Herz und Haus. Sieh nur einmal die Eltern unsers ehrsamen Junkers Dagobert: Reichthum die Hülle und Fülle, und doch nicht glücklich, nicht einig.« – »Esther horchte auf, und fragte nach der Ursache. Crescentia schüttelte bedeutend den Kopf, und meinte, Gerüchte wie sie des Pöbels lügenhafter Mund ersinne, zu wiederholen, gezieme einer gottesfürchtigen Frau nicht.« – »Meine Else hat mir auch mehr des Unheils ahnen lassen, als wirklich erzählt;« setzte die Alte bei: »aber ein böser Wurm muß an dem Leben und dem Frieden der beiden Eheleute nagen. Sie sind, wenn gleich von derselben Mauer umschlossen, getrennt in ihrem eignen Hause, und der Himmel weiß, welch Unheil noch aus all den bösen Vorzeichen sich entwickeln wird. Eh, als eine treue Dienerin des Hauses, baue fest auf die Vermittlung des jungen Herrn, der wohl bald im Kleide des Friedens zwischen die beiden treten und sie versöhnen wird.« –[191] »Jawohl!« bekräftigte Esther mit schwärmerischem Ausdruck: »Er ist ja ein versöhnender Engel! ein gar holder lieblicher Diener des barmherzigsten Herrn, wie er sie nicht häufig zur Erde niedersendet.« – »Du sprichst ja fromm und zart, wie ein heiliges Buch!« bemerkte Crescenz wohlgefällig lächelnd: »Wandle fort in dieser Bahn, so wirst Du bald den Herrn in seiner reinsten Glorie erkennen lernen. Verehre immerhin den tugendhaften Junker als einen Heiligen und liebe ihn wie einen solchen. Es ist völlig in der Ordnung, daß er sich nimmer ehelich verbinden darf. Er gehört nämlich unter die seltnen Männer, die zu edel sind, um blos als Männer geliebt zu werden. Meinst Du nicht auch?« – Verschämt und stumm gab ihr Esther vollkommen Recht, insofern ihr Haupt nickte. Was aber auf dem Grunde ihres Herzens vorging, mochte sie der freundlichen Wirthin doch nicht enthüllen. Sie mochte ihr nicht entdecken, wie Dagobert so ganz der Abgott ihrer Seele geworden, wie sie sich sehne, ihn zu umfangen hier auf der Erde wie jenseits in den Himmeln. Sie mochte ihr nicht gestehen, daß selbst des Vaters Leiden nicht den Sturm in ihrer Brust erregten, als der einfache Gedanke, es möchte dem geliebten Dagobert auf seinem Zuge ein Leid begegnen. Zerrissen von herbem Kummer, und beseligt von verschwiegener Liebe verschloß Esther den Schmerz und die Lust ihrer Abgeschiedenheit in sich, um flehte täglich zu dem Gott ihrer Väter um die Erfüllung ihrer heißesten Wünsche: um Dagobert's Rückkehr, um Ben David's und Jochai's Befreiung durch des Edeln Hülfe[192] und Macht, um ungestörte Verborgenheit bis zu diesem ersehnten Zeitpunkte. Diese Verbogenheit aber konnte sie dem Geschick nicht abringen. Am folgenden Tage wurde Crescentia, da sie gerade ihrer Schutzbefohlnen das Vesperbrod gebracht hatte, durch den Klang der wohlbekannten Thorschelle abgerufen, um einen Besuch zu empfangen. Esther, deren Busen hoch schlug in der Erwartung des Geliebten, lauschte an der Treppe, ob nicht die erfreuliche Stimme des Junkers unten laut würde. Sie hörte Reden aus männlichem und weiblichem Munde wechseln, und endlich in Crescentia's Wohnstube verhallen, und bereits wollte sie, mißmuthig über die Täuschung ihres sehnsuchtvollen Herzens, in ihre Klause zurückkehren, um sich einzuriegeln, als ein leiser knisternder Schritt sich auf den Treppen hören ließ, die zu ihrem Versteck führten. Die Hoffnung erneute sich in ihrer Brust. O gewiß! dachte sie, ... o gewiß ist er zurückgekehrt, und gedenkt mich zu überraschen mit einer Fülle von Seligkeit, mit seinem wonnigen Anblick, Leise erklimmt er die Stufen, um wie eines Schutzengels Erscheinung plötzlich vor mir zu stehen; aber er soll mich vorbereitet finden. Er soll sehen, daß ich nur an ihn denke, daß meine Sinne nur nach ihm gerichtet sind, daß ich durch mein dankbares Vertrauen seines Schutzes werth geworden bin! –

Erfüllt von diesen entzückenden Gedancken beugte die Lauschende dem Nahenden über die Spitze der Treppensäule den Kopf entgegen, und blieb stehen wie ein in gebückter Stellung ausgehauenes Steinbild, da der Anblick, welcher sich ihr darbot, ihr[193] alle Kräfte zum Fliehen für den Augenblick benahm. Denn nicht Dagobert's blühendes Antlitz, umwallt von braunen Locken, – ein Rothkopf mit blassem häßlichem, aber wohlbekanntem Angesichte schaute sie an. »Ei, Schickselchen,« flüsterte der Häßliche, in welchem der abscheuliche Zodick nicht zu mißkennen war: »ei, lieb Estherchen! Sind' ich Dich endlich? O Du bös Vögelein! hast Du doch endlich nicht entkommen mögen dem Vogelsteller, der so lange hat geharrt umsonst?« – Der Mensch stand nun lebensgroß vor der Versteinerten, und gab ihr das Leben wieder, da er es versuchte, ihre Hand zu ergreifen. »Zurück! Gräßlicher!« rief sie mit vor Entsetzen halb erstickter Stimme: »Du wagst es? Diese Hand, die meine Väter ermordet, wagt's, mich zu berühren? ..« – Zodick gebot ihr mit einer halb spöttischen, halb drohenden Geberde Schweigen, und zog sie in die offne Thüre der Giebelkammer. »Laß ein vernünftig Wort finden Platz in Deinem Ohre;« ermahnte er mit leiser Stimme: »kümmre Dich nicht um das, was ich unternommen gegen Deinen Vater und Jochai. Solche Dinge gehören nicht für das Weib, und ich werde verantworten alles, so ich gethan, an jenem Tage des Zochs und der Barmherzigkeit.« – »Laß ab von mir,« seufzte Esther »wie kömmst Du hieher, ungetreuer Sohn Jakob's? welch böser Fürst des Unglücks hat Dir verrathen, wo ich athme?« – »Zwei scharfe Diener meines Willens;« entgegnete Zodick: »meine beiden hellen Augen. Beruhige Dich. Nicht von heute erst ist die Entdeckung. Ich schlich Euch nach, da Ihr diesen[194] Schlupfwinkel suchtet, Dein Buhle und, Du.« – Esther erblaßte. – »Beruhige Dich, sage ich noch einmal,« wiederholte Zodick scharf: »daß ich bis jetzo Dich nicht an die Gojim verrieth, die Deiner Freiheit Ketten schmieden möchten, sey Dir Bürge, daß ich Dich noch nicht verrathen will.« – »Lügner!« zürnte Esther. – Er fuhr jedoch kalt und gemessen fort: »Ich spreche die Wahrheit. Ich will nicht gehen gerade von hier, wenn ich lüge. Warum sollte ich auch gehässig seyn Dir, die ich zur Frau machen wollte, ehe der Goi Deine Gunst errang? Hast Du doch nicht den Christenknaben gekreuzigt, und nicht erschlagen den Friedberger. Hast Du Dich versündigt mit einem Edomiter, ist es Deine Sache allein, und Deinem Geschlechte der Treubruch angeboren. Schon Hera hat gefrevelt vor dem Gesetz. Warum nichts Du? Die Obrigkeit würde Dich deßhalb auf den Scheiterhaufen setzen, aber ich vergebe Dir.« – »Welche. Sprache?« fragte Esther entrüstet: »Bist Du gekommen, meiner zu spotten, ehe Du mich dem Henker überlieferst? Geh' oder ich rufe nach Hülfe.« – »Und bereitest dadurch Dein eigen Verderben;« ergänzte Zodick boshaft: »thue es doch ja. Es sitzt ein Gast bei der alten Beschließerin, der es nicht ungerne sähe, wenn er mit der Verführerin seines Sohns bekannt würde. Herr Diether Frosch nämlich, der Altbürger. Verloren bist Du, gibst Du einen Laut von Dir. Ich verhafte Dich dann im Namen der Obrigkeit.« – »Barmherziger, hochgelobter Gott!« klagte Esther die Hände ringend: »Entziehe mir nicht gänzlich Deine Huld! Laß mich nicht umkommen in den[195] Schlingen meiner Feinde. Oder, .. wär' es nicht besser, ich theilte die Fesseln meines Vaters, als daß ich hier noch kurze Frist athme unter der Faust des unmenschlichen Henkers?« – »Oder, ..« äffte Zodick nach ... »wär' es nicht besser, ich gäbe mich gutwillig in die Fesseln des Schultheißen, als daß ich schmachte noch länger ohne Liebeskuß und Spiel, wie eine Wittib?« – Esther erschrak mehr über die Mahnung an des Schultheißen Sinnlichkeit, als über die rohe Beleidigung, die sie aus diesem Munde erwarten mußte. Der Abtrünnige fuhr aber fort: »Bist Du klug, Estherchen, so schweigst Du, und vertraust auf meine Güte. Ich hab' es überlegt: Du bist zu schön und zu holdselig für die lüsternen Richter aus Amalek. Ich gönne Dich ihnen nicht; aber auch dem jungen Goi gönne ich Dich. Der Bube hat mich einst geschlagen mit Faust und Kolben, und das vergesse ich ihm nie, so wahr ich gedenke meines Vaters, dem das Paradies sey. Denn es heißt: ›Wer einen schlägt aus dem Volke Israel, dessen Stamm wird verdorren und sein Geschlecht ausgerottet werden mit der Schärfe des Schwerts, oder durch den Strahl des Himmels.‹ Was der Herr bös gemacht hat durch meine Hand und meinen Mund, will er wieder gut machen auf dieselbe Art. Ergib Dich mir zum Weibe, und Ben David soll nicht sterben; – auch Jochai nicht,« setzte er nach einigem Bedenken hinzu. – »Esther starrte ihn unbeweglich an und stumm empört.«

»Besinne Dich nicht lange;« fuhr er fort: »gemessen ist die Zeit. Kurz ist nur der Augenblick, der mir erlaubt hat, Dir zu nahen. Seit manchem Tage[196] umschleiche ich das Haus, aber immer liegt die Pforte im Riegel, oder das alte Weib steht daran wie der feurige Wächter am Paradiese. Die Ankunft des Herrn hat auch meine Einkehr begünstigt. Aber lange darf ich nicht weilen, sollst nicht Du verloren seyn. Entscheide also. Gib auf den Goi, dem die Hölle sey, und rede zu mir, wie die Braut zum Verlobten.« – »Unsinniger Bösewicht!« erwiederte Esther heftig, und entzog sich seinen Armen: »Welch ein Wahnsinn blendet Dich. Weißt Du nicht, daß des Scheiterhaufens Flamme mir willkommner wäre, als eine Liebkosung aus Deinem Munde? Hinweg! thue was Du willst, aber ich sterbe eher, ehe ich Dein sündlich Verlangen erwiedre.« – »Gemach! gemach!« flüsterte Zodick, dessen linkes Ohr beständig gegen die Treppe gespitzt war: »Estherchen, geberde Dich doch nicht wie die krumme Schlange.« Warum eiferst Du also? Sehe ich doch hier nichts Besondres. Du bist einst gewesen die Tochter des reichen Ben David, und ich Dich Knecht, den Du verschmähtest. Jetzt bist Du das Kind eines zum Tod verdammten armen Sünders, und ich hingegen mehr als Du; nämlich ein Christ. Die schlechte Jüdin sollte sich's zur Erde rechnen, bewirbt sich ein Bekehrter um sie. Allein sie gedenkt von liebrer Hand die Taufe zu empfangen. Ich merke das. Wie dem auch sey. Dein Sträuben hilft nichts, und nicht Deiner Schmähungen ergiebige Quelle. Bei meines Vaters Gebet und Todeskampf! Ich hole Dich heim, ehe noch des Mondes Scheibe sich füllt; magst Du mich nun erwarten, geschmückt wie die Braut, oder thränend wie das[197] gebundne Opferthier. Hoffe nicht, mir zu entrinnen, denn es heißt: »Dem Falken gehört die Welt, und meinem Falkenblick wie meinen Spähern entkömmst Du nicht.« – »Mensch!« stammelte Esther, Todtenblässe auf den Wangen: »Was willst Du beginnen in Deiner tollen Grausamkeit? Hast Du geschworen zu verderben mein Geschlecht, so ermorde mich. Kannst Du erringen Geld und Belohnung, so verrathe mich an das Gericht. Welchen Vortheil bringt Dir's aber, so Du mich quälst mit Zumuthungen, deren Gräßlichkeit mir den Tod wünschenswerth macht?«

»Närrchen!« lachte Zodick hähnisch: »Du wirst mich kennen lernen besser, denn bisher. Leb wohl, und setze all Deine Hoffnung auf mich. – Noch eins!« setzte er bei, an der Thüre umkehrend: »ich habe versprochen Deinem Vater, zu bringen von Dir ein Zeichen des Lebens und des Wohlseyns. Der hochgelobte Gott will, daß ich ihn dadurch tröste in der Nacht seines verdienten Kerkers. Gib mir den Ring Deines Fingers, oder die Flechtenspitze von Deinem Haupte, auf daß sie Zeugniß geben für mich bei Deinem Vater!« – Esther sah den Menschen lange und forschend an. »O sage mir, Zodick,« sprach sie alsdann: »rede, und sage mir, wer Du bist, eigentlich und wahr. Ob ein Abschaum der Verworfenheit, auf welchem immer die Lüge schwimmt, oder ein wahnsinniger Thor, den der Herr geschlagen, daß er die Welt unglücklich mache durch seine bösen Träume und giftigen Reden, oder aber ein cerblendeter unglücklicher Mensch, der böse handelt[198] aus Rache und Haß, und gern wieder gut handeln möchte, um seinem bessern Theile zu genügen, und dem Gesetze, und dem empörten, zagenden Gewissen? Der Erste scheinst Du zu seyn, da Du Unschuldige in den Kerker legst, und durch falsche Eide den Tod herabrufst auf ihr Haupt; als den Zweiten gibt Dich Dein Erscheinen kund in dieser Kammer, und die Reden, die Du darin ausgestoßen; aber zugleich möchte ich Dich für den Letzten halten, so Du mir betheuern könntest, daß keine Hinterlist hinter Deinem Begehren lausche.« – »Wofern ich nicht habe versprochen Deinem Vater, ihm zu bringen ein Pfand Deines Lebens und Deiner Freiheit,« hob langsam und beschwörend Zodick an, – »so will ich verkrummen und werden wie ein lahmer Wurm, der im Staube verscheidet. Die Seligkeit meines Vaters soll von ihm genommen seyn und dessen unstäte flüchtige Seele zurückkehren zu dieser Welt, um mich zu peinigen durch sieben Ewigkeiten, und alle Blutschuld von Israel und Edom falle über mein Haupt zusammen wie die Felsen von Josaphat. Also geschehe mir, wofern ....« – »Halt ein mit dem gräßlichen Schwur, der den Ungläubigsten überzeugen müßte von der Wahrheit dessen, was Du gesagt!« unterbrach ihn Esther schaudernd, indem sie mit schneller Hand eine Locke vom Haupte schnitt, und sie dem falschen Boten hinreichte: »Da; nimm, räthselhafter Mensch, der bald die Hölle selbst in sich erschließt, bald eine menschliche Regung kund gibt. Bringe den armen Gefangnen in Babylon Trost durch dieses Zeichen, und laß den hochgelobten Gott Deine Seele lenken, daß Du[199] er wachsen mögest aus dem Schlummer der Sünde, und widerrufest, was Du gelogen und falsch beschworen. Zodick!« fuhr sie fort, da er stumm und stier, wie nachsinnend vor sich hinsah, und sie dieses Schweigen für eine menschliche Rührung nahm: »Zodick! Höre mich! Noch habe ich mich nicht herabgelassen, zu flehen bei Dir; heute aber thue ich es. Höre den Jammer eines Kindes, das seinen Vater sieht sterben in Noth und Pein. Auch Du willst einst Vater werden. Laß Dich rühren das Schicksal Ben David's, Deines väterlichen Freundes. Nimm sie zurück, diese Anklage, die drei Menschen erbärmlich hinwürgt, wie schuldlos gepeinigte Lämmer.«

»Schweige!« entgegnete Zodick überrascht: »Das geht nicht; aber, Gott soll mir helfen, das Ärgste will ich treiben ab, so Du mir sagst: Massal tosch!« –

Mit einem Blicke des Abscheus wendete sich Esther ab, und der freche Brautwerber drohte ihr grinsend mit dem Finger: »Was man oft verweigert in Güte,« murmelte er spottend, »das gewährt man oft der Gewalt. Gute Feiertage, Schickselchen. Wir sehn uns wieder. Denk an mich.« –

Mit der Schnelligkeit eines Kobolds huschte der Mensch über die Treppen hinunter, und entkam glücklich, wie sich aus der Ruhe des Hauses schließen ließ. Statt seiner fand sich bald die alte Crescentia ein, und weckte Esther aus den bösen Träumen, in welche sie der Besuch des gefürchteten Zodick versetzt hatte. – »Gute Esther,« sprach die Frau, nicht ohne eine kleine innere Bewegung zu verrathen: »ich bitte Dich, ja recht ruhig Dich hier oben zu verhalten,[200] damit Deine Unwesenheit nicht kund werde.« – Nun erst fiel Esthern der Besuch des alten Diether ein, und aufschreckend fragte sie: »Bin ich entdeckt? Hat mich Herr Frosch ausgekundschaftet?« – Crescenz schwieg ein wenig betroffen, dann entgegnete sie: »Ei, ei, Mägdlein, wie kannst Du wissen, daß Herr Frosch der Altbürger hier gewesen, wenn Du nicht gelauscht hast an der untern Treppe? Diese Neugierde ist euch Juden angeboren, hätte Dich aber diesmal in große Gefahr bringen können. Der alte Herr war ohnehin so aufgeregt und unwirsch, ... und wenn er vollends Dich gesehen, – erfahren hätte, wen ich hier ohne sein Vorwissen beherberge .... – beim Stöcker säßest Du, und ich wäre um den kommlichen ruhigen Dienst.« – Esther erwiederte nichts, da sie es nicht gerathen hielt, den gehabten Besuch anzuzeigen, und die geschwätzige Crescenz fuhr fort: »Zum Glücke hat es diesmal nicht Dir gegolten, Du mein armes neugieriges Heidenkind; aber neue Hausbewohner hat der Herr auf den Schellenhof gebracht, und da dieselben gerade unter dieser Giebelstube ihren Sitz aufgeschlagen haben, so empfehle ich Dir leise Socken und ein hübsches feines Schweigen.« – »Neue Hausbewohner?« fragte Esther: »Herr Diether Frosch hat sie gebracht?« – »Jawohl;« seufzte die Alte, und schlug, achselzuckend gen Himmel sehend, ein Kreuz: »Die Welt wird immer böser und verdrossener von Tag zu Tage. Komm' ich mir doch beinahe vor, wie der Gefängnißwärter hüten, die man in der Stadt nicht wohl aufheben mag.« – Esther seufzte[201] tief auf. – »Nu, nu,« fuhr die Alte fort: »das soll Dir nicht zum Gehör geredet seyn, mein Däuschen. Du bist, abgerechnet, daß Dein Vater ein Jude ist, wofür Ihr beide, er und Du nichts könnt, ein seines reines Mägdlein, und ich wollte auf Deine Ehrbarkeit einen Eid schwören, blos allein, weil Junker Dagobert Dich seines Schutzes würdigt; allein die da unten ist nicht mehr rein wie der Schnee und die Apfelblüthe an meinen Bäumen, und ich wollte alles verwetten, daß in ihr der Grund alles Zwiespalts im Froschiachen Hause aufzusuchen ist.« – »Wer ist diejenige, von welcher Ihr sprecht?« fragte Esther. – »Die Magd ist's, die so eben der alte Diether hieher geleitet, und sammt einem holden Töchterlein in meine Verwahrung gegeben hat, bis auf weiteren Befehl. Er nimmt Antheil und Sorge an dem Töchterlein, sagt er, und ich glaube es wohl, denn man müßte blind seyn um nicht die Wahrheit zu errathen. Er findet es nicht gerathen, das Mägdlein und deren Mutter in seinem eignen Hause zu beherbergen. Das meine ich auch, sintemalen die Hausfrau daselbst das Regiment führt, und solche vom Himmelgefallene Kinderleins mit scheelen Augen ansehen würde. Da soll denn nun mein guter ehrlicher Schellenhof das Nest seyn, wo fremde Eier, Kuckuckseier, verwahrt werden mögen.« – »Aber, was bedeuten denn diese Reden?« fragte Esther: »was meint Ihr damit?« – »Daß den alten Herrn der Leidige zu unrechter Zeit geblendet hat,« eiferte die fromme Crescentia; »und daß hier die Schande verborgen werden soll. Meinethalben; ich bin eine[202] alte Magd, und mich kümmert nicht, was die Herrschaft thut oder läßt; ich sehe daher auch ganz ruhig zu, und will, – dem Befehl des Herrn zu folgen, sogar mich bezähmen, und die Dirne, die gleichmüthig dasitzt wie die Unschuld selbst, nicht einmal ausfragen, sondern die Sachen gehen lassen, wie sie eben können, aber, wenn die ehrsame Frau heraus kömmt, wie sie in jedem Frühling ein Paarmal zu thun pflegt, und mich die Stuben aufsperren heißt, und die ganze Bescheerung sieht, dann wasche ich meine Hände in Unschuld, und dem alten Herrn von sechzig Jahren und darüber, dem ich stets etwas Besseres zugetraut hätte, geschieht dann recht. – Aber,« setzte sie, plötzlich leicht erröthend hinzu: »da bemerke ich so eben, daß ich in der Fülle meines Herzens und meiner Gedanken alles herausgesprochen habe, was ich mir als Wahrheit einbilde. Das will sich für eine alte treue Wächterin nicht wohl geziemen. Du magst es jedoch der Geschwätzigkeit des Alters zu Gute halten, und es wieder vergessen. Besonders empfehle ich Dir, gegen den Jungherrn bei dessen Rückkehr nicht das geringste merken zu lassen, denn Kinder müssen nichts erfahren von den Verirrungen ihrer Eltern, selbst nicht einmal so würdige und wackre Söhne, wie Junker Dagobert.« –

Als die Alte hinweggegangen war, setzte sich Esther in einen Winkel, und machte ihrem gepreßten Herzen durch einen Strom von Thränen Luft. »Wie unglücklich bin ich!« klagte sie still und leise vor sich hin: »Und wie kommt es, daß mir jetzt gerade einfällt das wahrsagende Wort, so einst der Altvater[203] Jochai zu mir gesprochen, da er mich warnte vor der Hinneigung zu den Bekennern des Gekreuzigten? Hat er nicht damals vor meinen Augen gestellt das Schicksal der Engel Asa und Asael, denen es gelüstete nach Bräuten der Erde? Seit Jahrtausenden schweben die Armen zwischen Himmel und Erde, wo sie aufgehängt hat in seinem Zorn der eifrige und hochgebenedeite Gott. Und ihr Schicksal ... ist es nicht das Meine? Einer Liebe hingegeben, die bald wie eine sanfte Glut mein Innerstes erwärmt und veredelt, bald aber wie ein ungeduldig Feuer meine Seele quält und anschmiedet an einen Gegenstand, der unstät und rastlos sich immer meiner Sehnsucht entzieht, bin ich bald niedergezogen zur Tiefe, bald schwebe ich auf zur Höhe der Himmel. Die Pflicht ruft mich gebieterisch auf die Schwelle wenigstens des Kerkers, in welchen meine Väter athmen, da die rohe Willkür mir das Glück versagt, ihn mit denselben zu theilen; die Liebe aber hält mich hier in diesem engen Raume zurück. Ihr vertrauend, die mir Schutz und Beistand den Meinigen verheißt, überlasse ich Jochai und Ben David ihren Leiden. Wird aber dieses Vertrauen sich erfüllen? Wird denn der Freund erfüllen können, was er zu erfüllen wünscht? Reißt mich daß Verweilen auf dieser Stätte nicht endlich auch in den Abgrund, aus welchem ich meinem Vater nimmer emporreichen werde können die rettende Hand? O Mutter, welcher das Paradies sey, und die Palme des ewigen Friedens, Mutter, erinnere Dich, wenn gleich ein abgeschiedner Geist, Deiner Tochter, und leiste Hülfe! Ureiniger Gott,[204] zu den Jakob's Söhne beten, wie die Verehrer des Menschgewordnen, schütze Du den edeln Mann, den ich ehre wie einen Seligen und Gesegneten des Herrn, daß er bald zurückkehre, und durch seine Kraft und Großmuth das Truggewebe zerreiße, das meines Vaters Unschuld, unser aller Geschick umhüllt! Schon drang der Verrath über diese Schwelle; wer weiß, wie lange der verbrecherische Unhold seine Drohungen aufschiebt? Wer weiß, ob mich nicht vielleicht der nächste Tag verrathen und verkauft in den Händen der Feinde sieht? Ich möchte fliehen, und wage es doch nicht. Wie entkomme ich den Kundschaftern des Unseligen, die vielleicht hinter jedem Baume lauern? Wohin könnte und dürfte ich entfliehen? Wo lebt der Mensch, der mich aufnehmen, .. wo ist die Veste, die mich schützen würde? Wo weilt er, der einzige Hort, auf den ich baue? Kann meine angstvolle Stimme ihn rufen über Berg und Thal? Hört denn sein Ohr den flüchtigen Schritt meiner Sohle? O, daß meine Klage ein Zauberspruch wäre, der ihn fesselte, und herbeizöge mit unwiderstehlicher Gewalt; daß der hochgelobte Gott die Schwester doch wieder in seine Hand gegeben hätte, damit er Zeit gewinnen möge, an seine unwürdige Magd zu denken! Welche Leiden ich auch schon erduldet habe, – welcher Kummer mir auch noch bevorstehen mag, seine Nähe allein dünkt mir schon ein Balsam für alle Wunden, die das Schicksal schlägt. Und meine allzugefällige Einbildungskraft gaukelt mir nur zu oft eine schmeichelnde Täuschung vor. Pocht mein Herz bang und ungeduldig, so höre ich den Hufschlag seines[205] geschwinden Rosses. Zittern meine Pulse, so vernehme ich seinen nahenden Schritt. In den Glocken, die gerade jetzt herübertönen aus der Stadt, spricht seine anmuthige Stimme, aus dem Abendroth dort an den Bergen schaut sein freundlich Angesicht. Ungeduldig berge ich mich hinter diesen Riegeln, da ich doch von jenen Höhen den geliebten Namen ausschreien möchte durch die Welt. Zürnend sieht mein Auge jenes verschlossene Fenster an, das mir die Aussicht nach der Heerstraße verbirgt, auf welcher er daher ziehen wird. Wenn er käme, jetzt käme, im Andrange der höchsten Noth! Wenn ich ihm könnte entgegeneilen auf den Flügeln des Auges, um ihn zu begrüßen, schon im fernen Dämmerschein? Warum nicht jenes Fenster, das unnütze Vorsicht verschloß, kann eröffnen die muthige Hand. Vom Aufgange kommt alles Gute, alles Wahre. Vom Sonnenaufgange her sieht der hochgelobte Gott in unsre Tempel; von dort muß auch Dagobert wieder heimkehren!« – Kühn schlug ihre Hand den verschloßnen Laden des Fensterleins auf, und ihr Blick suchte unter den Rosen, die der Niedergang dem blaudunkeln Osten zuwarf, den Geliebten. Umsonst! Leer war und blieb die Straße. Längs der Gartenmauer jedoch kroch ein Mann schwer und unbehülflich am Straßenrande hin, beschäftigt, wie es schien, Kräuter zu sammeln im thauigen Abendschein. Zufällig richtete sich auf ihn Esther's Auge, – zufällig blickte er zu dem klingenden Fenster empor, – und schnell fuhr das Mädchen zurück. Es war der Judenarzt Joseph,[206] der dort unten verkehrte, und Esther flehte zum Himmel um die Gnade, von dem Gefürchteten nicht erkannt worden zu seyn.

Quelle:
Carl Spindler: Der Jude. 3 Bände, Band 2, Stuttgart 1827, S. 189-207.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Der Jude
Der Jude: Deutsches Sittengemälde Aus Der Ersten Hälfte Des Fünfzehnten Jahrhunderts, Volume 2 (German Edition)
Der Jude: Deutsches Sittengemälde Aus Der Ersten Hälfte Des Fünfzehnten Jahrhunderts, Volume 4 (German Edition)
Der Jude: Deutches Sittengemälde Aus Der Ersten Hälfte Des Fünfzehnten Jahrhunderts, Volumes 3-4 (German Edition)
Der Jude: Deutsches Sittengemälde Aus Der Ersten Hälfte Des Fünfzehnten Jahrhunderts (German Edition)

Buchempfehlung

Schnitzler, Arthur

Das neue Lied und andere Erzählungen 1905-1909

Das neue Lied und andere Erzählungen 1905-1909

Die Sängerin Marie Ladenbauer erblindet nach einer Krankheit. Ihr Freund Karl Breiteneder scheitert mit dem Versuch einer Wiederannäherung nach ihrem ersten öffentlichen Auftritt seit der Erblindung. »Das neue Lied« und vier weitere Erzählungen aus den Jahren 1905 bis 1911. »Geschichte eines Genies«, »Der Tod des Junggesellen«, »Der tote Gabriel«, und »Das Tagebuch der Redegonda«.

48 Seiten, 3.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Romantische Geschichten III. Sieben Erzählungen

Romantische Geschichten III. Sieben Erzählungen

Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Nach den erfolgreichen beiden ersten Bänden hat Michael Holzinger sieben weitere Meistererzählungen der Romantik zu einen dritten Band zusammengefasst.

456 Seiten, 16.80 Euro

Ansehen bei Amazon