Einhundertunderstes Kapitel.

[270] Könnte ich doch ein Kapitel über Schlaf schreiben.

Eine bessere Gelegenheit dazu als dieser Augenblick ist gar nicht denkbar – alle Bettvorhänge sind heruntergelassen – alle Lichter ausgelöscht – keines Sterblichen Auge blieb geöffnet außer ein einziges, – denn das andere war der Wärterin meiner Mutter schon vor 20 Jahren ausgelaufen.

Ein herrlicher Vorwurf!

Und doch wollte ich eher ein Dutzend Kapitel über Knopflöcher schreiben, und glänzender schreiben, als Eines über den Schlaf.

Knopflöcher! In dem bloßen Gedanken daran liegt etwas Ermunterndes, und verlaßt Euch darauf, Ihr Herren mit den großen Bärten, gerathe ich einmal darüber, dann soll's lustig hergehen, mögt Ihr so ernst dazu sehen, wie Ihr wollt, – ich werde sie mir schon zu Gemüthe ziehen – der Gegenstand hat etwas Jungfräuliches – ich riskire da nicht auf anderer Leute Weisheit und schöne Redensarten zu stoßen.

Aber Schlaf! – daraus werde ich nichts machen, das weiß ich vorher, eh' ich anfange. – Erstens bin ich kein Freund von schönen Sentenzen, und dann könnt' ich um keinen Preis solch ein Thema feierlich behandeln und der Welt vorerzählen: er sei dem Unglücklichen eine Zuflucht, Freiheit dem Gefangenen, ein Ruhekissen dem Hoffnungslosen, Mühseligen und Betrübten; noch könnte ich gleich mit einer Lüge beginnen und betheuern, daß er von alle den angenehmen und köstlichen Verrichtungen unserer Natur, durch welche der große Schöpfer in seiner Güte die Leiden, so seine Gerechtigkeit und sein Belieben über uns verhängt hat, ein Gegengewicht geben wollte, die vorzüglichste sei (ich kenne zehnmal bessere), noch könnte ich entzückt verkündigen, wie glücklich ein Mensch zu achten sei, wenn er nach des Tages[270] Angst und Unruhe sich auf den Rücken lege, und seine Seele, wohin sie immer blicke, den Himmel über sich so still und feierlich sähe, – von keiner Begierde, keiner Furcht und keinem Zweifel getrübt, während die Phantasie über jede Schwierigkeit, die vor dem Blicke aufsteige, sei es vergangene, gegenwärtige oder zukünftige, leicht dahingleite.

Gott segne den Mann, sagt Sancho Pansa, welcher das Ding, »Schlaf« genannt, zuerst erfand; es deckt Einen zu wie ein Mantel! – Darin liegt etwas, das stärker zu meinem Herzen und Gefühl spricht, als Alles, was sich gelehrte Köpfe über diesen Gegenstand ausgepreßt haben.

Deshalb mißachte ich nicht, was Montesquieu darüber sagt; es ist in seiner Art vortrefflich (ich citire aus dem Gedächtniß):

Man genießt den Schlaf, sagt er, wie andere Freuden wohl auch, ohne ihn zu schmecken und darauf zu achten, wie er verläuft und vor sich geht. Wir sollten ihn zum Gegenstande unserer Untersuchung und unseres Nachdenkens machen, um dankbarer zu werden gegen Ihn, der ihn uns gab. – Aus diesem Grunde lasse ich mich oft aus dem Schlafe wecken, so genieße ich ihn erst recht und besser. Doch giebt es, sagt er an einer andern Stelle, schwerlich Viele, die, wenn's nöthig ist, so wenig Schlaf bedürfen als ich: mein Körper ist einer stetigen, aber keiner heftigen und plötzlichen Anstrengung fähig, – ich vermeide in letzterer Zeit alle anstrengenden Leibesübungen. – Gehen ermüdet mich nie, – aber von Jugend auf liebte ich nicht auf hartem Steinpflaster zu reiten. – Am liebsten schlafe ich hart und allein – selbst ohne mein Weib. – Dieser letztere Punkt könnte unwahrscheinlich erscheinen, doch erinnere man sich, wie Bayle (in dem Falle von Licetus) sagt: »La Vraisemblance n'est pas toujours du côté de la vérité.« So viel über den Schlaf.

Quelle:
Sterne [, Lawrence]: Tristram Shandy. Band 1, Leipzig, Wien [o. J.], S. 270-271.
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