106.

[294] Die erste Liebe eines jungen Mannes, der in die Welt tritt, ist gewöhnlich Liebe aus Eitelkeit. Selten wählt er ein sanftes, liebenswertes, unschuldiges junges Mädchen. Wie kann er zittern, anbeten, Empfindungen haben, außer vor einer Göttin? Ein junger Mensch muß ein Wesen lieben, dessen Eigenschaften ihn in seinen Augen erhöhen. Auf dem Abstieg des Lebens zweifelt man am Erhabenen und bescheidet sich, das Einfache und Unschuldige zu lieben. Zwischen beiden Gegensätzen liegt die wahre Liebe, die nur an sich selbst denkt.

Quelle:
Von Stendahl – Henry Beyle über die Liebe. Jena 1911, S. 294-295.
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