35.

[263] Ich gebe zu, daß das spanische Volk unmittelbar nach einer großen Tat in alle Fehler und Torheiten verfallen ist, die nur möglich waren. Trotzdem ist das gerade der Grund, der mich hindert, das Lob wieder zurückzunehmen, das ich diesen Nachzüglern des Mittelalters gespendet habe.

Die hübscheste Frau von Narbonne ist eine kaum zwanzigjährige Spanierin, die dort mit ihrem Gatten, ebenfalls Spanier, einem pensionierten Offizier, sehr zurückgezogen lebt. Vor einiger Zeit sah sich dieser Offizier veranlaßt, einem Gecken eine Ohrfeige zu versetzen. Am nächsten Morgen am Duellort sieht der Geck, daß die junge Spanierin kommt. Eine neue Flut gezierter Reden. »Das ist aber wirklich schrecklich! Wie haben Sie das Ihrer Frau nur sagen können! Nun kommt sie, um unseren Zweikampf zu verhindern!« – »Ich komme zu Ihrem Begräbnis!« antwortete die Spanierin.

Glücklich der Mann, der seiner Frau alles sagen kann. Der Erfolg hat den stolzen Vorsatz nicht Lügen gestraft. Eine solche Handlungsweise würde in England für unpassend gelten. So vermindert falscher Anstand noch das bißchen Glück hienieden.

Quelle:
Von Stendahl – Henry Beyle über die Liebe. Jena 1911, S. 263.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Über die Liebe
Über die Liebe: Essay
Über die Liebe, Jubiläumsausgabe
Über die Liebe (insel taschenbuch)
Über die Liebe
Über die Liebe