Dreiundsiebenzigstes Kapitel.

[204] – Ich werde über diesen Punkt nicht weiter mit Ihnen streiten, Madame; genug, es ist so, ich bin vollkommen davon überzeugt: »sowohl Mann als Weib halten Kummer und Schmerzen (auch Vergnügen, so viel ich weiß) in horizontaler Lage am besten aus«.

Sobald mein Vater auf seinem Zimmer angekommen war, warf er sich in der fürchterlichsten Aufregung, und zwar in der jammervollen Stellung eines ganz und gar zu Boden geschmetterten Mannes, dessen Schicksal jedes Herz rühren mußte, der Länge nach auf sein Bett. Im Fallen bedeckte er mit der Fläche seiner rechten Hand seine Stirn und den größten Theil der Augen. Als der Ellenbogen nach hinten wich, rutschte die Hand mit dem Kopf immer tiefer, bis die Nase auf der Steppdecke lag; sein linker Arm hing kraftlos am Bett herunter, und die Knöchel der Hand berührten den Henkel des Nachttopfes, der unter dem Bett hervorsah; das rechte Bein (das linke hatte er an sich gezogen) hing zur Hälfte auf der andern Seite über, und die Kante der Bettstelle drückte gegen das Schienbein. Er fühlte es nicht. Ein starrer, unbeweglicher Schmerzensausdruck lag auf seinen Zügen; – einmal seufzte er – seine Brust hob sich – aber er sprach kein Wort.

Am Kopfende des Bettes, gegenüber der Seite, wo meines[204] Vaters Haupt lag, stand ein alter, mit wollenen Fransen beschlagener Polsterstuhl. Mein Onkel Toby setzte sich darauf.

Eh' ein Schmerz ausgelitten ist, kommt der Trost zu früh – und wenn er ausgelitten ist, kommt er zu spät. – Sie sehen, Madame, wie genau da ein Tröster zielen muß, denn der feine Punkt dazwischen ist nicht breiter als ein Haar. Mein Onkel Toby hielt nun gewöhnlich entweder zu sehr rechts, oder zu sehr links und pflegte oft von sich zu sagen, er glaube, er könne eher den Mond treffen; deshalb, als er sich auf den Polsterstuhl gesetzt und den Bettvorhang ein wenig nach vorn gezogen hatte, nahm er sein Schnupftuch aus der Tasche, (denn eine Thräne hatte er für jedes Leid,) – seufzte tief auf, – aber schwieg.

Quelle:
Sterne [, Lawrence]: Tristram Shandy. Band 1, Leipzig, Wien [o. J.], S. 204-205.
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