Fünfundneunzigstes Kapitel.

[261] Ja, Zufall! sagte mein Vater und drehte sich, als er mit meinem Onkel Toby hinabging, auf dem ersten Treppenabsatz herum, – das ist ein langes Kapitel! Was für Zufällen sind wir nicht im Leben unterworfen! Nimm Dinte und Feder, Bruder Toby, und berechne einmal – Ich verstehe von Zahlen nicht mehr als dieses Treppengeländer, sagte mein Onkel Toby und schlug mit seiner Krücke daran, wobei er meinen Vater gerade aufs Schienbein traf – Hätt' ich doch Hundert gegen Eins wetten wollen, rief er sich entschuldigend – Ich dachte, sagte mein Vater und rieb sich das Bein, Du verstündest von Zahlen nichts. – 's war ein unglücklicher Zufall. – Einer mehr für das lange Kapitel, erwiederte mein Vater.

Ueber den beiden glücklichen Antworten vergaß mein Vater sein schmerzendes Bein, – es war ein glücklicher Zufall (wieder ein Zufall), daß es so kam, sonst würde die Welt nie erfahren haben, was mein Vater eigentlich berechnet haben wollte – es zu errathen, wäre mehr als Zufall. – Wie glücklich sich dieses Kapitel vom Zufall gemacht hat; es hat mir die Mühe erspart, ein besonderes zu schreiben, und wahrhaftig! ich habe auch ohnehin schon genug zu thun. Habe ich meinen Lesern nicht ein Kapitel über Knoten versprochen? zwei Kapitel über das rechte und über das unrechte Ende am Weibe? ein Kapitel über Schnurrbärte? ein Kapitel über Wünsche? ein Kapitel über Nasen? aber nein – das habe ich schon gebracht! – ein Kapitel über meines Onkels Schamhaftigkeit? gar nicht zu erwähnen ein Kapitel über Kapitel, das ich noch vor Schlafengehen schreiben werde. – Bei meines Urgroßvaters Schnurrbart, nicht mit der Hälfte dieser Kapitel kann ich in diesem Jahre fertig werden.

Nimm Dinte und Feder, Bruder Toby, sagte mein Vater, und berechne einmal; standen nicht Millionen Fälle gegen einen, daß die scharfe Kante eher irgend einen andern Theil des Körpers fassen, als unglücklicherweise gerade auf diesen treffen und damit ihn und das Glück unseres Hauses zertrümmern mußte?[262]

Es hätte schlimmer kommen können, erwiederte mein Onkel Toby. – Wie das möglich gewesen wäre, begreife ich nicht, sagte mein Vater. – Aber wenn nun die Hüfte vorgetreten wäre, entgegnete mein Onkel Toby, wie Dr. Slop es vermuthete?

Mein Vater dachte einen Augenblick nach – sah zu Boden – tippte sich mit dem Zeigefinger leicht vor die Stirn und sagte dann:

Ja, da hast Du Recht.

Quelle:
Sterne [, Lawrence]: Tristram Shandy. Band 1, Leipzig, Wien [o. J.], S. 261-263.
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