Einhundertundachtzehntes Kapitel.

[314] Von diesem Augenblicke an bin ich als der Thronerbe der Familie Shandy anzusehen und damit beginnt eigentlich die Geschichte meines Lebens und meiner Meinungen. Mit aller Hast und Eile habe ich bis jetzt den Grund gelegt, auf welchem ich das Gebäude errichten will, und ein Gebäude soll es werden, ich sehe es voraus, wie seit Adams Zeiten noch keins entworfen, viel weniger ausgeführt worden ist. In weniger als fünf Minuten werde ich meine Feder ins Feuer geworfen haben und mein Dintenfaß mit dem Tröpfchen dicker Dinte hinterdrein; vorher habe ich nur erst noch allerlei abzumachen, zuerst noch etwas zu nennen, – dann noch etwas zu beklagen, – etwas zu hoffen, – etwas zu versprechen, und dann noch mit etwas zu drohen. Ferner habe ich noch etwas vorauszusetzen, – etwas zu erklären, etwas zu verschweigen, – etwas zu wählen und um etwas zu bitten. Dies Kapitel nenne ich also das Kapitel über Etwas, und das nächste soll dann, wenn Gott mir Leben schenkt, mein Kapitel über Schnurrbärte sein, damit Alles hübsch in der Ordnung vor sich geht.

Was ich nun zu beklagen habe, ist das, daß sich mein Stoff immer mehr häuft, und ich immer noch nicht im Stande gewesen bin, an den Abschnitt meines Werkes zu gelangen, auf[314] den ich mich schon so lange gefreut habe, ich meine an die Campagnen, aber besonders an die Liebescampagne meines Onkels Toby, deren Begebenheiten so eigenthümlicher Art, so Cervantisch sind, daß, wenn ich sie nur so behandeln und so der fremden Anschauung übermitteln kann, wie sie mir vorschweben, ich dafür einstehen will, es soll mein Buch in der Welt mehr Glück machen, als sein Herr gemacht hat. O Tristram! Tristram! wenn du das nur ordentlich zu Stande bringst, so wird dein Ruhm als Autor alle die Uebel aufwiegen, die du als Mensch ertragen mußtest, du kannst von jenem dann noch zehren, wenn du längst alles Gefühl für diese und alle Erinnerung daran verloren hast.

Kein Wunder, daß es mich prickelt, an diese Liebesgeschichte zu kommen; sie ist das Nierenstückchen meiner ganzen Geschichte! Und wenn ich dabei bin, so verlaßt Euch darauf, liebe Leutchen (mag ekel sein wer will), ich werde mich in meinen Ausdrücken nicht geniren. Und das ist das Etwas, das ich zu erklären hatte. – Aber ich werde schwerlich in fünf Minuten fertig werden; das befürchte ich, und was ich hoffe, ist, daß Ew. Wohlgeboren und Hochehrwürden es nicht übel nehmen; sollten Sie es aber doch übel nehmen, so sein Sie versichert, ich werde Ihnen nächstes Jahr eine bei Weitem bessere Veranlassung zum Uebelnehmen geben. So macht's meine Jenny – Ja wer meine Jenny ist? und wie das rechte Ende heißt, bei dem die Weiber angefaßt sein wollen und wie das unrechte? das ist eben das Etwas, das ich verschweige; ich werde es in dem zweitfolgenden Kapitel nach dem »über Knopflöcher« sagen – eher auf keinen Fall.

Und da ich nun hier am Ende dieser vier Bände angelangt bin, so habe ich auch etwas zu fragen: Wie steht's mit den Köpfen? Thun sie ein bischen weh? – Was die Gesundheit im Allgemeinen anbetrifft, so weiß ich, es geht viel besser. – Der Shandeismus macht, man sage was man will, Herz und Lungen frei und läßt, wie alle Reizmittel dieser Art, das Blut und die Lebenssäfte ungehinderter durch ihre Kanäle laufen, indem er das Lebensrad schneller und leichter umschwingt.[315]

Hätte ich mir, wie Sancho Pansa, ein Königreich zu wählen, es sollte keine Insel sein, auch kein Negerreich, aus dem ich mir etwas herausschlagen könnte, – nein – es sollte ein Königreich sein mit lauter fröhlichen und lachenden Unterthanen; und da Habsucht und Schwermuth, die Blut und Säfte verderben, auf den Staat eine nicht minder schädliche Wirkung äußern als auf den menschlichen Körper, nichts aber sie beherrschen und der Vernunft unterwerfen kann als ein tugendhaftes Leben, so würde ich weiter bitten, daß Gott meinen Unterthanen Gnade verleihen möchte, so weise als fröhlich zu sein, und dann wäre ich der glücklichste Herrscher und mein Volk wäre das glücklichste Volk auf Erden. –

Mit dieser schönen Moral will ich jetzt von Ew. Wohlgeboren und Hochwürden auf ein Jahr Abschied nehmen; dann aber (vorausgesetzt, daß mich dieser abscheuliche Husten nicht in die Grube bringt) werde ich Wohldieselben wieder an den Bärten zupfen und eine Geschichte zu Markte bringen, von der Sie sich schwerlich etwas träumen lassen.


Quelle:
Sterne [, Lawrence]: Tristram Shandy. Band 1, Leipzig, Wien [o. J.].
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