Achtundfünfzigstes Kapitel.

[175] Wir müssen auf die drei Kreuze (†††) im vorigen Kapitel zurückkommen.

Es ist ein eigenthümlicher Kunstgriff in der Beredsamkeit, (wenigstens war er's, als die Beredsamkeit in Athen und Rom blühte, und würd' es noch sein, wenn die Redner Mäntel trügen,) den Namen einer Sache nicht zu nennen, wenn man die Sache selbst bei sich – in petto – führt, und sie an der Stelle, wo sie genannt werden müßte, vorzeigen kann, also eine Narbe, eine Streitaxt, ein Schwert, ein zerstochenes Unterkleid, ein Häufchen Asche in einer Urne oder ein Töpfchen Salzgurken, vorzüglich aber ein zartes, königlich geschmücktes Kindlein, obgleich dasselbe, wenn es zu jung und die Rede so lang war wie Cicero's zweite Philippica, den Mantel des Redners besudelt haben wird; war es dagegen wieder zu groß, so läßt sich annehmen, daß es den Redner in seiner Bewegung wird gestört haben, und daß er, so viel er durch dieses Kind auf der einen Seite gewann, auf der andern wieder einbüßte. Anders freilich, wenn er's mit dem Alter des Kindes gerade glücklich zu treffen wußte, wenn[175] er seinen Bambino so geschickt im Mantel verbarg, daß Niemand Witterung bekam, und ihn dann so gewandt herausholte, daß kein Mensch hätte sagen können, was er zuerst gesehen habe: Kopf oder Schultern – Oh! meine Herren, das hat Wunder gewirkt, hat die Schleußen geöffnet, die Köpfe verdreht, Grundsätze erschüttert und die Politik einer halben Welt aus den Angeln gehoben.

So etwas kann aber, wie gesagt, nur in solchen Staaten und zu solchen Zeiten geschehen, wo die Redner Mäntel tragen und zwar, meine vielgeliebten Brüder, recht weite, etwa aus zwanzig bis fünfundzwanzig Ellen superfeinem, preiswürdigem Purpurzeuge mit breitem Faltenwurf, solidem Unterfutter und im großen Styl. Woraus, mit Ew. Hochehrwürden Erlaubniß, klar hervorgeht, daß der Verfall der Beredsamkeit und die außerordentlich geringe Wirkung, welche sie zur Zeit sowohl privatim als öffentlich ausübt, sich von gar nichts Anderem herschreibt, als von den kurzen Röcken und von dem Mißbrauch der Beinkleider. – Darunter, Madame, kann man nichts verbergen, was des Zeigens werth wäre.

Quelle:
Sterne [, Lawrence]: Tristram Shandy. Band 1, Leipzig, Wien [o. J.], S. 175-176.
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