26. Die Augensprache

[67] Die Augen sind die Hauptwaffe der tugendsamen Koketterie. Mit einem einzigen Blicke läßt sich alles sagen, und doch kann man alles wieder ableugnen, denn Blicke sind keine Worte.

Das erinnert mich an den Grafen G***, den Mirabeau Roms. Die kleine liebenswürdige Regierung des Kirchenstaates hatte ihn eine eigenartige Redeweise gelehrt: er bewegte sich nur in abgerissenen Sätzen, die alles und nichts sagen konnten. Man verstand sehr wohl, was er meinte; aber wenn man seine Worte noch so wörtlich wiederholte, konnte ihn doch niemand dadurch bloßstellen.[67] Der Kardinal Lante pflegte von ihm zu sagen, er habe diese Gabe den Frauen abgesehen, und zwar den ehrbarsten unter ihnen. Diese weibliche Schelmerei ist eine grausame, aber gerechte Vergeltung für die Tyrannei der Männer.

Quelle:
Von Stendahl – Henry Beyle über die Liebe. Jena 1911, S. 67-68.
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